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Eigentlich wollten Staublungen-Kranke nur eine Petition in Shenzen einreichen: Dann marschierte die chinesische Polizei auf

Polizeieinsatz in Guangzhou (China) im Dezember 2015: Das Ziel sind ArbeiterorganisationenEtwa 200 Männer aus drei verschiedenen benachbarten Dörfern der Provinz Hunan begannen vor rund 30 Jahren nach Shenzen zu gehen, um dort zu arbeiten. Andere aus der Region gingen dorthin, um als Bauarbeiter mehr Geld zu verdienen, als sie es zu Hause in der Landwirtschaft jemals gekonnt hätten. Sie aber gingen dahin, um noch besser zu verdienen – indem sie mit dem Presslufthammer arbeiteten. Die Ausstattung mit Staubmasken war zwischen unzureichend und nicht vorhanden. Was auf Dauer zur Folge hatte, dass sich Staublungen ausbreiteten. Eine Krankheit, mit der sie alleine gelassen wurden, bis 2009 erste Untersuchungen stattfanden und auch Entschädigungen bezahlt – aber eben nur an jene, die damals bereits als krank diagnostiziert wurden. Über 70 Menschen sind bereits daran gestorben, es gab aber auch Selbstmorde, wenn die Atemnot nicht mehr auszuhalten war. Und es gab regelmäßige Reisen nach Shenzen aus diesen Dörfern – Entschädigung und Behandlung sollten eingefordert werden. Diese Delegationen waren es gewohnt, mit bürokratischen Argumenten hingehalten zu werden. Anfang Mai 2018 aber wurden sie von einem enormen Aufgebot der Polizei im Petitionsbüro empfangen, die Kranken und ihre Begleitung geschlagen und einige festgenommen. Was sie nicht eingeschüchtert hat, sondern motiviert, ihren Protest zu organisieren. Wir dokumentieren in deutscher Übersetzung die Erklärung „Forderungen von Shenzhener Pressluftbohrarbeiter, die an Staublunge (Silicosis) erkrankt sind“ von Wo Zhi Shi Ge Xiao Hao vom 10. Mai 2018 und den Hintergrundtext „Traum eines Presslufthammerarbeiters“ und danken den Übersetzern:

Forderungen von Shenzhener Pressluftbohrarbeiter, die an Staublunge (Silicosis) erkrankt sind

Wo Zhi Shi Ge Xiao Hao (10.05.2018)

Am Nachmittag des 8. Mai gingen an Staublunge erkrankte Arbeiter zum Petitionsausschaus in Shenzhen, um für ihre Rechte zum kämpfen, wurden dort aber mit harter Hand empfangen. Sechs Arbeiter wurden in Polizeigewahrsam genommen und nicht vor Mitternacht entlassen. Dies schüchterte die Arbeiter aber nicht nur nicht ein, sondern erregte ihre Wut nur noch mehr und stärkte ihre Entschlossenheit. Anschließend schrieben die Arbeiter einen Brief und unterzeichneten ihn mit ihren Namen und Fingerabdrücken. Wir geben hier die Übersetzung des Briefes mit den Forderugen wieder:

Forderungen der an Staublunge erkrankten Shenzhener Pressluftbohrarbeiter

An die Stadtregierung Shenzhen:

Wir sind Arbeiter aus der Provinz Hunan, die auf Baustellen in Shenzhen Pressluftbohr- und Sprengarbeiten ausgeführt haben. Vor 30 Jahren begannen wir, einer nach dem anderen, im Bohr- und Sprenggewerbe in Shenzhen zu arbeiten. Aber die Bauunternehmen haben uns keine ausreichende Schutzkleidung gegeben und ebenso wenig kam die Regierung ihrer Verantwortung nach, die Arbeitsschutzauflagen auf Baustellen zu regulieren und zu überwachen. Bis 2009, als Pressluftbohrarbeiter aus Hunan, die an Staublunge litten, begannen für ihre Rechte zu kämpfen, verriet uns niemand etwas von den schweren Berufsrisiken unserer Arbeit. Bis dahin sind bereits Dutzende Kollegen dieser Berufskrankheit zum Opfer gefallen.

Anfang Juni 2009 stellten diejenigen von uns, die schon viele Jahre gearbeitet hatten, kollektiv die Forderung an die Regierung von Shenzhen und an die betreffenden Bauunternehmen, eine offizielle Entschuldigung für die illegalen Praktiken zu liefern  und Entschädigungen an die erkrankten Arbeiter zu zahlen.

Auf Grund des öffentlichen Drucks seitens verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Regierungsstellen führte das Shenzhener Institut für Arbeitsunfallprävention und Kontrolle ärztliche Untersuchungen von erkrankten Arbeitern durch. Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse erhielten an Staublunge erkrankte Arbeiter von der Shenzhener Regierung und von Unternehmen Entschädigungen. Da wir verstanden, wie schwer die Staublungenerkrankung ist, beendeten wir nach unserem kollektiven Arbeitsrechtsstreit 2009 die Arbeit in der Bohr- und Sprengindustrie.

In der Folge erkrankten zunehmend auch diejenigen Arbeiter an Staublunge, die 2009 noch als gesund diagnostiziert wurden, sei es auf Grund der langen Inkubationszeit, sei es auf Grund von Untersuchungsfehlern. Bis Heute sind Dutzende von uns an Staublunge gestorben. Von denen, die 2009  mit Staublunge diagnostiziert wurden, sind über 70 bereits tot und Gesundtheitszustand der  Überlebenden verschlechtert sich zusehens. Ende 2017 wurden Arbeiter aus der Shenzhener Bohr- und Sprengindustrie von verschiedenen Instituten für Arbeitsunfallprävention und Kontrolle in Hunan erneut untersucht. Diese Untersuchungen zeigten, dass über 200 Arbeiter an Staublunge erkrankt sind oder sich ihr Krankheitszustand stark verschlechter hat.

