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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Rechte kündigt schon vor den Wahlen Einschränkung des Streikrechts an

Man wird vorgewarnt gewesen sein: Im Falle eines Wahlsiegs der französischen Konservativen unter ihrem Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy droht eine Einschränkung des bisher juristisch noch recht großzügig ausgelegten Streikrechts im Land. Auf Gesetzesbasis möchte Sarkozy, wie er anlässlich einer Großveranstaltung am vorigen Wochenende verkündete, in das Streikrecht eingreifen.

Bisheriger Rechtsstand

Zur Erinnerung : Bisher erfordert die Rechtmäßigkeit eines Streiks in Frankreich, dass drei Bedingungen erfüllt sind (laut Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 17. Januar 1968). Erstens muss es sich um eine Arbeitsniederlegung handeln, also nicht nur um eine verminderte Arbeitsleistung oder um eine bewusste Schlechterfüllung des Arbeitsvertrags (deshalb gilt die Protestform von Kontrolleuren im Zug, die zwar weiterarbeiten, aber die Fahrkarten nicht abknipse, laut einem Urteil von 1989 nicht als Streik). Zum Zweiten muss die Arbeitsniederlegung « konzertiert » erfüllen. Dies ist aber bereits der Fall, wenn zwei Lohnabhängige gemeinsam streiken. Notfalls kann aber auch ein/e Lohnabhängige/r auf legale Weise allein streiken, wenn er oder sie die einzige Person ist, die für ihre Forderungen streiken kann (Beispiel, über das die Rechtsprechung zu befinden hatte : die einzige abhängig beschäftigte Mitarbeiterin auf einem Bauernhof) ; oder wenn er/sie als Einzige/r im Betrieb mitstreikt, aber sich einer übergreifenden Streikbewegung anschließt. Zum Dritten muss der Streik dem Ziel der Erfüllung von « arbeitsbezogenen Forderungen » dienen. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn gegen eine drohende Entscheidung des Gesetzgebers (Bsp. : Rentenreform) gestreikt wird. Ein « politischer Streik » ist rechtlich verboten, aber sehr vieles fällt in der Praxis noch unter die juristische Definition der « berufsbezogenen Forderungen », mit Ausnahme des rein parteipolitisch motivierten Streiks.

Gewerkschaftliche Unterstützung ist nicht erforderlich. Allerdings gibt es auch kein Streikgeld in Frankreich, und streikende Lohnabhängige bezahlen die allfälligen Einkommensverluste aus eigener Tasche (und/oder liefern bei erfolgreichem Verlauf einen « Nachstreik », um die Übernahme eines Teils der Lohnausfälle durch den Arbeitgeber auszuhandeln). Das Streikrecht wird durch die Präambel der Verfassung von 1946 sowie durch Artikel L. 521-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs garantiert.

Sondersituation im öffentlichen Dienst

In den öffentlichen Diensten regelt eine Verordnung seit dem Jahr 1963, dass zusätzlich zu den Grundvoraussetzungen des Streikrechts auch eine Voranmeldung 5 Tage vor Ausbruch des Arbeitskampfs erforderlich ist. Begründet wird dies mit der erforderlichen Aufrechterhaltung des Versorgungsbetriebs. Allerdings können die Beschäftigten im Notfall von ihrem Recht auf Arbeitsniederlegungen in Gefahrensituationen Gebrauch machen, wenn etwa die Beschäftigten von Verkehrsbetriebe infolge einer Aggression gegen eine/n Fahrer/in die Arbeit niederlegen.

Eine « Mindestbelegschaft » (im Sinne eines « Service minimum »), die zum Dienst verpflichtet werden kann, auch wenn ihre Angehörigen selbst von ihrem Streikrecht Gebrauch machen möchten, sieht das Gesetz bisher NICHT vor. Allerdings wurden in den letzten beiden Jahren zwischen der Regierung und den Pariser Verkehrsbetrieben (RATP) und bei der französischen Bahngesellschaft (SNCF) - unter staatlichem Druck - Abkommen geschlossen, die die Einhaltung eines « Service minimum » im Streikfall in Höhe von einem Drittel bzw. der Hälfte des Verkehrs vorsehen. Diese Abkommen begründen aber keine Rechtspflicht für die/den einzelne/n Beschäftigte/n zur Arbeit, entgegen eigenem Willen zur Teilnahme am Streik. Vielmehr erwächst aus ihnen die Notwendigkeit für die SNCF bzw. die RATP, eine Geldbuße zu bezahlen, wenn dieser « Service minimum » nicht eingehalten wird. Die drohende Geldstrafe wird natürlich als Druckmittel nach innen, gegen die Gewerkschaften und Beschäftigten, benutzt. Aber eine juristische Verpflichtung erwächst daraus bisher nicht.

