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„Euere Kriege – unsere Toten“ – unter diesem Motto sammeln sich die GegnerInnen von Krieg, Terrorismus und Polizeistaat in Frankreich

Protestplakat Paris 15.11.2015„Euere Kriege – unsere Toten“ ist auch der Titel der Materialsammlung von Helmut Weiss vom 17. November 2015 mit den Schwerpunkten Widerstand gegen Polizeistaat, Gewerkschaften zu den Attentaten und ihren Folgen und über das Wesen der Isisbande

Euere Kriege – unsere Toten

Protestplakat Paris 15.11.2015Womit beginnen in dieser Atmosphäre kollektiver Schuld-Zuweisungen? Vielleicht damit: Was ganz leicht durchzusetzen wäre, ist die Absichtserklärung der G20, dem Terrorismus den Geldhahn zuzudrehen. „G20 will Finanzfluss der Terroristen eindämmenexterner Link ist der Titel der Meldung in Spiegel-Online am 16. November 2015, worin es heißt: „Die Vertreter der G20 sprechen den Opfern der Anschläge von Paris und deren Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Die Finanzquellen des Terrors sollen ausgetrocknet werden. Die Länder wollen Grenzschutz- und Geheimdienstinformationen austauschen, um die Mobilität von Terroristen zu verhindern„. Ja, wäre leicht: Saudi-Arabien sitzt gleich mit am Tisch – die wollen sich selbst austrocknen, oder was? Der mexikanische Narco-Staat der Tausenden Verschwundenen sitzt mit am Tisch – es gibt verschiedenste Formen des Terrors. Der indische Ministerpräsident, dessen Partei Massenpogrome gegen Rindfleischfresser organisiert, sitzt mit am Tisch – es gibt verschiedenste Formen des Fundamentalismus. Und, bei weitem nicht zuletzt: Mit den USA und der BRD – und anderen – sitzen die Großproduzenten von Kriegswaffen am Tisch und Krieg ist nun eben der „Terror der Reichen“. Das einleitend als Beispiel – von vielen möglichen – für die Wirkungen der Propagandamaschine, die sofort nach den blutigen Verbrechen der wie immer besonders feigen Isis-Bande angeworfen wurde.

Diese scheußliche Barbarei mitten in Paris ist eine Reaktion auf die genauso blinden und noch mörderischeren Bombardierungen in Syrien, die die französische Luftwaffe nach den Entscheidungen François Hollandes und seiner Regierung durchführt. Diese Bombardierungen zielen angeblich auf die Bekämpfung des Islamischen Staates und die islamistischen Terroristen, aber in Wirklichkeit schützen sie – zusammen mit der Intervention und den Bombardierungen durch die russische Luftwaffe – den Hauptverantwortlichen für die Marter des syrischen Volkes, den Diktator Assad. Und auch hier ist es die Zivilbevölkerung, die als Erste getroffen wird und dazu verurteilt ist, unter dem Terror zu leben oder unter Lebensgefahr zu fliehen. Die imperialistische Barbarei und die islamistische Barbarei nähren sich gegenseitig. Es geht dabei um den Zugriff auf die Ölquellen“ heißt es in der Erklärung „Ihre Kriege – unsere Toten“ der Neuen Antikapitalistischen Partei Frankreichs am 14. November 2015 externer Link (hier in deutscher Übersetzung bei der SoZ). Einmal davon abgesehen, dass es sicher um mehr geht, als um Ölquellen, ist es sicher verdienstvoll, darauf hinzuweisen, dass die Barbarei keineswegs einseitig ist.

„Raqqa is being slaughtered silently“ externer Link ist eine kleine Oppositionsgruppe – heute ausserhalb – der von Isis besetzten siebtgrößten Stadt Syriens, Raqqa, in diesen Tagen von Frankreich bombardiert. „Syria Daily: France Bombs Islamic State in Raqqa“ am 16. November 2015 bei EA World View externer Link zitiert einen Aktivisten dieser Gruppe mit dem Verweis darauf, dass längst nicht alle EinwohnerInnen der Stadt Isis-Fans seien und Bomben auf eine Hähnchenfarm und eine Sporteinrichtung gefallen seien…

Polizeistaat gegen Terrorismus?

In dem Beitrag „Why States of Emergency and Extreme Security Measures Won’t Stop ISISexterner Link von Patrick Cockburn am 16. November 2015 in Counterpunch verweist der Autor (dessen Ansichten ich öfter nicht teile als teile) einleitend auf zwei wesentliche Tatbestände. Zum einen, dass der Terror von Paris – „Tod des weißen Mannes“ nannte man so etwas früher – ungleich andere und heftigere Reaktionen hervor rief als wenige Tage zuvor die genauso blutigen Attentate von Baghdad und Beirut. Zum anderen, dass nach den Charlie Hebo Morden, die sich dort zur Schau stellenden 40 Staatsoberhäupter bei der Trauerdemonstration im Januar sich versprochen hatten, der Kampf gegen Isis sei eine Priorität. Weswegen dann auch konsequenterweise wenig geschehen sei. Der Triumph von Isis liege nun einmal mehr darin, dass sie abermals tagelang weltweit Medienstar Nummer 1 seien – für viele derjenigen attraktiv, die dieses herrschende System nicht mehr haben wollen. Und die wesentliche Neuerung in der militärischen Strategie, die Isis entwickelt habe, liege in der Kombination von Guerillakrieg, klassischer Kriegsführung und städtischem Terror, der in dieser Kombination mit polizeistaatlichen Mitteln erst recht nicht zu besiegen sei. Dass der Autor einmal mehr für die Unterstützung des Assad-Regimes plädiert, soll hier ausnahmsweise nicht Thema sein – mit seinen Bemerkungen zu Isis und den G20 Regierungen hat er recht.

