»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»

Französische Gewerkschaften vor neuen Herausforderungen

Aufmarsch von „Bloc identitaire“-Aktiviste in Paris; Photo: B.S.Egal wie sie ausgeht, die französische Präsidentschaftswahl und ihre Ergebnisse werden die Gewerkschaften des Landes vor neue Herausforderungen stellen, während diese selbst sich um Umbruch befinden.  Als Gradmesser für die Veränderungen in der gewerkschaftlichen Landschaft wurden vor wenigen Wochen die Wahlergebnisse aus den Betrieben und Unternehmen für den Zeitraum 2013 bis Ende 2016 dargestellt, die am 31. März dieses Jahres vom Arbeitsministerium verkündet wurden. Demnach gelingt es dem rechtssozialdemokratisch geführten Gewerkschaftsdachverband CFDT („Französischer demokratischer Arbeiterverband“), dessen Basis weniger neoliberal ausgerichtet ist als die Spitze, sich erstmals vor den historisch ältesten Dachverband CGT zu setzen.“ – so beginnt der Artikel „Die Gewerkschaften vor neuen Herausforderungen in und nach der Wahlperiode“ von Bernard Schmid vom 05. Mai 2017 (Langfassung eines Artikels, der redaktionell bearbeitet & gekürzt am Freitag, den 05. Mai 2017 auf der Gewerkschaftsseite der Tageszeitung Neues Deutschland (ND) erschien):

Die Gewerkschaften vor neuen Herausforderungen in und nach der Wahlperiode

(Von Bernard Schmid, 05. Mai 2017)

Egal wie sie ausgeht, die französische Präsidentschaftswahl und ihre Ergebnisse werden die Gewerkschaften des Landes vor neue Herausforderungen stellen, während diese selbst sich um Umbruch befinden.

Als Gradmesser für die Veränderungen in der gewerkschaftlichen Landschaft wurden vor wenigen Wochen die Wahlergebnisse aus den Betrieben und Unternehmen für den Zeitraum 2013 bis Ende 2016 dargestellt, die am 31. März dieses Jahres vom Arbeitsministerium verkündet wurden. Demnach gelingt es dem rechtssozialdemokratisch geführten Gewerkschaftsdachverband CFDT („Französischer demokratischer Arbeiterverband“), dessen Basis weniger neoliberal ausgerichtet ist als die Spitze, sich erstmals vor den historisch ältesten Dachverband CGT zu setzen.

Die 1895 gegründete CGT („Allgemeiner Arbeiterverband“) war bis in die neunziger Jahre noch mit der Französischen kommunistischen Partei verbunden, ihr Generalsekretär sitzt jedoch seit 1996 nicht mehr in deren Parteivorstand. Heute gibt es sozialdemokratische ebenso wie klassenkämpferische, altstalinistische, radikal linke und andere Tendenzen in ihren Reihen. Dagegen entstand die CFDT 1964 aus der „Entkonfessionalisierung“ der früher christlichen Gewerkschaftsbewegung. Anfänglich stand sie deutlich links und erhielt durch den Mai 1968, aber auch durch ihre Offenheit etwa für ökologische Impulse in den siebziger Jahren einen starken Schub. Doch ab den späten achtziger Jahren legte ihre Führung, enttäuscht von der damaligen sozialdemokratischen Regierungspolitik, eine stark neoliberale Wende hin – im Zeichen des Realismus und der „Abkehr von gewerkschaftsfremden Ideologien“. Ab da orientierte ihr Apparat darauf, sich auf Betriebspolitik zu konzentrieren und von gesamtgesellschaftlichen „Utopien“, aber auch von der Opposition gegen sozialpolitisch regressive Regierungsvorhaben tunlichst die Finger zu lassen.

Die CFDT unterstützte mehrere Regierungs„reformen“, etwa die Rentenpläne konservativer Regierungen 1995 und 2003, und zuletzt das heftig umstrittene „Arbeitsgesetz“ unter François Hollande, des am 08. August vorigen Jahres in Kraft trat. Dies ging mit mehreren Austritts- und Ausschlusswellen einher. Aus Letzteren gingen die linken Basisgewerkschaften vom Typ SUD hervor, die in dem sehr aktiven, doch relativ mitgliederschwachen Zusammenschluss Union syndicale Solidaires vereint sind.

Die Tarif- oder Verhandlungsfähigkeit – französisch représentativité genannt – hängt seit einem Gesetz vom August 2008, dank dessen Nicolas Sarkozy damals die CGT und die CFDT einbinden und die seinerzeitigen Krisenproteste dadurch auffangen konnte, von ihren Wahlergebnissen ab. Zuvor waren kleinere, rechtere Gewerkschaften oft künstlich „tariffähig“ gehalten worden, um es Arbeitgebern zu erlauben, an der CGT vorbei zu verhandeln. Dies ist seit 2008 so nicht mehr möglich. Um die Tariffähigkeit auf überregionaler Ebene zu messen, werden die jeweiligen Wahlergebnisse aus den Unternehmen statisch erfasst und alle vier Jahren zusammengefasst veröffentlicht. Danach wird dann jeweils die Tariffähigkeit der Verbände neu bemessen.

Die CGT kam demnach im Vier-Jahres-Zeitraum seit dem 1. Januar 2013 auf noch 24,9 Prozent der Stimmen, gegenüber zuvor 26,77 Prozent. Die historisch mit Teilen der DGB-Gewerkschaftsführungen in Deutschland kooperierende CFDT kam dieses Mal auf 26,4 Prozent, zuvor waren es 26 Prozent.

