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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schlappe Demos, aber potenziell angespannte soziale Situation

Mitte der vergangenen Woche hatten wir unseren Leser/innen ursprünglich für vorigen Donnerstag einen Bericht über die gewerkschaftlichen Demonstrationen vom "Aktionstag für menschenwürdige Arbeit" am 7. Oktober versprochen. (Vgl. den Artikel) Nun fiel dieser Bericht leider aus. Allerdings nicht aus Faulheit, sondern schlicht aufgrund der Tatsache, dass es unglücklicher Weise gar nichts zu berichten gab.  

Laut Angaben der Gewerkschaftsdachverbände, die für gewöhnlich die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen aus gewerkschaftlichen Anlässen aufblähen (ähnlich, wie die französische Polizei sie systematisch untertreibt), beteiligten sich an jenem Tag an Demonstrationen in rund 90 französischen Städten insgesamt 112.000 Menschen. Kurz ausgedrückt, in einem Land, wo man an starke soziale Bewegungen und (oft) quantitativ hohe Beteiligungsquoten an Streiks und Protestmärschen gewöhnt ist, handelte es sich um einen echten Schlag ins Wasser.

Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass der schon seit rund zwei Jahren vorbereitete "Aktionstag" vom 7. Oktober aufgrund der aktuell sich überschlagenden Ereignisse -- Stichworte: Finanzkrise und (im französischen Falle lt. Angaben der Regierung bereits begonnene) Rezension -- ins Hintertreffen geraten ist. Hinzu kommt, dass die Vorbereitung der "Sozialwahlen" (d.h. die Wahl der Arbeitsgerichte, die in Frankreich durch Laienrichter besetzt werden, durch 15 Millionen abhängig Beschäftigte) derzeit einen Großteil der Aufmerksamkeit der Gewerkschaftsapparate absorbiert. Proteste organisieren möchten diese im Augenblick zwar im Prinzip schon; aber nur, falls sie sich damit kostengünstig profilieren müssen, ohne jedes mit einem Konflikt - den man gewinnen oder auch verlieren kann - verbundene Risiko einzugehen.

Dennoch wäre es unbegründet, wollte der regierende Bürgerblock sich - vor diesem Hintergrund einer sich selbst schwächenden, da in ihrem Aktionsspielraum systematisch begrenzenden - Gewerkschaftsbewegung ausruhen wollte. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' warnt ihn, in ihrer Ausgabe vom 11. Oktober, vor: "In einem Rundschreiben vom 7. Oktober, das unter dem Titel ,Der Riss' steht, zieht die Vereinigung ,Entreprise et Personnel' (E & P), die über 150 Personalchefs von Unternehmen umfasst, die Alarmglocke. In den kommenden Monaten, beobachtet sie, ,drohen alle Komponenten für eine soziale Krise zusammen zu kommen: geringe Zustimmung zu den politischen Machthabern, Fehlen einer glaubwürdigen politischen Alternative (Anm.: in Gestalt der parlamentarischen Oppositionsparteien), die Zunahme schwer erträglicher persönlicher Situationen, zunehmende Konflikte in Unternehmen, die zur Ausgabenreduzierung oder gar zu Kündigungen gezwungen sind, sowie eine schleichende Revolte der öffentlich Bediensteten."

Allerdings sagt E & P demzufolge keinen globalen, schweren Konflikt (als "Schwarz-oder-Weiß-Situation") voraus, sondern eher eine "Grausituation" mit "harten aber punktuellen Konflikten, vor allem in solchen Unternehmen, die entlassen oder aber Lohnkürzungen vornehmen". Eine generelle Ausweitung der sozialen "Konfliktualität" sieht die Vereinigung von Personalchefs v.a. größerer Betriebe in naher Zukunft demnach nicht kommen. Unter anderem wohl aufgrund der Tatsache, dass die Gewerkschaftsverbände auf eine solche Zuspitzung mitnichten hinarbeiten, und sie auch keinesfalls wünschen.

Dass es "punktuell" zu starker "Konflikthaftigkeit" der sozialen Beziehungen kommen kann, bewies in der ersten Oktoberwoche der gescheiterte Besuch von Präsident Nicolas Sarkozy am Renault-Standort in Sandouville (in der Nähe von Rouen). Dort, wo der Autohersteller den Abbau von 1.000 Arbeitsplätzen - von insgesamt 3.700 am Ort - und dadurch absehbare Massenentlassungen angekündigt hat, wollte Präsident Sarkozy am 6. Oktober die Botschaft verkünden, er lasse den Standort nicht untergehen. Unter massivem Druck der protestierenden abhängig Beschäftigten, die seinen hehren Worten keinerlei Glauben schenken mochte, musste Nicolas Sarkozy jedoch auf sein Besuchsprogramm weitestgehend verzichten. Massive Polizeikräfte hielten unterdessen die Lohnabhängigen des Fabrikstandorts zur Seite abgedrängt, während Sarkozy sich mit den offiziellen Repräsentanten der Gewerkschaften vor Ort traf. In der Folgezeit musste der Präsidentenbesuch jedoch de facto abgebrochen werden. So fiel das vorgesehene Zusammentreffen Sarkozys mit 400, zuvor ausgesuchten, "Mitarbeitern" des Werks notgedrungen ins Wasser.

Das sozialliberale Wochenmagazin ,Nouvel Observateur' zitiert jedoch in seinem Artikel über die Proteststimmen, anlässlich des Sarkozy-Besuchs in Sandouville, ausgerechnet die Vizepräsidentin des rechtsextremen Front National: Marine Le Pen. (Vgl. den Artikel externer Link) Letztere hatte sich allerdings lediglich verbal und aus der Ferne zum Thema geäußert, u.a. mit den Worten, Sarkozys Besuch diene lediglich dazu, dem Standort und den dortigen Arbeitsplätzen "die letzte Ölung zu erteilen". Ausgerechnet sie als angebliche Proteststimme in den Vordergrund zu schieben, ist auch eine Methode, soziale Widerstände zu schwächen und sozialen Bewegungen einen Bärendienst zu erweisen..

Unabhängig davon ist es ein politisches Problem, dass sich die (Ton angebende) CGT vor Ort in Sandouville zum Teil nationalistisch und chauvinistisch geäußert hat. So äußerte einer ihrer Sprecher im französischen Fernsehen, man werde alle nach Rumänien ausgelagerten Firmen wieder "zu uns heimholen". Für die rumänischen Kolleginnen und Kollegen - für deren Streik bei Dacia es vor wenigen Monaten eine massive Solidaritätskampagne in Frankreich gegeben hatte - hatte er kein Wort übrig. Stattdessen wollte er die jeweiligen so genannten nationalen Standorte Frankreich und Rumänien gegeneinander ausspielen. Dem Protest der Lohnabhängigen nimmt dies keinesfalls die grundsätzliche Legitimität. Doch es wirkt desorientierend und auf die Dauer klassenpolitisch gefährlich.

Bernard Schnid, Paris, 14.10.2008


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