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Zugeständnisse der chilenischen Regierung können die Massenproteste nicht beenden – ebenso wenig, wie es die blutige Repression kann…

Seit dem 19.10.2019 herrscht die Armee wieder auf den straßen Chiles - oder versucht es zu mindestens...„… Heute kam es zum angekündigten Generalstreik und großen Demonstrationen. In Santiago waren es wohl 200.000 Menschen oder mehr – der Demonstrationszug füllte die breite Avenida fast 3km lang. Weitere große Demonstrationen gab es in Valparaiso (keine Zahl bekannt) und Concepción (offiziell 40.000). Insgesamt ist es heute angeblich friedlicher verlaufen – allerdings kam es auch weiterhin zu Plünderungen abseits der großen Demonstrationen. Der Ausnahmezustand wurde bislang nicht zurück genommen, das Militär hat erneut in allen Regionen Ausgangssperre erteilt. Auch diese wurde wieder massenhaft gebrochen. Im ganzen Land kommt es immer wieder zu Kochtopfdemos und zivilem Ungehorsam sowie Barrikadenbau und Massenmilitanten Aktionen. Dabei geht die Polizei und das Militär weiterhin nicht zimperlich vor, es kommt weiterhin zu Verletzten. Die Diktatur ist noch nicht besiegt. Das Nationale Institut für Menschenrechte Chiles (INDH) gibt indes heute bekannt, dass seit den Protesten, die am 17. Oktober begannen, bis heute nacht, Mittwoch 23. Oktober, von Militär und Polizei 2.410 Menschen festgenommen wurden. Dabei wurden 898 in der Hauptstadtregion Santiago festgenommen, die anderen 1512 Festnahmen erstreckten sich über den Rest des Landes. Dies zeigt erneut, wie verbreitet die Proteste sind. Sie haben Santiago längst verlassen. Unter den Festgenommenen waren 274 Minderjährige, 18% der Festgenommenen waren Frauen. Verletzte hat es offiziell 535 gegeben, 210 davon sind durch Schusswaffeneinsatz verletzt worden. 55 Anklagen gegen Verletzung von Menschenrechten wurden von der INDH eingereicht, davon 5 Anklagen wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung und 8 wegen sexueller Gewalt...“ – aus dem Bericht „Kämpfe in Chile gehen weiter, Stand Mittwoch Abend, 23. Oktober“ von Chile despertó am 24. Oktober 2019 bei de.indymedia externer Link über den ersten Tag des zweitägigen Generalstreiks in Chile – der bei weitem nicht die einzige Protest- und Widerstandsaktion war. Zu den fortgesetzten Massenprotesten und dem Generalstreik in Chile sechs weitere Beiträge, auch über alternative Gewerkschaften in dieser Bewegung – und inklusive einer ausführlichen Kritik der US-Medien, die auch hierzulande trifft – sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Massenprotesten in Chile:

„Piñera kann Chile nicht beruhigen, bislang offiziell 15 tote Regierungsgegner“ von David Rojas-Kienzle am 24. Oktober 2019 bei amerika21.de externer Link berichtet unter anderem: „… Auch wenn Santiago weiterhin das Zentrum der heftigen Auseinandersetzungen bleibt, finden in ganz Chile Demonstrationen statt. In der nördlichen Hafenstadt Antofagasta, wo am Dienstag dieser Woche der Ausnahmezustand sowie eine Ausgangssperre verlängert wurden, finden trotz des Verbots täglich Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt. Gleichzeitig wurde der Ausnahmezustand auf die Städte Calama, Tocopilla und Mejillones ausgeweitet. Die Arbeiter der größten Kupfermine der Welt, Chuqicamata in der Nähe von Calama, kündigten an, am Mittwoch und heutigen Donnerstag in den Streik zu gehen. Sie folgen damit einem Aufruf zahlreicher Gewerkschaften zum Generalstreik an diesen beiden Tagen. Die Gewerkschaften der Mine rieten den Arbeitern, nicht persönlich zur Mine zu gehen, da „das Militär und die Ordnungskräfte ohne Unterschied auf alle Leute schießen“. Auch in den Zwillingsstädten La Serena und Coquimbo, rund 400 Kilometer nördlich von Santiago, kommt es täglich zu Demonstrationen. Dort gelten nach wie vor Ausnahmezustand und Ausgangssperre. Das heißt, das Militär hat auch hier die Kontrolle über die „öffentliche Sicherheit“ übernommen. Was das bedeutet, wurde schon am Sonntag deutlich: Soldaten erschossen Romario Veloz Cortez (26), das erste offiziell bestätigte Todesopfer staatlicher Gewalt dieser Tage. Seine Tante sagte zur Tageszeitung La Tercera: „Er demonstrierte  inmitten all des Chaos und sie schossen auf ihn und seine Freunde. Er war eine fröhliche Person, ihm gefiel Musik. Es tut uns weh.“ Veloz Cortez studierte in La Serena Automechanik und war in der Stadt bekannt, weil er auf den verschiedenen Plätzen beatboxte, um sich so etwas Geld dazu zu verdienen. Auch im Süden des Landes kommt es dieser Tage zu zahlreichen Demonstrationen. So etwa in Curicó, rund 200 Kilometer südlich von Santiago. Obwohl dort kein Ausnahmezustand verhängt wurde, erschossen auch hier Militärs einen jungen Demonstranten…“

