»
Frankreich »
»

Wenn eine französische Behörde die gewerkschaftlichen Organisationstärken beurteilt – und was dabei alles „unter den Tisch fällt“ (beispielsweise 25% aller Beschäftigten)

Proteste gegen das „Gesetz Macron“ – mit dem in Frankreich (nicht nur) die Sonntagsarbeit eingeführt werden sollDie Veröffentlichung der Ergebnisse über gewerkschaftliche Repräsentativität durch die Arbeitsdirektion des Arbeitsministeriums Frankreichs hat – vor allem zunächst in den Medien des Landes, dann aber natürlich auch in den Gewerkschaften selbst – ein heftiges Echo hervor gerufen. In den Medien war dieses Echo nahezu einhellig positiv: Die CFDT erstmals als stärkster Verband vor der CGT, das wurde lustvoll als Absage an Kampfgewerkschaften interpretiert (nicht zuletzt als Absage an den Kampf gegen das neue Arbeitsgesetz im letzten Jahr, ein Gesetz – siehe unsere ausführliche Berichterstattung – das  massiv bekämpft, aber von der CFDT unterstützt wurde). Mit dieser regelrechten Medienkampagne sollte nicht nur die CFDT gestärkt werden, sondern auch innerhalb der durchaus nicht einheitlichen CGT die kämpferische Strömung geschwächt. Wie auch jede andere Gewerkschaft, die die Sozialpartnerschaft ablehnt. Anlass genug auch für den alternativen Gewerkschaftsbund SUD Solidaires sich mit diesem Ergebnis und der daraus entstehenden Propaganda auseinander zu setzen. In dem sehr ausführlichen Beitrag „Une analyse « de terrain » de la question de la représentativité syndicale en France“ tut dies Christian Mahieux am 11. April 2017 bei Europe Solidaire externer Link (dokumentiert) in dem er die Entwicklungen seit dem neuen Gewerkschaftsgesetz von 2008 analysiert. Siehe dazu auch eine (leider viel zu knappe) deutsche Zusammenfassung dieses Beitrages und einen Verweis auf frühere Berichte:

Eine Bilanz seit 2008, als das neue Gewerkschaftsgesetz in Kraft trat

Bis 2008 galten einfach die „fünf historischen Verbände“  – CGT, CFDT, FO, CFTC und CGC – immer als repräsentativ, alle anderen mussten dies nachweisen. Was teilweise extrem seltsame Ergebnisse gebracht hatte, so gab es betriebliche Wahlen in kleineren Betrieben, auf die der Autor verweist, in denen etwa die CGC gerade mal exakt 1 Stimme erhielt (als „Kadergewerkschaft“, also Techniker und höhere Angestellte in kleineren Produktionsbetrieben kaum vertreten) und SUD mehrere Dutzend und dennoch war die CGC befugt, Tarifverhandlungen zu führen, die SUD nicht.

Das Gesetz von 2008 wurde im Prinzip von der Regierung mit dem Unternehmerverband, der CGT und der CFDT gemeinsam ausgearbeitet, die anderen Verbände waren an dieser Diskussion nicht beteiligt. Die Vorschläge, die die SUD und andere diesem diskutierenden Quartett machten, seien allesamt (einige zählt er in seinem Artikel auf) nicht beachtet worden.

Die republikanischen Werte als Leitlinie für die Gewerkschaften

Das ist die Orientierung, die in diesem Gesetz gegeben wird, wozu der SUD-Aktivist bemerkt, dass dies natürlich für einen alternativen Gewerkschaftsbund wie SUD Solidaires eine ständige Bedrohung ist – wer für eine andere Gesellschaft kämpft, kann die zentralen Werte dieser Republik – wie etwa das Privateigentum an Produktionsmitteln – nicht verteidigen, und steht demnach ständig in der Gefahr, der Gesetzesübertretung angeklagt zu werden. Schlimmer noch sei, so wird in dem Beitrag ausgeführt, dass etwa ein Verband wie die CGT genau dieses Argument bei der Vorbereitung der Wahlen in Kleinbetrieben, die bis vor rund 3 Monaten stattfanden, gegen – starke, kämpferische – Regionalgewerkschaften (auch noch)  gerichtlich vorgebracht habe, sei es im Baskenland (LAB) oder auf Korsika (etwa die Gewerkschaft der Fähren, über die wir auch im LabourNet schon berichtet haben). Als Regionalgewerkschaften verletzten sie den republikanischen Wert der nationalen Einheit – das war die mindestens abstruse Argumentation der CGT gewesen.

Insgesamt aber gab es um diese Bestimmung schon einige von Unternehmerverbänden angestrengte gerichtliche Verfahren – von denen aber, keineswegs zufällig, die CFDT niemals betroffen worden sei, sondern stets kämpferische Gewerkschaftsströmungen.

