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Frankreich: Neues von den sozialen Bewegungen

Streikbewegung in den Notafnahmen französischer Krankenhäuser: Wächst seit Mai 2019 beständig anKrankenhausstreik bildet zentrales Ereignis; Gewerkschaften bieten eher mau-flaues Gesamtbild, die CFDT versucht sich zu profilieren (ohne die Regierung wirklich irgendwie herausfordern zu wollen); dritte «Versammlung der Versammlungen» der Gelbwesten kristallisiert einen fortschrittlichen Pol & ruft zur Kampfeseinheit mit den Krankenhausstreiks und anderen sozialen Protesten auf…“ Artikel von Bernard Schmid vom 3.7.2019 – wir danken!

 Frankreich: Neues von den sozialen Bewegungen

Krankenhausstreik bildet zentrales Ereignis; Gewerkschaften bieten eher mau-flaues Gesamtbild, die CFDT versucht sich zu profilieren (ohne die Regierung wirklich irgendwie herausfordern zu wollen); dritte «Versammlung der Versammlungen» der Gelbwesten kristallisiert einen fortschrittlichen Pol & ruft zur Kampfeseinheit mit den Krankenhausstreiks und anderen sozialen Protesten auf

In Frankreich legt der Streik in den Notaufnahmeeinrichtungen der Krankenhäuser – ebenso wie jener bei den Feuerwehrleuten (Labournet berichtete: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/arbeitskaempfe-frankreich/die-streikbewegung-an-frankreichs-krankenhaeusern-weitet-sich-aus-die-der-feuerwehrleute-beginnt-die-an-den-schulen-dauert-an-auch-waehrend-der-pruefungen/#more-151002 externer Link) den Finger in die Wunde, da, wo’s die Öffentlichkeit ohnehin schmerzt. Während der Hitzewelle – Juni 2019 war der heißeste, je aufgezeichnete Monat auf der Erde (vgl. https://www.francetvinfo.fr/meteo/climat/juin-2019-a-ete-le-mois-de-juin-le-plus-chaud-dans-le-monde-selon-les-donnees-du-programme-europeen-copernicus_3517735.html externer Link) und während deswegen Erinnerungen an die Sterbewelle während der Hitzewelle 2003 in Frankreich wach werden (15.000 Tote „oberhalb der statistischen Erwartungen“ aufgrund der Unterbesetzung in Krankenhäusern und Altersheimen) – liegt in den öffentlichen Krankenhäusern und v.a. ihren Notaufnahmen weiterhin Alles im Argen. Es bleibt bei chronischer personeller Unterbesetzung und mangelnder Mittelausstattung. Dafür gibt es auch konkret einen Grund, er lässt sich mittels einer Zahl benennen: Im Jahr 2.017 gab es einen Bestand von insgesamt 399.000 Krankenhausbetten in Frankreich, das bedeutet einen Rückgang um -100.000 gegenüber der Situation vor zwanzig Jahren. (Vgl. https://actu.orange.fr/france/hopital-21-4-millions-de-passages-aux-urgences-moins-de-400-000-lits-en-2017-CNT000001gWbav/photos/les-services-d-urgences-hospitalieres-ont-enregistre-un-nouveau-record-de-frequentation-en-2017-avec-21-4-millions-de-passages-tandis-que-le-nombre-de-lits-d-hospitalisation-a-franchi-pour-la-premiere-fois-a-la-baisse-le-seuil-des-400-000-588a0dee549c15bca205b70ee673040c.html externer Link)

Anfang dieser Woche gab es deswegen einen neuen Höhepunkt mit einem Aktionstag an diesem Dienstag, den 02. Juli, Demonstrationen und einem Sit-in vor dem Sitz des Gesundheitsministeriums. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/conjoncture/nouvelle-mobilisation-dans-les-hopitaux-et-les-maisons-de-retraite-20190701 externer Link) Dort riefen die Teilnehmenden Aufmerksamkeit hervor, indem etwa zehn unter ihnen sich Insulin spritzten und deswegen durch die Sicherheitsheitskräfte zu einer Untersuchung transportiert werden mussten. (Vgl. Auch https://actu.orange.fr/france/urgences-des-grevistes-s-injectent-un-produit-presente-comme-de-l-insuline-devant-le-ministere-de-la-sante-magic-CNT000001gWeLC.html externer Link)

Die Regierung, in Gestalt der amtierenden Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, hat Zugeständnisse zu machen begonnen, etwa in Gestalt von Prämien für das Personal in Notaufnahmen; doch werden diese durch die Beteiligten an der anhaltenden Protestbewegung als unzureichend bezeichnet (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/urgences-nouvelle-manifestation-mardi-les-grevistes-reconnaissent-des-avancees-20190702 externer Link).

Auch der Streik der Lehrkräfte gegen das neue Gesetz zum Bildungswesen, das die Ungleichheiten verstärken wird – es führt eine Art Leistungskurssystem ein, das für die künftige Studienplatzwahl entscheidende Auswirkungen haben wird, jedoch mit einem von starken Ungleichzeitigkeiten geprägten Unterrichtsangebot je nach Wohnort korrespondiert -, bleibt aktuell. Der amtierende Bildungsminister Jean-Michel Blanquer rechnet mit Verzögerungen bei der Notenveröffentlichung für das Abitur, welche für diesen Freitag, den 05. Juli 19 geplant ist. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/societe/education/reforme-du-bac/bac-il-y-a-un-petit-risque-que-certains-eleves-n-aient-pas-leurs-resultats-vendredi-reconnait-jean-michel-blanquer_3518987.html externer Link)

