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Frankreich: „Schock“ oder Pack, ähm: „Pakt“ für die französische Wettbewerbsfähigkeit?

Artikel von Bernard Schmid vom 7.11.2012

Gestern beschloss die französische Regierung, welche praktischen Schlussfolgerungen sie aus dem – am Vortag vorgelegten – Bericht von Kommissionspräsident Louis Gallois ziehen wird. Ein Teil der Gewerkschaften erklärt sich beunruhigt, das Arbeitgeberlager eher zufrieden, die oppositionelle Rechte drängelt und hat noch nicht genug (während die extreme Rechte sich in Sozialdemagogie übt). Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon möchte den Bericht und seine Vorschläge gern komplett mülleimern. Unterdessen wurden erste praktische Konsequenzen angekündigt…

Mit seiner Glatze sieht er ein bisschen aus wie der Kommissar Kojak: Louis Gallois, der frühere Chef der französischen Bahngesellschaft SNCF sowie frühere Direktor des Flugzeugbauers EADS. Unter der Regierung von Präsident François Hollande übte er nun eine andere Funktion aus: An der Spitze einer einschlägigen Kommission arbeitete er einen Untersuchungsbericht zum Thema „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen“ aus. Auf den 06. November – diesen Dienstag – war er angekündigt wurden, am Montag Nachmittag lag er vor. Anlässlich eines Regierungsseminars am gestrigen Dienstag Vormittag, das von 09 bis circa 12 Uhr dauerte, beschloss das französische Kabinett, welche praktischen Folgen sie den Vorschlägen des Untersuchungsberichts geben möchte. Und am gestrigen Abend trat Premierminister Jean-Marc Ayrault in den 20-Uhr-Nachrichten des Fernsehens auf, um die Schlussfolgerungen der Regierung dem französischen Publikum zu verkaufen (auch wenn sein Aufritt weitgehend durch die US-Wahl überschattet wurde).

Unterdessen berichtete die Onlinezeitung Médiapart, in Wirklichkeit übernehme der Rapport weitgehend Vorschläge des Arbeitgeberlagers, und der Vizepräsident der Kommission – welcher der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP angehört – habe dessen Standpunkte oft eins zu eins in den Kommissionsbericht einfließen lassen. (Vgl. http://www.mediapart.fr/journal/economie/ 051112/competitivite-gallois-plagie-le-patronat-avec-laide-de-lump externer Link)

Seinen Bericht hatte Louis Gallois in 22 Vorschläge gegliedert, deren Philosophie er auf den zusammenfassenden Begriff des choc de compétitivité oder „Schocks für die Wettbewerbsfähigkeit“ brachte. Bereits vor einigen Tagen hatte Präsident François Hollande jedoch angekündigt, statt eines „Schocks“ ziehe er lieber einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ vor. Eingedenk der politischen Risiken versuchte er, die anstehenden Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen Einschnitte herunterzukochen. Allgemein wurde Hollande deswegen in vielen Medien als politischer Feigling dargestellt, der die Herausforderung nun auszusitzen gedenke – ein Beispiel unter ihnen vielen: Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné (31. Oktober 12) zeichnete Hollande, wie er die Kabinettssitzung auf einem mehrbändigen Werk sitzend eröffnet. Es soll den Untersuchungsbericht symbolisieren.

Tatsächlich hatten manche der Vorschläge es in sich. In Einzelheiten werden wir aus Platz- und Zeitgründen zu einem späteren Zeitpunkt noch näher darauf zurückkommen. Zu seinen wichtigsten Punkt gehört, dass er einer Senkung der Staatsausgaben innerhalb von zwei Jahren um 20 Milliarden Euro das Wort redet, aber auch einer Senkung der Beiträge zu den Sozialkassen um 30 Milliarden (davon zwei Drittel zugunsten der Unternehmen und ein Drittel zugunsten der unmittelbaren Kaufkraft der Lohnabhängigen, was aber einem Ausfall an Einnahmen der Sozialkassen und damit potenziell einem Sinken ihrer Absicherung entspricht). Die Dimension entspricht haargenau dem, was 98 Wirtschaftsbosse am vorletzten Wochenende von der Titelseite der Sonntagszeitung JDD (vom 21. Oktober 12) herab forderten.

Stattdessen sollen die Sozialkassen künftig durch Steuern statt durch Beiträge der Unternehmen finanziert werden, und zwar mittels einer Anhebung der Mehrwertsteuer TVA, der – nicht einkommensproportionalen, sondern eine pauschale Pro-Kopf-Steuer (7,5 % auf die Einkünfte) darstellenden – „Allgemeinen Sozialabgabe“ CSG sowie der Ökosteuern.

Ach, von wegen Öko: Zur „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs“ soll überall die Suche nach und Förderung von Schiefergas oder gaz de schiste genehmigt werden – vor wenigen Monaten stellte die alte Regierung diese ein, und auch die neue Regierung verbot es, weil es massive Widerstände dagegen in einigen Regierungen (Cevennen, Ardèche) gibt. Es genügt, sich vor Augen zu halten, wie ein Gutteil der nordamerikanischen Rocky Mountains verschandelt wurde, um sich den Horror der Förderung vorzustellen. Unternehmen sollen einen „Steuerkredit“ erhalten – also Steuersubventionen erhalten, wenn sie etwa in Forschung und Entwicklung investieren – und der Staat soll Biotechnologien, die Forschung nach (weniger teuren) No-Name-Medikamenten sowie erneuerbare Energien zu Prioritäten erklären.

