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Frankreich: „Kompromiss“, sagten Sie?

Artikel von Bernard Schmid vom 18.1.2013

Drei von fünf Gewerkschaftsverbände (darunter zwei gelbe) stimmen einem Abkommen zu Arbeitsrecht & Beschäftigungspolitik zu. Dessen Hauptinhalte bestehen aus der Verkürzung von (arbeits)gerichtlichen Anfechtungsfristen, der Erlaubnis von betrieblichen Vereinbarungen über „Opfer“ der Lohnabhängigen in Krisenzeiten sowie der Erleichterung von Entlassungen solcher Lohnabhängiger, die Letztere verweigern. Die Regierung und Präsident François Hollande gratulieren den „Sozialpartnern“ und sich selbst zu einem „Erfolg“.

Das Timing dabei war schlau: Ein Wochenende plus einen Werktag nach dem Abkommen zur „Beschäftigungsförderung“ gibt der Automobilkonzern Renault Pläne zur Entlassung von 7.500 Lohnabhängigen bekannt. Die Ankündigung war bis dahin zurückgehalten worden, damit das „Abkommen“ vorher noch unter Dach & Fach gebracht werden konnte. Alles in allem ein Triumph der Arbeitgeber. Aber nun ist doch Protest vernehmbar…

Am Freitag, den 11. Januar 13 trat nicht nur Frankreich im westafrikanischen Mali in den Krieg ein. (Es geht um die Bekämpfung djihadistischer Gruppe in der Nordhälfte des Landes, aber auch um die Kontrolle von Rohstoffen, wenngleich Letzteres nicht alles erklärt – vor Vereinfachungen sei gewarnt.) Dasselbe Datum markiert auch einen quasi-militärischen Erfolg in einer anderen Offensive: jener des organisierten Kapitals im Vorrücken gegen die „Bastionen“ bisheriger sozialer Errungenschaften.

Nach einem zähen Stellungskrieg konnten die letzten Stellungen der Verteidiger an vielen Stellen überrannt werden, und zumindest einige bisher sicher geglaubte Positionen wurden geschleift. Ein taktisches Rückzugsgefecht an einer Nebenfront – jener der Erhöhung von Sozialabgaben für befristete Arbeitsverträge – machte den Durchbruch an den am härtesten umkämpften Frontabschnitten möglich. Aufgrund ihres Teilerfolgs an der sekundären Front (s.o.) glauben die gewerkschaftlichen Strategen, die am Ende die Kapitulationsurkunde unterzeichneten, (vielleicht) noch immer an einen Erfolg. In Wirklichkeit kann festgestellt werden, dass ein Durchmarsch der Kapitalverbände in ihrem Eroberungsfeldzug an den entscheidenden Stellen gelungen ist.

Pardon, erst einmal, für die quasi-militärische Sprache. Aber man muss realistischerweise ja durchaus davon ausgehen, dass Verhandlungen wie jene, um welche es hier geht, von Kapitalseite strategisch durchgeplant werden. Viel weniger, in diesem Falle, von gewerkschaftlicher Seite: Dort war man sich, wie aus gewöhnlich unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, in vielerlei Hinsicht nicht darüber im Bewusstsein, was in Wirklichkeit auf dem Spiel stand (und vor allem in Sachen Verkürzung von Klagefristen von ausgesprochener Leichtfertigkeit).

Hinzu kommt die Zersplitterung im gewerkschaftlichen Lager, mit bislang fünf als „repräsentativ“ (im Sinne des französischen Gesetzes, d.h. „tariffähig“, rechtlich zum Abschluss eines Kollektivvertrags befugt) anerkannten Dachverbänden. Ab diesem Jahr wird sich dies zwar ändern, weil gerade im laufenden Jahr eine wichtige Änderung im Hinblick auf die „Repräsentativität“ von Gewerkschaften in Kraft treten wird – siehe unten. Im Augenblick sieht es jedenfalls noch so aus.

