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Keine Kaution, kein Anwaltsbesuch, Einschüchterung von Angehörigen gegen wachsende Solidarität mit chinesischen AktivistInnen

Der Beitrag „Updates on the Guangdong Five: December 9 through 13“ am 14. Dezember 2015 bei libcom.org externer Link ist, wie der Titel besagt, ein Update über die Ereignisse in Zusammenhang mit der Massenfestnahme von Labour-AktivistInnen in Südchina bis zum 13.12. Darin werden vor allem die zahlreichen Schikanen und Repressionsmaßnahmen berichtet, denen sich sowohl Angehörige der Festgenommenen ausgesetzt sehen, als auch Aktivisten der betroffenen NGOs, inklusive etwa Aufforderungen an Vermieter, Mietverhältnisse zu beenden, aber eben auch die Verweigerung der Freilassung auf Kaution für eine schwangere Inhaftierte und neuerliche Absagen an Anwälte, ihre MandantInnen sprechen zu können. Siehe dazu auch Berichte über neue Solidaritätsaktionen und die deutsche Übersetzung eines Hintergrundartikels

  • Hintergründe zur Repression gegen Streikunterstützer in Guangzhou

    (Veröffentlicht am 5. Dez. 2015, aktualisiert am 14. Dezember 2015 bei libcom.org – LabourNet Germany dankt der Gruppe Solidarität mit chinesischen Arbeitern für die Bereitstellung der Übersetzung)

    Anfang Dezember stürmte die Polizei in Guangzhou und Foshan, zwei Städte im Perlflussdelta in der Provinz Guangdong, die Büros von vier NGOs, die sich für die Stärkung von Arbeitnehmerrechten einsetzen. Anderen NGOs zufolge haben alle betroffenen Personen, die für die Polizei von Interesse sind, zu irgendeinem Zeitpunkt für das Panyu Dogangzu Zentrum (番禺打工族服务部) gearbeitet.
    Am 4. Dezember, nach einem Tag ohne jeglichen Nachrichten über die Vorfälle, wurden die Familien von Zeng Feiyang (曾飛洋) und Zhu Xiaomei (朱小梅), die beide für Panyu Dagongzu arbeiten, darüber informiert, dass beide sich in der Guangzhou Haftanstalt Nummer 1 befinden und gegen sie wegen „Aufruf zur Versammlung und Störung der öffentlichen Ordnung“ (聚众扰乱社会秩序罪) ermittelt werde. He Xiaobo (何曉波), der Leiter des Nanfeiyan Sozialzentrums (南飞雁社会工作服务中心), welches sich insbesondere mit Arbeitsunfällen beschäftigt, befindet sich in der Nanhai Bezirkshaftanstalt in Foshan, gegen ihn wird wegen Veruntreuung (职务侵占罪) ermittelt.
    In den letzten Jahren wurden diese beiden Organisationen aufgrund ihres Einsatzes für den Schutz von Arbeitnehmerrechten (维权)sowohl von staatlicher als auch ausländischer finanzieller Unterstützung abgeschnitten und ihren Leitern wurden Reisen ins Ausland verweigert. Jetzt erleben sie die bisher heftigsten Angriffe.
    [Anmerkung der Übersetzer: „Schutz von Arbeitnehmerrechten“ (工人维权) galt zunächst als politisch korrekter, auf die „Wahrung des Gesetzes“ zielender Begriff, im Gegensatz zu Straftatbeständen wie „unvernünftiges Verhalten“ oder „Unruhestiftung“ (闹事). Heute jedoch sehen Behörden selbst in „Rechtsschutz“ potentiellen Aufruhr. Dies schließt sowohl die Handlungen zur Vertretung von Arbeiternehmerinteressen von Einzelpersonen als auch von Gruppe ein, und zwar sowohl auf dem Rechtsweg als auch in legalen, direkten Aktionen. In diesem Fall scheint es um direkte Aktionen von Gruppen zu gehen, da die vier betroffenen NGOs in China die einzigen ihrer Art sind, die kollektive Lohn- und Arbeitskämpfe direkt unterstützen.]

