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Updated: 18.12.2012 15:51
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Polarisierung wächst

"Mobilisierungserfolg für studentische und Jugend-Demos - Rechtsradikale lancieren gewalttätige Gegenaktionen" - so beginnt der neue aktuelle Bericht von B. Schmid über den Widerstand gegen die CPE "Polarisierung wächst" vom 17. März 2006

Polarisierung wächst

Mobilisierungserfolg für studentische und Jugend-Demos; Rechtsradikale lancieren gewalttätige Gegenaktionen.

Sie war durch die Medien mehrmals als ‘la manif de tous les risques’ angekündigt worden, als «die Demo aller Risiken». Am Donnerstag gingen die französischen Studierenden und die Oberschüler erneut in Form von massiven Protestzügen auf die Straßen. Aber auch andere jüngere Leute (Arbeitslose, Prekräre...) sowie Angehörige von Lehrberufen in Schulen und Hochschulen konnte man in ihren Demonstrationen antreffen. Nachdem es bereits am vorigen Wochenende und am Dienstag in Paris zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften, aber auch mit militanten Neofaschisten gekommen war, wurde vorab Panik zu stiften versucht. Die Regierung und ein Teil der bürgerlichen Medien übten sich in Beunruhigung. Innenminister Nicolas Sarkozy, der (in Worten) «starke Mann» oder Möchtegern-Muskelprotz des konservativen Kabinetts, empfing am Mittwoch mittag persönlich RepräsentantInnen der studentischen Veranstaltergruppen der Demo vom nächsten Tag. Er schärfte ihnen ein, dass er vor Zwischenfällen warne, und machte seine Gesprächspartner dadurch schon vorab verantwortlich für eventuelle Konfrontationssituationen.

Provokationen, Zwischenfälle, Verhaftungen ?

Von Vielen befürchtet wurden deswegen Provokationen etwa durch aggressive Polizeieinsätze, durch Zivilpolizisten oder auch mit rechtsradikalen Übergriffen wie am Dienstag abend. Aber auch mit oberflächlich anpolitisierten (Möchtegern-)Linksradikalen, die sich in einem Film über Mai 1968 oder einem Original-Remake der damaligen Ereignisse glauben, gab es in den vergangenen 10 Tagen einige Probleme.

In Wirklichkeit hielt sich all dies aber in Grenzen. Die als besonders «neuralgisch» geltende Pariser Demo wurde durch einen stattlichen Ordnerdienst geschützt, den sich die studentischen Gewerkschaften und Streikkomitees bei den Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter und Angestellten «ausgeliehen» hatten. Er wurde durch die Gewerkschaftsbünde CGT, FO, CFDT und durch die relativ linke Lehrergewerkschaft gestellt. Im Laufe der beeindruckenden Demonstration, die von der Place d’Italie im Pariser Süden bis zur Metro-Station «Sèvres-Babylone» führte, kam es bis zum Abschluss zu keinen nennenswerten Zwischenfällen.

Positiv auffällig war die hohe Beteiligung von Jugendlichen auch aus den Banlieues, den Pariser Trabantenstädten, da größere Demonstrationsblöcke von den dortigen Oberschulen (Nanterre, Cergy, Satrouville...) kamen. Auch die unterschiedlichen Hochschulen hatten gut mobilisiert, sogar bis hin zu den Elitehochschulen wie Science Po und der «Ecole normale supérieure», von wo Studierende mit einem Riesentransparten «Normale sup’ gegen die Prekarität» teilnahmen. Viele studentische Protestierende waren in blaue oder schwarze Müllsäcke gekleidet, als Anzeichen dafür, dass «wir ohne Kündigungsschutz alsbald wegwerfbar sind». Erneut stachen die vielen kreativen Begriffsschöpfungen rund um das Kürzel CPE (für «Ersteinstellungs-Vertrag) ins Auge, etwa knapp und treffend: «Cadeau pour exploiteur» (Geschenk für Ausbeuter). Ein junger Mann empfand ihn auch ironisch als «Contrat pour expatriation» (Vertrag zum Auswandern), ansonsten dominierte eher die Vorstellung «Bleibe im Lande und wehre Dich täglich»... Viel Applaus erhielten Abordnungen italienischer Studierender, die mit Bussen aus Turin und Rom angereist waren.

