letzte Änderung am 20. Febr. 2003

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Gewerkschaftssterben in Kolumbien

Raul Zelik über den Zusammenhang von neoliberaler Deregulierung, staatlicher Politik und Paramilitarismus

Wenn über Gewerkschaftspolitik diskutiert wird, ist immer schnell von ‚Krisen’ die Rede. Aber woran macht sich die Krise von Gewerkschaften eigentlich fest? An niedrigen Mitgliederzahlen oder der Kooptation von Apparaten im Rahmen der Sozialpartnerschaft? An der Bewegungslosigkeit von Großgewerkschaften oder an der Existenz kleinerer, konkurriender Gewerkschaften, die uneinheitlich vorgehen, aber dafür gesellschaftspolitische Prozesse in Gang setzen können? Von den meisten DGB-Funktionären dürfte die ‚Krise’ wohl vor allem als Verlust von Verhandlungsmacht in den Zeiten neoliberaler Deregulierung wahrgenommen werden. Für Gewerkschaftslinke wie die Aktivisten der Bayer-Liste in Wuppertal, die Anfang der 80er Jahre auf schmutzigste Weise von der IG Chemie-Führung hintergangen wurden, hat die Krise der deutschen Gewerkschaften hingegen zu einem ganz anderen Zeitpunkt begonnen.

In diesem Text verstehe ich ‚Krise’ v. a. als existenzielles Problem. Sie beschreibt die Verdrängung gewerkschaftlicher Organisation im Allgemeinen und die Eliminierung gewerkschaftslinker / regierungsoppositioneller Positionen im Besonderen, denn in Kolumbien – man muss es so dramatisch ausdrücken – findet seit Ende der 80er Jahre ein regelrechter Vernichtungsfeldzug gegen Gewerkschaften statt. Verantwortlich dafür sind, wie gezeigt werden soll, Reformen im Arbeitsrecht, staatliche Kriminalisierung und eine Mordkampagne, die ihresgleichen sucht. Allein 2001 wurden nach Angaben der ICFTU (2002) mehr als 200 Gewerkschafter in dem südamerikanischen Land ermordet (vgl. Pérez / Colectivo de Abogados 2002). Das US State Department (2002), gewerkschaftsfreundlicher Übertreibungen sicherlich unverdächtig, geht davon aus, dass in Kolumbien seit 1991 insgesamt 1600 Gewerkschafter getötet und 60 Prozent der Morde an Gewerkschaftern weltweit in dem südamerikanischen Land verübt wurden. Dabei bilden Mordfälle nur die Speerspitze der Angriffe. Die jesuitennahe Forschungseinrichtung CINEP hat im Jahr 2000 277 Angriffe auf Gewerkschaftsführer und 870 Angriffe auf –mitglieder gezählt (NoticiasAliadas.Org 2002). Gewerkschaftliche Aktivität ist, v. a. wenn sie Privatisierungsprojekte behindert oder klassenkämpferische Positionen vertritt, zu einem Ticket in den Tod geworden. Oder wie es Kolumbianer ironisch ausdrücken: "Geh lieber zur Guerilla. Das ist ungefährlicher."

Umso erstaunlicher ist, dass in der wissenschaftlichen Literatur der Paramilitarismus kaum eine Rolle spielt. Die meisten Autoren leiten das Phänomen von der allgemeinen Gewaltsituation im Land ab. Eine Untersuchung von Interessen und Akteuren im ‚schmutzigen Krieg’ wird unterlassen. Rainer Dombois beispielsweise erwähnt das Problem im Gegensatz zu vielen kolumbianischen Autoren zwar immerhin explizit, belässt es jedoch bei einigen lapidaren Nebenbemerkungen (1999, S.321): "Im übrigen sind die Wirkungen des schmutzigen Kriegs auf das politische Klima in den Arbeitsbeziehungen nicht zu unterschätzen. Die Gewalt (...) hat nicht nur eine lange Blutspur ermordeter Gewerkschafter hinterlassen, sondern auch zu Polarisierung, Misstrauen, Blockaden und gewalttätigen Lösungen in den Arbeitsbeziehungen geführt." [1] Etwas deutlicher wird er in einem für deutsche Leser verfassten Aufsatz (1997, S. 272f): "Viele Funktionäre insbesondere militanter und politisierter Gewerkschaften sind Opfer von Mordanschlägen paramilitärischer Gruppen oder auch der Militärs geworden ... So wie Streiks Politikern und herrschender öffentlicher Meinung häufig als Behinderungen des nationalen Wachstums oder gar als Anschläge gegen die nationale Sicherheit gelten, denen letztlich polizeilich-repressiv zu begegnen ist, so werden Gewerkschaften auch oft als Zusammenschlüsse gesehen, die (...) politisch-subversive Ziele verfolgen."

Die Logik, die hinter dem antigewerkschaftlichen Terror steckt – jeder, der einmal kolumbianische Aktivisten begleitet hat, weiß, dass der inflationär gebrauchte Begriff in diesem Fall zutreffend ist – wird nicht analysiert. Genau darum müsste es jedoch gehen. Denn die Angriffe besitzen eine klare Logik. Sie richten sich gegen politisierte Gewerkschaften, wie Dombois selbst feststellt, oder gegen Organisationen im öffentlichen Dienst, die wie die ICFTU (2002) konstatiert, Widerstand gegen die Privatisierungspolitik leisten: "In Colombia (...) unionists from the public services have been the hardest hit, suffering about 65% of the violations, particularly as a result of their determined stance in political talks on fiscal adaptations and privatisation."

Der Paramilitarismus ist also – so die These dieses Aufsatzes – nicht einfach eine weitere Facette des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Er ist eingebettet in eine von kolumbianischem Staat und einheimischem wie transnationalem Kapital seit Mitte der 80er Jahre betriebene Strategie, die auf Deregulierung von Arbeitsmärkten, Bereitstellung von Bodenschätzen für den Weltmarkt und Zerschlagung des öffentlichen Sektors abzielt. Insofern geht es auch um den Zusammenhang von Globalisierung, Ausnahmezustand und Krieg nach innen.

Kurze Geschichte der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung

Die kolumbianischen Gewerkschaften zeichnen sich seit ihren Ursprüngen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Uribe 1993, Villanueva 1992, Silva Romero 1998) durch eine notorische Schwäche aus. Verantwortlich hierfür waren und sind der niedrige Industrialisierungsgrad (mit einer dementsprechend niedrigen Zahl von lohnabhängig Beschäftigten), die erfolgreiche Anbindung der Arbeiterschaft an die beiden oligarchischen Parteien und eine schon in den Frühzeiten der Gewerkschaftsbewegung brutal zuschlagende Repression. Die ersten großen Arbeitskämpfe wurden in den 20er Jahren v. a. von Bananenpflückern, Eisenbahnern sowie den bis heute als kämpferischster Teil der Arbeiterschaft geltenden Erdölarbeitern in der Region um Barrancabermeja ausgefochten (vgl. Silva Romero 1998, S.32-43). Mit dem Massaker auf den Bananenplantagen von Ciénaga 1928 kam dieser Zyklus von Kämpfen jedoch zu einem blutigen Ende.[2] Das Ereignis machte die Niederlage der sich ‚revolutionär-sozialistischen’ Bewegung manifest; gleichzeitig vermochte "die Liberale Partei, sich die Früchte der Rebellion" anzueignen (Silva Romero 1998, S. 45). Die Liberalen, trotz sozialreformerischer Rhetorik eine Partei der Eliten, forcierten die Zentralisierung der Gewerkschaftsbewegung unter eigener Hegemonie. Silva Romero bezeichnet die 1931 erfolgte Legalisierung der Gewerkschaften denn auch als "Feudalisierung" von bis dahin den Bedürfnissen der Protestbewegungen angepassten Organisationen (ebenda, S. 47f). Arbeitskonflikte wurden institutionalisiert, die Gründung unabhängiger oder politischer Gewerkschaften faktisch verboten. Auch die Gründung des Gewerkschaftsverbandes CTC (Confederación de Trabajadores de Colombia, zunächst: Central Sindical de Colombia) im Jahr 1936 war trotz des Einflusses der damals noch jungen Kommunistischen Partei im Verband Ausdruck dieser Kontrollanstrengungen durch die Liberale Partei.

Repression und Kooptation durch die Liberalen waren nicht die einzigen Probleme, die die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung dauerhaft belasteten. Ein weiteres Hindernis war die Atomisierung, wie sie durch Gesetzgebung und die Intervention der oligarchischen Parteien gefördert wurde. Cárdenas (1990, S. 47) spricht von einer systematischen Politik des "Teilen und Herrschens". Zum einen hätten rechtliche Bestimmungen bis heute verhindert, dass sich Industrie- gegen Betriebsgewerkschaften durchsetzten, und damit zum Entstehen Tausender Kleinstgewerkschaften geführt, zum anderen sei die "in der CTC erreichte Einheit in den 30er und 40er Jahren durch den Ausschluss und die Ermordung der progressivsten Führer sowie durch die gewerkschaftliche Spaltung torpediert" worden (ebenda). Nachdem sich der 1934 zum Präsidenten gewählte Alonso López Pumarejo (1934-38) zunächst auf die CTC stützte und einige wichtige Sozialreformen einleitete – v. a. um weitere Aufstände abzuwenden -, bekam die Gewerkschaftsbewegung diese Spaltungspolitik wenig später voll zu spüren. Die Liberalen verabschiedeten sich noch unter Präsident López von ihrem Reformkurs, die Konservative Partei verfolgte eine aggressive rechtskatholische, mit falangistischen Elementen versetzte Linie. Wesentlicher Ausdruck des rechten Angriffs auf die Gewerkschaften war die Gründung der UTC (Unión de Trabajadores de Colombia) im Jahre 1946, mit der klassenkämpferische Positionen in den Folgejahren erfolgreich unterlaufen werden konnten (Silva Romero 1998, S. 83):

"... die Gewerkschaften der CTC müssen immer häufiger Streiks führen, die ... nicht schnell beendet werden können, und sich am Ende mit geringen Erfolgen zufrieden geben. Auf der anderen Seite setzen die katholischen Gewerkschaften am Verhandlungstisch permanent Lohnerhöhungen und Rechte durch, ohne einen einzigen Cent bei Streiks zu verlieren. In Antioquia lässt sich die Desertion von Gewerkschaften und Funktionären der CTC in Richtung UTC beobachten. Die Existenz der in der UTC zusammengeschlossenen christlichen Gewerkschaften ist eine der zentralen Grundlagen für das von (dem Rechtskonservativen, Anm. d. V.) Laureano Gómez verfolgte neokorporativistische Modell. Die Verbreitung von Agrargewerkschaften in weiten Teilen des Landes ist einer der Hauptansatzpunkte der rechten Führung bei ihrem Projekt, den Linksruck der städtischen Massen und großen Teilen der Bauernschaft zu stoppen."

