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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 47: Frankreich – Nach der Annahme des umkämpften „Arbeitsgesetzes“

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!Artikel von Bernard Schmid vom 16.9.2016

Protesttag am gestrigen Donnerstag, 15. September 16: Siege sehen anders aus. Aber immerhin hat er stattgefunden, mit einer nicht ganz lächerlichen Beteiligung…

Bedeutet die dreizehn eine Unglückszahl für die soziale Protestbewegung in Frankreich? Am Aberglauben dürfte es wohl nicht liegen, wenn am gestrigen Abend eine nicht allzu rosige Bilanz aus den Protestmobilisierungen von diesem Donnerstag (15.09.16) gezogen wurde. Frankreichweit beteiligten sich laut Angaben des Innenministeriums „78.000“, laut Zahlen der beteiligten Gewerkschaftsführungen „170.000“ Menschen an Protesten in insgesamt rund 100 Städten.

Aber, nein, an der Zahl „13“ lag es nun wirklich nicht. Zumal ja auch umstritten bleibt, ob dieser verregnete Septembertag nun wirklich der dreizehnte “Aktionstag” mit Unterstützung der Gewerkschaften in Folge war, seitdem Anfang März dieses Jahres die Bewegung gegen die Loi Travail (das “Arbeitsgesetz”) begann – oder doch der vierzehnte.

Den Unterschied in den Publikationen der Einen und der Anderen erklären dabei nicht Rechenprobleme, sondern der Umstand, dass umstritten ist, ob man den 1. Mai 16 als eigenen Protesttag mitrechnen soll oder nicht. Auch der Maifeiertag diente in diesem Jahr als Plattform für die Ablehnung der Arbeitsrechts-“Reform”, aber hätte der Protest dagegen nicht auf der Agenda gestanden, so wären zumindest an diesem Datum GewerkschafterI/innen dennoch auf der Straße gewesen.

Hingegen steht wohl fest, dass es voläufig der letzte “Aktionstag” mit Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen  war, der einen Teil der Serie von Protesten dieses Frühjahrs und Sommers 2016 bildete. Denn ab nun werden die Richtungsgewerkschaften, die in diesem Kampf gegen das regressive Arbeitsgesetz zum Großteil an einem Strang ziehen, wohl wieder auseinanderstreben.  Vom 28. November bis 12. Dezember findet die Wahl zu den Sprecherausschüssen für alle kleinen und sehr kleinen Unternehmen in Frankreich statt, vier Millionen Beschäftigte sind dazu aufgerufen. Dabei geht es für einen Teil der fünf als “repräsentativ” (d.h. im deutschen Sinne « tariffähig ») anerkannten Dachverbände um die Wurst, da die Ergebnisse in die Gesamtberechnung der Stimmenanteile von Gewerkschaften in ganz Frankreich einfließen werden, wenn Anfang 2017 wieder die Tariffähigkeit neu gemessen wird. Wer dann im Gesamtdurchschnitt mit weniger als acht Prozent dasteht, kann künftig auf landesweiter Ebene nicht länger mit an den Verhandlungstischen sitzen. Die CGT als stärkster Dachverband – und quantitativ wichtigster Unterstützer und Schrittmacher der Proteste seit März – muss sich da zwar keinerlei Sorgen machen, unter die Schwelle zu rutschen, andere Verbände jedoch schon. Deswegen dürfte es um die gewerkschaftliche Einheit nun in Bälde vorbei sein.

Noch einmal jedoch traten vier gewerkschaftliche Dachverbände sowie drei Jugendverbände gemeinsam auf, als es darum ging, nochmals deutlich die Ablehnung des “Arbeitsgesetzes” zu unterstreichen. Dieses ist mittlerweile, anders als noch beim letzten “Aktionstag” zuvor vom 05. Juli d.J., in Kraft getreten: Am 08. August 16 wurde es durch Präsident François Hollande unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht. Vier Tage zwar hatte auch das französische Verfassungsgericht den Text durchgewunken. Dennoch erklärten bis zuletzt 70 Prozent der Bevölkerung in Umfragen ihre Ablehnung, und dennoch wollen sich die oppositionellen Gewerkschaften – eine gegenläufige Position nimmt allerdings der rechtssozialdemokratisch geleitete Dachverband CFDT ein – nicht geschlagen geben. So hat die CGT etwa einen juristischen Kleinkrieg gegen die Ausführungsdekrete, die zur konkreten Anwendung des Gesetzes erforderlich sind und “das Nähere regeln” warden, angekündigt. 134 solcher Dekretes sind geplant und sollen hauptsächlich im Oktober d.J. verabschiedet werden. Die CGT hat angekündigt, systematisch ihre Rechtsgültigkeit vor Gerichten in Frage zu stellen.

