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Updated: 18.12.2012 16:07
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Post-Privatisierung stößt auf massive Widerstände. Jene der französischen Telekom ruft weiterhin Katastrophen hervor - Heute Aktionstag der Gewerkschaften unter den Telekombeschäftigten

Das nennt man einen vollen Erfolg: 2,1 Millionen Menschen, wesentlich mehr noch als erwartet, haben in der vergangenen Woche und noch bis am vorigen Samstag an der "Bürger-Abstimmung" (über respektive) gegen die Privatisierung der französischen Post teilgenommen. Von ihnen stimmten über 98 % gegen das Privatisierungsprojekt. Das Publikum konnte mit Ja oder Nein stimmten, aber jene, die sich an der Abstimmung beteiligten, gehörten sicherlich überwiegend ins Lager der überzeugten Privatisierungsgegner/innen.

Bei diesem "Referendum" handelte es sich nicht um eine staatlich organisierte Volksabstimmung, sondern um einen selbstorganisierten und symbolischen Abstimmungsakt. Die Gegner/innen der drohenden Privatisierung der französischen Post hatten diese an über 10.000 "Wahlpunkte" oder Abstimmungsstellen organisiert - deren Anzahl den Organisierenden, also dem "Nationalen (= frankreichweiten) Komitee gegen die Privatisierung der Post" glatt über den Kopf wuchs. Denn die von Gewerkschafter/inne/n, Linksparteien und anderen progressiven Kräften - bis hin zur Fédération Anarchiste - oder auch einfach aktiv gewordenen Individuen selbst aufgestellten "Abstimmungs"-Urnen vermehrten sich im Laufe der Woche "wie die Karnickel". Umso besser! (Vgl. auch Artikel 1 externer Link) Viele Rathäuser - meist links oder sozialdemokratisch geführte, aber auch einige bürgerlich regierte - stellten selbst Urnen auf und organisierten die Abstimmung. In einigen solcher Fälle wurde die Teilnahme der Kommunen an der Abstimmung durch präventiv eingereichte gerichtliche Klagen des Präfekten, des juristischen Vertreters des Zentralstaats, verhindert.

Das Komitee gegen die Privatisierung des bislang öffentlichen Unternehmens La Poste (circa 295.000 abhängig Beschäftigte, minus 20.000 seit Anfang des Jahrzehnts) umfasst 60 Organisationen: Gewerkschaften - mit Ausnahme der CFDT, die "einmal wieder" unangenehm auffällt - , linke Parteien bis hin zur Sozialdemokratie, Bürgerinitiativen.

59 % der befragten Französinnen und Franzosen erklärten inzwischen in einer Umfrage, für ein "echtes" Referendum - also eine vom Staat organisierte Befragung der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung - einzutreten. (Vgl. Artikel 2 externer Link) Eine Volksabstimmung kann in Frankreich grundsätzlich vom Präsidenten der Republik angeordnet werden. Sie kann bzw. muss aber seit einer (umfassenden) Änderung der französischen Verfassung vom Juli 2008 auch dann anberaumt werden, wenn ein Zehntel der Wahlbevölkerung - das wären circa vier Millionen Unterschriften - plus ein Fünftel des französischen Parlaments dies zusammen fordern. Allerdings gibt es bislang kein Ausführungsgesetz zu diesem neuen Verfassungsartikel.

Die französische Regierung hat unterdessen am heutigen Dienstag angekündigt, dass die geplante "Reform" der Post "wie geplant" stattfinde. (Vgl. Artikel 3 externer Link) In dem bislang bekannt gewordenen Stadium handelt es sich nicht direkt um eine Privatisierung, sondern um die Umwandlung von La Poste von einem öffentlichen Unternehmen in eine Aktiengesellschaft, "um der Konkurrenz infolge der (ab 2011 vollständig erfolgenden) Öffnung des Postmarktes ins Auge sehen zu können". Das Zweitere könnte aber leicht zur Vorstufe für das Erstere werden. Noch im Juli 2008 hatten Regierungskreise im Übrigen als Zielsetzung direkt eine Privatisierung des bisherigen Staatsunternehmens benannt, hatten aber aufgrund der massiven Widerstände einen (vorläufigen? Taktischen?) Rückzieher unternommen.