Die Konsequenzen für die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung waren desaströs. Die UTC verwandelte sich vielerorts in eine Mischung aus politischem Werkschutz – UTC-Funktionäre wurden als Personal-Chefs angeheuert – und ideologischem Transmissionsriemen für das autoritäre Projekt der Rechtskonservativen. Der 1948 ausbrechende Bürgerkrieg, der insgesamt 200.000 Kolumbianern das Leben kostete, machte die CTC-Gewerkschaften zudem auch zu militärischen Angriffszielen. Tausende von Aktivisten - Mitglieder der kommunistischen Partei, aber auch des progressiven Flügels der Liberalen - wurden ermordet.

Es dauerte 15 Jahre, bis sich wieder nicht-korporativistische Gewerkschaften formierten. Verantwortlich für diese Renaissance waren 4 Faktoren: der von der liberalen Parteiführung durchgesetzte Ausschluss der Kommunisten aus der CTC 1960, die allgemeine Enttäuschung über die 1958 gebildete Nationale Front (eine 16 Jahre andauernde, allen demokratischen Prinzipien widersprechende Machtaufteilung zwischen liberalem und konservativem Parteiapparat), die allgemeine Aufbruchs- und Widerstandsstimmung, die Lateinamerika nach der kubanischen Revolution erfasste, und der von internationalen Investitionen hervorgerufene Entwicklungsschub, der erstmals eine größere Industriearbeiterschaft hervorbrachte. So stieg die Beschäftigung "im verarbeitenden Gewerbe zwischen 1945 und 1978 von 464.000 auf über 1,4 Millionen (oder 18% der Erwerbsbevölkerung)" (Dombois 1997, S. 262). Die mit ausländischem Kapital errichteten Fertigungsstätten wurden "zu Zentren gewerkschaftlicher Organisation im industriellen Bereich." (ebenda, S. 263) Diese Elemente waren Ausschlag gebend für das schnelle Wachstum der Arbeiterbewegung in den folgenden Jahrzehnten (Cardenas 1990, Silva Romero 1998). Ende der 70er Jahre waren damit zwei entgegengesetzte Tendenzen auszumachen. Während die Spaltung der Gewerkschaften (ebenso wie die der politischen Linken) weiter anhielt – zu CTC und UTC hatten sich die sozialdemokratische CGT sowie die kommunistische CSTC gesellt -, konstituierte sich quer zu ideologischen Gräben eine Arbeiterbewegung von unten. Der deutlichste Ausdruck dieser Basismobilisierung war der Generalstreik im September 1977, der in Kolumbien als historischer Einschnitt bewertet wird. Der Streik, der erfolgreichste in der jüngeren kolumbianischen Geschichte, wurde von Basisgruppen und Belegschaften mehr oder weniger autonom organisiert (vgl. Alape 1980). Silva Romero zufolge waren es sowohl der Erfolg dieser Mobilisierung als auch die zunehmende Distanzierung der liberalen und konservativen Parteien von ‚ihren’ Zentralen, die einem tiefgreifenden Neugruppierungsprozess Raum öffneten. Während CTC und UTC, von der Austeritätspolitik der Regierungsparteien genauso hart betroffen wie alle anderen Gewerkschaften auch, rasant an Bedeutung verloren und Anfang der 80er Jahre über die Gründung einer Arbeiterpartei diskutierten, begannen unabhängige Betriebs- und Industriegewerkschaften sowie die kommunistisch dominierte CSTC einen Vereinigungsprozess, der schließlich 1986 zur Gründung der CUT (Central Unitaria de Trabajadores) führte, des heute mit Abstand größten kolumbianischen Dachverbandes.

Auch nach dieser Neuformierung blieb das Panorama für die Gewerkschaftsbewegung insgesamt schwierig. Der mit großen Hoffnungen verknüpfte Generalstreik im Oktober 1988 legte nur in einzelnen Regionen das wirtschaftliche Leben lahm, die Zersplitterung bestand fort. Das Hauptproblem dürfte dabei weniger die Existenz konkurrierender Dachverbände als vielmehr das Fehlen von Industriegewerkschaften gewesen sein, die die überbetriebliche Kommunikation organisierten.[3] Zudem waren und sind die gewerkschaftlichen Mitgliedszahlen nicht nur außerordentlich niedrig, der Anteil der Organisierten an der Gesamtzahl der Beschäftigten ist seit 1985 auch kontinuierlich gesunken. Zahlen der ILO von 1991 zufolge ist Kolumbien nach Ecuador und Peru das lateinamerikanische Land mit dem niedrigsten Organisationsgrad (zit. nach Kruijt et al. 1996, S.21). Er liegt bei 5-7%, wobei kolumbianische Gewerkschafter darauf hinweisen, dass die Regierung die Zahlen in Anbetracht der internationalen Kritik mittlerweile nach oben schönt. López (1999, S. 194) spricht von 945.000 der 12 Millionen abhängig Beschäftigten, die gewerkschaftlich organisiert sind (bei 43 Millionen Kolumbianern insgesamt); Suárez, der etwas ältere Zahlen heranzieht, (1994, S. 201) von 886.000, davon 531.000 in der CUT, 63.000 in der CTC und 37.000 bzw. 87.000 in den beiden Dachverbänden CGT und CTDC (eine Nachfolgeorganisation der UTC), die wenig später fusionierten und in der zu den ‚christdemokratischen’ Gewerkschaften gehörenden CGTD aufgingen[4], sowie weiteren 169.000 in unabhängigen Gewerkschaften.

Bei einer Zustandsschreibung der kolumbianischen Gewerkschaften lassen sich also folgende Punkte festhalten. Erstens: Die Gewerkschaftsbewegung hat sich spät und nur in einzelnen Branchen – v. a. im öffentlichen Sektor (Delgado 2001) und einigen wenigen Großindustrien - entwickelt. Schon Anfang der 80er Jahre, also vor der paramilitärischen Offensive und der neoliberalen Deregulierungswelle, war ihre Position schwach. Dombois (1997, S.272) spricht von "Ghettoverbänden", was insofern zutreffend ist, als historisch immer nur eine Minderheit der Kolumbianer in geregelten Beschäftigungsverhältnissen stand. Zweitens: Die Gewerkschaften haben seit ihrer Gründung mit einer staatlichen Politik zu kämpfen, die bisweilen auf die Domestizierung, andere Male auf die direkte Schwächung der Arbeiterorganisationen abzielt, und sind in diesem Zusammenhang immer wieder brutaler Repression ausgesetzt gewesen. Drittens: Die Gewerkschaftsbewegung ist in doppelter Hinsicht zersplittert. Zum einen hat die Gesetzgebung die Entwicklung von Industriegewerkschaften (zugunsten betrieblicher Vertretungen) erschwert, zum anderen haben die Hegemonisierungsversuche der oligarchischen Parteien die Verbände paralysiert. Viertens: Die Mehrheit der Beschäftigten sind nie in den Genuss kollektiver Tarifverträge gekommen. Der Medelliner Escuela Nacional Sindical zufolge waren 1988 – also ebenfalls vor der neoliberalen Deregulierungswelle – nur 15% der Lohnempfänger im öffentlichen und privatwirtschaftlichen Sektor von Tarifverträgen geschützt; im Transportwesen gar nur 4,5% und im Handel 0,73% (zit. nach Delgado 2001, S. 51) Fünftens: Die wenigen gesetzlichen Regelungen, die Belegschaften schützen, werden häufig nicht umgesetzt. So ergab eine Erhebung des Arbeitsministeriums 1998, dass 26% der untersuchten Unternehmen zwar von ihren Beschäftigen Sozialversicherungsbeiträge einbehielten, diese aber nicht an die Sozialkasse ISS abführten. (ebenda, S. 68)

Neoliberale Wende und Angriff auf die Gewerkschaften

Die meisten Beiträge gewerkschaftsnaher Sozialwissenschaftler in Kolumbien charakterisieren die Arbeitsbeziehungen in ihrem Land ähnlich wie Carmen Marina López (1999, S. 196f): "1. Ein heterogener wirtschaftlicher Sektor, der von einer schwachen Industrie und einem großen informellen Sektor geprägt ist; 2. Ein politisches Regime, das von einer liberalen Vorstellung der industriellen Beziehungen ausgeht und sich auf klientelistische Beziehungen stützt, die starken Einfluss auf jene ausüben; 3. Ein ausschließendes politisches Regime, das zu einer Radikalisierung der politischen Kräfte führt und den Aufbau einer demokratischen, einen Konsens in den Gewerkschaften artikulierenden Linken erschwert; 4. Eine schwach ausgebildete Fähigkeit des Staates zur Regulation der elementaren Normen in den industriellen Beziehungen." Zusammengefasst könnte man sagen, López beklagt das Fehlen einer sozialdemokratischen Tradition, kritisiert die politische Orientierung der Gewerkschaften und fordert mehr staatliche Intervention ein. Die Kritik am Staat bezieht sich auf dessen unzulängliche demokratische Entwicklung und falsche, d. h. neoliberale Politikkonzepte.

