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Updated: 18.12.2012 15:51
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Guadeloupe: Zahlen - vielleicht, unterschreiben - keinesfalls...

Die Erhöhung der niedrigsten Löhne (bis zum 1,4fachen des Mindestlohns) um 200 Euro, die die Allianz LKP erkämpft hatte, werden von zunehmend mehr Unternehmen ausbezahlt - dafür bekommen sie ja Staatshilfe. Aber auch viele jener Unternehmen und Verbände die die Erhöhung ausbezahlen, unterschreiben das entsprechende Abkommen nicht. Dann bleibt die Sache "freiwillig", und wenn... die aktuelle Analyse "Es klemmt bei der Umsetzung des Abkommens zwischen Staatsmacht und LKP. Allgemeinverbindlich-Erklärung verschoben" von Bernard Schmid vom 27. März 2009.

Auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe: Es klemmt bei der Umsetzung des Abkommens zwischen Staatsmacht und LKP. Allgemeinverbindlich-Erklärung verschoben

"Es klemmt in Guadeloupe für die 200 Euro" übertitelt die linksliberale Tageszeitung ,Libération' einen Artikel vom Dienstag dieser Woche. Der Grund: Es ist zur Stunde noch völlig unklar, ob - wie es zeitweise schien - eine Mehrheit der Lohnabhängigen auf der französischen Karibikinsel in den Genuss der 200 Euro Erhöhung für alle tiefen tiefen Löhne (bis zum 1,4fachen des gesetzlichen Mindestlohns, d.h. rund 1.400 Euro nett) kommen wird.

In der Nacht vom o4. zum o5. März dieses Jahres hatten das Kollektiv LKP (kreolisch für "Zusammen gegen die Ausbeutung"), die Staatsmacht sowie die - sozialdemokratisch geführte - Regional- und Bezirksregierung der Insel ein Abkommen geschlossen. Es sah eine "Beendigung" der Krise und die Erfüllung eines Katalogs von rund 140 Forderungen vor. Deren wichtigste war die Erhöhung aller Niedriglöhne ("niedrig" gemessen vor allem an den überteuerten Lebenshaltungskosten in dem französischen "Überseebezirk") um 200 Euro. Dieser Forderung wurde stattgegeben. Dabei werden die Kosten für die Finanzierung der Lohnerhöhung zwischen den Arbeitgebern einerseits, dem Staat - der den Lohnabhängigen eine "Sonderprämie" für die Einführung des RSA (ein "Kombilohn", der eine Aufstockung von Sozialleistungen durch Hungerlöhne ohne Verlust der sozialen Leistungsansprüche erlaubt) - und der Inselregierung aufgeteilt.

Die beiden Letztgenannten geben den Arbeitgebern dabei faktische Subventionen durch Nachlässe bei den Steuern und Sozialabgaben/"Lohnnebenkosten", um die Aufwendung der 200 Euro zu erleichtern. Die finanzielle Hilfe von Staat und Inselregierung - durch Sonderprämie, Steuer- und Abgabenerlässe - macht dabei jeweils 150 Euro der 200 Euro Erhöhung aus. Aber sie soll auf drei Jahre hinaus befristet sein: Danach sollen die Arbeitgeber diesen Anteil (oder was die Preisentwicklung bis dahin davon übrig gelassen hat) übernehmen.

Zunächst zeichnete sich ab, dass die von der Insel selbst stammenden "kleinen" Arbeitgeber - die bspw. ein kleines Touristenhotel und drei oder vier Angestellte haben - das Abkommen schon in einem frühen Stadium akzeptierten; aber die von "Weißen" (Festlandfranzosen oder ,Békés' = Nachfahren der früheren Sklavenhalter) kontrollierten Großunternehmen wie Supermärkte und Hotelketten es verweigerten. Der MEG (,Mouvement des entrepreneurs de Guadeloupe'), der örtliche Arbeitgeberverband - Mitgliedsorganisation beim französischen Kapitalistenverband MEDEF - verweigert bis jetzt seine Unterschrift unter das Abkommen. Allerdings scherte der Verband der Bauindustrie, unter dem sozialen Druck der Massenproteste, aus seinen Reihen aus und unterzeichnete das Abkommen. Inzwischen wenden auch viele Großunternehmen der Tourismus- oder Supermarktbranche das Abkommen faktisch an (und zahlen die erhöhten Löhne aus), aber ohne es zu unterzeichnen.