Erst nach Abschluss der Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von jungen Leuten und den Ordnungskräften, auf dem Platz rund um die Métrostation, an der die Auflösung stattfinden sollte. Dieser Platz war auf drei Seiten durch Einheiten der CRS-Bereitschaftspolizei abgeriegelt, die unbedingt jeden Durchbruch verhindern wollten – aus staatlicher Perspektive aus gutem Grund, denn in ziemlich unmittelbarer Nähe liegt das Hôtel Matignon, also der Amtssitz des französischen Premierministers. Eine härtere Konfrontation zu suchen, war an diesem Orte nicht sonderlich klug, da es den CRS-Einheiten ein leichtes war, den Platz (auch von hinten her anrückend) von allen Seiten her abzuriegeln und die Demonstrierenden so einzukesseln. Nachdem die (sozialdemokratisch dominierte) Studierendengewerkschaft UNEF zur Auflösung geblasen hatte, blieben dennoch mehrere hundert Personen auf dem Platz. Dabei handelte es sich einerseits um Jugendliche, die Tücher vor dem Gesicht trugen oder sonstwie eingehüllt waren. Jedenfalls ein Großteil um Banlieuejugendliche, die es potenziell darauf absahen, die alltäglichen Erfahrungen mit Polizeigewalt und –schikanen «zurückzuzahlen». Andererseits blieben aber auch sehr zahlreiche andere Jugendliche, Studierende und auch Erwachsene auf dem Platz, die dem Geschehen zusahen und weder an Attacken auf die CRS teilnahmen noch Anstalten machten, zurückzuweichen oder wegzugehen. Und dies trotz der Pfeffergasgranaten, die alle paar Minuten am vorderten Rand der Absperrungen explodierten und die Luft zunehmend in die Augen stechen lieb und schwerer zu atmen machte. Zu größeren Zwischenfällen kam es an diesem Ort jedoch nicht. Die jugendlichen «Randalierer» demolierten einen (geschlossenen) Zeitungskiosk und warfen mit allerhand Gegenständen über die Absperrung der CRS, ohne den eingepanzerten Beamten viel anhaben zu können.

Gegen 18.30 Uhr rückte die Polizei dann auch von der hinteren und letzten Seite an und zerstreute die verbliebene Menge, ohne dass es zu härteren Auseinandersetzungen kam. Offenkundig hatten sie Order «von oben», relativ defensiv zu bleiben: Wie auch durch die Medien verlautete, wünscht Innenminister Sarkozy nur keine Wiederholung der «Affäre Malek Oussekine». So hieb ein junger Mann, der anlässlich der Studentenproteste im Dezember 1986 (unter der Regierung des damaligen Premierministers Jacques Chirac) durch die Prügelpolizisten von Innenminister Charles Pasqua vom Motorrad aus totgeschlagen wurde. Daraufhin eskalierten die Proteste erst recht, und das damals heftig umstrittene Regierungsprojekt (zur Einführung einer Eingangsselektion an den Universitäten) musste sofort zurückgezogen werden. 13 Monate vor den Präsidentschaftswahlen kann Sarkozy es aber noch weniger gebrauchen, eventuell einen Toten oder Schwerverletzten auf seinem Konto zu haben. – Bei Polizeieinsätzen in Toulouse wurde dennoch am Donnerstag abend eine Studentin schwerer verletzt, ohne dass bisher nähere Einzelheiten dazu vorlägen.