Es ist auffallend, wie deutlich solche, dem europäischen Sozialdemokratismus verbundenen Beiträge die Debatte in Kolumbien dominieren. Prinzipiellere Kritik an den Verhältnissen und an der Rolle des Staates ist selten zu finden – und das, obwohl innerhalb der CUT das Verhältnis zwischen so genannten "Linken" und "Demokraten" bei etwa 50 zu 50 liegt. Hierin reflektiert sich die Tatsache, dass die wenigen gewerkschaftsnahen Publikationen von ausländischen Geldgebern – Stiftungen, NGOs, internationalen Institutionen – abhängig sind. Dabei spielt u. a. die Friedrich-Ebert-Stiftung (in Kolumbien FESCOL) eine Schlüsselrolle und prägt sowohl den Verlauf gewerkschaftlicher Debatten als auch die internationale Wahrnehmung des kolumbianischen Konflikts. Es handelt sich – auch wenn viele dieser Publikationen hilfreiche Beiträge bereitstellen, ohne die beispielsweise dieser Aufsatz nicht hätte geschrieben werden können – um eine Form politischer Intervention, die man kritisch reflektieren muss. Wer die kolumbianische Zivilgesellschaft nämlich nicht als bedauernswertes Opfer bewaffneter Akteure begreift – und damit einer Variante der Totalitarismustheorie widerspricht: ‚die gesellschaftliche Mitte und ihre extremistischen Feinde’ -, sondern im Gramscianischen Sinn als ein von Konflikten durchzogenes Terrain, auf dem sich Herrschaft konstituiert und um Hegemonie gerungen wird, muss auch die Machtstellungen und Intentionen der Diskursproduzenten unter die Lupe nehmen. Das Projekt sozialpartnerschaftlicher Aussöhnung mag weniger gewalttätig daherkommen als marktliberale US-Modelle, ist aber nichtsdestotrotz ein Ordnungsprojekt, das die Stärkung des (historisch repressiven kolumbianischen) Staates und die Zerschlagung systemoppositioneller Positionen anstrebt und sich dabei eine internationale Position der Stärke zunutze macht.

Was die einzelnen von López und anderen beschriebenen Aspekte der kolumbianischen Arbeitsbeziehungen angeht, gibt es dabei wenig Grund zum Widerspruch. Die Phänomene an sich – Schwäche der Gewerkschaften, geringe staatliche Regulation der Arbeitsbeziehungen, (politische) Polarisierung der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit – sind unumstritten. Problematisch ist die Einordnung in das Gesamtbild. Die von allen kolumbianischen Regierungen seit Mitte der 80er Jahre und den Unternehmen vorangetriebenen Veränderungen der Arbeitsbeziehungen sind nicht einfach das Ergebnis ökonomischer ‚Sachzwänge’ oder politischer Fehlentscheidungen. Die Verbindung von extremer Aggressivität und kühler Rationalität deutet daraufhin, dass es sich um ein strategisches Projekt handelt, das in vielen Bereichen auf die völlige Zerschlagung gewerkschaftlicher Organisation abzielt.

Mit dem Scheitern der importsubstituierenden Industrialisierung und der andauernden gesellschaftlichen Krise kam es in den frühen 80er Jahren in Kolumbien nämlich zu zwei sich überschneidenden Prozessen. Während die Übernahme neoliberaler Konzepte und die daraus folgende Strategie der forcierten Weltmarktintegration (im kolumbianischen Fall v. a. als Exporteur der Rohstoffe Erdöl, Kohle, Gold, Bananen, Schnittblumen und Kaffee[5]) nicht untypisch für Lateinamerika waren und die bekannten sozialen Konsequenzen nach sich zogen[6], bildete sich im Sicherheitspolitischen eine Praxis heraus, die selbst für das an repressive Grausamkeiten gewöhnte Lateinamerika eine Besonderheit darstellte. Parallel zu den Friedensverhandlungen der Betancur-Administration (1982-86) begannen Teile des Staatsapparates damit, Repressionsaufgaben "outzusourcen" (vgl. Giraldo 1996, Alonso 1997, Zelik 2001 a und b). Es entstanden paramilitärische Gruppen, die von Industrie, Drogenhandel und Großgrundbesitz finanziert und von Armee und Polizei trainiert bzw. operativ gesteuert wurden. Ihre Angriffe richteten sich gegen Basisgruppen, soziale Organisationen, Gewerkschaften und zum Teil auch einfach die Bewohner ökonomisch interessanter Gebiete. Seit 1983 haben diese Gruppen jedes Jahr bis zu 5000 Menschen ermordet; viele hiervon auf bestialische Weise. Dabei ergänzten, bedingten und beeinflussten sich neoliberale Öffnungspolitik und Repression gegenseitig.

‚Apertura Económica’ und Deregulierung

Die wirtschaftliche Öffnung (Apertura Económica)wurde während der Präsidentschaft von Virgilio Barco (1986-90) eingeleitet und von dessen Nachfolger, dem heutigen OAS-Präsidenten, Cesar Gaviria (1990-94)[7] vertieft. Neben dem sich für Kleinbauern und –unternehmer verhängnisvoll auswirkenden Abbau von Zollgrenzen (vgl. Ahumada 1996 und 2000, Zerda 1997)[8] zielten die Reformen v. a. auf die Deregulierung der Arbeitsmärkte, die Vergabe von Schürf- und Bohrlizenzen an transnationale Konzerne sowie die Privatisierung des öffentlichen Sektors ab. Die Gewerkschaften waren von der "Modernisierungspolitik" von Anfang an betroffen. Die so häufig als progressiv gefeierte kolumbianische Verfassung von 1991 verbesserte die gewerkschaftliche Situation nicht - im Gegenteil. Suárez kommt zu dem Schluss (1994, S. 12), die Konstitution fördere den Individualismus und schreibe wirtschaftsliberale Prinzipien fest. Parallel dazu verabschiedete der Kongress im Jahre 1990 die berüchtigten Gesetze Nr.50 und 60, mit denen sich die Leiharbeit schlagartig ausbreitete (vgl. Silva Romero 1998, Delgado 2001). Vom heutigen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez initiiert, um "5 Millionen neue Arbeitsplätze" zu schaffen, führten die Arbeitsreformen – 1993 durch die Verabschiedung des Gesetzes 80 ergänzt[9] – v. a. zu einem Verlust von sozialen Sicherungssystemen und einem wahren Gewerkschaftssterben. 40.000 Entlassungen im öffentlichen Sektor, das Verschwinden ganzer Gewerkschaften (u. a. der Eisenbahner, Hafenarbeiter und Arbeiter im Bereich Öffentliche Bauten) sowie die massive Schwächung der Gewerkschaftsbewegung als Ganzem waren die Folge. Zwischen 1990 und 1994, so ein Aufsatz aus dem Umfeld der sozialdemokratischen Gewerkschaftsschule ENS, seien 514 Gewerkschaften mit 95.000 Mitgliedern zerschlagen worden (Delgado 2001, S.58). Silva Romero (1998, S.192) weist darauf hin, dass es Angestellten der Zeitarbeitsfirmen praktisch unmöglich ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und bezeichnet die Arbeitsreformen deshalb als "totalitär". Zu einem ähnlichen Urteil kommt Delgado (2001, S.58): "Die nach 1990 verabschiedeten Gesetzesreformen, die betriebliche Umstrukturierung als Folge der so genannten ‚wirtschaftlichen Öffnung’ des Landes gegenüber dem globalisierten Markt und der Bedeutungsverlust der Ideale internationaler Solidarität, wie sie auf den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers folgten, haben die Krise der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung weiter verschärft. Evident war diese Krise, aus der paradoxer Weise die CUT hervorging, schon Mitte der 80er Jahre. Das gesamte gewerkschaftliche Netz, und v. a. jenes im privatkapitalistischen Bereich, wurde schwer getroffen. Viele Gewerkschaften sind verschwunden und ein großer Teil von denen, die in den vergangenen 10 oder 15 Jahren überlebt haben, sind in ihren Betrieben zur Minderheit geworden. Die Unternehmer sehen seitdem freie Bahn für eine direkte Neuregelung der Arbeitsverhältnisse mit ihren Beschäftigten – ohne störende gewerkschaftliche Vermittlung."

Die Durchführung von Streiks ist praktisch unmöglich geworden, da Arbeitskämpfe problemlos illegal deklariert und die Verantwortlichen entlassen werden können. Betriebsvereinbarungen werden durchgesetzt, indem Gewerkschaftern mit Entlassung gedroht oder der Austritt von Belegschaften aus der Gewerkschaft finanziell belohnt wird. In anderen Fällen versucht man Gewerkschaftsvertreter von ihrer Basis zu isolieren oder sorgt für die faktische Handlungsunfähigkeit der Gewerkschaften, indem man die Organisationen durch die Förderung unternehmerfreundlicher Betriebsgewerkschaften in die Minderheitenposition bringt. Bemerkenswert ist außerdem, dass die Deregulierungsmaßnahmen massive Umschichtungen nach sich zogen. Ganze Belegschaften sind – legaler oder illegaler Weise – entlassen und durch prekär Beschäftigte ersetzt worden. Besonders weit fortgeschritten ist diese Politik in der Blumenindustrie[10]. Unter den schätzungsweise 120.000 Beschäftigten (die meisten von ihnen alleinstehende Frauen), die auf den Plantagen in der Hochebene um Bogotá arbeiten, existiert nicht eine einzige funktionierende Gewerkschaft. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal. Akkordarbeit, extreme Temperaturunterschiede innerhalb und außerhalb der Gewächshäuser und der permanente Kontakt mit Pflanzengiften führen zu schweren Erkrankungen und Missbildungen bei Schwangerschaften. Auch werden häufig Löhne unterhalb des Mindestlohnniveaus bezahlt. Als sich 2001 eine Belegschaft in der Nähe des Bogotaner Vorortes Madrid gegen eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zur Wehr setzten, wurden sie fristlos entlassen und durch neue Arbeiterinnen – die Flüchtlingsströme vom Land sorgen für einen permanenten Überschuss an Arbeitskräften – ersetzt, der Prozess vor dem Arbeitsgericht steht aus. De facto haben Belegschaften selbst in Fällen eindeutiger gesetzlicher Regelungen kaum eine Chance, vor Gericht Recht zu bekommen, denn die Strategie des Outsourcings hat die Position der Unternehmer unangreifbar gemacht. Zwar wird nach Untersuchungen des Instituto Nacional Sindical ein Großteil der kolumbianischen Exportblumen von Dole vermarktet, doch das transnationale Unternehmen ist nach einigen Jahren direkten Engagements in der kolumbianischen Blumenindustrie dazu übergegangen, die Schnittblumen bei einheimischen Produzenten einzukaufen und mögliche Image-Schäden auf diese Weise abzuwälzen (vgl. Zelik 2002c). Die Strategie ähnelt jener der großen Sportschuhmarken, wie sie Naomi Klein in "No Logo" beschrieben hat. Die kolumbianischen Hersteller zerlegen den Produktionsprozess in ein wahres Labyrinth der Verantwortlichkeiten: Arbeitgeber, Plantagenbetreiber und Grundbesitzer sind in der Regel nicht identisch. Wenn Arbeitskonflikte anstehen oder die Beschäftigten um Lohnzahlungen geprellt werden sollen, wird häufig einfach der Arbeitgeber – die Leiharbeitsfirma oder der Plantagenbetreiber – in den Konkurs geschickt und die Produktion von einem anderen Kettenglied fortgeführt.

