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Der Wahlkampf und die nazionale Front in Frankreich

SUD Solidaires: Nous ferons reculer efficacement les idées d’extrême-droiteErst kamen die Drohungen, dann folgt das Geld? Nachdem er am 24. August dieses Jahres damit gedroht hatte, bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 eigene Kandidaten gegen die seiner früheren Partei aufzustellen, schickt Jean-Marie Le Pen sich nun an, die Wahlkämpfe ebendieser Partei zu finanzieren. Der Gründer und langjährige Chef des rechtsextremen Front National (FN) – zwischen 1972 und 2011 – war im August vergangenen Jahres infolge antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen worden. Ihm wurde parteischädigendes Verhalten vorgeworfen… Beitrag von Bernard Schmid, 26. September 2016

Am 12. September 2016 berichtet nun die Tageszeitung Le Parisien, der 88jährige Amtsvorgänger und Vater der jetzigen Vorsitzenden Marine Le Pen werde sowohl die Kampagne des FN bei den Präsidentschaftswahlen vom April und Mai kommenden Jahres als auch die zu den nachfolgenden Parlamentswahlen finanzieren. Die rechtsextreme Partei benötigt dafür jeweils fünfzehn Millionen Euro. Derzeit kann sie jedoch nur rund zehn Prozent dieser Summe mobilisieren. Französische Banken sperren sich bislang dagegen, ihr Kredite zu erteilen. Deswegen appelliert der Schatzmeister des FN, Wallerand de Saint-Just, derzeit sowohl an russische als auch an US-amerikanische Banken sowie an private Spender; ein russisches Kreditinstitut hatte dem FN im Jahr 2014 bereits neun Millionen Euro geliehen. Doch Jean-Marie Le Pen verfügt über eine eigene Organisation zur Parteienfinanzierung, die in den 1980er Jahren gegründete Cotelec (Abkürzung für Cotisations électorales Le Pen).

Diese will er nun dem Bericht zufolge für die bevorstehenden Wahlkämpfe des FN einspannen. Das hat aber nicht nur „uneigennützige“, politisch-ideologische Gründe, geschweige denn Vaterliebe als Motiv zugrunde liegen – seit dem Ausschluss Jean-Marie Le Pens aus der einstmals von ihm geleiteten Partei spricht er nicht mehr mit Marine Le Pen. Die Parteienfinanzierung über Cotelec ist jedoch nicht kostenlos und erfolgt auch nicht auf Selbstkostenbasis (auch wenn Jean-Marie Le Pen dies zu behaupten scheint), sondern basiert vielmehr auf rückzahlbaren Krediten mit fünfprozentiger Verzinsung. Cotelec profitiert also finanziell davon. Vor allem aber würde die Organisation schnell eingehen, würde sie sich weigern, Wahlkämpfe des FN zu finanzieren – denn genau dafür erhält sie wiederum Gelder von privaten Spendern.

War Jean-Marie Le Pen im Namen der durch die jetzige Parteiführung ausgerufenen Linie der dédiabolisation (ungefähr: Entdämonisierung) ausgeschlossen worden, so droht eine Annäherung an den früheren Chef diese Kommunikationsstrategie zu konterkarieren. Unterdessen legt Marine Le Pen sichtbaren Wert darauf, ihre Taktik demonstrativ zu unterstreichen. Auch weiterhin versucht sie, in der Öffentlichkeit so beruhigend wie möglich aufzutreten. Ihr Slogan im frühen Vorwahlkampf lautete während des ersten Halbjahres 2016: La France apaisée („Das zur Ruhe/zum Frieden gekommene Frankreich“), und bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Sommerpause am 03. September dieses Jahres spann sie den Faden fort, indem sie ein neues, ähnliches Motto ausgab. Dieses lautet l’apaisement par l’autorité („Durch Autorität zum Frieden kommen“). Es handelt sich jedoch nur um vorläufige Parolen, und im Laufe der kommenden Wochen oder Monate wird noch eine bislang unbekannte Wahlkampfdevise vorgestellt werden.

