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Updated: 18.12.2012 15:51
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6. April 2008/ Streik in Mahalla al-Kubra (Ghazl al-Mahalla - Misr Spinning and Weaving)

Es ist sieben Uhr früh und ich steige in den Zug nach Mahalla mit 5 anderen Menschen, von denen ich nur einen kenne. Bis Dato ist noch unklar ob der Streik stattfindet oder nicht. Es gab im Vorfeld Unklarheiten, ob nun gestreikt wird oder nicht.

Gegen 9:00, kurz vor Mahalla, kommt die Nachricht, der Streik sei abgesagt. Die Gründe sind unklar. Aber schon im seit Tagen gibt es Diskussionen unter den verschiedenen Fraktionen - gemeint sind damit die politischen Aktivisten und die Steikführer- in Ghazl al Mahalla ob der Streik nun stattfinden solle oder nicht. Angeblich sollen 5 der prominenten Streikführer, die zufällig auch dem Center for Trade Union and Workers Service (CTUWS) angehören, maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, dass der Streik abgesagt wurde. Berichten zufolge ist Mahalla al-Kubra schon seit Tagen von Polizeikräften belagert.

Es ist 9:20 und der Zug kommt in Mahalla an. Erster Eindruck in Mahalla: 4 Bullenwannen mit Bullen in Riotgear. Okay, wir machen uns auf in Richtung Ghazl al-Mahalla, vor den Fabriktoren, noch mehr Bullenwannen mit bewaffentem Inventar. Wir treffen auf Mostafa Foda, Arbeiter in der Fabrik und bekannter interner politscher Aktivist. Seit drei Tagen wurde es ihm nicht erlaubt, die Fabrik zu betreten, um sicherzustellen, dass er nicht in der Lage ist politsch zu agieren und weiterhin für den Streik zu mobilisieren. Seines Erachtens haben die vorher erwähnten Streikführer "sold out" und die Arbeiter mit dem Argument ruhig gestellt, dass die Verwaltung ja die "food allowance" erhöhen würde und an den Forderungen der Arbeiter arbeite.

Wir gehen in die Fabrik, mehr und mehr Journalisten kommen an. Fühlt sich an wie ein Klassentreffen, ich kenn leider keinen. Alle müssen erst mal in einen Warteraum und werden dann in kleinen Gruppen durch die Fabrik geleitet. Immer mit dabei: Security. Als wir dann an der Reihe sind, kommen wir außerhalb des Gebäudes an einem offenen Fenster vorbei. Jemand erkennt Karim al-Beheiri, bekannter Aktivist und Arbeiter in Mahalla. Karim wird seit dem Morgen unter Aufsicht von Sicherheitskräten festgehalten. Als Leute veruchen mit ihm zu reden, wird die Kommunikation sofort von den Sicherheitskräften unterbunden. Wir gehen weiter, unsere Reiseführer natürlich Security.

Mahalla al-Kubra: größte Textilfabrik im Mittleren Osten, gegründet 1949 von Talaat Harb, schätzungsweise 25, 000 ArbeiterInnen und 20 Millionen ägyptische Pfund Profit letztes Jahr. Mahalla ist bekannt als die Fabrik mit der militantesten und politischsten Belegschaft. Rechte die in Mahalla erkämpft werden, sind der Maßstab für die anderen Fabriken in Ägypten. Laut Joel Beinin, Leiter der Middle Eastern Studies an der AUC in Kairo, sind sich die Arbeiter in Malhalla dieser Tatsache auch sehr bewusst. Das erkärt ein stückweit die Angst der Regierung vor dem Streik. Zusätzlich sind in 2 Tagen Kommunalwahlen und seit Wochen zirkulieren in linken Blogs und per SMS Aufrufe zu einem Generalstreik gegen das Regime.

Mahalla ist groß, Architektur im Stil Realsozialismus. Auf dem Fabrikgelände eine eigene Moschee und Wohnhäuser. Angeblich wohnen 80% der Arbeiter in fabrikeigenen Wohnungen, die aber nicht auf dem Fabrikgelände sind. Zu einem Mietpreis von 5 ägyptischen Pfund im Monat. Wer in den Wohnungen auf dem Fabrikgelände wohnt ist mir nicht ganz klar.

In den Hallen wird jeder Kommunikation mit den Arbeitern ziemlich schnell dadurch zunichte gemacht, dass sofort Security daneben steht und die Arbeiter einschüchtert. Was klar wird ist, dass die Leute sich "let down" fühlen und die Stimmung in der Fabrik auf Streik aus war. Die Leute wollten streiken. Auf die Frage, wie die Entscheidung von 5, mittlerweile als korrupt wahrgenommen, Streikführern die Belegschaft dazu bringen kann nicht zu streiken, weiß auch mein Begleiter keine Antwort. Die seit Tagen andauernde Bedrohung seitens der Sicherheitskräfte und Leitung ist sicherlich eine Erklärung. Aber diese Frage wird sich wohl in den nächsten Tagen klären.

Die Spanung in der Fabrik ist spürbar, wie die Stille vor dem Sturm.

Wir sind um 12 aus der Fabrik draussen und entscheiden uns nicht zu warten bis die Frühschicht um 3 zu Ende ist, um zu sehen was passiert und mit einigen der Aktivisten zu sprechen. Verlassen Mahalla City, die Stadt ist mehr als trist und die zunemende Bullenpräsenz verleiht ihr wirklich keinen zusätzlichen Charme. Die Frage stellt sich mir: Wo fliessen denn eigentlich die ganzen Staatseinahmen hin? Man munkelt 90% an Mubarks Familie, betrachtet man die Lebensbedingungen in Mahalla, könnte das stimmen.

Um 18:10 erhalte ich folgende sms: "Security forces have fired tear gas and rubber bullets on protestors in Mahalla city. Unconfirmed reports of fatalities"

Für die Ereignisse in Mahalla am Nachmittag am besten dafür die folgenden Blogs checken:

Solidarität in jeglicher Form ist dort sicherlich erwünscht.

Ich habe viele offene Fragen, wenn ich einige davon beantworten kann, lass ich es euch wissen.

Gruß Natalie


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