Unterdessen findet am heutigen Dienstag eine Streikbewegung bei der französischen Telekom statt. Bis vor wenigen Jahren bildeten die Post und France Télécom noch eine Einheit, doch diese wurde in den früher neunziger Jahren - im Vorgriff auf eine Privatisierung - aufgelöst. Die Privatisierung der französischen Telekom wurde im Juli 1997 durch die damalige "Links"regierung beschlossen, nachdem der seinerzeitige Premierminister Lionel Jospin noch wenige Wochen zuvor im Wahlkampf das Gegenteil versprochen hatte. Ihre Börseneinführung erfolgte im Oktober 1997, an der Pariser Börse floss damals Champagner. (Jospin hatte noch 1996 sogar eine Petition der linkesten unter den Gewerkschaften bei France Télécom, also SUD-PTT, gegen das Privatisierungsprojekt unterzeichnet. Als Oppositionspolitiker..)

Um die frühe Mittagszeit am heutigen Dienstag wurden dabei 30 bis 49 % Streikende unter den dort beschäftigten Lohnabhängigen verzeichnet. (Vgl. Artikel 4 externer Link) Diese Zahlen trügen dabei in der Regel und setzen die wahren Dimensionen eines Arbeitskampfs künstlich herunter. Denn bei diesen Durchschnittswerten wird vom Unternehmen die "Gesamtbelegschaft" inklusive der leitenden Angestellten und Manager einerseits, und einschließlich der prekär Beschäftigten (etwa in Zeitverträgen) andererseits zur Bemessungsgrundlage genommen.

Die Streikbewegung folgt auf den massiven Skandal, den in den letzten Wochen die Selbstmordwelle unter den Lohnabhängigen bei France Télécom auslöste (Labournet berichtete). In der vergangenen Woche war bereits der 24. Selbstmord am Arbeitsplatz bei der französischen Telekom in den letzten anderthalb Jahren verzeichnet worden; die hinterbliebene Witwe machte sehr direkt die Personalführungspraktiken des Unternehmens für den Suizid ihres Ehemanns verantwortlich.

Unterdessen hat der in jüngster Zeit ausgelöste, heftige Skandal bereits erhebliche Konsequenzen gezeigt. Die Unternehmensleitung musste alle Entscheidungen "zur erzwungenen Mobilität" - also mit Ortswechsel und Umzug verbundenen Versetzungen, die bis dahin für sämtliche höheren Angestellten alle drei Jahre Pflicht waren - "einfrieren" (also vorübergehend aussetzen) als auch die Fixierung individuell zu erreichender Unternehmensziele für ihre Beschäftigten mit den jeweiligen Vorgesetzen in Mitarbeitergesprächen - annullieren. Die Aussetzung aller "Mobilitäts"maßnahmen wurde am heutigen Dienstag bekräftigt und nun um weitere zwei Monate, bis zum 31. Dezember 2009, verlängert.

Unterdessen erklärte Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, sie spreche dem Generaldirektor der französischen Telekom, Didier Lombard, auch weiterhin ihr Vertrauen aus. Aber die "Nummer Zwei" in der Unternehmenshierarchie, Stéphane Richard, wurde am gestrigen Montag geschasst und durch Louis-Pierre Wenes - bis dahin Direktor für das Frankreichgeschäft - ersetzt. Ein Bauernopfer?

Ausführlicheres über den heutigen Streiktag und zu den parallel dazu einsetzenden/stattfindenden Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Direktion folgt im Laufe dieser Woche im Labournet.

Artikel von Bernard Schmid vom 06.10.2009


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