    Der Polizeieinsatz in Guangzhou und Foshan richtet sich gegen vier wichtige Labour-NGOs, von denen insgesamt 15 Personen, Festangestellte wie Gastmitarbeiter, festgenommen wurden. Gegenwärtig befinden sich drei Personen in Haft und gegen sie wird strafrechtlich ermittelt, sechs wurden entlassen, fünf werden vermisst und können nicht erreicht werden und eine Person steht unter Hausarrest. [Anmerkung der Übersetzer: Am 7. Dezember wurde bestätigt, dass gegen eine vierte Person, Deng Xiaoming, ebenfalls strafrechtlich ermittelt wird. Andere Quellen gehen von insgesamt 21 Festnahmen zwischen dem 3. und 6. Dezember aus, fünf werden immer noch vermisst oder befinden sind ohne nähere Angaben in Haft.]
    Ein Arbeiterrechtsaktivist sagt hierzu: „Dieses Mal handelt es sich offenbar um einen Teil eines Plans, der von oben kommt. Aus den Fragen der Polizei lässt sich schlussfolgern, dass die Behörden nachweisen wollen, dass es sich bei den vier unabhängigen Arbeiterrechts-NGO letztliche um eine einzige zentral von Zeng Feiyang organisierte handele. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie dies als Vorwand benutzen werden, um die Überwachung und Kontrolle dieses Felds zu verschärfen.“

    Am 3. Dezember um 11 Uhr morgens kam die Polizei plötzlich zu den Büros des Haige Arbeiterzentrums (海哥劳工服务部) und nahm die beiden Angestellten Bin Xue (賓雪) und He Bing (何兵) sowie die beiden Gastmitarbeiter Huang Dongmei (黃冬梅) und Cheng Nengwen (成能文) mit. Die vier wurden in der Fuhua Polizeistelle inhaftiert. Nach Anfertigung eines Berichtes wurden sie um 16 Uhr entlassen. Am Vormittag befand sich Chen Huihai (陈辉海), der Leiter des Zentrums nicht im Büro, da er bei der Bezirksregierung Informationen über Handel und Industrie einholen wollte. Die Polizei teilte ihm daraufhin telefonisch mit, sich unverzüglich in der Polizeistelle einzufinden. Chen suchte zwischenzeitliche Schutz in einem Hotel, wo er um 14 Uhr von Radio Free Asia interviewt wurde. Gegen 16 Uhr wurde sein Telefon abgestellt und er konnte nicht mehr erreicht werden. [Anmerkung der Übersetzer: Am 5. Dezember konnte Chen wieder kontaktiert werden und befand sich in Hausarrest, am 7. Dezember wurde er aus dem Hausarrest entlassen.]