Regierung dringt auf Durchbruch

Seit Oktober 2012 waren Verhandlungen zwischen den drei Arbeitgeberverbänden (der MEDEF als Haupt-Arbeitgebervereinigung, die CGPME für die mittelständischen Betriebe und die UPA für die Handwerksunternehmen) und den bislang fünf als „tariffähig“ anerkannten Gewerkschaftsdachverbänden eröffnet worden. Es ging um as Thema Beschäftigungspolitik, also die Erleichterung von Beschäftigung respektive die „Rettung von Arbeitsplätzen“ durch günstigere Verwertungsbedingungen für das Kapital, das „in Krisenzeiten und in der internationalen Konkurrenz bestehen muss“. Zunächst glaubten nur wenige Beobachter/innen an einen erfolgreichen Abschluss in naher Zukunft. Die Verhandlungen schienen sich festzufressen. Noch in jüngster Zeit sah es nicht nach einem Abschluss aus.

Die aus Sozialdemokraten und Grünen bestehende, inhaltlich weitgehend sozial(wirtschafts)liberale Regierung hatte ihrerseits – vor allem in der letzten Phase – starken Druck auf die „Sozialpartner“ ausgeübt. Anfang Januar 13 kündigte das Arbeitsministerium unter Michel Sapin an, falls es zu keiner Vereinbarung in den allernächsten Wochen komme, werde die Regierung selbst bis spätestens „Ende Februar“ dieses Jahres einen Gesetzentwurf zum Thema vorlegen. In diesem Falle wäre die Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Text den Verhandlungspartnern entzogen worden.

Allerdings glauben viele Linke in den Parteien der Regierungskoalition inzwischen, dies wäre im Endeffekt das kleinere Übel gewesen. Hätte doch in dem Falle ein Text während der Parlamentsdebatte zerpflückt, und der politische Streit darum in den Medien und unter den Augen der öffentlichen Meinung ausgetragen werden können. Nun jedoch erscheint dasselbe Ergebnis als Frucht eines „zäh errungen Kompromisses der Experten beider Seiten“ und „unter Einschluss der Gewerkschaften“. Zudem wird die Regierung nunmehr das Ergebnis der Verhandlungen in einen Gesetzestext übersetzen, ohne dass an dessen Inhalt noch viel herumdiskutiert werden kann, da man sich von Seiten der Exekutive auf den „notwendigen Respekt des Willens der Sozialpartner“ berufen wird.

Der linke Parteiflügel der „Sozialitischen“ Partei (vgl. http://social.blog.lemonde.fr/2013/01/14/laile-gauche-du-ps-denonce-laccord-sur-lemploi/ externer Link) und die französische KP (vgl. http://gauche.blog.lemonde.fr/2013/01/15/le-pcf-bien-decide-a-combattre-laccord-sur-lemploi/ externer Link) wollen es dabei dennoch nicht bewenden lassen, und kritisieren z.T. auf das Heftigste den Inhalt der Vereinbarungen. Selbst innerhalb der (etablierten) Linken ist anscheinend noch lange kein „Burgfrieden“ zum Thema eingetreten (vgl. auch http://fressoz.blog.lemonde.fr/2013/01/16/la-democratie-sociale-rallume-la-guerre-des-gauches/ externer Link)

Kurz vor knapp für die Unterschrift der quasi-gelben Gewerkschaften

Die Unterzeichner des Abkommens auf gewerkschaftlicher Seite sind die üblichen Verdächtigen. Zu ihnen zählen die beiden kleineren Gewerkschaftsdachverbände CFTC (Christenheinis) und CFE-CGG (Vertretung der höheren & leitenden Angestellte, französisch cadres). Es handelt sich um zwei relativ schwache und tendenziell „gelbe“ Gewerkschaftsorganisationen, von Einzelpunkten abgesehen, bspw. kämpft der christliche Gewerkschaftsbund – aus z.T. konfessionellen Gründen – relativ energisch für den arbeitsfreien Sonntag.