Druck für die Dienstverpflichtung

Eine auch gegen die Beschäftigten gerichtete Pflicht zur Einhaltung einer « Mindestdienstpflicht » besteht also im aktuellen Zustand nicht. Ihre Einführung zu fordern, bildet allerdings seit längerem ein Steckenpferd der politischen Rechten sämtlicher Schattierungen. Eine Umfrage des thatcheristisch orientierten Wochenmagazins <Valeurs actuelles> veröffentlichte am 1. Dezember 2006 eine Umfrage, die unter den WählerInnen und Sympathisanten aller Rechtsparteien durchgeführt worden ist. Sie ist Bestandteil der Titelstory « Rechts sein im Jahr 20O7 » des Blatts, das auch eine Leserschaft unter den Anhänger der extremen Rechten hat (Leserumfrage vom April 2004 : 66 Prozent der Leser/innen wählen konservativ und 25 Prozent rechtsextrem).

Demnach wünschen 93 Prozent aller Rechtswähler die Einführung einer solchen « Mindestdienstpflicht » in der kommenden Legislaturperiode (2007 bis 2012).

Diese Forderung betrachten als eine der fünf wichtigsten Prioritäten für die Amtszeit des künftigen Präsidenten und Parlaments (beide werden im Mai bzw. Juni kommenden Jahres neu gewählt):

  • 71 Prozent der Wähler des rechtsextremen Front National (Priorität Nummer Eins in ihren Reihen),
  • 58 Prozent der Wähler des nationalkonservativen MPF von Graf Philippe de Villiers (Priorität Nummer Zwei),
  • 56 Prozent der Wähler der bürgerlich-konservativen Regierungspartei UMP (Priorität Nummer Eins),
  • und 50 Prozent der Wähler der christdemokratischen UDF (Priorität Nummer Eins).

Die Sympathisanten der politischen Linken wurden durch das Blatt nicht befragt, in ihren Reihen dürfte die Forderung aber geringeren Anklang finden.

Nicolas Sarkozy: Doppeltes Gesetzesvorhaben

Anlässlich eines Auftritts am vorigen Sonnabend, gemeinsam mit seiner potenziellen bürgerlich-konservativen Konkurrenzkandidatin Michèle Alliot-Marie (Verteidigungsministerin, ebenfalls UMP) kündigte der Innenminister und UMP-Vorsitzende Sarkozy gleich zwei Gesetzesvorhaben zum Streikrecht an.

Bei seiner Rede (im Kongresszentrum CNIT in der Pariser Geschäftsvorstadt La Défense vom 9. Dezember) verkündete Nicolas Sarkozy, falls er am 6. Mai 2007 zum nächsten französischen Präsidenten gewählt werde, so lasse er « noch im Juli 2007 » einen Gesetzestext zum « Service minimum » in den öffentlichen Transportbetrieben vorlegen. Danach würde es tatsächlich auch, auf Gesetzesbasis,  eine individuelle Dienstverpflichtung für einzelne Beschäftigte dieser Transportbetriebe geben können.

Ansonsten kündigte Nicolas Sarkozy auch eine gesetzliche Neuregelung für das Streikrecht in allen übrigen Fällen an. Demnach werde er eine gesetzliche Verpflichtung dazu einführen, bei allen Arbeitskämpfen nach spätestens acht Tagen eine geheime Abstimmung über ihre Fortführung oder ihren Abbruch durchzuführen. Und falls eine Mehrheit dann für eine Wiederaufnahme der Arbeit votiere, müsse der Streik in der Folge zwingend abgebrochen werden. Bislang konnte und kann aufgrund der geltenden Gesetzeslage (siehe oben) auch eine entschlossene Minderheit einen Arbeitskampf aufnehmen, wenn bspw. die Härte der sozialen Beziehungen im Betrieb dafür sorgt, dass die Mehrheit schlicht Angst um ihren Arbeitsplatz im Falle einer Streikbeteiligung hat. Und dabei ist es üblich, dass über die Fortführung des Streiks in Vollversammlungen per Votum mit erhobener Hand entschieden wird.

Nicolas Sarkozy geht es erklärtermaßen darum, die «Diktatur gewalttätiger Minderheiten» (O-Ton vom 9. Dezember) zu brechen. In jedem Falle würde das von ihm angekündigte Vorhaben bedeuten, dass eine stärkere Kanalisierung von Streikbewegungen stattfindet. Es könnte zur Folge haben, dass ein Arbeitskampf während der ersten acht Tagen nur noch eine «Ventilfunktion» hat: Sobald die Energien zum Teil in den ersten Streiktagen «verpufft» sind, könnte man einen müde werdenden Teil der bisherigen Streikenden zusammen mit den von Anfang an Streikunwilligen dazu zusammenführen, um den «harten Kern» der Streikbewegung zum Abbruch zu zwingen.

Noch ist es unterdessen nicht so weit.

(Bernhard Schmid, Paris, 12.12.06)


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