Allerdings gibt es ein dickes Aber: Jedenfalls auf der Ebene der Gewerkschaften gibt es bislang kein wirkliches Zusammengehen dieser Kämpfe, sondern die Gewerkschaftsvereinigungen führen ihre Mobilisierungen je nach Berufsgruppe getrennt durch, auch wenn es an der Basis selbstverständlich Forderungen nach einem „Konvergieren der Kämpfe“ gibt.
Schlimmer: Zwar hat es auch gegen die jüngst publik gewordene „Reform“ der Arbeitslosenversicherung (Vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/frankreich-arbeitslosen-reform-ist-aus-der-kiste-neuer-angriff-auf-erwerbslose-und-lohnabhaengige-nimmt-klarere-konturen/) gewerkschaftliche Proteste gegeben. Doch blieb es real bei einer geringen Anzahl von Teilnehmer/inne/n. Möglicher Hauptgrund dafür: Ohne sich mit den übrigen Gewerkschaften wie bspw. der CGT als mitgliederstärkstem Dachverband abzusprechen, preschten die rechteren Dachverbände – die CFDT (rechtssozialdemokratisch geführt), die CFTC (christlicher Gewerkschaftsbund) und die CFE-CGC (Gewerkschaftsverband für höhere & leitende Angestellte) – im Alleingang vor, um „das Terrain zu besetzen“, wie man es im Französischen mit einem feststehenden Ausdruck formuliert. In gewisser Weise also, um das Pulver schon mal zu verballern. Zwar protestierten sie vernehmlich (vgl. https://www.challenges.fr/economie/social/la-cfdt-manifeste-devant-le-ministere-du-travail_660443 externer Link), um dann jedoch am Dienstag, den 25. Juni eine lahme Kundgebung mit wenigen Hundert Teilnehmer/inne/n durch (vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2019/06/26/faible-mobilisation-et-front-syndical-desuni-contre-la-reforme-de-l-assurance-chomage_5481624_823448.html externer Link). Die CGT erklärte dazu, im Vorfeld nicht gefragt worden zu sein.

Ihrerseits redet die CGT nun mehreren gewerkschaftlichen und dem Sozialprotest gewidmeten «Aktionstagen» im September d.J. das Wort (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/la-cgt-souhaite-plusieurs-journees-d-action-a-la-rentree-20190628 externer Link)

Einheitsverbunden gegenüber sozialen Protestbewegungen zeigten sich unterdessen jene über sechshundert Angehörigen der Protestbewegung der «Gelbwesten», welche sich am vorigen Wochenende des 29./30. Juni 19 im ostfranzösischen Montceau-les-Mines versammelten.

Während die Mobilisierung auf den Straßen erheblich zurückging (laut innenministeriellen Zahlen rund 7.000 Demonstrierende frankreichweit am Samstag, den 22. Juni d.J. und gut 10.000 am Samstag, den 29. Junio d.J.) und während ein Teil der Sympathisant/inn/enbasis dezidiert rechts wählte (bei den Europaparlamentswahlen: 44 % unter ihnen votierten angeblich für den Rassemblement National (vgl. https://www.lesinrocks.com/2019/05/27/actualite/actualite/les-gilets-jaunes-auraient-vote-en-majorite-pour-le-rn-aux-europeennes/ externer Link) versammelte sich hier der dezidiert progressive Flügel. Offenkundig drifteten die unterschiedlichen Spektren auseinander, gleichzeitig wuchs jedoch das Organisierungs- und Orientierungsbedürfnis.

Absolut bemerkenswert ist, dass mit 650 Delegierten aus insgesamt 246 örtlichen Gruppen die Anzahl der Teilnehmenden gegenüber jener an den ersten beiden dieser «Versammlungen der Versammlungen» (Ende Januar 19 in Commercy sowie Anfang April 19 in Saint-Nazaire, Labournet berichtete jeweils) erheblich zugenommen hat. In Commercy etwa waren rund 300 Personen aus 100 Ortsgruppen vertreten, obwohl die Medienberichterstattung und die öffentliche Wahrnehmung insgesamt damals ungleich stärker ausfielen. Viele der in Montceau-les-Mines Teilnehmenden sind – anders oder in höherem Ausmaß, als dies bei den vorigen beiden Malen der Fall war – Personen aus kleineren, ja ländlichen Kommunen und ohne vorausgehende Erfahrung in früheren sozialen Bewegungen.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass – nach einigen Debatten – ein klares Bekenntnis dazu, sich « antikapitalistisch » zu verorten, in Montceau-les-Mines eine klare Mehrheit fand. Und dass die dortige « Versammlung der Versammlung » dazu aufrief, in Kampfeseinheit mit anderen Mobilisierungen, insbesondere von Lohnabhängigen, zusammenstehen und konkret etwa jene in den Krankenhäusern möglichst aktiv zu unterstützen.

Unterstützung fand ferner natürlich die Mobilisierung für das Unterschreiben von Petitionen für ein Volksbegehren gegen die geplante Privatisierung der Pariser Flughäfen, die derzeit mit aktiver Unterstützung aus dem (heterogenen) Gelbwesten-Spektrum anläuft. Innerhalb von 18 Tagen kamen bislang 466.000 Bürgerinnen- und Bürger-Unterschriften dafür zusammen, insgesamt sind 4,7 Millionen erforderlich; es bleiben rund neun Monate Zeit dafür.
Wir werden darüber in Kürze ausführlicher berichten.

Unterdessen fanden wir in bürgerlichen (und anderen) Medien doch noch einige interessante Darstellungen über die Versammlung in Montceau-les-Mines, obwohl die mediale Aufmerksamkeit – besonders in den Leitmedien – ungleich schwächer ausfällt als bei den früheren Mal.

Artikel von Bernard Schmid vom 3.7.2019 – wir danken!

Zur Lektüre bzw. zum Angucken empfohlen seien:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=151172
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