Hinzu kommt (na, wer hätte es nicht erraten?) die an ihrer Spitze rechts-sozialdemokratische CFDT, welche immerhin den zweitstärksten französischen Gewerkschaftsbund hinter der CGT darstellt. Die CFDT und ihr Apparat sind heute einerseits eng mit der Regierung verwoben; ihr am 28. November 12 ausgeschiedener (und durch Laurent Berger ersetzter) Ex-Generalsekretär François Chérèque hat gerade diese Woche neue Positionen im Regierungslager übernommen. So wurde diese Woche bekannt, dass Chérèque künftig den der „Sozialistischen“ Partei nahe stehenden Think Thank namens,Terra Nova’ leiten wird. Und er wird, wie gestern bekannt wurde, den Armutsbericht der Regierung betreuen.

Hinzu kommt, dass die CFDT seit ihrer neoliberalen Wende in den 1990er Jahre – im Namen einer „Priorität für Verträge über das Gesetz“ – noch jede Vereinbarung als „per se positiv“, eben weil sie vereinbart wurde und es nicht zum Eingreifen des Gesetzgebers kam, verkauft. Dabei kann zumindest in Zeiten, in denen das Kräfteverhältnis ungünstig für die Lohnabhängigen ausfällt, so manche von Gewerkschaften unterzeichnete Vereinbarung inhaltlich noch schlimmer sein als manche (unter politischem Druck und Debatten zustande gekommene) gesetzliche Bestimmung. Schon am 16. Juli 2001 hatten etwa die CFDT und ihre beiden jetzigen „gelben“ Partner – CFTC und CFE-CGC – ein Abkommen unterzeichnet, das der Betriebsvereinbarung in jedem Falle den Vorrang vor einer Branchenvereinbarung gibt, auch wenn Erstere für die Beschäftigten ungünstiger ausfällt als Letztere. (Und dies ist häufig der Fall, weil aufgrund des Arbeitsplatz-Arguments die gewerkschaftlichen Unterhändler im Betrieb oft stärker in der Defensive stecken als auf Branchen-Ebene.) Nach einigem Zögern hat der Gesetzgeber genau diese Regelung dann, per Gesetz vom 04. Mai 2004, übernommen.

Die CGT („postkommunistisch“) und FO (vordergründig „unpolitisch“, ideologisch schillernd), also der stärkste und der drittstärkste Gewerkschaftsdachverband, lehnen auch dieses Mal – im Januar 2013, wie damals im Juli 2001 – die „Vereinbarungen“ ab und opponieren dagegen.

Die Unterzeichner nutzten die historische Periode, die gerade NOCH günstig war für den Abschluss einer Vereinbarung in genau dieser Konstellation. Denn ab Juli 2013 wird es nicht mehr genügen, die Unterschrift einer formellen Mehrheit von Organisationen – wie in diesem Falle, dreier von fünfen – einzuholen. Ab Sommer dieses Jahres wird es erforderlich sein, dass die unterzeichnenden Gewerkschaften direkt oder indirekt ihre Mehrheitsfähigkeit unter den Beschäftigten unter Beweis stellen. Zuvor müssen sie bei den Wahlen zu den Betriebsvertretungen im Durchschnitt mindestens 30 % der Stimmen bekommen haben. Und jene Gewerkschaften, die im Durchschnitt mindestens 50 % der Stimmen holten, können – innerhalb einer kurzen Frist – ein Veto einlegen und das Zustandekommen einer Vereinbarung auf diese Weise verhindern.

Es handelt sich dabei um eine Konsequenz aus dem Gesetz vom 20. August 2008, das die „Tariffähigkeit“ (représentativité) der Gewerkschaften grundlegend reformiert und an die Wahlergebnisse bindet – zunächst auf Betriebsebene, dann auf Branchenebene, und in naher Zukunft nun auch auf branchenübergreifender nationaler Ebene. Dem Gesetzgeber ging es damals (in der Sarkozy-Ära) vor allem darum, die Legitimität von Vereinbarungen zu stärken, da sie in Krisenzeiten eben oft auch „Opfer“ für die Lohnabhängigen mit sich bringen. Ferner wollte er die CGT mit in einen neuen „sozialen Kompromiss“ einbinden. Die Entscheidung dazu hatte das Sarkozy-Lager, auch gegen zuvor manifest werdenden Widerstände in Teilen der Arbeitgeberschaft (besonders beim Metall-Arbeitgeberverband UIMM), getroffen.

