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Neue Arbeitsrechts-„Reform“ Teil 2: Erste handfeste Aufrufe zum Protest

Artikel von Bernard Schmid vom 26.2.2016

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!

Langsam, aber wirklich nur langsam kommt etwas in die Gänge gegen das Vorhaben der französischen Regierung, das bestehende Arbeitsrecht mit dem Presslufthammer zu „reformieren“. Den gesamten Text des „Reform“entwurfs – dieser Gesetzes-Vorentwurf soll am 09. März im französischen Kabinett diskutiert und beschlossen werden – findet man im Originalwortlaut übrigens u.a. hier: http://www.franceinter.fr/sites/default/files/2016/02/18/1240259/fichiers/pjl.pdf externer Link pdf

Wie in Labournet berichtet, trennten sich neun französische Gewerkschaftsdachverbände und –zusammenschlüsse am Dienstag dieser Woche (23. Februar 16) zunächst ohne einen gemeinsamen Aufruf zu konkreten Aktionen. Man beschloss lediglich, sich am 03. März wiederzutreffen, und verabschiedete einstweilen ein gemeinsames Kommuniqué. In diesem wird konkret jedoch nur die Rücknahme einer der Maßnahmen im „Reform“bündel der rechtssozialdemokratischen Regierung gefordert, nämlich der Einführung von Obergrenzen für die Abfindung im Falle ungerechtfertigter Entlassungen (aus betrieblichen Gründen). (Vgl. etwa: http://actu.orange.fr/une/loi-el-khomri-les-syndicats-reclament-le-retrait-du-plafonnement-des-indemnites-prud-homales-afp_CNT000000kgwV3.html externer Link)

Innerhalb der CGT – des stärksten Dachverbands, am Dienstag Abend auch Gastgeber – rumort es jedoch kräftig, und mehr als nur ein Mitglied trägt die Faust in der Tasche geballt. Nunmehr ruft also zumindest die CGT dazu auf, am 31. März dieses Jahres gegen den Entwurf auf die Straße zu gehen. (Vgl. bspw. http://www.liberation.fr/france/2016/02/24/reforme-du-code-du-travail-la-cgt-s-en-va-battre-le-pave_1435544?xtor=EPR-450206&utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=quot externer Link)

Am 31. März, also in nunmehr fünf Wochen, das ist allerdings schon reichlich spät, will man wirklich, dass eine Dynamik zustande kommt. Daran gibt es deswegen auch einige Kritik. (Vgl. http://www.revolutionpermanente.fr/La-CGT-mobilisee-le-31-mars-contre-la-casse-du-Code-du-travail-Meme-pas-le-minimum-syndical externer Link) Zumal Unterstützung innerhalb der Gesellschaft für eine solche Dynamik durchaus vorhanden wäre. Am vergangenen Donnerstag, den 18. Februar 16 wurde etwa eine Petition gegen den „Reform“entwurf gestartet, die bis zum vergangenen Sonntag – also innerhalb von drei Tagen – über 200.000 Unterschriften erzielt hat. Am heutigen Freitag früh, also nach acht Tagen, landete sie bereits (um 09 Uhr) bereits bei gut 601.000 Unterschriften. (Vgl. https://www.change.org/p/loi-travail-non-merci-myriamelkhomri-loitravailnonmerci externer Link)

Inzwischen wurden vor diesem Hintergrund aber auch bereits eine Reihe von Aufrufen publik, die nicht aus den Gewerkschaftszentralen stammen und die zum Demonstrieren und Protestieren bereits am 09. März d.J. aufrufen. (Vgl. etwa hier in Paris: https://www.facebook.com/events/992505870830073/ externer Link und hier in Marseille: http://ulcgtcentremarseille.reference-syndicale.fr/2016/02/9-mars-mobilisation-contre-la-casse-du-droit-du-travail-a-marseille/ externer Link oder hier bereits am kommenden Samstag (27. Februar) in der Bretagne: https://www.facebook.com/events/978678712221990/ externer Link. Und hier noch eine Liste der Streik-Aufrufe für den 09. März: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1CRSSqMgrHnyiGhZ-B73oSdOIEuYa8Z82StJ9_QUH4F8/edit#gid=0 externer Link)

Das trifft sich insofern gut, als die Eisenbahngesellschaft SNCF (vgl. http://www.rtl.fr/actu/societe-faits-divers/ratp-apres-la-sncf-les-transports-parisiens-annoncent-un-preavis-de-greve-pour-le-9-mars-7782016752 externer Link und die Pariser Nahverkehrsbetriebe RATP: http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2016/02/23/97002-20160223FILWWW00020-greve-en-vue-le-9-mars-a-la-ratp.php externer Link) ohnehin von Streikaufrufen für den 09. März betroffen sind. Diese stehen allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf, sondern stehen mit Lohn- und sonstigen Kollektivverhandlungen in den beiden öffentlichen Unternehmen im Zusammenhang. Aber falls diese Arbeitskämpfe denn mit den Protesten gegen die geplante „Reform“ des allgemeinen Arbeitsrechts zusammenlaufen könnten, würde dies für gehöriges Potenzial sorgen.