    Verhöre beziehen alles auf Zeng Feiyang
    Während des Polizeieinsatzes konnten die folgenden acht Personen nicht kontaktiert werden: Zeng Feiyang, Leiter des Panyu Dangongzu Arbeiterzentrums; Luo Hongmei (骆红梅) Leiter des Sunflower Arbeiterinnenzentrum (番禺向阳花女工中心); und die Angestellten Zhu Xiaomei (朱小梅), Peng Jiayong (彭家勇), Meng Han (孟晗), He Minghui (何明辉), Deng Xiaoming(邓小明) und Zou Jiajun(邹佳俊). Sie wurden auf die Polizeistation im innerstädtischen Dorf Nan (南村) im Bezirk Panyu in Guangzhou gebracht. Als einige Arbeiter an der Polizeistelle nach Auskunft fragen wollten, wurde ihnen der Zutritt verweigert. Um 22 Uhr wurden Luo und Zou nach Anfertigen eines Berichts schließlich entlassen. Luo sagte, der Grund für die Ermittlungen sei, dass „Zeng Feiyang und anderen vorgeworfen würde, zu ‚Versammlungen zur Störung der öffentlichen Ordnung‘ aufgerufen zu haben“ [Anmerkung der Übersetzer: §290 des Strafgesetzes der Volksrepublik China]. Am 28. November hat Zeng mit anderen gemeinsam den Streik der Fengyuan Straßenreinigungsarbeiter (逢源街) unterstützt. Das war ihre letzte direkte Unterstützung von kollektiven Aktionen zur Verteidigung von Arbeitnehmerrechten. Eine der verhörten Personen gab an, dass sich alle Fragen des Verhörs auf Zeng bezogen. Zeng hatte bereits anderen gegenüber angedeutet, dass er erwarte, bald festgenommen zu werden.
    Am Tag der Razzia um 15:27 Uhr machte sich He Xiaobo (何晓波), Leiter des Nanfeiyan Sozialzentrums in Foshan von zu Hause auf dem Weg zum Gericht. Die Polizei griff ihn bei seinem Haus auf und nahm ihn mit. Ungefähr 20 Minuten später gingen Polizeibeamte zu Hes Wohnung und nahmen alle elektronischen Geräte und alle Akten und Unterlagen mit, die im Zusammenhang mit seiner Arbeit und seinen Schulungen stehen. In der Wohnung teilte die Polizei Hes Ehefrau mit, dass gegen He der Verdacht der „Veruntreuung“ bestehe und das er mit den Ermittlungen kooperieren müsse. Beamte wiesen seine Frau wiederholt darauf hin, dass er diese Informationen nicht über soziale Medien wie WeChat oder Mikroblogs veröffentlichen dürfe. Anschließend wurde das Büro von Zumiao durchsucht. Da während des Durchsuchung niemand außer der Polizei anwesend war, ist nicht bekannt, welche Art von Unterlagen mitgenommen wurden.
    Bei der Suche nach ihrem Ehemann fand Hes Frau heraus, dass er von der Foshaner Abteilung für Wirtschaftskriminalität (经济犯罪侦查支队) festgenommen worden war. Im August 2015 hatte die Lokalregierung von Foshan eine Rechnungsprüfung bei Nanfeiyan angeordnet und diese auf die Jahre 2012-2013 ausgeweitet.
    Darüber hinaus wurde berichtet, dass Tang Jian (汤建), ein ehemaliger Angestellter von Panyu Dagongzu am selben Tag wie die anderen Festnahmen von der Polizei in Beijing festgenommen wurde.
    Von allen in diesem Fall betroffenen NGOs ist das Panyu Dagongzu Zentrum das älteste, es wurde 1998 gegründet. Seit langem setzt es sich für Arbeitnehmerrechte und die Unterstützung von Arbeitern ein. Das Nanfeiyan Sozialzentrum begann seine Arbeit 2007 und wurde 2012 offiziell genehmigt. Es ist das einzige NGO-Zentrum in Foshan, dass sich dem Rechtsbeistand bei Arbeitsunfällen widmet. Das Sunflower Arbeiterinnenzentrum wurde im September 2012 offiziell angemeldet. Sein ursprüngliches Ziel war es, einen Raum für Arbeiterinnen zum Lernen und zum Sammeln und Austauschen von Lebenserfahrungen zu schaffen. Seit März 2013 setzt sich die Organisation zunehmend verstärkt für die Unterstützung von Arbeiterinnenrechten ein. Chen Huihai fördert seit langem den Arbeitnehmerrechtsbeistand. Seine Organisation, das Haige Arbeiterzentrum wurde im November 2014 mit dem Ziel eröffnet, kollektive Lohnverhandlungen zu unterstützen und zu propagieren.

