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Updated: 18.12.2012 15:51
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Renten«reform» in erster Lesung durch die Nationalversammlung verabschiedet - Tausende demonstrieren vor dem Parlament - Ausführlicheres dazu am morgigen Freitag

"Wo ist der Minister? Im polizeilichen Gewahrsam?" rief eine Abgeordnete der sozialdemokratischen Parlamentsopposition in der französischen Nationalversammlung aus, als dort während der letzten Tage über die Annahme der Renten"reform" debattiert wurde. Es war noch früh am Morgen, und der fachlich zuständige Minister - Frankreichs (noch?) amtierender Arbeits- & Sozialminister Eric Woerth - war noch nicht eingetroffen. Aber alle Anwesenden verstanden die Anspielung sehr wohl.

Denn Eric Woerth ist bis über beide Ohren in den Korruptionsskandal um die Milliardärserbin Liliane Bettencourt (die u.a. im Winter 2006/07 den damaligen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy mutmaßlich illegal finanzierte, ihr Vermögen wird derzeit auf 15,4 Milliarden Euro geschätzt) verwickelt. Nach wie vor kommen täglich neue Enthüllungen zu der Affäre hinzu. Beispielsweise wurde Woerth vor nunmehr anderthalb Wochen definitiv der ausdrücklichen Lüge überführt: Er hatte u.a. erklärt, er habe "nie eingegriffen/interveniert", um zu veranlassen, dass Bettencourts Vermögensverwalter Patrice de Maistre die ,Légion d'Honneur' (eine französische Verdienstmedaille, die ihren Inhabern innerhalb der Elite oft Tür & Tor öffnet) verliehen wurde. Dschingderrassabumm: Prompt förderte die Presse drei Briefe zu Tage - einen, in welchem Eric Woerth den Präsidentschaftsanwärter und damaligen Innenminister Sarkozy dazu auffordert, de Maistre das Verdienstkreuz zu überreichen (angesichts des "Interesses", weil de Maistre zu den Finanzierern der Partei UMP zähle, wie es indirekt aber überdeutlich heißt). Und zwei weitere Briefe, in denen de Maistre sich bei Woerth persönlich bedankt. Woerth versuchte sich in heillosen Dementier-Versuchen. Auf einer Pressekonferenz übte er sich in doppelter Verneinung: Er habe "nie behauptet, dass dieser Brief nicht existiert" (sic). Auch hatte Woerth behauptet, er habe "nie in (irgend) ein individuelles Steuerdossier eingegriffen", um Nachlässe bei Steuerforderungen oder Strafzahlungen zu erwirken. Dschingderrrassabummm: Prompt kam ein Dossier hervor, in dem Woerth - als damals zuständiger Minister - sich dafür aussprach, einem mit einem Politkumpan befreundeten Casino-Eigentümer eine fiskalische Nachzahlung zu erlassen. Schon wieder eine Lüge geplatzt.

Am frühen Morgen des gestrigen Mittwoch (15. September) rief eine sozialistische Abgeordnete dem Minister denn auch in der Debatte um die Renten"reform" zu: "Sie haben uns eher daran gewöhnt, zu lügen. Das scheint Ihre zweite Natur zu sein, wenn nicht Ihre Natur." Der amtierende Arbeitsminister reagierte empört und erwiderte: "Collabo!" (Ein Begriff, der ursprünglich für Nazi-Kollaborateure geschaffen wurde.)

Im Laufe des Vormittags an diesem Mittwoch, den 15. September wurde die Parlamentsdebatte autoritär durch den Präsidenten der Nationalversammlung, Bernard Accoyer von der rechten Regierungspartei UMP, abgebrochen. Sozialistische Parlamentsabgeordnete hatten von ihrem Recht Gebrauch gemacht, eine persönliche Erklärung (von fünf Minuten Länge) abzugeben, und insgesamt 165 persönliche Erklärungen angemeldet. Der Parlamentspräsident strich daraufhin einfach die Diskussion und setzte die Abstimmung nach wie vor auf den ursprünglich geplanten Nachmittagstermin, um 15 Uhr, an. Zu dem Zeitpunkt wurde die "Reform" dann auch - durch die Mehrheit der UMP - angenommen.

Zu dem Zeitpunkt versammelte sich eine vier- bis fünfstellige Anzahl von DemonstrantInnen aus unterschiedlichen Gewerkschaften und Linkspartei (die Polizei schätzte sie offiziell auf 6.500) auf der Pariser Place de la Concorde, die dem Parlament gegenüber liegt. Im Energiesektor - aber auch allein dort - fand am gestrigen Tag auch eine Arbeitsniederlegung auf Aufruf der CGT hin statt. Die CGT Energie ruft zu weiteren Streiks am kommenden Donnerstag, den 23. September - landesweiter "Aktionstag" der Gewerkschaften gegen die "Reform", die dann im Senat (dem parlamentarischen "Oberhaus") zur Debatte ansteht - sowie zum europäischen Streiktag gegen Austeritätspolitik am 29. September auf.

Ausführlicheres zur Debatte um die französische "Reform" der Renten, die Widersprüche im Regierungslager, bei der Sozialdemokratie sowie in den Gewerkschaften dazu h i e r im Labournet am morgigen Freitag.

Kurzbericht von Bernard Schmid vom 16.9.2010

Siehe dazu auch:


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