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Spektakuläre Aktionen im französisch kolonisierten Guyana

Artikel von Bernard Schmid vom 7.4.2017

Vorbereitung des Generalstreiks in französisch Guyana hier am 25.3.2017Spektakuläre Aktionen diese Woche – Besetzung des Weltraumbahnhofs. Auch in die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidat/inn/en spielte die soziale Bewegung im „Überseegebiet“ herein; die radikale Linke konnte sogar vor einem Millionenpublikum vom zeitgenössischen Kolonialismus sprechen. Bislang kam kein Abkommen zustande; das Regierungsangebot (eine Milliarde für Justiz-, Schul- und Gesundheitswesen) wird als absolut unzureichend gewertet.

Spektakulär ging es diese Woche in „Französisch-Guyana“, der französischen Quasi-Noch-Kolonie an der Karibikküste im nordöstlichen Südamerika, zu. Am Dienstag, den 04. April wurde der Weltraumbahnhof für die französische, bzw. europäisch koordinierte, Rakete „Ariane“ in Kourou von Protestierenden eingenommen. Bis zum folgenden Tag blieb das Raumfahrtzentrum von „Delegierten“ der Demonstrant/inn/en und der Protestbewegung besetzt. Letztere kämpft seit bald zwei Wochen mittels eines Generalstreiks für eine Verbesserung der Lage in dem „Überseegebiet“ (TOM / Territoire d’outre-Mer – so die von der „Metropole“ her denkende, offizielle Sprechweise). (Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr/2017/04/guyane-les-delegues-des-manifestants.html externer Link)

Eine ihrer Parolen dazu lautete: „Keine Schule – kein Abheben (Raketenstart). Keine Gesundheitsversorgung – keine Rakete.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/societe/article/2017/04/04/pas-d-ecole-pas-de-decollage-pas-de-sante-pas-de-fusee-a-kourou-les-guyanais-restent-mobilises_5105864_3224.html externer Link) Es wurde auch darauf hingewiesen, dass in nur geringer Entfernung von dem Hochtechnologiezentrum Einwohner/innen über kein elektrisches Licht verfügen. (Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr/2017/04/guyane-kourou-la-fusee-decolle-mais-on.html externer Link)

Unterdessen platzten der Generalstreik und die Mobilisierung der vielfach diskriminierten und ökonomisch „abgehängten“, aus geostrategischen Gründen jedoch bei Frankreich gehaltenen „Übersee“bevölkerung auch in die große TV-Debatte der elf französischen Präsidentschaftskandidat/inn/en am Dienstag Abend, 04. April. Bis dahin hatte eher die extreme Recht sich in der „Metropole“ (d.h. im europäischen Frankreich) lautstark zu Wort gemeldet, eine eher heuchlerische Solidarität mit „unseren Landsleuten“ proklamiert und die Problematik als eine Frage der „Kohäsion des französischen Staatsgebiets in allen seinen Bestandteilen“ dargestellt. Bis heute bleibt insbesondere Marine Le Pen zu dieser Frage lautstark vernehmbar. (Vgl. hier beim „Übersee“-TV-Sender: http://la1ere.francetvinfo.fr/outre-mer-politique-marine-pen-replay-460571.html externer Link) Bei der Megashow im Fernsehsender BFM TV, also der vierstündigen Kandidat/inn/en-Debatte, die in der Nacht zum Mittwoch um ein Uhr früh endete, ging Le Pen jedoch damit schnell unter. Die beiden Kandidat/inn/en der revolutionären Linken, die eher dogmatische Trotzkistin Nathalie Arthaud (LO, „Arbeiterkampf“) und der undogmatisch-radikale Kandidat Philippe Poutou (NPA, „Neue Antikapitalistische Partei“) bezogen sich explizit positiv auf die laufenden Kämpfe. Auch der Linkssozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon („La France insoumise“, etwa: „Das nicht unterworfene Frankreich“) erwähnte diese in positivem Sinne. Beim Abschlussstatement kurz vor ein Uhr morgens, zu dem jede/r Kandidat/in rund zwei Minuten zur Verfügung hatte, widmete Poutou dann fast die Hälfte seiner Zeit dem Kampf in „Französisch-Guyana“.