Unterdessen ruft die Studierendengewerkschaft UNEF ihrerseits dazu auf, in den kommenden Tagen und Wochen „den zehnten Geburtstag der Bewegung gegen den CPE“ (Contrat première embauche oder „Ersteinstellungsvertrag“) – also gegen das Instrument, das im Jahr 2006 den Kündigungsschutz für unter dreißigjährige Lohnabhängige quasi aushebeln sollte. (Vgl. dazu unsere damalige Berichterstattung im Labournet: http://archiv.labournet.de/internationales/fr/cpe.html) Der CPE wurde Anfang April 2006 nach vierwöchigen massenhaften Straßenprotesten durch die damalige Regierung unter die damalige Regierung unter Präsident Jacques Chirac und Premierminister Dominique de Villepin zurückgezogen, obwohl das Gesetz dazu bereits kurz zuvor (am 31. März 06) offiziell in Kraft gesetzt worden war. Die Rücknahme dises Angriffs wurde damals insbesondere durch den massenhaften Protest der (hauptsächlich betroffenen) Jugend und jungen Lohnabhängigen ermöglicht. Die Gewerkschaften riefen damals für den 07. Februar 06 zu einem ersten Aktionstag mit Demonstrationen auf, nach dessen Erfolg jedoch zum nächsten erst einen Monat später, nämlich am 07. März 2006. In der Zwischenzeit wurden die allzu zögerlichen Gewerkschaftsführungen jedoch durch die Jugend- und Studierendenbewegung überrannt, weil in der zweiten und dritten Februarwoche 2006 Hörsaal- und Universitätsbesetzungen begannen. Diese breiteten sich von Westfrankreich (Rennes-II, Poitiers, Toulouse..) ausgehend nach dem Ende der Februar-Ferien über die gesamte französische Hochschullandschaft aus. Dies verlieh der erneuten, gewerkschaftlich unterstützten Mobilisierung am 07. März jenes Jahres eine solche Dynamik, dass auch die Gewerkschaftsführungen danach keinerlei Rückzieher mehr machen konnten.

Ähnliches versuchen nun harte Kerne der sozialen Protestbewegung erneut, indem sie dazu aufrufen und versuchen, in den kommenden Tagen eine Initialzündung in Teilen der Jugend und Studierendenschaft hinzubekommen.

Die Gewerkschaftsvorstände sind sicherlich auch deswegen bislang dermaßen abwartend und zögerlich, weil mindestens ein ausgewachsener „innerer Feind“ bislang noch mit am Tisch sitzt, nämlich die CFDT – also der zweitstärkste, an der Spitze rechtssozialdemokratische Dachverband französischer Gewerkschaften (es gibt fünf anerkannte Dachverbände). Zwar hatte auch die CFDT im Frühjahr 2006 beim Protest gegen den CPE mitgezogen. Anderen sozialen Bewegungen, etwa denen gegen die Renten„reform“ im Frühjahr 2003, fiel sie jedoch offen in den Rücken. Derzeit ist auch die CFDT-Führung auf die Regierung sauer und lehnt ihren „Reform“entwurf ab. (Vgl. das Interview mit ihrem Vorsitzenden Laurent Berger in Le Monde: http://www.lemonde.fr/emploi/article/2016/02/19/droit-du-travail-la-cfdt-denonce-de-mauvaises-reponses-a-des-revendications-patronales_4868294_1698637.html externer Link). Aber auch deswegen, weil sie über mindestens einen Bestandteil des „Reform“plans nicht informiert worden war: Die Regierung hatte die CFDT im Vorfeld konsultiert, ihr jedoch an einem Punkt keinen reinen Wein eingeschenkt, nämlich über die geplante Obergrenze für Abfindungen, welche Arbeitsgerechte im Falle ungerechtfertigter Kündigungen (aus betrieblichen Gründen) maximal verhängen „dürfen“. Die CFDT fordert insbesondere die Rücknahme dieser Regelung, nicht jedoch aller in dem „Reform“paket enthalteten. Derzeit scheint sie vor allem um ihren Preis bei einem möglichen „Kompromiss“ mit der Regierung zu verhandeln. Dieser dürfte vor allem bei der Deckelung der Abfindungen sowie den geplanten Neuregelungen zu betriebsbedingten Kündigungen – dazu Näheres im Labournet am kommenden Montag – angesiedelt sein. Andere geplante Maßnahmen, die ebenfalls als Teil eines Horrorkatalogs gewertet werden dürfen (Ausführlicheres dazu ebenfalls am Montag an dieser Stelle), würde sie jedoch voraussichtlich bereitwillig schlucken.