Ab Sommer dieses Jahres wäre es also unter Umständen schwieriger geworden, zur Annahme der jetzt getroffenen Vereinbarung zu kommen. Vor allem ein kleinerer Gewerkschaftsbund wie die christliche CFTC drohen dann unter Umständen gar nicht mehr am Verhandlungstisch dabei zu sitzen: Eine Gewerkschaft, die im Unternehmen weniger als 10 Prozent oder – auf Branchenebene sowie auf nationaler Ebene – unter 08 Prozent der Stimmen erhielt, ist gar nicht mehr „tariffähig“. Und wird dann von Verhandlungen ausgeschlossen sein. Ein kleinerer, eher rechter „Verhandlungspartner“ droht dann wegzufallen.

Einige wesentliche Inhalte der „Vereinbarung“

Einige Inhalte des Abkommens vom 11. Januar 2013 werden wir, aus Platz- & Zeitgründen, demnächst an dieser Stelle präsentierten. (Und hier findet sich übrigens der vollständige Originaltext: http://blogs.rue89.com/sites/blogs/files/assets/document/2013/01/accord_emploi.pdf externer Link pdf)

Vorgestellt seien aber schon einmal einige Kernpunkte:

  • In ihrem Artikel 18 erlaubt die Vereinbarung so genannte „Beschäftigungspakte“ auf Unternehmensebene, mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. Dabei geht es darum, dass in Krisenzeiten „bedrohte“ Unternehmen Änderungen an der Arbeitszeit – sei es durch ihre Erhöhung (u.U. ohne Lohnausgleich) oder ihre Herabsetzung, mangels Aufträgen – und am Lohngefüge vornehmen dürfen. Lohnsenkungen dürfen, wie präzisiert wird, die Einkommen nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn SMIC (als minimale Untergrenze für alle Beschäftigten in Frankreich) hinunter drücken. Aber oberhalb des SMIC ist Vieles denk- und machbar.
  • Der Inhalt der Betriebsvereinbarung n. Artikel 18 kann, für die Dauer ihrer Laufzeit, auch einen für den/die Lohnabhängige(n) günstigeren Arbeitsvertrag abändern. Allerdings kann der oder die Arbeinehmer/in dies ablehnen, und die dergestalt ausgesprochen – befristete – Änderungskündigung führt in dem Falle zur Entlassung. Schon bislang konnte der Arbeitgeber Änderungskündigungen aussprechen (d.h. das „Angebot“ auf eine ungünstige Abänderung des Arbeitsvertrags, gekoppelt an die Androhung einer Kündigung), doch bislang musste in diesem Falle die Entlassung den Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung genügen. Dies hatte u.a. zur Konsequenz, dass bei Nicht-Vorliegen eines triftigen wirtschaftlichen Grundes die Kündigung ungerechtfertigt war, und dass die gesetzlichen Vorschriften im Falle einer betriebsbedingten Kündigungen griffen. Dazu gehörten u.a. die Verpflichtung, dem/r gekündigten Arbeitnehmer/in verfügbare andere Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten, und ab zehn gekündigten Beschäftigten einen Sozialplan (PSE) auszuarbeiten. Im französischen Recht kann ein Sozialplan nicht nur finanzielle Begleitmaßnahmen, sondern er muss auch Maßnahmen zur Verringerung der tatsächlich erfolgenden Kündigungen (wie Umschulungen, Umsetzungen auf andere Arbeitsplätze) beinhalten. All dies ist künftig nicht mehr erforderlich: Es entfällt, wenn im Falle der Ablehnung einer Änderungskündigung – bei Vorliegen eines „Beschäftigungspakts“ – Lohnabhängige entlassen werden. Die Kündigung gilt dann nicht mehr als betriebsbedingte, sondern als personenbedingte (auch wenn die Ablehnung nicht als disziplinarrechtliche Verfehlung gewertet werden darf).Solcherlei Abkommen auf Betriebsebene „zur Wahrung von Beschäftigung & Wettbewerbsfähigkeit“ hatte erstmals der rechte Altpräsident Nicolas Sarkozy im Januar 2012 angekündigt, damals zusammen mit der Anhebung der Mehrwertsteuer TVA. (Letzte wurde durch die neue sozialdemokratische Regierung im Juni 2012 annulliert, bevor im Oktober 12 dann doch eine andere Erhöhung der TVA auf die Tagesordnung kam… Labournet berichtete.) Diese Idee war durch die damalige sozialdemokratische Opposition tendenziell bekämpft worden, ebenso wie durch die Mehrzahl der Gewerkschaften. Auch wenn die CFDT damals bereits ankündigte, sie bemängele eher die Methode Sarkozys – welche den „Sozialpartnern“ keine oder nicht genügend Zeit für die Verhandlungen zur Sache überlasse – und nicht die Sache selbst…
