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Einen Knödel im Hirn? Schlimmer! Der französische Antisemit „Dieudonné“ macht erneut auf sich aufmerksam

Artikel von Bernard Schmid vom 08.01.2014

Er ist seit Jahren der aggressivste öffentlich auftretende Antisemit in Frankreich. Nun möchte er sich hinter dem angeblichen „Recht auf Humor“ verschanzen. Am 19. Dezember 13 wurde bekannt, dass der unter seinem Vornamen als Künstlernamen bekannt gewordene Theatermacher „Dieudonné“ bei einer Aufführung über den prominenten Radiojournalisten Patrick Cohen äußerte: „Wenn der Wind sich dreht, weiß ich nicht, ob er genug Zeit haben wird, um die Koffer zu packen. (…) Wenn ich ihn reden höre, Patrick Cohen, siehst Du, dann sage ich mir: Die Gaskammern… Schade…“Die Zuschauer/innen sollten den Satz wohl für sich ergänzen. Sein Anwalt Jacques Verdier behauptet jedoch, man müsse „den Kontext sehen: ein Spektakel, wo die Leute lachen“, und dazu gehöre auch „Überzogenes, Ungeheuerliches oder Absurdes“. Antisemitismus liege seinem Mandanten angeblich fern. Letzterer wurde allerdings seit 2006 insgesamt sechs mal in Frankreich und ein mal in Kanada wegen antisemitisch motivierter Aussprüche verurteilt.

Zwischen Weihnachten 2013 und Anfang Januar 14 schwoll die Polemik über diese Äußerungen an. Die Sendeanstalt Radio France, wo Cohen arbeitet, hatte Strafanzeige erstattet. Nachdem Innenminister Manuel Valls erklärte, die ihm untergebenen Präfekten sollten allerorten die Verbotsmöglichkeiten für Bühnenauftritte „Dieudonnés“ prüfen, wurden erste Auftrittsverbote durch die Bürgermeister von Marseille und Nantes (den Konservativen Jean-Claude Gaudin und den Sozialisten Patrick Rimbert) in Aussicht gestellt. Rimbert forderte etwa den Präfekten auf, ein am 09. Januar 14 in Nantes geplantes Theaterstück mit „Dieudonné“ zu untersagen. Inzwischen rufen Serge und Beate Klarsfeld von der „Vereinigung der Söhne und Töchter von jüdischen Deportierten aus Frankreich“ dazu auf, am Vorabend – also am Abend des Mittwoch, 08. Januar d.J. – in Nantes gegen die geplante Aufführung zu protestieren [1].

Auch vom konservativen Oppositionsführer Jean-François Copé und von Staatspräsident François Hollande, der vom Staatsbesuch in Saudi-Arabien aus dazu Stellung nahm, kam Unterstützung für das Auftreten Valls’ gegenüber Dieudonné. Antirassistische Vereinigungen wie SOS Racisme und MRAP stellten Strafanzeigen gegen den 47jährigen, zeigten sich aber skeptisch bezüglich generellen Aufführungsverboten. Aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Prinzips der künstlerischen Freiheit würde ein generelles Bühnenverbot tatsächlich drohen, vor den Verwaltungsgerichten möglicherweise keinen Bestand zu haben. Allerdings ist (unabhängig von der Frage, ob eine solche Verbotsverfügung gerichtsfest wäre) festzustellen, dass Dieudonné immer wieder seine Theaterbühne als Schauplatz für offene ideologische Propaganda nutzt, und sich dabei zugleich hinter dem angeblichen „künstlerischen Recht auf Satire und Doppeldeutigkeit“ verschanzt.

Relativ unerwartete Hilfe kam vom Front National, der ansonsten, um Salonfähigkeit bemüht, seit der Übernahme der Parteiführung durch Marine Le Pen erkennbare Distanz zu „Dieudonné“ hält. Ihr Vizevorsitzender Florian Philippot erklärte jedoch am Montag, den 30. Dezember 13, er unterstütze den Schauspieler nicht, aber „ein Auftrittsverbot wäre eine Straftat“ (seitens der Behörden) [2].