Staublunge oder Silicosis ist eine Berufskrankheit. Laut dem Gesetz der Volksrepublik China zur Präventation und Kontrolle von Berufserkrankungen haben Opfer von Berufserkrankungen das Recht auf Entschädigung.

Daher fordern wir:

  1. Shenzhens Personal- und Sozialversicherungsbüro und das Shenzhener Institut für Arbeitsunfallprävention und Kontrolle soll unsere Erkrankungen auf derselben Grundlage wie die arbeitsmedizinischen Untersuchungen der Schwesterinstitute in Hunan untersuchen und Diagnosen ausstellen.
  2. Arbeiter und die Hinterbliebenen von verstorbenen Arbeitern sollen entsprechend der Diagnose der Berufskrankheit und der Arbeitsfähigkeit und entsprechend dem Gesetz der Volksrepublik China zur Präventation und Kontrolle von Berufserkrankungen und anderer relevanter Gesetzter Entschädigungen erhalten.
  3. Die betreffenden Regierungsstellen sollen aus diesem Fall eine Lehre ziehen und in Zukunft wirkungsvoll die Einhaltung und Überwachung von Arbeitsschutz und vorbeugenden Maßnahmen sicherstellen und verhindern, dass sich die Staublungentragödie wiederholt.
    Dies sind unsere Forderungen.

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Traum eines Presslufthammerarbeiters

“Damals strotzten wir vor Kraft, wir alle träumten davon, eine Menge Geld zu verdienen.” Xu Zhihui aus dem Dorf Shuangxi berichtet, dass nach dem sich die beiden Brüder von Cao Bin umgebracht hatte, ihre Vater fast gänzlich zu sprechen aufhörte. Manchmal liegt der alte Mann einfach nur im Bett und weint. Cao Bin tröstet ihn dann und klagt, wenn sie von Anfang nicht so arm gewesen wären, dann hätten sie nie als Bohrer gearbeitet. Pressluftbohrarbeiter war die Bezeichnung für Cao Bin und 119 anderere Arbeiter in Shenzhen.

Die Kurzbeschreibung der Arbeit lautet Presslufterdbohrungen für die Sprengung von Erdschächten für Baufundamente. Arbeiter auf Baustellen bohren Sprengschächte in Granitschichten mit ein bis fünf Meter Durchmesser, die dann mit Dynamit gesprengt wurden, um mehrere Dutzend Meter tiefe Fundamente zu erzielen. Anschließend werden die Löcher mit Stahlbeton ausgegossen, um Fundamente für Hochhäuser zu schaffen.

Der Bezirk Daozi ist eine typische südchinesische, landwirtschaftliche Bergregion. Die Familie Cao besteht aus fünf Personen und besitzt zwei Mu Land (etwa ein Siebtel Hektar). Bei zwei Reisernten im Jahr kann ein Mu bis zu 900 Yuan  (etwa 125 Euro) bei guter Ernte einbringen.

Cao Bin erinnert sich, als er noch ein Kind war, mussten sie fast jedes Jahr Geld borgen, um über die Runden zu kommen.

1989 gingen Xu Ruibao, Xu Ruinai, Xu Chunlin, Xu Zhihui und andere aus dem Dorf Shuangxi in den Süden, um in Shenzhen als Bohrer zu arbeiten. Als sie zurückkamen, brachten sie das erste Radio des Dorfes mit zurück.

Weil die Vorraussetzungen für die Arbeit niedrig waren und die Bezahlung relativ gut, ging eine Welle von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem Bezirk Daozi nach Süden zu den Pressluftbohrern.

Damals konnte man 30 Yuan am Tag als Maurer und 100 Yuan als Bohrer verdienen, erinnert sich Cao Bin.

Pressluftbohren wurde zu einer begehrten Arbeit. “Niemand würde dich anstellen, wenn du nicht von einem Freund vermittelt wurdest.” Auf der Jagd nach Bohrerjobs brachten Dorfbewohner die heimische Spezialität, Camellia Öl, nach Shezhen und schenkten es den Vorarbeitern, beschreibt Cao Bin weiter.

1991 traf Cao Bins jüngerer Bruder Cao Manyun Xu Chunlin und mit dessen Hilfe konnte er sich der ersten Gruppe von Pressluftbohrarbeitern aus Shanggucun anschließen.

Cao Manyun führte nach und auch auch die älteren Brüder Cao Bin und Cao Jin, sowie seinen jüngeren Cousin Cao Xianben und andere Dorfbewohner.

Lange Zeit bedauerte Cao Bin, dass er erst so spät nach Shenzhen gegangen war. Als er dort 1993 als Bohrer anfingt, arbeiteten bereits fast alle Männer des Nachbardorfes Shuangxi in einer der elf Bohrgruppen des Dorfes in Shenzhen.

Geld verdienen, heimkehren, Haus bauen und heiraten, das war wovon die Bohrarbeiter träumten. Damals wuchs die Wirtschaft in Shenzhen extrem schnell und es besteht enormer Bedarf nach Arbeitskräften.

Den Zahlen, die die Bezirksregierung von Daozi am 2. September veröffentlichte, arbeiteten in den Hochzeiten über 200 Arbeiter des Bezirks in Shenzhen als Pressluftbohrer. Damit hatten die Arbeiter aus Daozi zeitweise fast ein Monopol auf die Anstellungen in der Bohr- und Sprengindustrie in Shenzhen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132534
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