Rund zwei Stunden später kam es im Quartier Latin, dem (inzwischen myhtischen) Stadtbezirk rund um die nach wie vor geschlossene Sorbonne, erneut zu Zusammenstößen der Ordnungskräfte mit kleineren Gruppen, die jetzt weitgehend isoliert agierten. Es sollen auch fünf Autos umgeworfen und zwei angezündet worden sein. Dieses Mal nahmen die Polizisten in größerer Leute fest, die Zahl der Verhafteteten in Paris wurde am Abend mit 181 angegeben. Landesweit kam es zu 300 Verhaftungen, nachdem es vor allem auch in Rennes (wo es 25 Festnahmen am Abend und davor 15 tagesüber gab) gerappelt hatte, dort aber mit überwiegend studentischer Beteiligung. (In Rennes kommt es seit über einem Jahr allwöchentlich zu heftigeren Zusammenstößen zwischen Studierenden und Polizei, nachdem der dortige Präfekt eine neue Sperrstunde im Studenten- und Kneipenviertel verhängt hat. Insofern gibt es dort eine gewisse Tradition...)

Dies war die Botschaft, auf die Innenminister Sarkozy sich am Abend fokussieren wollte: «Und ich hoffe für all jene, die festgenommen worden sind, dass die Justiz sie hart bestrafen wird! » Bei einem martialischen Auftritt am Donnerstag abend in einer Gendarmiekaserne im 4. Pariser Arrondissement behauptete Sarkozy ferner, es seien 46 Angehörige der staatlichen Ordnungskräfte verletzt worden – 39 «mobile Gendarmen» (die dem Verteidigungsministerium unterstehen), von denen 8 stationär behandelt würden, und sieben CRS-Bereitschaftspolizisten (davon 3 stationär behandelte). Weder können diese Zahlen überprüft werden, noch sagen sie allein etwas über die Schwere der Verletzungen aus. In den meisten Fällen dürften sie, angesichts des Ungleichgewichts zwischen straff organisierten Einheiten und meist dilettantisch und kaum organisiert vorgehenden «casseurs» (ungefähr: Krawallanten), nicht dramatisch ausfallen.

Polarisierung. Die konservative Regierung unter Dominique de Villepin scheint fest entschlossen, «ihren Stiefel jetzt durchzuziehen»

In der ersten Wochenhälfte verlautbarte mehrmals, es könnte sich als elegante Lösung herausstellen, dass das CPE-Projekt auf juristischem Wege (etwa wegen Formfehlern oder Missachtung mancher parlamentarischer Verfahrensregeln) vom Verfassungsgericht kassiert werde. Die Oppositionsabgeordneten von Sozialdemokratie, KP und Grünen hatten zu Wochenanfang den französischen Verfassungsgerichtshof bezüglich des Gesetzes zur Schaffung des CPE angerufen. (Gesetzestexte unterliegen auch in Frankreich verfassungsrichterlicher Kontrolle, aber nur, bevor sie im Amtsblatt veröffentlicht worden sind – danach können sie nicht mehr durch die Richter aufgehoben werden. Den Antrag auf ein Kontrollverfahren können u.a. 60 Parlamentarier stellen.) Premierminister de Villepin trat darüber bereits mit dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, dem Altgaullisten Antoine Mazeaud, in Verhandlungen. Das Verfassungsgericht hat einen Monat Zeit, sein Urteil zu fällen, aber die Regierung kann eine Verfahrensbeschleunigung fordern, was ihm eine Woche Zeit lässt. Am Donnerstag abend verlautbarte, die Regierung habe auf die Verfahrensbeschleunigung verzichtet und strebe auch nicht nach einer solchen juristischen «Entsorgung» des Gesetzestextes, die ihm seinen Rückzug bei gleichzeitiger Wahrung des Gesichts («wir haben nicht dem Druck der Straße nachgegeben!») erlaubt hätte.

Wie ‘Le Monde’ in ihrer Freitagsausgabe berichtet, hält Regierungschef de Villepin es nicht (oder nicht mehr) für eine gute Idee, auf diesem Wege aus dem Konflikt herauszukommen. Vielmehr analysiere man in seiner Umgebung, aber auch auf Seiten von Sarkozy als Chef der Regierungspartei UMP, dass die regierende Rechte die kommenden Wahlen im Jahr 2007 verliere, falls sie jetzt nicht Härte an den Tag lege und dadurch ihr Durchsetzungsvermögen beweise. Ihre eigene Wählerschaft würde ihr demnach angeblich ein solches Zurückweichen nicht verzeihen. (Das würde wohl beim harten Kern der konservativen Wähler tatsächlich einige Frustrationen auslösen. Allerdings wünschen laut einer gestern publizierten Repräsentativ-Umfrage 68 % der Franzosen und Französinnen den Rückzug des CPE-Projekts. Dieser Wunsch betrifft damit also nicht allein die Linkswählerschaft.)