Valls möchte ansonsten Dieudonné endlich einmal wirksam „am Geldbeutel packen“: Aufgrund seiner vorausgegangenen Verurteilungen wurde Dieudonné zu Geldstrafen in Höhe von insgesamt rund 65.000 Euro verdonnert (zuzüglich einer Steuernachzahlung wegen nicht abgeleisteter Steuern für seinen einträglichen Theaterbetrieb in Höhe von über 880.000 Euro). Bezahlt hat er davon jedoch nichts, weil er seine vorgebliche Insolvenz organisiert hat: Sein Theater überschrieb er dem Eigentum seiner Ehefrau Noémie Montagne, und er selbst bezieht angeblich weder ein Gehalt noch ein sonstiges Einkommen [3]. Auf dem Papier ist er „ohne Einkünfte“. Selbstverständlich nur auf dem Papier, und sein Betrieb – der auch den Vertrieb von DVDs, T-Shirts und allerhand Kram mit seinem Konterfei einschließt ist ausgesprochen lukrativ. Ferner erhielt Dieudonné während der Präsidentschaft von Mahmud Ahmedinedjad (Juni 2005 bis Juni 2013), den er im November 2009 persönlich aufsuchte, auch finanzielle Unterstützung aus dem Iran. – Valls möchte dem Treiben rund um die fingierte Insolvenz nun nicht länger tatenlos zusehen, sondern die tatsächliche finanzielle Situation des Delinquenten nun von den verschiedenen staatlichen Diensten näher untersuchen lassen. An der Zeit wäre es tatsächlich…

Hintergründe

Dieudonné M’bala M’bala kam Anfang 1966 im Pariser Umland als Sohn eines kamerunischen Finanzbuchhalters und einer bretonischen Soziologin zur Welt. Früh legte er eine Künstlerkarriere ein, vor allem als Komiker; heute gehört ihm sein eigenes Theater im 11. Pariser Bezirk. Ursprünglich vertrat er eher antirassistische und universalistische Positionen. Aber seit 2001/02 steigerte er sich rapide in einen immer offener werdenden Antisemitismus hinein. Anfänglich motivierte ihn dabei eine Form von Opferkonkurrenz: M’bala M’bala hatte sich für die Geschichte der Sklaverei zu interessieren begonnen, bekam aber nicht genügend Geld für ein Filmprojekt darüber zusammen. Er glaubte, die Ursache dafür in einem Gedenkmonopol für die Opfer des Holocaust sowie einer überstarken Präsenz „jüdischer Interessen“ im französischen Filmgewerbe zu erkennen. Ideologischer Stichwortgeber des Theatermachers ist seit Jahren der antisemitische Schriftsteller Alain Soral. Jener war von Anfang 2006 bis Anfang 2009 in leitenden Parteifunktionen beim Front National, da sein Werben um Unterstützung auch bei Mitgliedern von „ethnischen Minderheiten“ scheinbar ins Modernisierungskonzept der Parteiführung passte. Vor allem Marine Le Pen sorgte dann aber für eine Trennung von Soral, dessen zunehmend ungeschminkter Antisemitismus aus ihrer Sicht politisch kontraproduktiv war.

Alain Soral ist heute stark im Internet präsent, aber auf der extremen Rechten will kaum jemand mehr mit ihm organisiert zusammenarbeiten, da er wechselnde Bündnispartner durch seine übermäßige Egomanie verprellte. In Teilen der jungen Generation und in gesellschaftlich marginalisierten Sozialmilieus weisen Dieudonné und Soral, besonders dank ihrer Videos mit hohen Aufgriffszahlen bei Youtube, einen zwar unstrukturierten aber beträchtlichen Einfluss auf. Er gründet vor allem auf diffusen verschwörungstheoretischen Vorstellungen, und Dieudonné wird als von mächtigen Interessen „verfolgt und verfemt“ betrachtet oder stellt sich jedenfalls selbst so dar.

Erkennungszeichen: Knödel mit Hass

In den letzten Monaten zunehmend popularisiert hat sich der salut de la quenelle oder „Knödelgruß“, den Dieudonné aufgebracht hat, nachdem er von sich selbst behauptete, „ein Knödel im System“ zu sein. Also eine Art überdimensioniertes Sandkorn im Getriebe, das angeblich Reichen oder Mächtigen in die Quere kommt. Bei dem Gruß mit an der Schulter weit oben angewinkeltem Arm geht es laut seinem Erfinder darum, dem imaginären Gegenüber einen Knödel im Hintern zu platzieren. Es ist zwar eine Falschinformation, es handele sich um eine Abwandlung des Hitlergrußes, wie manche Beobachter behaupteten – Dieudonné bezieht sich nicht oder nur sarkastisch auf Adolf Hitler -, es geht jedoch sehr wohl um eine antisemitisch aufgeladene Version des „Stinkfingers“.