Aber auch jenseits dieser rechtlichen Auseinandersetzung könnte es Blockaden geben. Denn um beispielsweise die Arbeitszeiten in den Unternehmen ohne Lohnausgleich verlängern zu können, müssen Vereinbarungen auf Ebene der einzelnen Unternehmen geschlossen werden. Das neue Gesetz erlaubt es zwar Minderheitsgewerkschaften, diese leichter auch den Mehrheitswillen abzuschließen. Dennoch dürfte der politische Preis nun nach den Konflikten der letzten Monate sehr hoch sein, etwa für die Ableger der CFDT in den Betrieben, die vielerorts für Behandlungen bereit stehen. Ein Vorbild könnte ein im Juni 2013 verabschiedetes Gesetz bilden, das erlaubt, betriebliche Bündnisse für Arbeit mit Lohnverzicht und einer Heraufsetzung der Arbeitszeiten zu schließen, “um bedrohte Arbeitsplätze zu schützen”. Innerhalb von anderthalb Jahren kam es in ganz Frankreich nur zu acht solcher Abkommen. Voraus ging auch damals eine Protestbewegung. Allerdings waren auch die damaligen rechtlichen Voraussetzungen für solche Abkommen relativ eng gefasst, im Unterschied zum diesjährigen „Arbeitsgesetz“.

Auf der Straße dagegen bleibt der Protest derzeit vergleichsweise schwach, auch im Rückblick auf das Frühjahr 2016. In Paris demonstrierten am Donnerstag nach realistischen Schätzungen rund fünfzehn- bis vielleicht (vielleicht) zwanzigtausend Menschen – die Polizei sprach offiziell von „12.500“, die CGT offiziell von „40.000“, nach einem eingespielten Ritual mit zu hohen und zu niedrigen Zahlen auf beiden Seiten. Die gewerkschaftliche Mobilisierung, bei der eine “Rücknahme” des Gesetzes gefordert wurde, fiel im Vergleich zum Frühjahr 2016 eher schwach aus, wozu das schlechte Wetter beigetragen haben dürfte, aber auch die Erfahrung der Niederlage. Hinzu kommt, dass Lohnabhängige in Frankreich ihre Aufforderung zur Jahressteuerzahlung immer im September erhalten, und dieser Monat sich für Protest oft als schlecht geeignet erweist.

Dagegen hatten die linksradikale Szene und die Autonomen in ihrem Block, der den Protestzug eröffnete, außerordentlich stark mobilisiert. Rund ein Viertel des Demonstrationszugs war mit Schutzmasken und –brillen ausgestattet, vermummt oder auf andere Weise geschützt.  Nachdem die Polizei von Anfang an eine Demonstration mit Spalier auf den Bürgersteigen und umfangreichen Kontrollen im Vorfeld, ja ein eventuelles Verbot angekündigt hatte, war die Eskalation quasi vorprogrammiert, und die Herausforderung wurde angenommen. In Paris wurde rund um den schwarz-bunten Block an der Spitze der Demonstration auf der gesamten Route ein Wanderkessel gebildet, wurden Tränengas und Gummigeschosse aus so genannten Flashballs sowie Schockgranaten eingesetzt. Aber laut behördlichen Angaben wurden auch acht Polizisten verletzt, davon einer durch den Wurf eines Molotow Cocktails. Frankreichweit (nicht allein in Paris) wurden laut offiziellen Angaben 62 Festnahmen durchgeführt.

Die Pariser place de la République, wo die hauptstädtische Demonstration eintraf, war in weniger als einer halben Stunde vollständig geräumt, nachdem auch noch ein Wasserwerfer aufgefahren worden  war. Die Gewerkschafter/innen hatten kaum Zeit, sich auf dem Platz zu versammeln. “Da sieht man, wo unsere Steuern hingehen”, kommentierte ein CGT-Demonstrant frustriert vor der Kulisse des gigantischen Polizeiaufgebots.

Am Donnerstag Abend fand im Pariser Gewerkschaftshaus eine Versammlung statt, an der rund 300 Menschen teilnahmen und die die radikaleren Flügel (Gewerkschaftslinke, radikale Linke, Teile der Platzbesetzerbewegung) zur Perspektivdiskussion zusammenbrachte. Nach längeren Diskussionen um die Organisierung der Diskussion – Vollversammlung oder Arbeitsgruppen – bröckelte die Dynamik dann jedoch vor sich hin. Neben dem Beschluss, am Donnerstag, den 22. September eine erneute Versammlung am selben Ort abzuhalten, kam bislang nicht allzu viel Konkretes dabei heraus. Unterdessen riefen die Beteiligten zur Teilnahme u.a. an den zu erwartetenden Protesten im Raum Nantes gegen das Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes am Wochenende des 08./09. Oktober 16 auf.

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