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Amnestie-Gesetz für Arbeitskämpfe im Senat verabschiedet – doch eingedampft. Und noch kein Termin für die notwendige Unterhausdebatte

Artikel von Bernard Schmid vom 1.3.2013

Die Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot tobte: Dies sei eine Einladung an Chaoten, ein „Aufruf zum Chaotentum“ (vgl. http://www.lepoint.fr/economie/amnistie-sociale-parisot-c-est-un-veritable-appel-au-cassage-28-02-2013-1634096_28.php externer Link). Und die radikal-wirtschaftsliberalen Spinner von der Kleinpartei Parti Libéral-démocrate, die z.T. aus der Anti-Streik-Bewegung von 2003 (gegen den Ausstand in den öffentlichen Diensten zur vorletzten „Rentenreform“) hervorging, wettern gegen einen „skandalösen Vorschlag“ zum „Kaputtschlagen des Rechtsstaats“. (Vgl. http://us5.campaign-archive1.com/?u=7f97d07cb00b07ec3c1b4d4be&id=b2cedd2f99&e=d084c5feb8 externer Link) Gar so schlecht konnte er also im Kern nicht sein, jener Gesetzesvorschlag, über den der französische Senat am vorgestrigen Mittwoch abzustimmen hatte. Denn wenn solche Figuren sich aufregen, dann muss ein positiver Ansatz vorhanden sein.

Es ging um den Gesetzesvorschlag der französischen „Linksfront“ – des Zusammenschlusses der „Linkspartei“ (PG) von Jean-Luc Mélechon, eine Abspaltung der Sozialdemokratie, mit der französischen KP und einigen kleineren Linkskräften – zur Amnestierung verurteilter Gewerkschafter/innen und Teilnehmer/innen an Arbeitskämpfen und sonstigen sozialen Konflikten. Der gemeinsame Präsidentschaftskandidat des (reformistischen) Linksbündnisses im Frühjahr 2012, Mélenchon, hatte dafür Staatspräsident François Hollande getroffen und ihn persönlich unter Druck gesetzt, um ihm dieses Versprechen abzuringen.

Üblicherweise wurde lange Zeit nach jeder Präsidentschaftswahl in Frankreich (wie früher nach dem Antritt eines neues Königs) eine Amnestie verkündet. Von ihr profitierten i.d.R. immer Verkehrssünder, Falschparker und andere wegen Kleindelikten Verurteilte; zu höheren (Haft)Strafen verknackte Straftäter kamen in den Genuss von pauschalen Nachlässen beim Strafmaß. Im Laufe der Jahre wurde allerdings die Domäne der „amnestierbaren“ Straftaten immer weiter eingeengt: 1981 bei der ersten Wahl François Mitterrands wurden 14 Vergehen und Verbrechen von der allgemeinen Amnestie bzw. Strafreduzierung ausgenommen, bei der ersten Wahl Jacques Chiracs 1995 waren es 28, und bei seiner Wiederwahl 2002 dann 49. (Vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Amnistie_en_France externer Link) Allerdings kam zugleich eine Debatte in Gang, bei der viele Leute sich – und zwar zu Recht –fragten, ob nicht Verstöße gegen das Straßenverkehrsgesetz besser generell ausgeklammert würden, da sonst antisoziales und real gesellschaftsschädliches Verhalten gefördert würde, weil sich im Jahr vor einer Wahl niemand mehr an Verkehrsgesetze hält. Dagegen lehnte Nicolas Sarkozy es als erster gewählter Staatspräsident (Mai 2007) generell ab, überhaupt ein Amnestiegesetz durch „seine“ Mehrheit verabschieden zu lassen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/france/20070526.FIG000001192_sarkozy_met_fin_a_la_tradition_de_l_amnistie.html externer Link) Dabei blieb es dann: Auch François Hollande blieb dieser Entscheidung infolge seiner Wahl (Mai 2012) treu, und es kam kein generelles Amnestiegesetz zustande (vgl. http://www.staragora.com/news/amnistie-presidentielle-ni-hollande-ni-sarkozy-ne-feront-sauter-vos-pv/443109 externer Link). Aber das Linksbündnis entfaltete dann Druck auf ihn, um eine punktuelle und gezielte Amnestierung für gewerkschaftliche oder sozial engagierte „Straftäter“ im Folge gesellschaftlicher Auseinandersetzungen verabschieden zu lassen. Die „Linksfront“-Allianz hatte in der Stichwahl um die französische Präsidentschaft am 06. Mai 12 dazu aufgerufen, für Hollande zu stimmen, und konnte also eine minimale Gegenleistung erwarten.