Im September 2013 wurden zwei französische Soldaten disziplinarrechtlich bestraft, weil sie den Gruß beim Wachestehen vor einer Synagoge im 14. Pariser Bezirk entboten und auf einem Video festgehalten hatten. Im Dezember 13 wurde bekannt, dass Angestellte des Asterix-Freizeitsparks nördlich von Paris ebenfalls den Gruß gezeigt hatten, gegen sie ermittelt nun ihr Arbeitgeber. Zuletzt machte auch der in einem englischen Club spielende französische Fußballer Nicolas Anelka durch dasselbe Zeichen auf sich aufmerksam. Er erklärte zu Wochenbeginn, „weder Antisemit noch Rassist“ zu sein, widmete seine Geste auf dem Fußballfeld jedoch „meinem Freund Dieudonné“. Seit dem 30./31. Dezember 13 ermittelt zudem die Polizei in Toulouse, weil „ein Individuum den salut de la quenelle vor der jüdischen Schule Ohr Torah entboten“hatte, wo drei Schüler und ein Lehrer im März 2012 durch den Terroristen Mohamed Merah getötet wurden. – Eine Webseite zählt inzwischen die Bildbeispiele dafür auf, wie andere Individuen es für angezeigt hielten, den „Quenelle-Gruß“ etwa vor dem Mahnmal für die Schoah in Paris, in der Gedenkstätte in Auschwitz und an ähnlichen Orten zu vollführen [4].

Auch Bruno Gollnisch, ehemaliger Vizepräsident des Front National (und im Januar 2011 gescheiterter Anwärter auf die Parteiführung, als damaliger Konkurrenzkandidat gegen Marine Le Pen) entbot den „Quenelle-Gru“ nunmehr ebenfalls, und zwar am 19. Dezember 13 in einer Sitzung des Regionalparlaments in Lyon, dem er angehört [5]. Gollnisch zählt innerparteilich zur Minderheit in Fragen der strategischen Orientierung; sein ehemaliger „Wahlkampfleiter“ während des innerparteilichen Abstimmungskampf über den künftigen Parteivorsitz im zweiten Halbjahr 2010, Yvan Benedetti, hat inzwischen den FN verlassen und leitet seit Januar 2012 die offen faschistische und antisemitische Splittergruppe L’œuvre française, welche Pierre Sidos im November 1968 gründete. Benedetti war unter Parteichefin Marine Le Pen mit zweijährigem Ausschluss belegt worden, u.a. weil er im Juni 2011 wörtlich erklärt hatte: „Ich bin Antizionist, Antisemit und Anti-Jude.“ Die aktuelle Parteichefin Marine Le Pen, die sich von jeglichem offenen Antisemitismus distanziert und ihn politisch für kontraproduktiv hält, zeigt sich hingegen grundsätzlich bedeckt gegenüber Dieudonné. In den Medien darauf angesprochen, zeigt sie sich im Dezember 13 ausgesprochen genervt und bügelt die Frage im Radiointerview mit dem Hinweis darauf ab, die Franzosen hätten „wichtigere Probleme“[6].

Meyer Habib, liberal-konservativer Abgeordneter für die Auslandsfranzosen, will nunmehr ein gesetzliches Verbot des „Quenelle-Grußes“ vorschlagen.


[1] externer Link Vgl. http://actu.orange.fr/une/dieudonne-la-famille-klarsfeld-appelle-a-manifester-mercredi-a-nantes-afp_2757624.html externer Link

[2] externer Link Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2013/12/30/97001-20131230FILWWW00224-dieudonne-l-interdiction-une-infraction.php externer Link

[3] externer Link Vgl. http://www.lemonde.fr/societe/article/2014/01/03/comment-fait-dieudonne-pour-ne-pas-payer-ses-amendes_4342597_3224.html externer Link

[4] externer Link Vgl. http://k00ls.overblog.com/2013/12/pour-ceux-qui-prétendent-que-la-quenelle-n-est-pas-un-geste-antisémite.html externer Link und http://www.rue89.com/2013/12/30/antisionisme-antisemitisme-dieudonne-oblige-a-clarification-248671 externer Link

[5] externer Link Vgl. http://leplus.nouvelobs.com/contribution/1114201-bruno-gollnish-et-la-quenelle-de-dieudonne-un-bras-d-honneur-d-extreme-droite.html externer Link

[6] externer Link Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=nm_j3QwQnvg externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=50743
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