Ganz im Zeichen ihrer Beruhigungsstrategie, die um jeden Preis zu vermeiden versucht, dass der FN „in eine extreme Ecke gestellt wird“, grenzte Marine Le Pen sich in den letzten Wochen vom konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicole Sarkozy ab – indem sie versucht, sich im Vergleich zu ihm als gemäßigter darzustellen. Infolge der Terroranschläge im Juli d.J. hatten Sarkozy und seine Umgebung mehrere Woche lang explizit gegen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit gewettert. Der Sarkozy nahe stehende konservative Experte für Innere Sicherheit und Präsident der Bezirksregierung in Nizza, Eric Cotti, echauffierte sich etwa über eine Journalistenfrage nach dem Respekt des Rechtsstaats: „Sie würden mir eine solche Frage nicht stellen, hätten Sie wie ich die Leichen am Strand von Nizza gesehen. Die reden nicht mehr vom Rechtsstaat!“ Da fällt es Marine Le Pen relativ leicht, sich vergleichsweise moderat zu geben. Am 27. August erklärte daraufhin Nicolas Sarkozys Rivale und – ebenfalls – Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, François Fillon: „Ich war verstört und unglücklich darüber, dass ich hören musste, wie Marine Le Pen sich erlaubt, manche Verantwortlichen unserer Partei zurecht zu weisen. Dies sagt viel darüber aus, wie Manche versuchen, dem FN hinterherzulaufen, um Wahlen zu gewinnen.“ Fillon, er war von 2007 bis 2012 Premierminister unter Präsident Sarkozy, äußerte sich unter Anspielung auf eine verbale Aufforderung Marine Le Pens, beim Rechtsstaat zu bleiben.

Am Sonntag, den 11. September leistete sich die Chefin des FN gar den Luxus, auf eine Nachfrage beim Fernsehsender TF1 – ob ihr zufolge dass der Islam einen Platz in der Republik finden könne – zu antworten: „Ich glaube, ja.“ Zwar beinhalten ihre öffentlichen Äußerungen in schöner Regelmäßigkeit das genaue Gegenteil, und die Ablehnung einer erkennbaren Präsenz der muslimischen Religion in Frankreich gehört zum Kerngeschäft ihrer Partei. Doch ihre Pirouette erlaubte es Marine Le Pen, vergleichsweise moderat dazustehen, während Nicolas Sarkozy in grellen Farben eine islamische Bedrohung ausmalt, von einer „Verteidigung der französischen Identität“ spricht und in bedenklichen Worten einen „totalen Krieg gegen den Terrorismus“ fordert.

Laut Angaben in Le Monde vom 13. September wollen voraussichtlich 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren im kommenden November an der Urwahl der Konservativen teilnehmen. Bei ihnen wird, am 20. und 27. November, der nächste Präsidentschaftskandidat der Konservativen bestimmt. Acht Bewerber konnten sich qualifizieren, fünf mussten aus dem Rennen ausscheiden. Mehrere von ihnen setzen darauf, mit Hilfe auch der FN-Wählerschaft die Kür zu erlangen.

Ihr erstes öffentliches Meeting nach dem Ende der Sommerpause hielt Marine Le Pen in dem Dörfchen Brachay ab, das in Ostfrankreich in der Nähe von Saint-Dizier liegt. Diese Kommune mit 55 Einwohner wird seit einiger Zeit vom FN zum alljährlichen Pilgerort verwandelt, seitdem die rechtsextreme Partei dort bei der Präsidentschaftswahl 2012 ihren höchsten Stimmenanteil überhaupt einfuhr – 72 Prozent für ihre damalige und künftige Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Als einzigen Spitzenpolitiker zitierte diese am 03. September in Brachay wiederum ihren konservativen Konkurrenten Nicolas Sarkozy, den sie als Heuchler angriff: Er gebe vor, den radikalen Islamismus zu bekämpfen, sei jedoch Anfang August in Marokko mit dem König Saudi-Arabiens zusammengetroffen und lasse sich von den Golfstaaten finanzieren.

Ansonsten knüpfte Marine Le Pen in ihrer Ansprache triumphierend an das britische „Brexit“-Votum von Ende Juni dieses Jahres an und stellte in Aussicht, im Falle ihres Wahlsiegs innerhalb von sechs Monaten in Frankreich eine ähnliche Abstimmung zu organisieren. Infolge eines solchen Referendums, behauptete Marine Le Pen, werde Frankreich „wieder ein freies, stolzes, unabhängiges Volk werden, und wir können Frankreich (dann) seinen wahren Platz in der Welt zurückgeben“.

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