Die bürgerliche Presse schlachtete dies aus, um die CGT als überholt und ins Hintertreffen geraten darzustellen. So einfach liegen die Dinge selbstverständlich nicht, und seit den Protesten gegen das „Arbeitsgesetz“ von 2016 hat die CGT eher wieder das Heft der Initiative in der Hand. Dies wird durch den statistischen Apparat, der einen wesentlich längeren Zeitraum abdeckt, nicht erfasst. Bei den Vertretungswahlen für die Kleinbetriebe unter 20 Beschäftigten – die im Gegensatz zu den übrigen Personalvertretungswahlen frankreichweit an einem Tag stattfinden – im Dezember 2016 lag die CGT etwa deutlich vorne. Und bei der ersten  Urabstimmung in einem Unternehmen über ein regressives Abkommen zur Arbeitszeit, wie sie durch das „Arbeitsgesetz“ von 2016 erlaubt wird, setzte sich die CGT durch: Beim Elektrizitätsunternehmen RTE scheiterten die Direktion und die mit ihr verbündete CFDT Anfang April mit ihrem Vorhaben. Gut 70 Prozent stimmten gegen deren Vereinbarung.

Und die Wahl?

Würde nun Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National (FN) gewinnen, dann würde die Tariffähigkeit gar nicht mehr den Branchen- oder Dachverbänden gehören, sondern nur noch Einzelgewerkschaften im Betrieb. Dies fasst Le Pen unter „Gewerkschaftsfreiheit“. In den Augen ihrer Partei würde dies möglichst „ideologiefreie“, an betrieblichen Belangen orientierte, oft zweifelsohne „gelbe“ Gewerkschaften fördern.

Emmanuel Macron trägt keinen ähnlichen Frontalangriff vor. Er fordert aber mit anderer Begründung die Gewerkschaften dazu auf, sich auf die betriebliche Ebene und auf „Sachpolitik“ – statt gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzungen – zu konzentrieren. Im Laufe des Wahlkampfs bekannte er sich jedoch auch dazu, dass Branchen-Kollektivvereinbarungen (entspricht im Deutschen „Flächentarifverträgen“) einige positive Aspekte beinhalteten, und dass manche Themen auf Branchenebene geregelt werden sollten. Die Mehrheit der Arbeitsbedingungen soll jedoch auf Unternehmensebene, abweichend von Branche und ggf. Gesetzesinhalt, ausgehandelt werden können.

Bei der Wahl zwischen dem Liberalen und der Neofaschistin entschieden sich alle Gewerkschaftsvorstände (mit Ausnahme dessen des politisch schillernden Dachverbands Force Ouvrière, FO, der sich auf seine „politische Zurückhaltung“ beruft) dazu, zur Wahl Macrons aufzurufen, um das sichtlich größere Übel zu stoppen. Erkennbar geht dies nicht mit einer Zustimmung zu dessen Programm einher, ganz im Gegenteil, wenn Macron etwa verspricht, nach seiner Wahl noch im Sommer dieses Jahres das Arbeitsrecht auf dem Verordnungsweg – also ohne das Parlament einzuschalten – zu „reformieren“. Eine innergewerkschaftliche Minderheitenposition, die bei der CGT von der eher kommunistisch-orthodoxen Chemiebranche sowie der eher radikal-linken Mediengewerkschaft CGT Info’Com unterstützt wird, hat sich vor dem diesjährigen 1. Mai dagegen auf eine Linie „Weder Macron noch Le Pen“ gestellt.

Mit Hilfe seiner geplanten Arbeitsrechts„reform“ will Macron vor allem Vereinbarungen auf Unternehmensebene, die vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichen, erleichtern. Und dies über die Möglichkeiten, die das letztjährige „Arbeitsgesetz“ bietet, hinaus.  Bei den Gewerkschaften kommt er damit nicht an – außer bei Teilen der CFDT. Laut einer Umfrage für die arbeitsrechtliche Fachzeitschrift Liaisons Sociales wählten 48 Prozent der Sympathisant/inn/en der CFDT schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl Macron. Dagegen bleibt dieser bei der CGT oder den SUD-Gewerkschaften, deren SympathisantI/inn/en zu 51 respektive 53 Prozent den Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon unterstützten, unter ferner liefen.

Aber die Gewerkschaften müssen sich auch darüber Gedanken machen, dass sieben Prozent der – sozial weniger unzufriedenen – Sympathisant/inn/en der CFDT, sowie 13 Prozent derer von SUD/Solidaires und 15 Prozent der Beschäftigten mit CGT-Sympathien für Le Pen stimmten.

Der diesjährige 1. Mai fiel mit landesweit 142.000 Demonstrierenden laut Innenministerium und 280.000 laut Zahlen der CGT zwar stärker aus als im vorigen Jahr. Doch die Mobilisierung blieb unvergleichlich schwächer als 2002, als zwei Millionen Menschen spontan gegen eine Stichwahlkonstellation auf die Straße gingen, bei der sich der korrupte Konservative Jacques Chirac und der Altfaschist Jean-Marie Le Pen gegenüber standen. Die Gewerkschaften werden in Bälde in Schwung kommen müssen, um geplante drastische soziale Verschlechterungen nach der Wahl zu verhindern oder ihnen jedenfalls entgegen zu treten.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=115852
nach oben