Am 13. Februar 13 wurde ihr Ansinnen dennoch in der Gesetzeskommission des französischen Senats – des parlamentarischen „Oberhauses“ – abgelehnt (vgl. http://gauche.blog.lemonde.fr/2013/02/13/amnistie-des-syndicalistes-une-claque-pour-le-front-de-gauche/ externer Link). Es fand keine Mehrheit, obwohl seit der Wahl vom 25. September 2011 zum französischen Senat dort erstmals seit Gründung dieser zweiten Kammer (1958) die etablierte Linke – unter sozialdemokratischer Führung – eine Mehrheit aufweist. Jean-Luc Mélenchon drohte daraufhin den Sozialdemokraten verbalradikal damit, er werde ihre Leute „bis ins letzte Dorf Frankreichs hinein verfolgen“, falls sie der Initiative ihre Zustimmung verweigerten (vgl. http://www.liberation.fr/politiques/2013/02/22/pour-melenchon-ceux-qui-ne-votent-pas-l-amnistie-sociale-ne-sont-pas-de-gauche_883871 externer Link).

Nichtsdestotrotz wurde der Entwurf an diesem Mittwoch, dem 27. Februar 13 im Plenum des Senats zur Abstimmung gestellt. Im Vorfeld hatte es Verhandlungen zwischen der sozialdemokratischen Senatsfraktion und den Antragsteller/inne/n von der französischen KP gegeben. Der Kuhhandel lief dabei darauf hinaus, dass die Senatsmehrheit einigen Punkten des Gesetzesvorschlags zustimmte, ihm allerdings dabei gleichzeitig erheblich „Dampf“ herausgenommen wurde.

Am Vormittag dieses 27. Februar demonstrierten rund 200 bis 300 Menschen, auf Aufruf der Linksfront hin, vor den Toren des Senats (vgl. u.a. http://www.lemonde.fr/politique/article/2013/02/27/de-la-rue-au-senat-le-front-de-gauche-defend-l-amnistie-sociale_1839961_823448.html externer Link)Drinnen wurde unterdessen über die Annahme des Entwurfs debattiert. Er war jedoch – wie erwähnt – zuvor erheblich „entschärft“ worden. Und fand so, in der erheblich „abgemilderten“ Form, dann doch noch eine Mehrheit: 174 Stimmen dafür, und 172 dagegen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2013/02/27/97002-20130227FILWWW00637-loi-d-amnistie-sociale-vote-du-senat.php externer Link)

„Entschärft“ hatten den Entwurf zuvor Anträge der sozialdemokratischen Fraktion sowie aus den Reihen der „Radikalen“; so heißt eine traditionsreiche linksliberale Partei (ihr Name rührt aus der Phase ihres antiklerikalen Kampfs im 19. Jahrhundert), die auf der Rechten des Regierungslagers angesiedelt ist. (Vgl. dazu http://www.liberation.fr/politiques/2013/02/27/avec-melenchon-contre-l-amnistie_885137 externer Link)

Von vornherein ausgeklammert von der Amnestieregelung – falls sie denn durch alle parlamentarischen Instanz hindurch definitiv angenommen wird – bleiben so mehrere Themen gesellschaftlicher Konflikte. Von der Amnestie betroffen sein werden Arbeitskämpfe sowie Wohnungskonflikte (also Besetzungen von Wohnraum).

Ausgeklammert bleiben dagegen von vornherein ökologische Konflikte, also bspw. Bauplatzbesetzungen zur Verhinderung ökologisch schädlicher Großprojekte (Stichwort Flughafenprojekt in der Nähe von Nantes) oder das Ausrupfen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen (Paradebeispiel: José Bové), oder Kämpfe zum Thema Immigration wie etwa Aktionen zur Verhinderung einer Abschiebung. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/social/2013/02/28/09010-20130228ARTFIG00600-ce-qu-il-faut-retenir-de-la-loi-d-amnistie-sociale.php externer Link)

