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Updated: 18.12.2012 15:51
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Streik- und Protesttag am 4. April: stärkste Mobilisierung bisher

Das Manöver ist nicht aufgegangen. Die Fernsehansprache, die der französische Präsident Jacques Chirac am vorigen Freitag abend vor fast 21 Millionen Zuschauern (dies entspricht einer Einschaltquote von stolzen 92,5 Prozent) hielt, konnte die aufgewühlte soziale Situation nicht beruhigen. Die Mobilisierung auf den Straßen fiel am gestrigen Dienstag noch stärker aus, als vor 8 Tagen.

In Paris dauerte der Demonstrationszug etwas über 4 Stunden zwischen dem Eintreffen der Spitze und des hintersten Blocks auf der Place d'Italie, im Süden der Hauptstadt. Damit dauerte er circa 10 Minuten länger als jener vom vorigen Dienstag (28. März), der dieselbe Route genommen hatte, nur in umgekehrter Richtung gelaufen war. Vor allem aber war die «Masse» der Demonstrierenden dieses Mal noch wesentlich kompakter und dichter als beim vorigen Mal, und neben der Straße wurden des öfteren auch die Trottoirs benutzt, um überhaupt von der Stelle zu kommen. Nach realistischen Schätzungen kann man von circa 300.000 DemonstrantInnen am vorigen Dienstag, und von eher rund 400.000 am gestrigen Tag ausgehen. (Die Polizei gibt für gestern die Zahl von «82.000» an, die unterhalb der von voriger Woche liegt, und versucht damit den Eindruck eines Rückgangs der Mobilisierung zu erwecken. Die CGT ihrerseits gibt in beiden Fällen «700.000» DemonstrantInnen an. Falls die CGT endlich mal mit dem sinnlosen Aufblähen ihrer Angaben aufhören würde, die dafür sorgt, dass sie nach der hohen Zahl von voriger Woche keine noch höhere angeben konnte, ohne lächerlich zu wirken - dann hätte auch sie zutreffend angeben können, dass die Mobilisierung gestern stärker war als am 28. März.)  

Auffällig war am gestrigen Dienstag die Präsenz vieler Transparente und Demoblöcke, die neu in der Mobilisierung waren, verglichen mit den Demos der Vorwochen. Zahlreiche Mittel- und Oberschulen waren mit eigenen Blöcken und Transparenten hinzugekommen, oftmals gemischt aus LehrerInnen und SchülerInnen bestehend, zum Teil mit Eltern durchmischt. Bemerkenswert war ein gemeinsamer Block von Studierenden und Sans Papiers («illegalen» EinwandererInnen). Momentan halten im südlichen 14. Bezirk von Paris mehrere hundert Sans papiers, denen sich gegen den CPE opponierende StudentInnen vor Ort angeschlossen haben, ein größeres öffentliches Gebäude besetzt. Dieses wurde früher durch die Ausländerbehörden genutzt wurde und stand ansonsten, bis vor kurzem, leer. Die gemeinsame Besetzung dauert bereits seit dem 18. März an, dem zehnten Jahrestag des 18. März 1996, an dem mit der Besetzung der Pariser Kirche Saint-Ambroise die neue Sans papiers- und Solidaritätsbewegung anfing.

Im Anschluss an die Demonstration kam es auf der Place d'Italie zu Scharmützeln mit der Polizei. Einige hundert DemonstrantInnen waren auf dem Platz geblieben, während Banlieue-Jugendliche zunächst einen großeren Pulk von Zivilpolizisten zu attackieren versuchten, worauf ein brutaler Einsatz der uiformierten Bereitschaftspolizei (CRS) antwortete. Die ganze Zeit über blieben aber auch sonstige, friedliche DemonstrantInnen in der Nähe, was eine totale Eskalation der (Polizei-)Gewalt verhinderte oder sicherlich eindämmte. Das hässliche Szenario vom Platz vor dem Invalidendom, wo am 23. März Jugendgangs aus den Vorstädten auch einzelne DemonstrantInnen angriffen und beraubten, wiederholte sich nicht einmal im Ansatz: Vorherrschend war am Dienstag abend eher die gemeinsame Solidarität gegenüber Polizeiübergriffen. Es handelt sich natürlich auch nicht um dasselbe Profil von Jugendlichengruppen aus den Vorstädten, die durchaus unterschiedlich «drauf» sind. Im Vorfeld hatte es in den öffentlichen Verkehrsmitteln bereits systematische Kontrollen gegenüber Vorstadtjugendlichen gegeben, die anlässlich der Demonstration in das Pariser Stadtgebiet fuhren. Und am Pariser Nordbahnhof (Gare du Nord) verhinderte ein größerer Polizeikordon das Umsteigen vom Vorortzug RER B, der aus den nördlichen Pariser Banlieues dort eintrifft, in die Métro.