  • Viele Anfechtungsfristen vor den Arbeitsgerichten werden verkürzt. Bislang konnten die meisten Klagen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (wg. Kündigung, wg. nicht ausbezahlter Lohnbestandteile – auf die ein Anrecht bestand – oder unbezahlter Überstunden, wg. unberücksichtig bleibender Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf Freizeitausgleich..) innerhalb von fünf Jahren gerichtlich eingeklagt werden. Früher konnten bei rechtswidriger Diskriminierung Klagen sogar noch innerhalb von 30 Jahren erhoben werden, aber unter Präsident Sarkozy war die dreißigjährige Verjährungsfrist im Namen der „Rechtssicherheit“ der Unternehmen abgeschafft und durch die allgemeine fünfjährige Frist ersetzt worden.Nunmehr wird die Frist im Allgemeinen durch eine neue, zweijährige Frist ersetzt. (Vgl. Artikel 24 des Abkommens, übertitelt mit „Rechtssicherheit“. Wie Arbeitsrechts-Professor Antoine Lyon-Caen in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 18. Januar 13 ausführt, konnten die Begriffe inzwischen erfolgreich so umgedreht werden, dass das Wort „Rechtssicherheit“ i.d.R. nicht jene der Lohnabhängigen – also der schwächeren – bezeichnet, sondern nur noch jene der Unternehmen.) Diese 24-Monats-Frist ist u.U. schnell vorbei, wenn der oder die Lohnabhängige zwischendurch mit der Einschreibung bei den Arbeitsämtern, der Stellensuche sowie ggf. der Aufnahme eines neuen Jobs beschäftigt war. Oder mit Umstellungen oder gar Umzügen wg. eines geringer gewordenen, verfügbaren Budgets. Auch eine Klage vor einem Arbeitsgericht muss schließlich vorbereitet werden: die Argumentation, und die Auswahl eines Anwalts/einer Anwältin oder auch einer/s gewerkschaftlichen Verteidigers/Verteidigerin.
  • Die Inhalte von „Sozialplänen“ konnten bislang innerhalb von einem Jahr gerichtlich angefochten werden. Künftig werden es nur noch drei Monate sein.
  • Die „Sozialauswahl“ bei betriebsbedingten Kündigungen (französisch: ,ordre des licenciements’) wird künftig radikal auf den Kopf gestellt: Artikel 23 des Abkommens. Bislang ging es dabei darum, solche Personen vor dem Risiko der Erwerbslosigkeit – relativ – zu schützen, die auf dem Arbeitsmarkt besondere Schwierigkeiten zu haben drohen. Also etwa ältere Lohnabhängige oder solche mit langer Betriebszugehörigkeit, deren Erfahrungen weniger leicht auf andere Unternehmen zu übertragen sind. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien (Lebensalter, familiäre Unterhaltspflichten…) konnte der Arbeitgeber dann noch weitere Kriterien hinzufügen. Damit ist nun künftig tendenziell Schluss: Ab jetzt heißt es ausdrücklich, dass der Arbeitgeber „den beruflichen Fähigkeiten den Vorzug geben“ darf, sofern er die übrigen Kriterien noch (irgendwie) „berücksichtigt“. Demnach wird also der Arbeitgeber sich die Liste der Namen jener Beschäftigten, die er behalten möchte – sei es aufgrund ihrer Fähigkeit, oder ihrer besonderen Fügsamkeit, usw…. -, relativ frei zusammenstellen. Er muss nur argumentieren.
  • Weitere Einzelheiten zu der Vereinbarung: demnächst an dieser Stelle… Erwähnt sei noch, dass zu den kleineren Zuckerl für die gewerkschaftliche Seite – neben etwas erhöhten Sozialabgaben für befristete Arbeitsverhältnisse, je nach Typus zwischen plus 0,5 % und plus 3% – auch eine stärkere „Vertretung der Arbeitnehmer in den Führungsorganen von Unternehmen“ vorgesehen ist. In Riesenunternehmen (ab 5.000 Beschäftigten in Frankreich, oder 10.000 international) werden künftig, nun ja, ein bis zwei (!) Arbeitnehmer im beschlussfassenden Organ sitzen. Dabei handelt es sich, je nach Struktur des Unternehmens (denn nicht alle französischen Unternehmen haben Aufsichtsräte wie deutsche Konzerne), um den Aufsichtsrat oder, bei dessen Fehlen, um den Vorstand. Eine Unterschrift unter das beschriebene Abkommen rechtfertigte dies mit absoluter Sicherheit nicht…