Anti-Terror-Gesetze gegen Gewerkschaften im öffentlichen Sektor

Obwohl der kolumbianische Staat mit den Deregulierungsmaßnahmen den privatwirtschaftlichen Bereich weitgehend befrieden konnte, ist die Aktivität der Gewerkschaften in dem südamerikanischen Land bemerkenswert geblieben. Im Oktober 1998 legte ein dreiwöchiger Streik das öffentliche Leben lahm, 1999 folgte ein eintägiger Generalstreik, der auch in der Industrie befolgt wurde, immer wieder gab es nationale Aktionstage. Delgado (2001, S.79) zufolge hat der Konflikt Ausmaße wie in den 80er Jahren angenommen, "die größten in der jüngeren Geschichte."

Die Tatsache, dass die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung trotz des immensen Drucks Mobilisierungen zustande bringt, wie sie in Lateinamerika sonst kaum zu beobachten sind, hat v. a. mit den Aktivitäten im öffentlichen Sektor zu tun. Lehrer, Erdölarbeiter und Verwaltungsangestellte haben die Hauptlast bei den Protesten getragen. Im Mittelpunkt stand und steht dabei die Verteidigung des öffentlichen Erziehungs- und Gesundheitssystems, des staatlichen Erdölunternehmens ECOPETROL sowie die Abwehr weiterer Arbeitsreformen. Es ist in diesem Zusammenhang ein interessantes Paradoxon, dass in der gewerkschaftsnahen Debatte Kritik am Neoliberalismus zwar zum guten Ton gehört, andererseits aber auch das politische Selbstverständnis einzelner Gewerkschaften als ‚ polarisierend’ kritisiert wird (vgl. López 1999, Cárdenas 1999). Tatsächlich versteht sich beispielsweise die Erdölgewerkschaft USO nicht nur als Vertretung ihrer Mitglieder, sondern auch als Garant kolumbianischer Nationalinteressen[11]. Die härtesten Kämpfe in ihrer Geschichte hat sie für eine gesellschaftliche Verteilung der Erdöleinnahmen geführt, die Gründung von ECOPETROL 1951 musste dem Staat regelrecht abgetrotzt werden.

Der erbitterte Widerstand gegen die Privatisierungspolitik hat den kolumbianischen Staat zu offen repressiven Maßnahmen veranlasst. So ist es Anfang der 90er Jahre zu mehreren Kriminalisierungsversuchen gegen Gewerkschaften gekommen (vgl. Zelik 2001a, S.167). Die 1991 verabschiedeten Gesetze zur Drogen- und Terrorismusbekämpfung, die die so genannte "gesichtslose Justiz" (justicia sin rostro)einführten, d. h. Prozesse mit anonymen Kronzeugen und ohne Akteneinsicht der Verteidigung ermöglichten, wurden v. a. gegen soziale Organisationen angewendet. Als erste traf es die Angestellten des staatlichen TELECOM-Unternehmens, die 1992 gegen den Verkauf ihres Betriebs an die AT&T-Tochter Network Systemstreikten. Ein Jahr nach den Protesten wurden 16 TELECOM-Techniker des Terrorismus angeklagt. Die renommierte Anwaltsgruppe José Alvear Restrepo erzielte vor Gericht zwar schließlich einen Freispruch, doch kaum waren die Angeklagten frei, gab es eine neue Anklage, diesmal gegen Spitze der Erdölgewerkschaft USO. 17 Führungsmitglieder kamen wegen angeblicher Sabotage für Jahre ins Gefängnis. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft stützte sich dabei v. a. auf die Tatsache, dass die USO in der Rohstoffpolitik ähnlich argumentiert wie die ELN-Guerilla. Als Kolumbien wegen der "gesichtslosen Justiz" ins Kreuzfeuer internationaler Juristenkommissionen geriet, wurden auch in diesem Fall die meisten Angeklagten freigelassen und das umstrittene Gesetz abgeschafft. Doch die Auseinandersetzung ging weiter. Im April 1998 erschossen ‚Unbekannte’ den Gewerkschaftsanwalt Eduardo Umaña in seiner Wohnung – die Indizien deuten in Richtung der Geheimdiensteinheit XX. Brigade. Und auch das Verfahren gegen den krebskranken ehemaligen USO-Präsidenten Hernando Hernández hat sich erneut zugespitzt. Aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen wurde Hernández im Januar 2003 unter Hausarrest gestellt.

Das paramilitärische Projekt

Dort, wo die staatliche Kriminalisierung nicht greift, ist der Übergang zum Paramilitarismus fließend. Die Funktion paramilitärischer Gruppen habe ich oben bereits kurz umrissen. Sie üben Repressionsaufgaben aus, die der Staat nur zu sehr hohen politischen Kosten tragen kann. Damit entzieht sich dieser nicht nur der Kritik, sondern kann sich auch als "Opfer des Extremismus" präsentieren und die Akzeptanz autoritärer Lösungen erhöhen. Dieses Konzept ist nicht originär kolumbianisch. Der Aufbau von parastaatlichen Parallelstrukturen ist Teil der Nationalen Sicherheitsdoktrin und lässt sich mindestens bis in die 60er Jahre zurückverfolgen[12]. Die Niederlage im Vietnam-Krieg veranlasste die US-Militärs, das Konzept im Rahmen der so genannten Low Intensity Warfare weiterzuentwickeln (Klare 1995). Wesentlicher Bestandteil der Strategie sind so genannte "psychologische Operationen" und die Einbindung der Zivilbevölkerung als Armee-Informanten und –Unterstützer in den Konflikt. In den Folgejahren wurden Dorfschützer- und Nationalmiliz-Syteme in den verschiedensten Bürgerkriegsländern etabliert, u. a. in Guatemala, der Türkei und auf den Philippinen. Dabei kam es in den genannten Ländern auch zu verdeckten Aktionen der Geheimdienste oder diesen nahestehender Gruppen.

Die kolumbianische Variante des Paramilitarismus besitzt zahlreiche Parallelen zu den ‚Dorfschützer’-Modellen, jedoch auch wichtige Unterschiede, die maßgeblich mit der Existenz des Drogenhandels zu tun haben. Zum einen hat sich nämlich mit den Kartellen die kolumbianische Alltagskultur grundlegend verändert. Gewalt wurde zum normalen, v. a. jedoch erfolgreichen Mittel der Konfliktregulation. Ausgehend vom Drogenhandel breitete sich die den illegalen Ökonomien eigene Brutalität in der Gesellschaft aus und prägte die Ausformung des Paramilitarismus. Die Bestialität, mit der die Todesschwadronen in Kolumbien Massaker begehen, wäre ohne die gesellschaftliche Deformierung als Folge der Drogenökonomie kaum vorstellbar. Zum anderen ist mit dem Drogenhandel ein Akteur entstanden, der sich hervorragend instrumentalisieren lässt. Die Capos sind in ihrem Bestreben nach Straffreiheit bereit, schmutzige Aufgaben für die Sicherheitsorgane zu übernehmen, und können gleichzeitig wiederum als Sündenböcke den Staat entlasten. Drittens schließlich teilen die Drogen-Capos auch die wirtschafts-, sozial- und ordnungspolitischen Vorstellungen der Regierung. "Beteiligt am neoliberalen Konzept sind logischerweise die großen Drogenhändler, die bei der Ausbreitung ihrer Geschäfte hohe Effizienz und Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen. Sie sind Anhänger des Freihandels. Außerdem machen ihre Investitionen in Ländereien unvorstellbar großen Ausmaßes die Einschüchterung und den Tod von Bauern notwendig, damit diese ihre Grundstücke verkaufen oder verlassen." Repression, Landkonzentration, illegale Ökonomie und neoliberale Konzepte verknüpfen sich also in der Praxis. "Jede Form der Organisation von Arbeitern, Bauern usw. wird im Rahmen ihrer (des Drogenhandels, d. V.) strategischen Konzepte zerschlagen." (Silva Romero 1998, S.174)[13]