Ein (Schwer- ?) Verletzter wurde gegen 21 Uhr durch die Sanitäter der Feuerwehr evakuiert. Kurz darauf begab sich der Pariser Polizeipräfekt persönlich, Pierre Mutz, in Anzug und Krawatte auf den Platz, um den Einsatz zu überwachen, umringt von einigen uniformierten und Dutzend zivil gekleideten Polizisten. Nach wie vor ist auffällig, dass viele Zivilpolizisten sich durch Aufkleber der radikalen Linken oder von Gewerkschaften tarnen, was die Angehörigen von deren eigenen Ordnerdiensten künftig potenziell in Gefahr bringen könnte. Die LCR, eine Partei der radikalen Linken, protestierte am Dienstag öffentlich gegen die missbräuchliche Benutzung ihrer Aufkleber (die sich die Leute massenhaft in den Demozügen anstecken, neben denen der KP zum Thema, die ebenfalls ziemlich gut gemacht) durch Polizisten. Ihre Reaktion wurde auch durch die Pariser Abendzeitung 'Le Monde' abgedruckt.

Anders als am vorigen Dienstag auf der Place de la République kooperierte dieses Mal der Orderdienst der Gewerkschaften, und vor allem jener der CGT, nicht offensichtlich mit den zivil Greiftrupps der Polizei gegen die Vorstadtjugendlichen. Die Tageszeitung 'Libération' hatte am Mittwoch oder Donnerstag voriger Woche explizit bestätigt, dass es am 28. März eine (informelle, aber abgesprochene) Kooperation zwischen Zivilpolizisten und Ordnerdiensten gegeben habe, um jugendliche Randalierer vor allem aus Vorstadtgangs aufzugreifen. Dies war die «Gegenleistung» für die offiziell durch die CGT proklamierte Ablehnung des Ansinnens von Innenminister Nicolas Sarkozy, der im Vorfeld gefordert bzw. angekündigt hatte, dass die Polizei auch innerhalb ( !) der Demonstrationsblöcke - d.h. hinter den Linien der Ordnerdienstketten - präsent sein und Verhaftungen vornehmen solle.

Landesweit: Über zwei Millionen

In ganz Frankreich waren (nach realistischen Schätzungen) über 2 Millionen DemonstrantInnen unterwegs. Auch die frankreichweite Mobilisierung liegt ein bisschen über jener vom vorigen Dienstag (gut zwei Millionen). Aus vielen Städten wurden höhere DemonstrantInnenzahl vermeldet, so aus Marseille, wo die Abstände zwischen den Veranstalter- und den Polizeiangaben nach wie vor grotesk sind. Für Marseille gibt die Polizei 35.000 DemonstrantInnen an (und damit im Vergleich zu ihren eigenen Angaben aus der Vorwoche eine höhere Zahl), die VeranstalterInnen sprechen gleichbleibend von 250.000 Teilnehmern. Für Nantes geben die VeranstalterInnen 100.000 DemonstrantInnen an und die Polizei 52.000, in Bordeaux sind es respektive 120.000 und 45.000. Alle vier Angaben liegen über den Zahlen der jeweiligen Seite für die Vorwoche. In Grenoble demonstrierten 60.000 laut VeranstalterInnen (gleichbleibend) und 28.000 laut Polizei (eine höhere Anzahl als in der Vorwoche) und in Toulouse 90.000 laut OrganisatorInnen (ein Zuwachs) und 35.000 laut Polizei (dies wäre eine Abnahme). Für Avignon sprechen realistisch einschätzende KorrespondentInnen von 25.000 an diesem Dienstag statt 20.000 vorige Woche (Organisatoren; 25.000 - gleichbleibend, Polizei: 15.000 und Zuwachs).

Der CPE: Schon mausetot ? Vorsicht !