Rechtsextreme Vorstöße

Unterdessen wird auch die extreme Rechte bzw. ihr militanter Flügel aktiv. Anscheinend stellt man zumindest in einem Teilbereich des rechtsextremen Spektrums das Kalkül auf, dass man in einer Situation starker Polarisierung (wie sie sich jetzt abzeichnet) Sympathien beim konservativen und streikfeindlichen Teil der Studierenden einheimsen könne, wenn man sich als die konsequentesten Streikgegner erweise. Tatsächlich ist die derzeit amtierende konservative Regierung die erste, die anscheinend in der Lage ist, ansatzweise Teile ihrer sozialen Basis für eine Anti-Streik-Stimmungsmache zu mobilisieren. Ähnliches hatte sich bereits im Juni 2003 erwiesen, als während des damaligen Streiks in Transportmitteln und öffentlichen Diensten (gegen die «Rentenreform») erstmals 15.000 bis 18.000 DemonstrantInnen aus dem konservativ-liberalen Spektrum gegen die Ausstände mobilisiert werden konnten. Bei den Streiks im Dezember 1995 waren die «zornigen Nutzer der öffentlichen Transportmittel», die (vom damaligen konservativen und mitregierenden RPR, Vorläuferpartei der UMP, organisiert) gegen den Streik demonstrierten, noch mit 100 bis maximal 200 Anti-Streik-Demonstranten auf der Place du Châtelet unter sich geblieben.

Bereits am Dienstag abend waren mehrere Dutzend Anhänger der Neonaziorganisation «Bloc identitaire» vor der geschlossenen, aber von Protestierenden umstandenen Sorbonne aufgetaucht. Unter anderem mit dem Ruf «Parasiten raus aus den Unis!» griffen sie Anwesende körperlich an. Die militanten Neofaschisten wurden am Dienstag abend durch die CRS-Einheiten zertreut, aber es wurden keinerlei Verhaftungen in ihren Reihen vorgenommen. Im Anschluss konnten die auseinander gelaufenen Rechtsextremen sich noch in unmittelbarer Nähe der Polizeipräfektur sammeln, um ein Gruppenfoto unter der Statue von «Karl dem Groben» (zwischen der Kathedrale Notre Dame und dem Justizpalast) aufzunehmen.

Am Donnerstag abend tauchten erneut militante Neofaschisten, nach vorliegenden Berichten rund 80 an der Zahl, mit Helmen und Schlagstöcken bewaffnet im Quartier Latin auf. Sie riefen unter anderem wiederum Parolen gegen Linke («Linksradikale, gebt unsere Unis frei!») und «Parasiten». Den Berichten nach verfolgten sie auch einzelne Demonstranten oder Randalierer und schlugen zu. Ersten Agenturberichten zufolge soll es aber dieses Mal auch in ihren Reihen, denen der militanten Neofaschisten, zu Verhaftungen gekommen sein.

An der Universität Toulouse-1, einer sehr konservativ geprägten Universität für Juristen und Sozialwissenschaftler, kam es am Donnerstag ebenfalls zu ähnlichen Zwischenfällen. Die Hochschule Toulouse-1 («L’Arsenal») hatte am Mittwoch zum ersten Mal überhaupt (denn das hatte es dort auch im Mai 1968 nicht gegeben!) per Mehrheitsvotum einer studentische Vollversammlung für die Blockade gestimmt. 449 Stimmen wurden dafür abgegeben, 322 dagegen (man soll also nicht behaupten, die Gegner hätten sich nicht ausdrücken können !). Aber am Donnerstag früh um 7.45 Uhr überfielen rund 25 mit Eisenstangen bewaffnete Rechtsextreme die Streikposten. Laut «Le Monde» in ihrer Freitagsausgabe handelte sich überwiegend um «Studenten dieser Universtität, die schon vorher für ihre extremistischen Positionen bekannt waren». Demnach begrüßten oder ermutigten auch einige anwesende Professoren die Angreifer ungeniert und offen, wie auch der Präsident der Hochschule feststellte und anscheinend beklagte («Einige Hochschullehrer haben sehr wenig Zurückhaltung an den Tag gelegt»). Gegen 9 Uhr früh verlieben die rund 100 anwesenden Besetzer/innen das Hochschulgelände, um noch gewalttätigere Zwischenfälle zu vermeiden. Am Donnerstag tagsüber beschloss der Universitätspräsident Henry Roussillon daraufhin, die administrative Schließung der Hochschule anzuordnen.