So hat der Drogenhandel eine Schlüsselrolle beim Aufbau des kolumbianischen Paramilitarismus gespielt. Die erste wichtige Todesschwadron des Landes, die Medelliner Gruppe MAS ("Tod den Entführern"), die auf die aktive Unterstützung des Geheimdienstbataillons Charly Solano Bince (Giraldo 1996), des Bataillons Bomboná und der Geheimdiensteinheit S-2 zählen konnte (Colombia Nunca Mas 2000, S.384 ff), wurde von Angehörigen des Medellin-Kartells um die Ochoa-Familie gegründet. Auch an dem ländlichen Pilotprojekt der Paramilitärs, das 1982 im zentralkolumbianischen Magdalena-Tal nach einem Treffen von Armeeangehörigen, Viehzüchtern, der Texaco Oil Company und Politikern der Liberalen Partei entstand (Alonso 1997, S.147), waren die Capos aus Medellín (darunter ihr Sicherheits-Chef Gonzalo Rodríguez Gacha) federführend beteiligt. Als Rodríguez Gacha 1989 von Sondereinheiten der Polizei erschossen wurde, fand man bei ihm Sturmgewehre, die über den ausländischen Sicherheitsexperten Yair Klein nach Kolumbien gelangt waren. Klein trainierte in den 80er Jahren sowohl nicaraguanische Contras als auch kolumbianische Paramilitärs und war auf Vermittlung der Armee ins Land gelangt (Zelik 2002a)[14]. Dass das Medelliner Kartell dann Ende der 80er Jahre vom kolumbianischen Staat verfolgt wurde, hatte nichts mit diesen Verbindungen zum Paramilitarismus, sondern mit den wachsenden Machtansprüchen des Kartells gegenüber den traditionellen Eliten zu tun. Die Verbindung von Paramilitarismus und Drogenhandel bestand auch nach diesem Bruch fort. Im Kampf gegen die Medelliner Capos kooperierten die US-Drogenbehörde DEA und die kolumbianische Polizei-Sondereinheit Bloque de Búsqueda mit Drogenhändlern, die sich vom legendären Pablo Escobar abgewandt hatten. Diese so genannten "Pepes" (Verfolgte durch Pablo Escobar) töteten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Anfang der 90er Jahre an die tausend mutmaßlichen Anhänger des Medellín-Kartells und konnten dabei offensichtlich auf finanzielle Unterstützung des kolumbianischen Staates zählen (OGD 1994, zit. nach Azzellini 2001, S.129). Die Chefs der vom Staat protegierten Pepes, die Castaño-Brüder Carlos und Fidel, die selbst aus der Medelliner Mafia stammten und seit 1982 in Zusammenarbeit mit der Armee paramilitärische Aktionen durchführten (Colombia Nunca Mas 2000, S.385f), verwandelten sich wiederum kurze Zeit später in Anführer des paramilitärischen Dachverbandes AUC, der von der Regierung heute offiziell als "illegale bewaffnete Gruppe" verfolgt wird, de facto aber in allen Landesteilen gemeinsam mit der Armee agiert.

Die Verstrickung des Drogenhandels in den kolumbianischen Konflikt wird häufig als Beleg für die These verwendet, der Krieg in dem Land habe sich in einen Kampf zwischen Warlord-Fraktionen verwandelt, in dem die paramilitärischen Gruppen (ebenso wie die Guerilla) nur noch ökonomische Interessen verfolgten und weitgehend autonom agierten. Einer ernsthaften Überprüfung hält diese These jedoch nicht stand. Die an die 10.000 Seiten umfassenden Dokumente der Nunca Mas-Kommission, einer von allen wichtigen Menschenrechtsgruppen des Landes getragenen Kommission, zeigen deutlich, dass sich der Paramilitarismus zu keinem Zeitpunkt verselbständigt hat. Die Anwaltsgruppe Colectivo José Alvear Restrepo etwa spricht von einem "Staatsterrorismus, der mit Hilfe der Drohung, das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit" zu nehmen, die Bürger dazu zwingt, "das ihm angebotene Gesellschafts- und Staatsmodell zu akzeptieren" (Luis Guillermo Pérez, Colectivo de Abogados 2003). Oder wie Silva Romero (1998, S.173) schreibt: "Es gibt eine Tatsache, die niemand leugnen kann: die Umsetzung der neoliberalen Politik erfordert die Zerstörung der sozialen Organisationen[15], die dieser Politik Widerstand leisten können. Im Gegenzug hebt (der Neoliberalismus) die Autonomie des individuellen Willens hervor und strebt nach einer Demokratie zwischen Individuum und institutionellen Repräsentationsapparaten – ohne störende Intervention linker oder ‚populistischer’ Organisationen."

Man kann also feststellen, dass der Paramilitarismus dort eingreift, wo das neoliberale Projekt gefährdet scheint. Während des Streiks im öffentlichen Sektor im Oktober 1998 wurden die Streikenden durch den Mord an dem CUT-Vizepräsident Jorge Ortega eingeschüchtert. Auch das Attentat auf den Präsidenten der Gewerkschaft der Staatsangestellten und heutigen Kongressabgeordneten Wilson Borja im Dezember 2000 stand im Zusammenhang mit Protesten im öffentlichen Sektor.[16] Die gegen USO-Gewerkschafter gerichteten Morden und Entführungen der letzten Jahre fanden immer kurz vor oder nach so genannten Erdölforen statt, auf denen über die Ölpolitik der kolumbianischen Regierung diskutiert wurde. So traf es im Dezember 2001 den USO-Präsidenten Cartagenas und Mitorganisator des Forums an der Atlantikküste Aury Sarat, im Februar 2002 den Erdölgewerkschafter Gilberto Torres aus dem ostkolumbianischen Casanare und im März den Kollegen Rafael Jaime Torras[17], verantwortlich für die Organisation des Erdölforums im März 2002 in Barrancabermeja. Die Zahl der ICFTU, wonach 65% der Anschläge an Gewerkschaftern an Aktivisten im öffentlichen Sektor verübt werden, ist bereits oben zitiert worden.

Doch auf der anderen Seite ist der Paramilitarismus in Kolumbien auch mehr als nur eine parastaatliche Repressionsstruktur. Tatsächlich hat er zwar keine echte Autonomie, aber doch eine Eigendynamik entwickelt. Zum einen funktioniert der Paramilitarismus als eine Art Raubökonomie. Man kalkuliert, dass sich die Familien Castaño und Carranza seit 1990 mehrere Millionen Hektar Land angeeignet haben. Die Todesschwadronen ermöglichen damit den Prozess einer "umgekehrten Landreform", wie der Kleinbauernverband ANUC feststellt: Der Besitz der zwischen 2 und 4 Millionen Vertriebenen geht in die Hände von Unternehmen, Paramilitärkommandanten und Drogen-Capos über. Zum anderen ist der Paramilitarismus ein Mittel zur Durchdringung bisher wenig erschlossener Räume und zur Sicherung von privaten Investitionen, also die kriegerische Umsetzung von Globalisierugsstrategien und Kapitalinteressen. Das nordwestkolumbianische Departement Chocó beispielsweise, das sich über Jahrhunderte selbst überlassen blieb und in dem indigene und afrokolumbianische Communities in einer Form von Subsistenz-Autonomie lebten, ist seit etwa zehn Jahren Schauplatz von Vertreibungen und paramilitärischen Massaker. Nur unwesentlich älter sind die Erschließungspläne für die so genannte "Cuenca Pacífica". V. a. im Zusammenhang mit der FTAA-Freihandelszone soll das Grenzgebiet zu Panamá an Bedeutung gewinnen. Geplant sind der Ausbau der Panamericana-Straße, die Errichtung von Containerhäfen, ein "trockener", interozeanischer Kanal sowie die Ansiedlung von Industrien. Die paramilitärischen Kampagnen in den Departements Norte de Santander und Bolívar fallen zusammen mit der geplanten Erschließung äußerst reichhaltiger Steinkohle- respektive Goldvorkommen. Und während des von BP in Auftrag gegebenen Pipeline-Baus durch die "rote Zone" um Segovia starben in der Kleinstadt 140 Menschen, darunter alle Angehörigen des örtlichen Menschenrechtskomitees. Ein Recherche-Team der Tageszeitungen El Espectador und The Guardian fand heraus, dass BP das britische Söldnerunternehmen Defence Systems Colombia mit dem ‚Schutz’ der Pipelines beauftragt hatte. DSC wurde u. a. beschuldigt, Spitzelnetze in der Umgebung der Ölanlagen aufgebaut, Informationen über Gewerkschaftsaktivitäten an die Polizei weitergegeben, mit dem wegen Drogenhandels per internationalem Haftbefehl gesuchten Sicherheitsexperten Ricardo Zayas Marini Seminare durchgeführt (auf denen über den Einsatz von "hochtechnologischen Kriegsmaterialien" und psychologischen Operationen diskutiert werden sollte) und illegale Zahlungen an die kolumbianische Polizei getätigt zu haben (Zelik 2001a, S. 97 ff). Die Aggressivität, mit der transnationale Unternehmen Rohstoffvorkommen erschließen und dabei die Vertreibung von einheimischer Bevölkerung in Kauf nehmen oder sogar forcieren, veranlasste eine Sprecherin der kolumbianischen Indígena-Organisation ONIC im März 2000 auf dem ersten Vertriebenenkongress denn auch von einer "zweiten Conquista" zu sprechen.

Besonders perfide an der paramilitärischen Strategie ist dabei, dass sie sich gleichzeitig barbarisch und hochrational, archaisch und doch als Wegbereiter der Zivilisation präsentiert. Während auf der einen Seite Bauern die Köpfe abgehackt werden, um mit diesen Fußball zu spielen, gibt es andererseits eine offensichtlich nicht ganz kleine Web-Abteilung der Todesschwadronen, die unter www.colombialibre.org stets aktualisierte Nachrichten anbietet und sich in Geschwindigkeit und Umfang mit professionellen Medien durchaus messen kann. Mehr oder weniger zufällig finden popkulturelle Versatzstücke aus dem Horror-Genre wie das Kettensägenmassaker Eingang in die paramilitärische Praxis und damit in den Alltag kolumbianischer Kleinbauern, gleichzeitig verfolgen die Strategen des gegen die sozialen Bewegungen gerichteten Projekts aber auch eine politische Gesamtlinie. Dabei sind Mord und Folterungen nur zwei Bestandteile eines umfassenderen Konzepts:

Der Paramilitarismus ist also als vielschichtiges Phänomen zu sehen, bei dem sich unterschiedlichste ökonomische Prozesse (u. a. Drogenhandel, Globalisierung, umgekehrte Landreform), politische Strategien und militärische Programme überlagern. Seine wichtigste Aufgabe ist die Bewahrung des Status Quo gegenüber sozialrevolutionären Forderungen, wie sie sich Ende der 70er Jahre artikulierten. Der Paramilitarismus muss (im Gegensatz zur Guerilla) nicht gewinnen, um erfolgreich zu sein. Die Politik von Desinformation, Verwirrung und Mord kostet den Paramilitärs Sympathien, v. a. jedoch macht sie den politischen und sozialen Konflikt diffus und undurchschaubar. Als Folge davon zieht sich die Bevölkerung aus jeglichen Aktivitäten zurück und wünscht sich "Frieden, egal wie". Dieser Frieden ohne soziale Veränderung wiederum ist nichts anderes als das Einfrieren des gesellschaftlichen Status Quo, zu dessen Verteidigung der Paramilitarismus angetreten ist. Insofern versuchen die Paramilitärs sich auf politische, organisatorische und soziale Weise zu stärken, sind jedoch auch bereit, ihre organisatorische Stärke zugunsten einer Legalisierung aufzugeben, wie sie z. Zt. vom kolumbiansichen Staat vorgeschlagen wird.