Ebenfalls bei Counterpunch lesenswert der Beitrag „Paris Attack Will Foster an Orwellian Police Stateexterner Link von Gilbert Mercier am 16. November 2015, der vor allem darauf abhebt, dass alle Notstandsverordnungen, Verbote und Mobilisierung bewaffneter Einheiten Entwicklungen in Richtung eines Polizeistaats aufzeigen, die die grundsätzlich nötige Veränderung der Politik verhindern helfen.

In dem Beitrag „Don’t make refugees pay for the terror they’re fleeing“ von Jerome Roos am 16. November 2015 im Roarmag externer Link wird ausführlich auf die allerersten Auswirkungen der polizeistaatlichen Aufrüstung eingegangen und deren Opfer – die Flüchtlinge nach Europa, die für jenen Terror (mit)verantwortlich gemacht werden, vor dem sie fliehen: Für Isis genau jener „Kampf der Zivilisationen“, den sie haben wollen. Was in dem Beitrag „Nouvelle vague raciste et islamophobe en France“ am 16. November 2015 bei Paris-luttes.info externer Link sehr konkret auf zahlreiche rassistische Manifestationen und Aktionen quer durch Frankreich in den letzten Tagen angewandt wird – eine neue Welle des Rassismus und der Islamfeindlichkeit, die sich im Land ausbreitet. (Diese Zusammenstellung wird kontinuierlich chronologisch fortgesetzt). Was ebenfalls für die Überblicksammlung „Compilation d’articles de réactions suite aux attentats à Paris !“ seit dem 15. November 2015 bei Rebellyion.Info externer Link gilt – worin allerdings thematisch in erster Linie Stellungnahmen und Berichte der Linken und linksradikalen Gruppierungen zusammengestellt werden.

Gewerkschaftliche Reaktionen in Frankreich

In der Erklärung „Solidarité et résistance“ des Gewerkschaftsbundes SUD Solidaires vom 14. November 2015 externer Link wird neben dem Ausdruck von Trauer und der Bereitschaft, zivile Werte zu verteidigen, vor allem darauf abgehoben, dass es keine Stigmatisierung eines Bevölkerungsteils geben darf – und die öffentlichen Freiheiten verteidigt werden müssen, auch durch Änderungen in Friedens- und Sozialpolitik.

Einen Tag später, am 15. November 2015 veröffentlichen die Gewerkschaftsverbände eine gemeinsame Erklärung vom Vortag „Attentats à Paris – Communiqué intersyndical CGT- CFDT – CFE CGC – CFTC – UNSA – Solidaires – FSUexterner Link, worin ebenfalls unterstrichen wird, dass es keine Stigmatisierung von Teilen der Bevölkerung geben darf, und erinnern in diesem Zusammenhang an ihre gemeinsame Erklärung vom Januar, nach den Charlie Hebdo-Morden „Vivre ensemble, Travailler ensemble“ mit der damals eine gewerkschaftliche Grundposition gegen alle Spaltungs- und Diskriminierungsversuche beschlossen worden war.

Die anarchosyndikalistische CNT hat in ihrer Presseerklärung „PAS DE GUERRE ENTRE LES PEUPLES, PAS DE PAIX ENTRE LES CLASSES“ vom 15. November 2015 externer Link vor allem unterstrichen, dass die Opfer der Verbrechen einfache Menschen waren – wie sie auch die Opfer der Kriege im Nahen Osten sind. Die Erklärung endet mit der Festlegung: „Weder Islamischer Staat noch Polizeistaat!“ und fordert die Aufhebung des Notstandes in Frankreich.

In der Erklärung „Attentats du 13 novembre“ vom 16. November 2015 der Gewerkschaft Syndicat Général du Livre et de la Communication Ecrite externer Link (Verlage, Druckereien und Zeitungen in Paris – dem Gewerkschaftsbund CGT angeschlossen) wird das Mitgefühl mit den Opfern und die absolute Ablehnung der faschistischen Barbarei der Attentäter unterstrichen und betont, dass zu den Quellen dieses Übels eben auch und vor allem die imperialistischen Kriege und Aktionen Frankreichs in vielen Teilen der Welt, im Nahen Osten wie in Afrika gehören – und die Opfer dort dieselben Menschen sind, wie die Opfer hier. (Man kann dazufügen, dass diese Einzelgewerkschaft der CGT jene ist, in der ein relativ großer Einfluß der „Libertären Kommunisten“ besteht).