Zwar wiegen viele Medien die OpponentInnen gegen den CPE derzeit in trügerischer Sicherheit und im Glauben, schon jetzt halb gewonnen zu haben. So übertitelte die sozialdemokratisch-linksliberale Tageszeitung 'Libération' (die gegen den CPE eintritt) ihre Ausgabe vom Dienstag vormittag: «CPE, Cortège pour un enterrement». Also sinngemäß: «CPE, Marsch für eine Beerdigung». Dies erweckt den Eindruck, dass der CPE schon mausetot sei.

Aber das Gesetz, das am Sonntag - das Datum vom Freitag, 31. März tragend - nunmehr im 'Journal Officiel' (Amtsblatt, Gesetzesanzeiger) abgedruckt wurde, ist durch die Unterschrift des Präsidenten und durch die Publikation im JO nunmehr voll anwendbar. Zwar forderte Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis Borloo am Montag früh die Betriebe auf, derzeit bitte noch keinen Vertrag vom Typ CPE zu unterzeichnen. Dies hat aber keinerlei rechtlich bindende Wirkung. Der linksliberale Abgeordnete Roger-Gérard Schwartzenberger ergriff deswegen die sarkastisch begründete Initiative, Strafanzeige gegen Minister Borloo aufgrund des «Versuchs, die Anwendung eines geltenden Gesetzes zu verhindern oder zu blockieren» zu stellen.  Dies ist nach dem französischen Strafgesetzbuch (Code Pénal) ein Straftatbestand, der mit Geld- und Haftstrafen geahndet werden kann.

Innenminister Sarkozy wird jetzt im Regierungslager die Initiative übernehmen und mit den Gewerkschaftsorganisationen sowie Studierendenverbände über die nähere Zukunft des CPE verhandeln. Der Premierminister Dominique de Villepin ist damit zum Teil desavouiert. Sarkozy, der ansonsten im Prinzip für eine wesentlich härtere Gangart beim neoliberalen Umbau der Sozialsysteme und des Arbeitsrechts steht, versucht sich derzeit an dieser Frage als Mann des «sozialen Dialogs» zu profilieren. Die auif Enthüllungen abonnierte Wochenzeitung 'Le Canard enchaîné' vom Mittwoch morgen zitiert ihn sogar mit den Worten, die am Wochenende gegenüber seiner unmittelbaren Umgebung fielen: «In meinem Kopf ist der CPE schon tot. In 14 Tagen bleibt nichts davon übrig. (...) Diese ganze Geschichte verleiht mir eine soziale Dimension, die mir fehlte.» Wen Sarkozy eigentlich politisch töten möchte, das ist freilich nicht wirklich der CPE, sondern vielmehr der amtierende Premierminister Dominique de Villepin - sein großer Rivale im Kampf um die konservative Präsidentschaftskandidatur.

Wird Sarkozy also den CPE seiner persönlichen politischen Zukunft und seinen Karriererabsichten «opfern»? So simpel wird es wohl kaum ablaufen. Präsident Chirac gab Sarkozy, der jetzt als Verhandlungsführer gegenüber den Gewerkschaften auftritt (wie bereits anlässlich der sozialen Krise um die «Rentenreform» im Juni 2003, wo er den «starken Mann» statt des total auf die Seite gedrängten Bildungsministers Luc Ferry spielen konnte), strikte inhaltliche Vorgaben. Nur in Absprache mit den zuständigen Ministern und ohne vorschnelle Beerdigung des CPE dürfe Sarkozy verhandeln, so ist es der Dienstagsausgabe von 'Libération' zu entnehmen. Und 'Le Canard enchaîné' vom Mittwoch zitiert den eifersüchtigen und gekränkten, da vorübergehend marginalisierten Premierminister de Villepin - der an einige kleine und mittelständische Betriebe die Empfehlung gegeben habe, doch bitte jetzt so schnell wie möglich einige CPE abzuschließen, um Tatsachen zu schaffen. 

Den heftigen sozialen Protest und die Opposition auf die Straße konnte dies aber nicht zur Ruhe bringen, während die konservative Regierung sich zumindest erhofft hatte, einen Stillstand oder Rückgang der Mobilisierung ankündigen zu können.

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 5.4.06

Siehe dazu auch: 4. April in Paris: Bisher größte Demonstration gegen CPE. Kommentierte Bildergalerie von Bernard Schmid - exklusiv im LabourNet Germany


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