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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Was bleibt von der Anti-CPE-Bewegung ?

Eine (vorläufige) Bilanz und Versuch einer inhaltlichen Bewertung
Teil 1 (von 2) : Die Repression

Konfliktende in Frankreich? Streiks und Massendemonstrationen sind vorerst abgeklungen, nachdem die konservative Regierung unter Dominique de Villepin einen wichtigen Teilrückzieher bekannt gegeben hat und den «Ersteinstellungsvertrag» CPE zurückzog. Aber eine aktive Minderheit machte auch die gesamte letzte Woche hindurch weiter mit - oft symbolischen - Blockadeaktionen, mit kleineren Protestzügen oder Besetzungen öffentlicher Institutionen. Ihre Aktionen richteten sich vor allem gegen die fortdauernde Gültigkeit aller übrigen Bestimmungen des Gesetzespakets namens «Gesetz zur Chancengleichheit», nachdem der darin enthaltene Artikel zur Einführung des «Ersteinstellungsvertrags» CPE zurückgezogen worden ist. Der Ausdruck von « Siegesparaden », den Indymedia-Germany vorige Woche zur Beschreibung der andauernden (aber im Vergleich zu Anfang April schwächeren) Proteste in manchen französischen Städten benutzte, dagegen ist ebenso pathetisch wie falsch oder übertrieben.

Die Repression

Nicht zu Ende ist der Konflikt mit den politischen und wirtschaftlichen Machthabern aber auch, unzweifelhaft, für die zahlreichen Betroffenen der staatlichen Repression. Selten fiel diese in den letzten Jahrzehnten derart massiv aus, angesichts einer sozialen und politischen Protestbewegung von solcher Breite und gesellschaftlicher Verankerung. Seit Anfang März wurden über 4.000 Festnahmen binnen weniger Woche verzeichnet. Nur in Paris waren es (laut 'Libération' vom 15./16. April) 2.143 Festnahmen, zuzüglich 1.478 Personalienfeststellungen. 547 Personen wurden in Polizeigewahrsam gehalten. Damit ist zahlenmäßig beinahe das «Niveau» der Verhaftungen infolge der Riots in den Banlieues im Oktober/November 2005 erreicht: In ihrem Verlauf wurden insgesamt 4.700 Personen festgenommen, und später über 1.000 verurteilt, mehrheitlich zu Haftstrafen, von denen ein Teil ohne Bewährung verhängt wurde. Schon zu einem frühen Zeitpunkt der Anti-CPE-Bewegung, Ende Februar, hatte die studentische Streikkoordination ihre kollektive Amnestie bzw. Freilassung gefordert. Inzwischen gibt es einen neuen Appel, den unter anderem die KP-nahe Tageszeitung 'L'Humanité' powert, unter dem Titel: «Nein zum repressiven Furor - Amnestie für die Jugendlichen aus der Anti-CPE-Bewegung». Der Aufruf erschien auf der Titelseite von 'L'Humanité' vom 13. April und wird durch ein breites Bündnis von Kräften unterstützt, von der radikalen Basisbewegung «Droits devant» über die CGT bis hin zur altehrwürdigen Bürgerrechtsorganisation «Liga für Menschenrechte» (LDH) .

Auch die Justizmaschinerie arbeitet nämlich auf vollen Touren. Allein in der französischen Hauptstadt wurden bereits 85 Personen in Eilverfahren den Richtern vorgeführt (gemäß der Prozedur der 'comparution immédiate', die bei Flagranti-Delikten angewandt wird und bei der die Angeklagten von der Verhaftung bis zum Urteilsspruch in den Händen der Justizpolizei bleiben). 128 andere Personen erhielten Vorladungen der Justiz für die kommenden Wochen und Monate. In ganz Frankreich laufen aktuell Strafverfahren gegen 1.270 Personen.