Umkämpft war auch die zeitliche Beschränkung der Amnestieinitiative. Sozialdemokraten und „Radikale“ (Liberale) insistierten stark darauf, dass die Amnestie auf einen bestimmten Zeitraum eingeschränkt werden müsse. Sie schlugen den 01. November 2008 als Beginn der Zeitspanne vor, also den Beginn der Hoch- respektive Tiefphase der Wirtschaftskrise in Frankreich (nach dem definitiven Herüberschwappen der 2007 in den USA begonnen „Subprime-Krise“ über den Atlantik). Nach zähen Verhandlungen konnte die „Linksfront“ dann durchsetzen, dass der Zeitraum vom 01. Januar 2007 (also vier Monate vor der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys beginnen) bis zum 06. Mai 2012 in dem künftigen Gesetz verankert wird. Also bis zum Tag der letzten französischen Präsidentschaftswahl – Alles, was danach passiert ist, bleibt ausgeklammert. Als kleines „Schmankerl“ gibt es einen Zusatz: Amnestiert werden durch den Text ferner auch sechs Bergarbeiter, die bis heute noch immer wegen Arbeitskämpfen in den Jahren 1948 bis 1952 (!) rechtskräftig verurteilt sind. Doch, doch…

„Amnestierungsfähig“ sind alle Delikte, für die vom Gesetz eine HÖCHSTstrafe von fünf Jahren Haft vorgesehen ist. Ursprünglich hatte die Linksfront vorgeschlagen, auch Straftaten aufzunehmen, auf die – je nach „Umständen der Tat“ – eine gesetzliche Maximalstrafe bis zu zehn Jahren Haft steht. Auf dem Spiel dabei stand die Frage, ob auch „Bossnapping“-Aktionen (vgl. dazu unser Special im Labournet: http://archiv.labournet.de/internationales/fr/protestform.html) unter die Amnestie fallen können oder nicht. Auf „Freiheitsberaubung“ – als solche wird „Bossnapping“ juristisch eingestuft – steht eine gesetzliche Höchststrafe von zehn Jahre. Solche Aktionsformen bleiben also von vornherein von der Amnestie ausgeklammert.

Nach einigem politischen Ringen ausdrücklich in den Text aufgenommen wurden hingegen die Amnestierung von Verurteilungen aufgrund der Weigerung, sich einem DNA-Test (Speicheltest) zu beugen. Auch solche Fälle gibt es unter Gewerkschafter/inne/n, als Musterbeispiel dafür dient der „Fall“ des Gewerkschafter Xavier Mathieu. Der CGT-Vertrauensmann bei Continental (Conti) in Clairoix – nördlich von Paris, wo 1.700 Arbeitsplätze vernichtet wurde – hatte im April 2009 an einer Kleinholz-Aktion in einem Verwaltungsgebäude in Compiègne teilgenommen. U.a. aufgrund der Weigerung, sich einem DNA-Test zu unterziehen, wurde er gerichtlich verurteilt. Justizministerin Christiane Taubira erklärte in der Senatsdebatte, sie betrachte es als tatsächlich als kritikwürdig, dass in der derselben „genetischen Datei“ Sexualstraftäter – Schwerverbrecher wie Vergewaltiger – und „Sozialstraftäter“ zusammengeworfen würden. Ursprünglich, 1994, war die damals heftig umstrittene Einführung solcher DNA-Dateien überhaupt nur für Vergewaltiger gebilligt worden. Inzwischen aber ist die Latte der Straftaten, aufgrund derer man in eine genetische Straftäterdatei eingespeichert werden kann, auf über 200 gewachsen… Und dazu zählen auch einige Straftaten, die während sozialer Konflikte begangen werden können. Ein absolutes Unding selbst in den Augen der amtierenden (relativ progressiven) Justizministerin.

Die konservative Rechte in Gestalt der UMP wetterte in der Senatsdebatte gegen Horrorszenarien wie „mit Sprengstoff gefüllte Fabrikhallen“ (sic), die Mitte-Rechts-Partei wollte Amnestien wie diese nur auf „das Ende von Bürgerkriegsphasen“ beschränkt wissen.

Kommt der Amnestie-Entwurf durch, so hätte er zur Folge, dass (im Gegensatz zu einer Begnadigung) nicht nur den Vollzug der Strafe aussetzt, sondern auch die Verurteilung selbst aufhebt. Und dass alle Hinweise darauf aus Dokumenten grundsätzlich gelöscht werden müssen.

Nun müsste der Entwurf jedoch, nach dem Senat, auch noch in die Nationalversammlung – das parlamentarische „Unterhaus“, das in allen gesetzgeberischen Fragen schlussendlich das letzte Wort behält – eingebracht werden. Dafür gibt es bislang jedoch keinen Termin. Dem Vernehmen nach opponiert „Matignon“, also der Amtssitz des französischen Premierministers (derzeit Jean-Marc Ayrault), energisch gegen die Gesetzesinitiative.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=28151
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