Fallbeispiel: Coca Cola gegen SINALTRAINAL

Ein konkretes Beispiel für das Zusammenwirken antigewerkschaftlicher Praktiken ist der Konflikt zwischen Coca Cola und der Nahrungsmittelgewerkschaft SINALTRAINAL. Der Fall ist in doppelter Hinsicht interessant: Zum einen zeigt er, wie Konzerne an der gewalttätigen Durchsetzung neoliberaler Strategien mitwirken und antigewerkschaftliche Politik betreiben. Zum anderen gibt es durch die internationale Solidaritätskampagne mit den Coca Cola-Arbeitern auch praktische Erfahrungen, wie sich internationale Gewerkschaftszusammenschlüsse in derartigen Konflikten positionieren.

Coca Colas Präsenz in Kolumbien ist über Lizenznehmer vermittelt. Wie aus einer von United Steel Workers (2001) und International Labor Right Fund vor dem Distriktgericht Südflorida eingerichteten Zivilklage gegen den Konzern hervorgeht, wird die Marke Coca Cola in dem südamerikanischen Land von Coke Colombia vertreten. Die wichtigsten Abfüller für den lateinamerikanischen Markt sind die miteinander verbundenen Gesellschaften Panamerican Beverages Inc.[19], eine auf der New Yorker Börse gehandelte Aktiengesellschaft, und die Coke-Tochter Panamco Ltd, die gemeinsam unter dem Namen Panamco auftreten und beide ihren Hauptsitz in 701 Waterford Way, Miami, unterhalten. Panamco, das die Softdrink-Lizenzen für Brasilien, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Nicaragua, Mexiko und Venezuela besitzt, wird von Coca Cola als "Ankerunternehmen" bezeichnet. Darunter versteht The Coca Cola Company laut Geschäftsbericht ein Unternehmen, "(that is) strongly committed to the strategic goals of the Company and to furthering the interests of our worldwide production, distribution and marketing systems." (ebenda, Punkt 16). In Kolumbien wiederum wird Panamco von dem Tochterunternehmen Panamco Colombia repräsentiert, das einzig und allein zur Abfüllung und Vermarktung der Coke-Softdrinks gegründet wurde. Alle 17 Abfüllanlagen Coca Colas in Kolumbien, darunter u. a. "Embotelladora de Santander S. A." und "Embotelladora Roman S. A.", stehen unter Kontrolle von Panamco Colombia (ebenda, Punkt 17). Die Abfüllanlagen selbst jedoch sind Eigentum von teilweise unabhängigen Kapitalgesellschaften. Haupteigentümer und Manager der Abfüllanlage Carepa, in denen sich die schwersten Übergriffe gegen Gewerkschafter ereigneten, ist beispielsweise der ebenfalls in Florida ansässige US-Bürger Richard I. Kirby, der seine Geschäft gemeinsam mit Sohn Richard Kirby Keilland und der Verwandten Peggy Ann Keilland führt (ebenda, Punkt 19).

SINALTRAINAL (2002) ist 1982 als Zusammenschluss der Betriebsgewerkschaften Sinaltralarosa, Sintracicolac und Sintranestle als Industriegewerkschaft im Nahrungsmittelsektor entstanden. Mitglied der CUT und in der "Kampagne gegen Straflosigkeit", gehört SINALTRAINAL zum linken Flügel der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung. Mit ursprünglich an die 6000 Mitgliedern war SINALTRAINAL lange Zeit eine für kolumbianische Verhältnisse mittelgroße Gewerkschaft, die jedoch durch politische Aktivitäten auch außerhalb der eigenen Industrie wahrgenommen wurde. So hat sich SINALTRAINAL, ähnlich wie die Erdölgewerkschaft USO, immer wieder dadurch ausgezeichnet, sich nicht auf Belegschaftsvertretung zu beschränken. Mitte der 90er Jahre entwickelte die Gewerkschaft in Zusammenarbeit mit Bauernorganisationen die so genannte Propuesta Agroalimentaria, einen Vorschlag zur Lösung des kolumbianischen Nahrungsversorgungs- und Unterernährungsproblems. In diesem Zusammenhang bemühte sich SINALTRAINAL um den Aufbau von Produzenten-Konsumenten-Ringen, mit denen die Lebensmittelversorgung in den Städten und die Absatzlage für Kleinbauern verbessert werden sollten. Auch wenn die praktische Umsetzung des Projekts scheiterte – es fehlte an betriebswirtschaftlichen Kapazitäten und organisatorischen Rahmenbedingungen: fast alle Kooperativen wurden von Paramilitärs zerschlagen – profilierte sich SINALTRAINAL auf diese Weise als Gewerkschaft mit gesellschaftspolitischem Profil.

Dieses Selbstverständnis sowie die Konfliktbereitschaft der Gewerkschaft waren denn auch der Grund, warum SINALTRAINAL Anfang der 90er Jahre zunehmend unter Druck von Staat, Unternehmen und Paramilitärs geriet. Vorwürfe in diesem Zusammenhang formuliert die Gewerkschaft u. a. gegen Nestlé und Coca Cola. Im Fall des Softdrink-Konzerns zeichnen Gewerkschaftssprecher das Bild eines vielschichtigen Angriffs, mit dem sich Arbeits- und Organisationsbedingungen grundlegend verschlechtert hätten (Azzellini 2002):

"Anfang der 90er Jahre arbeiteten in den verschiedenen Coca-Cola-Niederlassungen Kolumbiens etwas über 10.000 Arbeiter, sie verfügten über unbefristete Verträge und ein durchschnittliches Einkommen von 600-700 US-Dollar. Heute, nach der grundlegenden Umstrukturierung des Unternehmens, haben nur noch etwa 2.500 Arbeiter Verträge mit Coca-Cola und nur 500 davon feste Verträge, weitere 7.500 sind über Subunternehmer beschäftigt. Das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt nur noch etwa 150 US-Dollar. Im Zusammenhang mit Arbeitskonflikten wurden bei Coca-Cola Kolumbien 1995/1996 sieben unserer Gewerkschaftsführer ermordet, über 50 mussten ihre Regionen verlassen, und über 6000 der insgesamt 10.000 Beschäftigten wurden während des vergangenen Jahrzehnts ausgetauscht. Die Zahl unsrer Mitglieder bei Coca-Cola sank von ehemals 2.500 auf 500. Doch auch den mit Hilfe des Unternehmens gegründeten neuen Mini-Gewerkschaften ergeht es nicht gut, sobald sie zu viel fordern. Im vergangenen Jahr wurden zwei Vertreter der unternehmertreuen Gewerkschaft SINALTRAINBEC von Paramilitärs ermordet."

In der in Florida eingereichten Zivilklage ist v. a. der Fall der nordkolumbianischen Kleinstadt Carepa nachgezeichnet. Dort, in einem von Paramilitärs und Sicherheitsorganen gemeinsam kontrollierten Ort, wurden 1994 zwei bei SINALTRAINAL organisierte Coca Cola-Arbeiter getötet. Wenig später begannen Paramilitärs, die Gewerkschaft so massiv zu bedrohen, dass die lokale SINALTRAINAL-Führung die Stadt verlassen musste. Im Juni 1995 wurde ein neuer Vorstand gewählt, zu dem auch der später ermordete Isidro Gil gehörte. Einen weiteren Monat später stellte Coca Cola neue Arbeitskräfte ein, darunter auch jene Paramilitärs, die einige Wochen zuvor die Gewerkschafter bedroht hatten (United Steel Workers 2001, Punkt 40-42). Im September 1995 versuchte Ariosto Milan Mosquera, Manager der Coke-Abfüllanlage in Carepa, ein führendes Gewerkschaftsmitglied zu entlassen. Nachdem dies von einem Arbeitsgericht untersagt worden war, verschärfte Mosquera die Drohungen. Er erklärte öffentlich, dass er die Paramilitärs angewiesen habe, die Gewerkschaft zu zerschlagen (ebenda, Punkt 43-45). SINALTRAINAL informierte Coca Cola Colombia und Panamco Colombia am 27. 9. 1996 in einem Brief über die Situation und bat um Unterstützung. Mosquera drohte den Gewerkschaftern in Carepa daraufhin erneut. (United Steel Workers 2001, Punkt 46-48) Am 18. November 1996 legte die Gewerkschaft einen Vorschlag zur Modifikation des Arbeitsvertrags vor. Demnach sollte das Abfüllunternehmen Carepa ("Bebidas y Alimentos") Sicherheitsmaßnahmen für die Arbeiter treffen. Manager Mosquera nahm diesen Vorschlag mit nach Bogotá, wo er sich mit Richard Kirby Keilland, dem Sohn des Haupteigentümers von "Bebidas y Alimentos" zu einem Gespräch traf. Am 5. 12. 1996 töteten Paramilitärs den zur Verhandlungsdelegation der Gewerkschaft gehörenden SINALTRAINAL-Funktionär Isidro Gil; in der Nacht zündeten Paramilitärs das Gewerkschaftsbüro an, am folgenden Tag wurden auch die anderen Führungsmitglieder bedroht. Am Morgen des 7.12.1996 drangen Paramilitärs auf das Werksgelände ein und erklärten den Arbeitern, dass sie aus SINALTRAINAL austreten oder Carepa verlassen müssten. Die Arbeiter wurden gezwungen, im Büro des Geschäftsführers von "Bebidas y Alimentos" vorbereitete Austrittserklärungen zu unterzeichnen (ebenda, Punkt 49-52). Die Paramilitärs verkauften die im Gewerkschaftsbüro gestohlenen Krankenversicherungskarten an das Abfüllunternehmen, das SINALTRAINAL-Büro wurde von den Todesschwadronen in Besitz genommen, und Ende Dezember 1996 ein weiterer Gewerkschafter erschossen. 1997, als SINALTRAINAL in Carepa bereits vollständig zerschlagen war, übernahm Peggy Ann Keilland, eine Verwandte der Familie Kirby die Geschäftsführung. Sie sorgte dafür, dass die Paramilitärs das Werksgelände nicht mehr betraten. Trotzdem gab es im Jahr 2000 eine weitere Tote: Die Witwe von Isidro Gil wurde mehr als 3 Jahre nach den Ereignissen ebenfalls erschossen (United Steel Workers 2001, Punkte 53-58). SINALTRAINAL versorgt seitdem die beiden Waisen der Familie Gil.