Schlechte Anklagedossiers und Haftstrafen ohnen Bewährung

Die Anklagen sind häufig offenkundig schlecht konstruiert, beruhen auf Aussagen von Polizeizeugen und enthalten mitunter flagrante Widersprüche: Der Angeklagte wird durch die Polizeizeugen in ihren Aussagen als Träger eines langen dunklen Mantels betrieben - wurde aber mit einer kurzen hellen Jacke aufgegriffen, die er auch im Gerichtssaal trägt ? Macht nichts, eine Verurteilung (seien wir großzügig, die Haftstrafe können wir ja zur Bewährung aussetzen) als «Warnung» kann doch nicht schaden. In einem anderen Fall kommt ein junger Angeklagter dagegen gerade noch davon, nachdem ein Polizist infolge seiner Festnahme steif und fest behauptete, er habe am 16. März, also drei Wochen vorher (!) Gegenstände geworfen : «Ich habe mir seine markanten Gesichtszüge gemerkt». Dumm gelaufen - der Angeklagte konnte beweisen, dass er sich am 16. März fernab der Pariser Demo aufhielt. So mokiert die linksliberale Tageszeitung 'Libération' (o.g. Ausgabe) in ihrem Überblicksbericht schon in der Artikelüberschrift «Die leeren Akten der Anklage».

Anfänglich erschien es so, als komme dieses Prozedere vor allem gegen Jugendliche aus Unterschichtsfamilien in den Trabantenstädten, oftmals mit Migrationshintergrund, also gegen 'jeunes de banlieue' zur Anwendung. Doch die Pariser Anwältin Dominique Noguères beschreibt in der KP-Tageszeitung 'L'Humanité' vom 13. April eine andere Tendenz: «Im Laufe der Anhörungen erhielt ich wirklich den Eindruck, dass man diesen Jugendlichen 'aus guter Familie' eine Lektion erteilen wollte, um ihnen zu verstehen zu geben, dass man sich gefälligst von Demonstrationsplätzen nach Auflösung der Versammlung fern hält. In ihren Fällen zögert man nicht, kürzere Haftstrafen ohne Bewährung zu verhängen, da man schätzt, dass sie schon nicht ihre Aussichten deshalb verlieren werden, weil Papa-Mama ja für sie da seien. Aber man kommt nie unbeschadet aus dem Gefängnis heraus.» Demnach ging es eher darum, eine soziale «Entmischung» zu befördern, indem man den Jugendlichen aus den Mittelschichten signalisiert, dass sie sich von den Banlieuejugendlichen - die nach Demoauflösung gerne da bleiben, um ein Hühnchen mit der Polizei zu rupfen - und Anarchisten besser fern halten.

Mehrfach erwähnen Berichte (in 'Libération` oder dem 'Journal du dimanche') auch, dass Angeklagte mit blauem Auge oder anderen Spuren von Schlägen, die bei der Festnahme entstanden, vor ihren Richter traten.

Aber auch die verhängten Strafen haben es oftmals in sich. In ganz Frankreich wurden bisher mehrwöchige oder gar mehrmonatige 68 Haftstrafen ohne Bewährung, und 167 mit Bewährung verhängt. Die häufigsten Urteilsgründe sind Beamtenbeleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt (bei der Festnahme) und in einigen Fällen der Einsatz von «Wurfgeschossen» auf Polizisten, auch wenn die angeblich oder tatsächlich geworfenen Gegenstände - angefangen bei leeren Bierdosen - häufig ihr Ziel verfehlten. An solchen Handlungen beteiligten sich landesweit tausende auch «normaler», vor allem studentischer Demonstranten. Eine Hochburg solcher Ansätze von Massenmilitanz lag etwa im westfranzösischen Rennes, wo bereits im Vorfeld eine gewisse studentische Tradition entstand - seit anderthalb Jahren scheppert es dort einmal pro Woche, aufgrund eines Streits um die Sperrstunde im Studentenkneipenviertel.