Mit „EXTRÊME DROITE ET DROITE EXTRÊME HYSTÉRIQUES… “ dokumentiert die CGT Gewerkschaft Filpac am 16. November 2015 externer Link diverse Nachrichten über die Versuche von Rechten und Rechtsradikalen, die aktuelle Stimmung auszunutzen, berichtet aber auch von Demonstrationen, deren TeilnehmerInnen den Front National sozusagen „des Feldes verwiesen“ haben – wie es, nach Meinung der Gewerkschaft, auch in dieser Frage keine Einheit mit Sarkozy&Co geben könne

Die internationale Dimension von Attentaten und Krieg

Kurdische Kämpferinnen siegreich gegen Isis 2015Non-French War Deaths Matterexterner Link von David Swanson am 13. November 2015 bei Counterpunch ist ein Beitrag, der mit den Aussagen eingeleitet wird „Wir sind alle Frankreich“ – offensichtlich. Genauso offensichtlich waren wir nie „Alle Libanon“ oder „Alle Irak“ und im weiteren auf Veränderungen seit 2003 verweist: Dass beim Einmarsch der US-Truppen im Irak Frankreich nicht nur von der US-Rechten massiv beschimpft wurde, weil die Pariser Regierung sich weigerte, an dem blutigen Bush/Blair Feldzug teilzunehmen. Der Autor unterstreicht, dass er dieses Mal, im Gegensatz zu früheren Attentaten, gar nicht die Zeit hatte, sich irgendwelche Illusionen über die Reaktion zu machen, da der farnzösische Präsident sofort den „gnadenlosen Krieg“ ankündigte.

„Understanding the rise of ISIS“ von Louis Proyect am 16. November 2015 auf seinem Blog externer Link ist in weiten Teilen eine Auseinandersetzung über das Zustandekommen der Position, die die Isisbande heute in der Region hat – und eine Polemik gegen die Position des vorne zitierten Patrick Cockburn wie zahlreicher weiterer Counterpunch-AutorInnen, die die Verteidigung des Assad-Regimes auf ihre Fahnen geschrieben haben. Wobei er neben den wechselnden Sympathien zu verschiedenen Zeiten (etwa mit angeblich antiimperialistischen Kräften im Irak, die eine der Keimzelle der heutigen Isis gewesen seien) auch auf die Ölgeschäfte der Isis-Dealer eingeht – die nur in Kooperation mit dem Assad-Regime stattfinden könnten.

„Daech, ses positions, ses buts et les résistances au moyen Orient“ ist ein Radiobeitrag bereits vom Oktober 2014 externer Link (hier dokumentiert bei Paris-Luttes am 16. November 2015), worin sehr ausführlich und konkret Ziele und Arbeitsweise von Isis (hier Daech) analysiert werden und worin auch deutlich wird, dass die bloße Berufung auf soziale Verbesserungen zwar notwendig, aber keinesfalls hinreichend sein kann.

„‚Tyranny has gone‘: Kurds and Yazidis celebrate recapture of Sinjar from Isis“ von Martin Chulov am 13. November 2015 im Guardian externer Link ist ein Bericht über einen weiteren Sieg kurdischer KämpferInnen über Isis – was deren Freund, G20 Ehrenmann Erdogan sicher ärgern dürfte – und ein Beispiel dafür, dass lediglich die Stärkung lokaler progressiver Kräfte ein Weg ist, die Bande in die Flucht zu schlagen.

„Statement by the Local Coordination Committees in #Syria Regarding the Paris Attacks“ ist am 16. November 2015 externer Link eine Erklärung (hier dokumentiert bei Yalla Souriya) der Lokalen Widerstandskomitees in Syrien zum Pariser Verbrechen von Isis. Die Komitees heben dabei ebenfalls darauf ab, dass es eine antifreiheitliche Zusammenarbeit zwischen Assad und Isis in Syrien gäbe…

„The Aftermath of Friday: for a Left Politics against Islamism“ am 16. November 2015 bei Tendence Coatesy externer Link schließlich ist ein Diskussionsbeitrag, der auch dann ausgesprochen lesenswert ist, wenn man seine Aussagen nicht teilt: Die Notwendigkeit einer linken Politik gegen den Islamismus – die es bisher in Wirklichkeit nirgends wirklich gibt – ist absolut unbestritten. Und müßte dort ansetzen, wo Gruppierungen wie Isis (vor allem jungen) Menschen ein anderes Leben, eine sinnvolle Orientierung versprechen, aber in Wirklichkeit nur Krieg und primitiven Kapitalismus zu bieten haben.

Zusammengestellt von Helmut Weiss, 17. November 2015

Siehe auch „Die Pariser Attentate sowie die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen: Eine allererste Einschätzung – Man kommt nicht mit dem Fressen hinterher, um zu kotzen“ – Beitrag von Bernard Schmid im LabourNet Germany vom 16. November 2015 sowie „Beispiele: Globale Reaktionen auf Pariser Terror“ – erste Materialsammlung zu (gewerkschaftlichen) Stellungnahmen im LabourNet Germany vom 16. November 2015

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=89361
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