Dies ist nicht der einzige Fall von Gewaltanwendung, in den Coca Cola-Lizenznehmer verwickelt sind. In der Abfüllanlage der nordostkolumbianischen Stadt Bucaramanga etwa kam es 1995 zu einem 5-tägigen Streik, nachdem das Unternehmen die arbeitsvertraglich geregelte Krankenversicherung einseitig aufgekündigt hatte und ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkam. Wenige Tage später behauptete der Sicherheits-Chef des Unternehmens eine Bombe gefunden zu haben. Die SINALTRAINAL-Funktionäre Eduardo Garcia, Alvaro González Pérez and José Domingo Flores wurden des Terrorismus bezichtigt und verhaftet. Die Bombe tauchte zwar nie auf, doch die Angeklagten wurden unter verschärften Bedingungen inhaftiert: Sie wurden in einem von Paramilitärs kontrollierten Trakt[20] untergebracht, konnten Duschen und Toiletten nur unter größten Vorsichtsmaßnahmen nutzen (dort geschehen die meisten Morde innerhalb der Gefängnisse) und durften nur einmal im Monat Besuch empfangen. Nach 6 Monaten schließlich stellte die Staatsanwaltschaft fest, dass die Anklage haltlos sei und die Gewerkschafter freigelassen werden müssten (ebenda, Punkt 59-70). Auch in anderen Städten kam es zu ähnlichen Ereignissen. In Cúcuta an der venezolanischen Grenze schoss 1998 ein Wachschützer, durch Warnungen des der Coca Cola-Werksleitung verunsichert, auf einen Gewerkschafter, ein weiterer Funktionär wurde 1999 von Paramilitärs entführt, gefoltert und mit dem Tode bedroht (ebenda, Punkt 71-78). In der Erdölstadt Barrancabermeja versuchten Paramilitärs die 4-jährige Tochter des Coca Coca Cola-Gewerkschafters William Mendoza zu entführen. Und in Barranquilla / Karibik wurde im August 2002 der SINALTRAINAL-Funktionär und CUT-Vizepräsident der Region Atlántico Adolfo Múnera López ermordet. Múnera war 1997 von Coca Cola entlassen worden, weil er nach einer Hausdurchsuchung durch Armee-Einheiten die Stadt aus Angst vor einer Ermordung verlassen hatte und nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen war. Die Kündigung wurde von einem Arbeitsgericht jedoch im Sommer 2002 zurückgewiesen. Wenige Tage nach dem Gerichtsbeschluss töteten Unbekannte Múnera vor der Wohnung seiner Mutter. (vgl. Equipo Nizkor 2002)[21]

Vor diesem Hintergrund ist SINALTRAINAL auf etwa 2000 Mitglieder geschrumpft - ein weiteres Beispiel für das oben bereits erwähnte "Gewerkschaftssterben". Um diese Situation öffentlich zu machen, haben Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaftslinke, Globalisierungskritiker und einige kirchliche Gemeinden in mehr als 10 Ländern seit 2001 Aktivitäten entwickelt. Auch European und World Social Forum haben den Fall aufgegriffen und zu Solidaritätsaktionen mit den kolumbianischen Gewerkschaftern aufgefordert. Das Ziel der Kampagne ist es, Coca Cola zur Unterzeichnung eines umfassenden Kodexes zu verpflichten, das Anker- und Lizenzunternehmen mit in die Pflicht nimmt. Doch wer glaubt, ein derartiges Unterfangen, das letztlich auf die Durchsetzung elementarer Organisationsrechte abzielt, müsse auf wohlwollende Unterstützung der internationalen Gewerkschaftsverbände stoßen, täuscht. Um ein Treffen mit den SINALTRAINAL-Präsidenten Edgar Paez und Javier Correa gebeten, erklärte beispielsweise der zuständige Sekretär der NGG in Deutschland, man wisse nicht, wie sich die kolumbianische Gewerkschaft finanziere, und fügte hinzu, Gewalt sei kein geeignetes Mittel, um Konflikte zu lösen. Offensichtlich hatte die NGG Informationen bei der Coca Cola Company und den Partnergewerkschaften in der IUL (Internationale der Lebensmittelgewerkschaften) eingeholt. Die kolumbianische IUL-Sektion besteht interessanter Weise aus den Gewerkschaften SINTRAINAGRO und SICO. SINTRAINAGRO wurde, wie oben bereits dargestellt, Mitte der 90er Jahre nach der Ermordung der alten Gewerkschaftsführung von Funktionären übernommen, die – um es vorsichtig auszudrücken – von den Todesschwadronen zumindest nicht als Gegner betrachtet werden. SICO wiederum übernahm mit Hilfe von SINTRAINAGRO jenen Platz, den SINALTRAINAL nach den Morden 1996 in der Abfüllunterlage von Carepa aufgeben musste. Der SICO-Funktionär Luis Alejandro Pedraza, der sich zu keinem Zeitpunkt solidarisch mit den vertriebenen SINALTRAINAL-Kollegen gezeigt hat, ist für IUL ausgerechnet als Menschenrechtsberichterstatter aus Kolumbien tätig. Als schließlich durch die Solidarität einer NGG-Sektion doch noch ein Treffen zwischen NGG-Vorstand und dem SINALTRAINAL-Vize zustande kam, zweifelte die deutsche Seite die Darstellung des kolumbianischen Gewerkschafters an und verwies darauf, dass man richtige Solidarität nur innerhalb der IUL leisten könne.

Ähnlich deprimierend sind auch die Erfahrungen bei der Vorbereitung einer internationalen Delegation von Chemie-Gewerkschaftern. Die Reisegruppe, die die kolumbianischen Kollegen von USO, CUT und CGTD besuchen wollte, musste im Oktober 2002 abgesagt werden, nachdem der CUT aus Reihen der ICFTU Missmut signalisiert worden war, weil die Delegation angeblich nicht ausgewogen genug konzipiert sei. Der örtliche ICFTU-Verband CTC sei nicht berücksichtigt worden. CTC vertritt in etwa 65.000 Mitglieder und ist vom schmutzigen Krieg nur in geringem Maße betroffen; die zur Delegation einladenden CUT und CGTD 650.000.

In Anbetracht solcher Reaktionen fragt man sich, welche Krise eigentlich schwerer wiegt: die Überlebenskrise kolumbianischer Gewerkschaften oder die moralische Krise internationaler Gewerkschaftsapparate. Doch die Angelegenheit besitzt auch eine bedenkliche politische Komponente: Eine Gewerkschaft, die nicht erkennt, dass die Globalisierung in ihrer heutigen Form v. a. ein strategisches, mit gewalttätigen Mitteln betriebenes Projekt kapitalistischer Durchdringung und Unterwerfung ist (und nicht einfach nur ein politisch zu wenig regulierter Prozess der Internationalisierung), könnte sehr schnell selbst zum Opfer dieser Globalisierung werden. Am - zugegebenermaßen – extremen Beispiel Kolumbien lässt sich erkennen, wie weit neoliberale Politik bei der In-Wert-Setzung von Mensch, Natur und Gesellschaft zu gehen bereit ist. Wer das nicht durchschaut, wird möglicherweise eines Tages mit der gleichen Rücksichtslosigkeit zerstört werden, wie man sie heute in den Ländern des Südens beobachten kann.

 

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Summary

Raul Zelik: Dying of Labor Unions in Colombia. On the relationship between neoliberal deregulation, state policy and paramilitarism. The persecution of labor unionists by paramilitarian groups, the policy of deregulation of the labor market, and the criminalization of labor unions in the public sector seem to pursue the same strategy. Its aim is the weakening or disappearance of organizations that resist a policy which is friendly to (transnational) capital. The 200 murders that are committed every year against Colombian unionists, in that sense, are not only a result of civil war. The article reads the violence in Colombia as an appearance of globalization process.

Anmerkungen

1) Übertragung aus dem Spanischen von mir.

2) Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez hat die Geschichte dieses Streiks weltberühmt gemacht. Mehrere hundert Bananenpflücker und ihre Verwandten, die sich in Erwartung einer Verhandlungsdelegation der United Fruit Company am Bahnhof der Kleinstadt Ciénaga versammelt hatten, wurden von der Armee regelrecht massakriert, und ihre Leichen ins Meer geworfen.

3) Cardenas (1990, S. 50) spricht für Mitte der 80er Jahre von 101 regionalen Föderationen und 2172 Gewerkschaften.

4) Bemerkenswerterweise besitzen die CGTD –trotz ihrer rechtskonservativen Wurzeln – und der ‚christdemokratische’ Weltverband World Confederation of Labour heute eine größere Bereitschaft, sich mit den sozialen Bewegungen Kolumbiens zu solidarisieren als die ‚sozialdemokratischen’ CTC und ICFTU.

5) Es ist bemerkenswert, dass Kokain das einzige wichtige Exportprodukt Kolumbiens ist, dass im Land selbst prozessiert wird.