    Vier Labour-NGOs, die häufig von der Regierung gegängelt werden
    Jede dieser vier NGOs hat einen anderen Schwerpunkt, aber alle setzten sich für Arbeitnehmerbelange ein. Neben den üblichen, persönlichen Drohungen, die alle Labour-NGOs erhalten, wurden diese vier Organisationen in diesem Jahr besonders häufig von der Regierung unter Druck gesetzt.
    Am 1. Januar 2015 setzte die Stadtverwaltung von Guangzhou neue Anweisungen zur „Verwaltung von zivilgesellschaftlichen Organisationen“ in Kraft; seitdem muss jede NGO 15 Tage vor Erhalt finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland diese vorher schriftlich bei der zuständigen Behörde anzeigen. Bereits im September 2014 teilte das Ministerium für Staatssicherheit dem Panyu Dagonzu Zentrum mit, dass es keine Spenden vom China Labour Bulletin, einer Hong Konger Organisation zur Förderung von Arbeiterrechten, annehmen dürfe. Zum selben Zeitpunkt wurde dem Direktor des Dagongzu Zentrums Zeng die Ausreise aus Festland-China untersagt. Obwohl das Zentrum von seiner finanziellen Förderung abgeschnitten wurde, setzte es sich weiter für die Unterstützung von Arbeitern ein.
    Nach seiner Gründung konzentrierte sich das Sunflower Arbeiterinnenzentrum zunächst auf lokale Gemeinschafts- und Nachbarschaftsarbeit für Arbeiterinnen, was ihm viel Beifall von staatlichen Organisationen wie der Guangdong Frauenföderation und der Kommunisten Jugendliga von Guangzhou einbrachte. Im März letzten Jahres fand das Zentrum heraus, dass viele Arbeiterinnen in der Nachbarschaft sexuell belästigt wurden oder an Arbeitskämpfen teilnahmen. Daraufhin begann das Zentrum diesen Arbeiterinnen dabei zu helfen, für ihre Rechte zu kämpfen, was jedoch zunehmenden Druck von Behörden zur Folge hatte. Im März diesen Jahres wurde in einer Zweigstelle Wasser und Strom abgestellt und diese gezwungen, am 10. April zu schließen. Anschließend wurde auch die Leitung des Zentrums zum Umzug genötigt und vom Ministerium für Zivilangelegenheiten einer Rechnungsprüfung unterzogen. Nachdem die Leitung neue Büros bezogen hatte, teilte das Ministerium in Telefonaten und persönlichen Gesprächen mit, dass man vom Zentrum erwarte, „sich selbst abzumelden“. Am 23. Juni erhielt das Zentrum, das den Aufforderungen nicht nachgekommen war, offiziell die Mitteilung, dass die Genehmigung zurückgenommen worden sei. Diese Vorgehen der Behörden gegen das Sunflower Zentrum hängt möglichweise mit dessen Teilnahme an von Arbeitern initiierten Aktionen zur Verteidigung ihrer Rechte zusammen, wie etwa beim Streik in der Qinyi Schmuckfabrik (勤艺珠宝厂).
    Das Nanfeiyan Sozialzentrum wurde 2012 vom Ministerium für Zivilangelegenheiten zu einer Zeit genehmigt, als Guangzhou eine relativ tolerante Haltung staatlicher Stellen gegenüber NGOs (民间组织) erlebte. Es erhielt sogar staatliche Förderung für seine soziale Arbeit. Aber seit Herbst 2014 beobachtet die Organisation, wie ihr Handlungsspielraum verengt wird. Das Foshaner Büro für Zivilangelegenheiten wertete das Zentrum in seinem jährlichen Rechnungsbericht im Juni 2015 als „prinzipiell hinreichend“ (基本合格). Wenn eine Organisation diese Wertung in zwei aufeinander folgenden Jahren erhält, wird ihr die Genehmigung entzogen. Nach dem Rechnungsbericht wurde die bereits genehmigte Förderung für soziale Arbeit wieder verweigert. Außerdem wurde die Bewilligung für die Zusammenarbeit von Nanfeiyan mit anderen sozialen Einrichtungen, die bereits bis Ende des Jahres erteilt worden war, vorzeitig mit Wirkung im August zurückgenommen. Im September wurden drei weitere Zweigstellen von Nanfeiyan entweder geschlossen oder es wurde ihnen die Zusammenarbeit verweigert. Eine weitere musste wegen fehlender finanzieller Mittel geschlossen werden. Im September wurde dem Leiter des Zentrums, He Xiaobo die Ausreise verweigert.

    Fabrikschließungen und heftige Arbeitskämpfe
    Die Regierung verschärft ganz offensichtlich ihre Haltung gegenüber Labour-NGOs während sich zur selben Zeit die ökonomische Lage verschlechtert und Fabrikschließungen wie Arbeitskämpfe zunehmen. Den Einschätzungen von China Labour Bulletin zufolge erreichten Arbeitsniederlegungen und Proteste in der Provinz Guangdong in den Monaten Oktober und November Rekordhöhe. [Anmerkung der Übersetzer: http://www.clb.org.hk/en/content/number-strikes-and-worker-protests-china-hits-record-high-november.] Im Juli lag die Zahl für Guangdong noch bei 23, im Oktober stieg sie auf 52 und für November wurden 56 Proteste und Streiks verzeichnet. Viele von diesen Konflikten gehen auf Fabrikschließungen zurück.
    Viele Arbeitsrechtsexperten aus Festland-China gaben an, dass Vorgehen der Behörden nicht näher kommentieren zu können. Han Dongfang, der Leiter des China Labour Bulletin vermutet, dass die ACFTU (Gesamtchinesischer Gewerkschaftsdachverband) hinter den Angriffen steht, um von den Reformen der Gewerkschaft abzulenken und die Interessen des bürokratischen Establishments zu schützen.
    Bis jetzt sind Arbeiterorganisationen und NGOs in Shenzhen und Donguan, zwei weiteren wichtigen Industriestandorten im Perlflussdelta, nicht von den Maßnahmen betroffen. Aber sie verfolgen die Ereignisse mit Sorge.

    Autor: by Ming Liang (明亮), zuerst veröffentlicht: Initium (Dezember 5, 2015)

  • Siehe auch die Berichterstattung im LabourNet Germany seit dem 7. Dezember 2015 unter China/Politik
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=90643
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