Auch die Hochschule Paris-10 in Nanterre wurde am Donnerstag definitiv auch für die Besetzer/innen dicht gemacht, nachdem es dort zu Zusammenstößen gekommen waren, deren Hintergründen (nach den mir bislang vorliegenden Informationen) noch nicht präzise geklärt sind. Der Universitätspräsident hatte am Montag die administrative Schliebung angeordnet. Aber in der darauffolgenden Nacht hatten rund 200 Besetzer/innen im Hochschulgebäude D übernachtet. Dies wurde daraufhin durch die Hochschulverwaltung geduldet, die auch tolerierte, dass die OrganisatorInnen der Besetzung daraufhin ein Programm für die laufende und die nächste Woche im (sozialwissenschaftlichen) Gebäudetrakt C, D und E organisierten. Das durchaus ziemlich anspruchsvolle Programm, das binnen kurzem auf die Beine gestellt wurde, sah u.a. Filmvorführungen, Vorträge über Arbeitsrecht, politische und historische Diskussionen, Debatten mit profilierten (fortschrittlichen) SoziologInnen... vor. Dies alles entfällt nun durch die verfügte definitive Schließung vorläufig auch. Ähnliche Programme laufen aber auch an anderen besetzten Hochschulen ab.

Erfolgreiche Mobilisierung - in Erwartung von «noch mehr» am Samstag. Und danach ??

Größere Demos fanden im Laufe des Donnerstag in Paris sowie in einem guten Dutzend französischer Bezirkshaupt- und Universitätsstädte statt. Insgesamt gingen klar über 300.000 Menschen auf die Straße (die Polizei behauptet: 247.000, die Studierendengewerkschaft UNEF und eine Oberschülergewerkschaft geben 500.000 Teilnehmer an). Eingedenk der Tatsache, dass an diesem Donnerstag allein die Studierenden- und Oberschülerorganisationen mobilisierten und noch nicht die Gewerkschaften von Arbeitern und Angestellten (denn letztere rufen erst am morgigen Samstag zum Straßenprotest auf), kann und muss man von einem bedeutenden Erfolg sprechen.

Allein in der Hauptstadt Paris waren es eindeutig mindestens 50.000 Menschen. (Und hier die unterschiedlichen Angaben: Polizei: 33.000, Veranstalter: 120.000, Nachrichtenagenturen: 50.000, ‘Libération’: über 60.000...) Andere Hochburgen des Protests waren an diesem Donnerstag Bordeaux (6.800 / 25.000 laut Polizei bzw. Veranstaltern/-innen), Marseille (7.000 / 15.000), Lille (6.500 / 12.000), Clermont-Ferrand (4.000 / 10.000) und Lyon (5.000 / 8.000).