Nicht bekannt ist dagegen, dass bisher auch nur ein einziger Jugendlicher oder junger Erwachsenen aufgrund von Gewalttaten gegen Demonstrantinnen verurteilt worden wäre, die es auch gegeben hatte und die für die besonders schockierenden Bilder vom 23. März 06 aus Paris sorgten. In Wirklichkeit waren solche Überfälle, die sich gegen Teilnehmer richteten und in der Regel nach der Auflösung der großen Demonstrationen erfolgten, auf einzelne Mobilisierungsdaten beschränkt. Am gravierendsten waren die Gewalttaten am 23. März in Paris vor dem Invalidendom, wo einige hundert oder tausend Demonstranten im Anschluss an den Protestzug auf dem Platz verblieben, um abzuwarten, was passieren würde. Denn einige Gruppen hatten dazu aufgerufen, danach noch - trotz Verbots - vor das nahe gelegene Parlament zu ziehen. Durch den Abzug der Ordnerdienste entfiel, im selben Moment, der passive Schutz der Demos durch die zuvor gebildeten Ketten. Der Sicherheitsapparat ging mit dieser Gewalt um, wie es sich aus einer Herrschaftsperspektive heraus gebührt: Er nahm sie nicht als Problem wahr, das ihn zu kümmern hätte - sondern konzentrierte sich auf die Festnahme von Parolen, die etwa Schmähparolen gegen Polizisten gerufen hatten.

Doch diese Erfahrung hat doch für eine größere politische Konfusion gesorgt. Ein Teil der «moderaten» Regierungskritiker, etwa die parlamentarische Opposition, riefen daraufhin nämlich nach «stärkerer Sicherheit» und scholten die Polizei der Untätigkeit - obwohl diese gar nicht passiv geblieben war, aber eben klare Prioritäten in ihrem repressiven Vorgehen verfolgt hatte. Innenminister Nicolas Sarkozy antwortete darauf mit dem «Angebot», dann möge man doch bitte erlauben, dass Polizisten in Zivil oder in Uniform auch innerhalb der Demonstrationsgblöcke, also hinter den Ordnerketten, in Einsatz kommen könnten. Dieses Ansinnen wurde durch die größte Gewerkschaft, die CGT, zwar deutlich zurückgewiesen.

Aber im Gegenzug beteiligte sich der Ordnerdienst der CGT bei der vorletzten Pariser Großdemo zusammen mit Zivilpolizisten an einer Prügelaktion gegen Banlieuejugendliche. Diese wurden überwiegend durch ihr Aussehen identifiziert, und beileibe nicht alle dürften mit aggressiven Absichten gegen Demonstrantinnen gekommen sein. Erfahrungsgemäßkamen im Pariser Raum rund 90 Prozent der Jugendlichen aus Trabantenstädten, die in die Innenstädte hereinfuhren, zum Demonstrieren wie alle anderen auch. Denn auch in den Banlieues - vor allem im Norden von Paris - war die Protestbewegung massiv verankert, es gab dort zahlreiche Besetzungen von Oberschulen, auf die oft mit massiven Polizeiprovokationen geantwortet wurde. Von den übrigen 10 Prozent wiederum strebte der Großteil vor allem danach, ein Hühnchen mit der Polizei zu rupfen, oder eventuell ohne Bezahlung in teuren Geschäften einzukaufen. Vielleicht ein Prozent gehörte zu Jugendgangs, die auch gewaltsam auf Demonstrierende einprügelten. Dieses Agieren von einigen dutzend, maximal ein paar hundert Personen hinterließdennoch prägende Bilder. Letztere beförderten manchmal Segregationstendenzen innerhalb der Demos - die jungen weißen Protestierenden auf der einen, Trabantenstadt- und und Migrantenjugendliche auf der anderen Straßenseite -, und nur unzureichend wurde als Skandal wahrgenommen, dass bei den letzten Demos in Paris massive Polizeikräfte den Zugang zur Hauptstadt für Teile der Banlieuejugend abriegelten. Sie verhinderten etwa Anfang April am Pariser Nordbahnhof den Übergang vom Vorortzug RER in die Metro.

Bernard Schmid, 19.04.2006


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