7.500 Arbeitsplätze bei Renault futsch

Dieses Abkommen wurde, nach zähen Verhandlungen und einer über 24stündigen Verlängerung der Gespräche (die ursprünglich bis am Donnerstag, den 10. Januar 13 laufen sollten), an einem Freitag Abend abgeschlossen.

Danach ging ein Wochenende vorbei, und ein Montag. Und siehe, es ward’ Dienstag. An dem Dienstag aber wurde es Licht, nein Quatsch: finster. Und zwar für 7.500 Lohnabhängige bei dem Automobilkonzern Renault, deren Arbeitsplätze bis im Jahr 2016 gestrichen werden sollen. (Vgl. http://actu.orange.fr/france/renault-prevoit-de-reduire-ses-effectifs-de-7-500-d-ici-2016-afp_1300052.html externer Link) Auch wenn 5.700 „natürliche“ Abgänge – etwa altersbedingte – darunter sein sollen, was jedoch immer noch die Gesamtzahl der Arbeitsplätze senkt, so drohen damit dennoch auch Entlassungen. Renault, wo bereits in den vergangenen Monaten ein „Abkommen zur Wettbewerbsfähigkeit“ ausgehandelt worden war – es verlängert u.a. die Arbeitszeit, allerdings von einer zuvor kürzeren Wochenarbeitszeit auf die gesetzliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden – will nun unter Druck und binnen Monatsfrist neue Abkommen aushandeln. Die Drohkulisse ist ja schon aufgebaut…

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Renault allem Anschein nach die Abkündigung des geplanten massiven Arbeitsplatz-Abbaus bis nach kurz nach dem Zustandekommen des o.g. Abkommens hinausgeschoben hatte; vgl. http://emploi.blog.lemonde.fr/2013/01/16/renault-a-t-elle-retarde-ses-annonces-pour-sauver-laccord-sur-le-marche-du-travail/ externer Link – Eine taktische Finesse, welche jedoch die politische Rechtfertigung für die Umsetzung des Abkommens – in Texte mit Gesetzeskraft – für das Regierungslager nun schwieriger macht.

Proteste

Die Ankündigungen von Renault führten jedoch zu spontanen Protesten. Schnell kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen (vgl. http://actu.orange.fr/economie/debrayages-a-renault-ou-les-reductions-d-effectifs-embarrassent-le-gouvernement-afp_1302096.html externer Link). Auch anderswo kam es zu Protesten. Am Donnerstag, den 17. Januar 13 veranstalteten etwa Beschäftigte des rivalisierenden französischen Automobilkonzerns PSA mit Trillerpfeifen und Vuvuzuelas um 06.30 Uhr früh am Wohnort des Konzernerben Aufsichtsrats-Vorsitzenden Thierry Peugeot (vgl. http://actu.orange.fr/france/psa-des-salaries-sous-les-fenetres-de-thierry-peugeot-pour-reveiller-les-negociations-afp_1303912.html externer Link).

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=22936
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