Um sich von gar zu weitreichenden Forderungen abzugrenzen und unter dem Druck der (mitregierenden) Grünen hat das Kabinett die Forderung nach Wiederaufnahme der Schiefergas-Suche vom Tisch gewischt: Es bleibt beim Verbot. Übernommen davon hat die Regierung insbesondere die Vorschläge zum Transfer von Sozialbeiträgen der Unternehmen auf die Steuer. Derzeit noch tabu bleiben soll dabei die Pro-Kopf-Steuer CSG („Allgemeine Sozialabgabe“), Beschlüsse dazu könnten erst im kommenden Jahr folgen.

Anheben möchte die Regierung dagegen die Mehrwertsteuer (TVA), und damit eine der sozial ungerechtesten Steuern, da diese – wie auch die Pro-Kopf-Pauschale – ebenfalls nicht einkommensproportional ausfällt, sondern auf gleiche Ausgaben bei einer Sozialhilfeempfängerin und einem Millionär in identischer Höhe ausfällt. Anteilsmäßig belastet die TVA dagegen untere Einkommensklassen stärker, da sie eine geringere Sparquote aufweisen – also weniger Prozent ihres Lohns oder Gehalts zurücklegen können – und stattdessen einen höheren Prozentanteil direkt ausgeben müssen.

Bislang weist das französische Steuersystem drei Stufen der Mehrwertsteuer auf: Einen „normalen“ Satz von 19,6 % (für die meisten Ausgaben), einen „mittleren“ Satz in Höhe von bislang 7 % (etwa bei Gastronomiepreisen und Baukosten) sowie 5,5 % als geringsten Satz (für Grundbedarfsgüter, aber auch Bücher.

Jetzt plant die Regierung, zum 1. Januar 2014 die beiden erstgenannten Sätze anzuheben. Der „Hauptsatz“ soll von derzeit 19,6 % auf dann 20 Prozent klettern. Dies soll 3,3 Milliarden einbringen; zwar fällt der Anstieg prozentual nicht sehr stark aus, doch sind einige der höchsten Ausgaben – Autokauf, … – davon betroffen. Weitere 3,8 Milliarden soll die Anhebung des „mittleren“ Satzes einbringen. Dieser soll relativ kräftig steigen: von derzeit 7 auf 10 Prozent. Dies wird vor allem bei den Gastronomiepreisen durchschlagen, wobei die Regierung damit argumentiert, dass bei Einführung der auf 7 % reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie (ab 2004 mit einigen Hindernissen durchgesetzt) das Gewerbe seine Versprechen – Senkung der Verbraucherpreise und/oder Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte – nicht eingehalten habe. „Im Gegenzug“ soll der unterste Satz der Mehrwertsteuer von derzeit 5,5 % als „soziale Geste“ auf 5,0 % abgesenkt werden. Dies soll den Verbraucher/inne/n rund 0,8 Milliarden Euro zurückgeben.

Durch diese – gestaffelte – Erhöhung der Mehrwertsteuer bricht François Hollande ein ziemlich zentrales Wahlversprechen. Denn als sozialdemokratischer Präsidentschaftskandidat hatte Hollande gegen den Plan der Sarkozy-Regierung Front gemacht, welche ab dem 01. Oktober 2012 den „Hauptsatz“ der Mehrwertsteuer (von 19,6 % auf dann 21 Prozent) anheben wollte – die Erhöhung wurde nach dem Regierungswechsel im Mai/Juni d.J. annulliert. Die zuvor oppositionelle Sozialdemokratie hatte dabei stets den unsozialen Charakter der Konsumbesteuerung betont. Nun muss sie es sich gefallen lassen, dass ihr mindestens Inkonsequenz, wenn nicht eine offene Lüge entgegen gehalten wird.

Unter anderem durch die sich einmal mehr in Sozialdemagogie übende Rechtsextreme Marine Le Pen, die bereits mehrfach in Interviews gegen die geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung schoss. (Dabei wohlweislich verschweigend, dass ihre eigene Partei – der Front National – in den 1980er noch die Mehrwertsteuer glatt verdoppeln wollte, um die zu den Einkünften proportionale Lohn- und Einkommenssteuer völlig abzuschaffen.) Hingegen monierte die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte den angeblich unzureichenden Charakter der Regierungsbeschlüsse, welche Jean-François Copé (Generalsekretär der UMP) als „lächerlich“ bezeichnete.

Hingegen erklärte der frühere Präsidentschaftskandidat der „Linksfront“ (französische KP und eine Linksabspaltung der Sozialdemokratie), jean-Luc Mélenchon, er empfehle den Weg à la poubelle – „in den Mülleimer“ – für sämtliche Vorschläge von Kojak/ Gallois.

Ausführliches dazu noch in den nächsten Tagen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=16015
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