Ein quantitativer Zuwachs wird nun von den samstäglichen Mobilisierungen in ganz Frankreich erwartet. Nunmehr sind auch die Arbeiter und Angestellten dazu aufgefordert, sich am Straßenprotest gegen die faktische Abschaffung des Kündigungsschutzes für die unter 26jährigen in Gestalt des «Contrat première embauche» zu beteiligen. Auch aus eigenem Interesse: Es geht nicht nur um altruistische Solidarität und auch nicht allein darum, dass es (für Viele jedenfalls) «die eigenen Kinder» sind, die betroffen sind - auch wenn Letzteres ebenfalls als zugkräftiges Argument wirkt. Denn längst hat Premierminister Dominique de Villepin in Interviews (publiziert am 26. Januar in ‘Le Monde’ und ‘Le Nouvel Obs’) angekündigt, nach Auswertung der Erfahrungen mit den Sonderverträgen CNE und CPE einen «Einheitsarbeitsvertrag» oder ’contrat unique’ anzustreben. Das bedeutet, dass die Sonderregelungen, die eine kündigungsschutzlose Periode beinhalten, auf alle neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse ausgedehnt werden könnten. Jeder kann sich ausmalen, wie sich das auf die Widerstandsmöglichkeiten im «eigenen» Betrieb auswirken dürfte...

Wie ruchbar geworden ist, rechnen die ‘Renseignements Généraux’ (die politische Abteilung der Polizei, ungefähr vergleichbar mit den deutschen Verfassungsschutzämtern) an diesem Sonnabend mit 700.000 DemonstrantInnen frankreichweit. Dazu muss man wissen, dass diese polizeiliche Abteilung einen äuberst «defensiven» Umgang mit Demonstrantenzahlen pflegt; vor dem Aktionstag am 07. März kündigte sie 300.000 Teilnehmer an, in Wirklichkeit wurden es nach realistischen Schätzungen mindestens 800.000. (Die Polizei sprach im Nachhinein von «396.000», die CGt von «über einer Million».)

Wird die samstägliche Kraftprobe tatsächlich zum unverkennbaren Erfolg, dann werden die Gewerkschaftsapparate kaum umhin kommen, dem Druck zur Ausrufung eines Streiks nachzugeben. Derzeit zirkuliert die, ursprünglich aus Kreisen der radikalen Linken lancierte und durch die Nationale Koordination der Studierenden/ jungen Arbeiter/ Prekären... aufgenommene Idee eines landesweiten Streiktags am nächsten Donnerstag, 23. März. Die CGT als größter Gewerkschaftsbund dagegen verficht die Vorstellung, einen nächsten Aktionstag solle man erst vom 28. und 30. März abhalten, und favorisiert anscheinend das Datum des 30. März. Also zwölf Tage nach den Mobilisierungen vom Samstag, damit die Dynamik auch schön verpuffen kann...

Dem Vernehmen nach hat die CGT einerseits Angst vor einer unkontrollierbaren Dynamik und vor politischen Turbulenzen (einem Rücktritt des Kabinetts von de Villepin, ...), deren Konsequenzen sie derzeit nicht überschauen kann - Während der Apparat sich darauf eingestellt hatte, dass man «so schön» kalendermäßig die Sozialdemokraten ab 2007 die Regierungsgeschäfte übernehmen lasse und danach alles so viel einfacher werde. Ferner ist auf den 23. März der offizielle Streikbeginn beim Energieversorgungsunternehmen Gaz de France (GDF) gegen die drohende Privatisierung (um die Fusion mit dem Suez-Konzern, einem Wasserversorger, zu ermöglichen) angesetzt. Aus der Konvergenz zwischen zwei gleichzeitigen Streiks könnte eventuell eine Dynamik erwachsen, bei der manchen Bürokraten unwohl wird. Ferner finden am 23. März auch die Personalratswahlen bei der Eisenbahngesellschaft SNCF statt. Deshalb auch sperrt sich die CGT bei den Eisenbahnern bisher gegen jede Streikbewegung bei der Bahn, da sie bloß nicht ihren Truppen zumuten will, vor den Personalratswahlen Lohnausfälle wegen Arbeitsniederlegungen hinzunehmen (daraus folgenden Unmut fürchtend). Dem Vernehmen nach diskutieren derzeit die CGT-Mitglieder bei der Bahn vor allem nur über die Wahlen, die Eisenbahner selbst dagegen eher über die Bewegung gegen den «Contrat Première Embauche»... Streikaufrufe bei der Bahn, etwa beim landesweiten Aktionstag vom 07. März, gab es daher bisher nur von SUD Rail (linke Basisgewerkschaft) und von FO («überparteilich» und populistisch).

B.Schmid am 17. März 2006


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