Wahlergebnisse und Repräsentativität

Auch wenn vor allem die betriebliche Repräsentation zunächst einfach erscheint – man nehme die Wahlergebnisse zu betrieblichen Wahlen und hat es damit – sei dies in Wirklichkeit keineswegs so einfach. Der mit dem damaligen Gesetz eingeführte „Gewerkschaftliche Vertreter“  sei eine ausgesprochen ambivalente Einrichtung, die einerseits mehr Möglichkeiten biete, als vorher bestanden, andrerseits aber das Recht auf gewerkschaftliche Präsenz aller bestehenden gewerkschaftlichen Organisationen unterminiere. Dies und andere Bestimmungen führten unter anderem auch zu sehr unterschiedlich intensiv geführten Wahlkämpfen in den Betrieben. Weswegen die Zahlen allein keine endgültige Aussage über ihre Stärke ermöglichen.

Die Bilanz bei Branchenwahlen wurde vor allem durch die Bestimmung verfälscht, dass in bestimmten Branchen die prinzipielle Beteiligung der „historischen Verbände“ beibehalten wurde. So erreichte etwa SUD Solidaires bei den Wahlen 2013 in den städtischen Verkehrsbetrieben des Landes 7% der Stimmen, die CFTC 6% und die CGC 2% – trotzdem durften nur die beiden letzteren an den Tarifverhandlungen der Branche teilnehmen.

Erst ab den Wahlen 2017 wurde das Sonderrecht der historischen Verbände abgeschafft, was bei 458 definierten Branchen dazu führte, dass alle fünf jeweils in verschiedenen Branchen nicht mehr vertreten waren: Die FO beispielsweise in rund einem Viertel aller Branchen, die CFTC in mehr als der Hälfte. (Solidaires ist in 35 Branchen Tarifpartei). Hier erscheint aber auch das Problem – gerade aktuell mit der Massenprotestbewegung in Guyana höchst aktuell – dass die Regionalgewerkschaften dann in den nationalen Branchenverhandlungen nicht vertreten sind, obwohl sie in ihrer jeweiligen Region die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten haben – was sowohl eben für die STC auf Korsika gilt, als auch für den LAB im Baskenland, aber eben auch für die UGTG in Gudeloupe oder die UTG in Guayana gilt.

Die allgemeinen Ergebnisse 2017

Die Ergebnisse, die vom Ministerium publiziert wurden, fassen bei weitem nicht alle Bereiche, in denen Gewerkschaften aktiv sind zusammen. Zum einen werden die – ohnehin gemäß den vorherigen Ausführungen zu relativierenden – Ergebnisse der privaten Unternehmen, des öffentlichen Dienstes, der Kleinstbetriebe und der Landwirtschaft getrennt berechnet. Fasst man sie zusammen, ist die Mehrheit der CFDT bereits dahin geschwunden. Es bleibt der Fakt, dass die CFDT in der Tat in den Privatunternehmen eine leichte Mehrheit hat und das muss als großes Problem gesehen werden und entsprechend daran gearbeitet, dies zu ändern. Ein weiteres großes Problem ist der faktische Ausschluss großer Gruppen von Menschen aus dieser Bewertung gewerkschaftlicher Tätigkeit – die gerade in diesen Gruppierungen sehr unterschiedlich intensiv betrieben wird: Die Rede ist sowohl von den Erwerbslosen, als auch von den RentnerInnen.

Die Katastrophe der Wahlen in Kleinstbetrieben

Neben der Mehrheit der CFDT in den privaten Unternehmen – und, nicht nur nach Ansicht des Autors, überhaupt das Wichtigste – ist die Wahl in Kleinstbetrieben, die zu Beginn des Jahres 2017 stattgefunden hat. Von den rund 5,5 Millionen Beschäftigten, also Wahlberechtigten, taten dies rund 350.000 – grob 7% Wahlbeteiligung. Nahe liegender Weise wird in dem Artikel ausgeführt, dass es da überhaupt nicht mehr darauf ankomme, wer da am besten abgeschnitten hat (CGT) – sondern, dass dies insgesamt für die Gewerkschaftsbewegung in Frankreich eine Katastrophe ist – weil diese Millionen Menschen zwar nur in kleinen Einheiten arbeiten, aber natürlich in ihrer Gesamtheit, und auch in ihrer Haltung in der gesellschaftlichen Debatte, eine ganz wesentliche Gruppe sind. SUD selbst hat dabei an einigen Orten überraschend gut abgeschnitten – und zwar dort, wo schon seit einiger Zeit lokale Strukturen aufgebaut worden waren, die halbwegs in der Lage gewesen sind, die 1 oder 2 Gewerkschaftsmitglieder, die es in solchen Betrieben gab, ausreichend zu unterstützen, um Ergebnisse zu erzielen. Für ihren Verband ist die Verbreitung dieser Organisationsform und die Intensivierung und Verbesserung dieser Arbeit ein ganz zentrales Problem der kommenden Zeit.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=114972
nach oben