6) Kruijt et al. (1996) sprechen von vier auf dem Kontinent beobachteten Effekten: Reallohnsenkungen, wachsende Arbeitslosigkeit, Liberalisierung und Flexibilisierung v. a. des produzierenden Gewerbes und eine Arbeiter bzw. Unterschichten im Allgemeinen zusätzlich belastende Sozial- und Wirtschaftspolitik.

7) Man sollte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass Cesar Gaviria, der von der US-Regierung als OAS-Präsident vorgeschlagen wurde, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat. Während seiner Amtszeit, die wegen der Verabschiedung der Verfassungsreform 1991 häufig als Modernisierungsphase bezeichnet wird, breitete sich der Paramilitarimus in Kolumbien rasant aus. In Riofrío und Trujillo / Valle de Cauca verübten Armee-Einheiten im Dienst des Cali-Kartells mehrere Massaker an Kleinbauern, wegen derer die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte den kolumbianischen Staat schließlich verurteilte (Comisión Andina de Juristas, 2001, http://www.cajpe.org.pe/RIJ/bases/mecanism/11654.htm, 4. 1. 2003).

8) Verschiedene Kleinbauernorganisationen gehen davon aus, dass bis zu einer Million Kolumbianer, die vom Anbau von Mais und Kaffee lebten, der Weltmarktkonkurrenz nicht standgehalten haben und die traditionelle Landwirtschaft seit Beginn der Apertura aufgeben mussten. Einige Zehntausend von ihnen dürften sich heute mit Kokapflanzungen über Wasser halten, was deutlich macht, wie absurd die US-Regierung in der Drogenbekämpfung argumentiert. Während mit unkalkulierbaren ökologischen Folgen Herbizide über kolumbianischen Urwaldgebieten versprüht werden, schafft die von den USA forcierte Agrarpolitik erst die ökonomische Grundlage für die Ausbreitung der Koka- und Schlafmohnpflanzungen.

9) Das Gesetz drängte ein Viertel der Staatsangestellten in ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse ab.

10) Die folgenden Informationen beruhen im Wesentlichen auf einer Exkursion in die Sabana de Bogotá im März 2002.

11) In der Frage der Ressourcenpolitik stehen "nationale" im Gegensatz zu "staatlichen Interessen". So wehrt sich die Gewerkschaft der Goldsucher SINTRAMINERCOL gegen eine Neuregelung des Eigentums an Bodenschätzen. Bisher war Gold Eigentum der kolumbianischen Nation, d. h. jede/r Bürger/in konnte Claims anmelden. Mit der geplanten Reform sollen die Abbaurechte in die Hände des Staates übergehen, der diese dann international vermarkten kann. Dies hat schwerwiegende soziale Konsequenzen.

12) Wer Costa-Gravas’ Spielfilm ‚Z’ gesehen hat, besitzt eine Vorstellung davon, wie auch in Europa im Rahmen der "Strategie der Spannung" ähnliche Modelle zur Anwendung kamen.

13) Derartige Verbindungen zwischen Mafia, Todesschwadronen und Sicherheitsdiensten sind auch anderswo nachgewiesen worden. Man denke etwa an den "tiefen Staat" in der Türkei oder die im Zusammenhang mit dem Iran-Contragate-Skandal in den 80er Jahren aufgedeckte Kooperation zwischen nicaraguanischer Contra, US-Regierungskreisen und dem lateinamerikanischen Kokainhandel.

14) Interessant sind auch die Verbindungen, die der Untersuchungsbericht der US-Senatoren John Kerry (Dem-Mass) und Hank Brown (Rep-Colo) über die Affäre um die pakistanische BCCI-Bank aufzeigt. Dem Bericht zufolge wurde der Waffenhandel mit den Medelliner Drogen-Capos über eine Melonenzucht in Antigua abgewickelt. Diese Farm war 1983 von Overseas Private Investment Corporation (OPIC), einer US-Agentur, die "in Amerikas wirtschaftlichem und strategischem Interesse liegende Privatinvestitionen in Übersee" fördert, mit einem 2 Mio Dollar-Kredit bedacht worden. Yair Klein und sein Partner Maurice Sarfati planten, auf der Farm Trainingskurse in Sicherheitspraktiken durchzuführen. Für den Kredit gegenüber OPIC bürgte die BCCI-Bank. Mit Hilfe von BCCI, die nach ihrem Zusammenbruch als internationale Geldwaschanlage bekannt wurde, finanzierten US-Geheimdienste verdeckte Operationen in der ganzen Welt, u. a. in Nicaragua und Afghanistan. 20 Prozent der Bank gehörten Scheich Mahfouz, der wegen der BCCI-Affäre in den USA Anfang der 90er Jahre 170 Millionen US-Dollar Strafe zahlen musste und im Jahre 2001 wieder ins Gespräch kam - als angeblicher Vertrauensmann Osama Bin Ladens. Erwähnenswert ist weiterhin, dass der Geschäftsmann Bruce Rappaport dem Untersuchungsbericht zufolge die Schulden der Melonenzucht gegenüber OPIC einige Jahre später mit 50 Prozent Wertminderung übernahm. Der Bericht besagt, Rappaports Geschäfte seien eng mit der BCCI-Bank verwoben gewesen, und bezeichnet ihn als "Vertrauten" des damaligen CIA-Chefs William Casey. (A Report to the Committee on Foreign Relations United States Senate by Senator John Kerry and Senator Hank Brown, December 1992, 102d Congress, 2d Session, Senate Print 102-140)

15) Im Spanischen: organizaciones populares.

16) Wegen des Anschlags, der in Bogotaner Armeekreisen vorbereitet worden war, wurde 2002 der Hauptmann des Heeres César Alonso Maldonado Vidales angeklagt (Fiscalía de la República, 2002). Dass diese Anklage erhoben wurde, entlastet den kolumbianischen Staat nicht. Die für das Funktionieren paramilitärischer Aufstandsbekämpfung unablässige Aufrechterhaltung formaldemokratischer Verhältnisse macht es erforderlich, dass die Justiz autonom agiert. Zudem wäre es wohlkaum zu ernsthaften Ermittlungen gekommen, wenn nicht Leibwächter Borjas einen der Attentäter angeschossen hätten. Im Handy des Killers waren zahlreiche Telefonate mit Armee-Angehörigen gespeichert. Diesen Nummern ist die Staatsanwaltschaft nachgegangen.

17) Über den Tod von Jaime Torras und eine Unterhaltung wenige Stunden vor dem Anschlag vgl. Zelik, "Schweigen ist das Schlimmste", in: taz, 22.4. 2002.

18) In europäischen Gewerkschaftskreisen, die mit SINTRAINAGRO zusammenarbeiten, heißt es des öfteren, der Verweis auf die Verbindungen SINTRAINAGROS zum Paramilitarismus gefährde das Leben von Kollegen. Tatsächlich sind im Jahr 2002 zwar eine Reihe von Basisaktivisten der Bananenarbeitergewerkschaft, aber (im Unterschied zu anderen Gewerkschaften) keine Funktionäre ums Leben gekommen. Es gibt also bisher keine Anzeichen eine Kampagne der Guerilla gegen missliebige Gewerkschaften – auch wenn solche Angriffe leider nicht ausgeschlossen sind. Zudem sollte man bei einer Bewertung SINTRAINAGROs bedenken, dass die heutige Gewerkschaftsführung nur deshalb im Amt ist, weil die alte Führung Anfang der 90er Jahre ins Exil gezwungen oder umgebracht wurde. Der Unternehmerverband UNIBAN hatte 1986/87 den bereits erwähnten Ausbilder Klein in die Bananen-Region Urabá geholt, um paramilitärische Gruppen zu trainieren. Seit etwa 1994 gilt Urabá, so die offizielle Sprachregelung, als "befriedet", d. h. die alten Gewerkschaftsstrukturen sind zerschlagen (vgl. Zelik 2001a, S.15-17, Interview mit dem exilierten SINTRAINAGRO-Generalsekretär Gerardo Nieto, sowie S.216-221)

19) Nach einer Reuters-Meldung vom 23.12.2002 wird das mexikanische Unternehmen CocaCola Femsa Panamerican Beverages für 2,7 Milliarden US-Dollar (plus 880 Millionen US-Dollar Verbindlichkeiten) übernehmen. The Coca Cola Company, die Anteile an Panamerican Beverages hält, soll im Rahmen der Transaktion 304 Millionen Femsa-Aktien erhalten. Zur Finanzierung des Geschäfts werde Coca Cola Femsa, so Reuters, 2 Milliarden US-Dollar Kapital bei JP Morgan Chase und Morgan Stanley aufnehmen. Femsa verwandelt sich durch die Transaktion in den zweitgrößten Vermarkter von Coca Cola weltweit (20% des Gesamtverkaufs).

20) Es gibt in Kolumbien trotz der dargestellten Komplizenschaft des Staates mit den Paramilitärs inhaftierte Mitglieder dieser Gruppen. Die Basis der Paramilitärs kann man in den Gefängnissen gut gebrauchen. Dort nämlich dienen sie zur Kontrolle der Haftanstalten: Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen sind inhaftierte Paramilitärs in mehreren Fällen von der Gefängnisleitung mit Waffen und Kommunikationsmitteln versorgt worden, um die Organisierung der politischen Gefangenen zu unterbinden. Gleichzeitig bewegen sich die Kommandanten der Paramilitärs weitgehend unbehelligt im Land: Militärchef Salvatore Mancusso etwa traf sich nach Angaben der kolumbianischen Tagespresse Ende 2002 in einem Nobel-Club in Bogotá mit Vertretern der politischen Elite. Carlos Castaño wohnt, wie ein entführter Geschäftsmann berichtete, in luxuriös ausgestatteten Villen an der Grenze der Departements Córdoba und Antioquia.

21) Der kolumbianische Fall ist im übrigen nicht der erste, der sich in Coca Cola-Anlagen ereignet. Anfang der 80er Jahre zwang eine internationale Kampagne die Coca Cola-Company dazu, sich von einem guatemaltekischen Abfüllunternehmen zu trennen. In den Coke-Anlagen des mittelamerikanischen Landes waren 3 Gewerkschaftsführer ermordet und auf einen vierten ein Anschlag verübt worden.

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