Zwei Linien auch im Regierungslager

Auch im französischen Regierungslager gibt es mindestens zwei widerstreitende Linien zum Umgang mit dem „Reform“vorhaben. Nämlich eine softere Linie, die davon ausgeht, dass noch Verhandlungsmasse in den Gesetzes-Vorentwurf eingebaut ist, also noch Zugeständnisse gegenüber Gewerkschaften sowie Teilen des sozialdemokratisch-grünen Regierungslagers – vor allem ein Teil der Sozialdemokratie ging verbal bereits auf die Barrikaden – möglich seien. Und eine harte Linie, die notfalls auch die eigenen Parlamentarier/innen erpressen möchte, und zwar unter Rückgriff auf den berüchtigten Artikel Nummer 49-3 der französischen Verfassung.

Letzerer ermöglicht es der Regierung, eine Sachfrage – wie die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs, die dann en bloc und ohne Diskussion zu den einzelnen Inhalten erfolgt – mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen. Stimmt das Parlament nicht seinerseits einem Misstrauensantrag zu (oder wird keiner solcher eingebracht), stürzt es also die Regierung nicht, dann gilt die Vorlage dadurch automatisch als angenommen. Ohne Aussprache zur Sache. Auf genau diesem Wege hat die Regierung im vergangenen Jahr die,Loi Macron’, also das nach Wirtschaftsminister Emmanuel Macron benannte „Gesetz zu Aktivität und Wachstum“ – es wurde am 06. August 2015 angenommen – durch das Parlament gepeitscht.

In einem Interview mit der arbeitgebernahen Wirtschafts-Tageszeitung,Les Echos’ kündigte Arbeitsministerin Myriam El Khomri – die im September 2015 auf Entscheidung von Premierminister Manuel Valls ausgewählt wurde, und von dem Fachbereich in Wirklichkeit keine Ahnung hat – vorige Woche an, dass die Regierung erneut auf diesen Artikl 49-3 zurückgreifen könnte. (Vgl. http://www.lesechos.fr/economie-france/social/021705873505-myriam-el-khomri-il-ny-a-aucun-recul-des-droits-des-salaries-1201007.php externer Link) Was bedeuten würde, dass die Regierung abermals ihre „eigene“ Parlamentsmehrheit erpresst: „Wollt Ihr nicht, dass die Regierung aus Eurem eigenen Lager stürzt, dann müsst Ihr ruhig bleiben!“; und dass die Abgeordneten erneut um jede Aussprachemöglichkeit zur Sache gebracht werden.

Wie die gewöhnlich gut unterrichtete (auf Satire und Enthüllungen spezialisierte) Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ vom Mittwoch, den 24. Februar 16 – die Zeitung steht nicht online – berichtet, wurde dieser Satz jedoch bei der Gegenlektüre nachträglich vom Amt des französischen Premierministers Manuel Valls eingefügt. Also auf Veranlassung von Valls selbst, dem berüchtigten Rechtsaußen der französischen Sozialdemokratie, der ohnehin selbige am liebsten auseinanderhauen würde, um eine neue „republikanische Mitte“ zu begründen. (Als ultrarechter Bewerber im sozialdemokratischen Spektrum erhielt er im Oktober 2011, bei der Urabstimmung über die Präsidentschaftskandidatur, nur knappe sechs Prozent – doch machte François Hollande ihn daraufhin zum Sprecher seiner Wahlkampagne, später zum Innen- und 2014 dann gar zum Premierminister.)

Valls würde es ganz gerne auf eine Zerreißprobe ankommen lassen, einschließlich einer solchen mit Teilen der eigenen Partei. Dies ist jedoch anscheinend nicht die Linie von Staatspräsident François Hollande, welch Letzterer für etwas stärkere taktische Rücksichtnahme plädiert, um bislang protestierende Kräfte im Spektrum der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften (man denkt natürlich an die CFDT!) noch/wieder einbinden zu können.

Drei Minister/innen von Gewicht plädierten daraufhin kurz nach Erscheinen des o.g. Interviews öffentlich dafür, von der Erpressungstaktik mit dem Artikel 49-3 Abstand zu nehmen: Umweltministerin Ségolène Royal, Außenminister (und Ex-Premier) Jean-Marc Ayrault sowie Gesundheitsministerin Marisol Touraine. Die drei dürften jedoch mit Billigung von François Hollande – jener weilte zu dem Zeitpunkt auf der Südhalbkugel der Erde, zwischen Tahiti und Buenos Aires – gesprochen oder gar vorgeschickt worden sein. Manuel Valls scheint es unterdessen darauf anzulegen, dass es notfalls zum Eklat kommt und eher seinen Hut nimmt, um dann als verhinderter großer „Reformator“ des Landes zwecks eigener Profilierung in den Vorwahlkampf zu ziehen.

Es ist also noch damit zu rechnen, dass es zu Umgruppierungen in der allgemeinen Kräftekonstellation kommt – und dass, falls es darauf hinausläuft, die Führung der CFDT sich einmal mehr einkaufen lassen dürfte.

Weitere Informationen dazu folgen am kommenden Montag…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=93985
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