Juristisch sind sie damit nicht an das Abkommen gebunden, und könnten morgen oder übermorgen einfach de facto von ihm zurücktreten, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Der MEG beruft sich unter anderem darauf, die ökonomischen Perspektiven ließen sich nicht mittel- und längerfristig bewerten. Abhilfe sollte eine juristische Prozedur namens ,extension', das Äquivalent zur deutschen "Allgemeinverbindlich-Erklärung" (AVE) eines Tarifvertrags, bringen. Darüber fällt zunächst die Nationale Tarifkommission (Commission nationale de la négociation collective) einen Beschluss, der für den Arbeits- und Sozialminister zwar nicht rechtlich bindend ist, ihm aber dennoch eine politische Vorgabe bietet.

Danach entscheidet der Arbeits- und Sozialminister definitiv darüber, ob eine AVE für einen Kollektivvertrag vorgenommen wird. Fällt dieser Beschluss positiv aus, dann bedeutet dies, dass alle Arbeitgeber in dem betreffenden Wirtschaftssektor - ob sie (oder die Verbände, in denen sie Mitglied sind) die Vereinbarung unterzeichnet haben mögen oder nicht - an den Kollektivvertrag gebunden sind und nicht von ihm abweichen können. Ursprünglich hatte es so ausgesehen, als werde der Beschluss dazu im Falle des Abkommens von Guadeloupe bis am vergangenen Freitag (20. März) gefällt.

Der Gewerkschaftsdachverband Force Ouvrière (FO) hatte am o7. März die Nationale Kommission, welcher er wie die anderen Dachverbände angehört, zu dem Thema einberufen. Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux hatte zunächst in der Öffentlichkeit erklärt, er wolle die Sitzung der Kommission am 20. März abwarten. Danach wisse man, was bei der Sache herauskommt. Doch die Entscheidung wurde vertagt, und (frühestens) in den nächsten Tagen soll nun eine zweite Sitzung mit allen "Sozialpartnern" einberufen werden.

Arbeits- und Sozialminister Hortefeux hat sich eine Frist bis zum kommenden Freitag - o3. April - eingeräumt, um im Anschluss daran seinen Beschluss zu fällen. Noch ist unklar, was dabei herauskommt.

Die Debatte hat sich - vordergründig jedenfalls - an einem ideologischen Punkt kristallisiert: Das Abkommen spricht in seiner Präambel von einer "Plantagenwirtschaft" (économie de plantation) auf Guadeloupe, und stellt damit die derzeitige Inselökonomie in eine Reihe mit jener der früheren Sklavenhalter - deren unmittelbare Nachfahren tatsächlich noch mindestens rund 50 Prozent der örtlichen Ökonomie kontrollieren. (Vor einigen Jahren waren es rund 80 %, aber die Konkurrenz durch festlandfranzösische Unternehmen, im Kleinhandel auch durch Chinesen und Inder, hat ihren Anteil etwas zurückgehen lassen.)

Diese Begrifflichkeit sei unakzeptabel, fauchte alsbald die französische Innenministerin Michèle Aliot-Marie. In dasselbe Horn stieß auch Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot vom MEDEF. Inzwischen spricht auch der französische "Staatssekretär für die Überseegebiete" Yves Jégo von einer "unakzeptablen Präambel". Allerdings kritisiert er gleichzeitig ebenfalls jene Arbeitgeber(verbände), die bislang ihre Unterschrift verweigerten, "da sie Unrecht hatten, nicht an der Diskussion darum teilzunehmen". (In den letzten Tagen kursieren in Paris immer lauter werdende Nachrichten, dass Präsident Nicolas Sarkozy seinen Staatssekretär austauschen möchte. Allem Anschein nach ist die Linie Yves Jégos zu "weich" gewesen. Zu Anfang der Woche kursierte unterdessen der Name einer aus Guadeloupe stammenden Journalistin als der seiner möglichen Nachfolgerin. Die hübsche Dame, im Badeanzug, zierte daraufhin bereits die Seite Eins einer britischen Boulevardzeitung als ,Sarkozy's new minister'. Ihre Ernennung wurde jedoch von allen Seiten dementiert.)

Noch schwerer als die Präambel dürften Arbeitgebern, Staatsmacht und den privilegierten Klassen auf den Antillen wohl die 200 Euro im Magen liegen. Aber sicherlich wird die weitere Auseinandersetzung um das - allgemein verbindliche - Inkrafttreten der Vereinbarung an beiden Fronten, der "symbolischen" u. ideologischen und an der "materiellen, geführt werden. Nun muss genau im Auge behalten werden, was in den kommenden Tagen mit dem Abkommen passieren wird.

B.Schmid


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