Er holte zur Kritik aus und sprach sogar explizit vom aktuellen „Kolonialismus“, benutzte also einen Begriff, welcher bis dahin in der Debatte in der „Metropole“ absolut tabu zu sein schien.

In den französischen „Überseegebieten“ vor allem in der Karibik ist er jedoch – inhaltlich zu Recht – in progressiven politischen Kreisen völlig gebräuchlich, vgl. dazu den Gewerkschafter Elie Domota in Guadeloupe (Sprecher einer kämpferischen sozialen Bewegung währen des 44 Tage dauernden Generalstreiks auf der Insel im Januar/Februar/März 2009; vgl. hier: http://danactu-resistance.over-blog.com/2017/03/la-decolonisation-seule-alternative-en-guyane-pour-elie-domota.html externer Link und noch klarer hier: http://www.bastamag.net/Guyane-et-outre-mer-Jamais-il-n-y-aura-d-egalite-de-fraternite-dans-le-cadre-de externer Link)

Auch in der „Metropole“ finden nun erste Solidaritätsaktionen zu den Kämpfen in „Französisch-Guyana“ statt, etwa am frühen Abend des Dienstag, 04. April auf der Pariser place de la République und erneut am kommenden Samstag (08. April) am Nachmittag in Paris. Von Seiten der Gewerkschaftsverbände CGT, FSU und Solidaires gibt es inzwischen einen Aufruf zur Solidarität. (Vgl.: http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2017/04/solidarite-avec-la-guyane-en-lutte.html externer Link)

Verhandlungen über die Forderungen der sozialen Protestbewegung waren am vorigen Freitag, den 31. März 17 wieder in die Gänge gekommen (vgl. http://www.lefigaro.fr/conjoncture/2017/03/31/20002-20170331ARTFIG00046-en-guyane-les-excuses-ministerielles-relancent-les-negociations.php externer Link), nachdem die (selbst von der Insel La Réunion im Indischen Ozean stammende) französische „Übersee“ministerin Ericka Bareigts in einer denkwürdigen „Balkonszene“ in Cayenne eine „Entschuldigung an das guyanische Volk“ ausgesprochen hatte. (Vgl. http://actu.orange.fr/france/la-ministre-de-l-outre-mer-adresse-ses-excuses-aux-guyanais-CNT000000FDCWw.html externer Link)

Die Pariser Regierung hat zwischenzeitlich einen Gesamtposten von einer Milliarde Euro für die Erfüllung der dringlichsten Bedürfnisse im maroden Justiz-, Krankenhaus- und Bildungswesen auf den Tisch gelegt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2017/04/01/97002-20170401FILWWW00108-guyane-les-ministres-promettent-un-milliard-d-euros-d-engagements.php externer Link) Dieser Vorschlag wurde jedoch durch die soziale Protestbewegung am Sonntag, den 02. April abgelehnt, welche ihrerseits die dringendsten Bedürfnisse auf 2,5 Milliarden Euro beziffert. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/economie/crise-en-guyane/direct-guyane-le-collectif-rejette-la-proposition-du-gouvernement-tous-les-barrages-fermes-lundi_2127543.html externer Link) Das, behauptet wiederum der französische Premierminister Bernard Cazeneuve, sei jedoch „unrealistisch“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2017/04/03/97002-20170403FILWWW00218-guyane-cazeneuve-rejette-la-demande-irrealiste-des-protestataires.php externer Link)

Bis zur Stunde ist es kein Abkommen in Sicht (vgl. http://www.lemonde.fr/societe/article/2017/04/03/guyane-la-demande-des-militants-est-rejetee_5105317_3224.html externer Link). Die Protestbewegung hat unterdessen eine „Verschärfung“ ihrer Gangart angekündigt (vgl. http://la1ere.francetvinfo.fr/guyane-collectif-promet-durcir-mouvement-population-partagee-461445.html externer Link) – Fortsetzung folgt an dieser Stelle!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=114671
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