„Noticias Uruguayas 23 octubre 2019“ am 23. Oktober 2019 bei kaosenlared externer Link dokumentiert gewerkschaftliche Solidaritätserklärungen (keineswegs nur aus Uruguay) mit den Protesten in Chile und berichtet auch von Protesten vor verschiedenen Botschaften Chiles. Auch mehrere internationale Verbände und zahlreiche alternative Gewerkschaften verschiedenster Länder haben ihre Unterstützung der Proteste und ihre Ablehnung der chilenischen Regierung deutlich gemacht.

„Chile: Keine Anfüher*innen und “Wut gegen die staatliche Autorität”“ am 23. Oktober 2019 im Lower Class Magazine externer Link ist ein Gespräch von Chris Ko hat mit Camilo González, einem studentischen Aktivisten aus Valparaiso, worin dieser unter anderem ausführt: „… Ja, alles hat damit angefangen, dass die Regierung die Ticketpreise für die U-Bahn um 30 Chilenische Pesos (weniger als 5 Eurocent) erhöhen wollte. Das klingt vielleicht erst mal nicht nach viel, aber das Leben in Chile ist sowieso schon sehr teuer, die Löhne gering. Deshalb fingen die Studierenden an über die Drehkreuze zu springen und die Polizei ist dann dagegen vorgegangen. Daraufhin gab es Aufrufe, massenhaft ohne Ticket zu fahren, die Situation heizte sich auf und am Freitag begannen die Leute in den U-Bahn-Stationen zu randalieren. In kurzer Zeit entwickelte sich dies zu einem Aufstand, in dessen Verlauf viele Stationen angezündet und zerstört wurden. Samstag waren dann wirklich viele Leute auf den Straßen. Hauptsächlich junge Menschen, aber auch mehr und mehr ältere. Es gab weiter Ausschreitungen und auch Plünderungen von Supermärkten, Shopping Malls, Banken, Autohäuser etc. Tatsächlich haben ein paar Migrant_innen an friedlichen Demonstrationen in Santiago teilgenommen, aber diese Revolte speist sich vor allem aus der lang angestauten Wut in der chilenischen Gesellschaft: Der Sozialpakt ist gründlich delegitimiert. [Studierende wären von den neuen Ticketpreisen gar nicht betroffen gewesen. Warum seid ihr trotzdem bei den Protesten ganz vorne mit dabei?] Es stimmt, dass Studierende nicht betroffen wären, aber die Erhöhung war auch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wie gesagt, die Unzufriedenheit im neoliberalen Chile ist groß. Nicht nur die Wirtschaft, alle Lebensbereiche sind prekär. Diese neoliberale Logik, dass um jeden Preis Profite erhöht und Kosten gesenkt werden müssen, ist fester Bestandteil des sozialen Lebens geworden. Überall herrscht ein extremer Individualismus. Studierende und Schüler_innen können sich noch organisieren und Bildungsproteste haben hier ja auch eine starke Tradition, vor allem in den öffentlichen Universitäten und Schulen. Aber Arbeiter_innen haben kaum noch Möglichkeit dazu, weil es in Chile kaum Sicherheit für die Arbeiter_innenklasse gibt…“

„Working Class Struggle In Chile With Manuel Ahumada Lillo Secretary CGT“ von Labour Video am 24. Oktober 2019 bei You Tube externer Link ist ein knapp halbstündiges Video-Interview mit dem chilenischen Basisgewerkschafter über Situation und Rolle der ArbeiterInnen in den aktuellen Auseinandersetzungen, sowie über die Haltung der alternativen Gewerkschaften in Chile insgesamt dazu.

„Piñeras Krieg, Chiles Würde“ von Paul Alvarez Bravo am 24. Oktober 2019 beim NPLA externer Link (in der deutschen Übersetzung von Nils Brock) zur Bedeutung der aktuellen Konfrontation unter anderem: „… Das Chile der Post-Diktatur zu verwalten bestand jedoch darin, vielfach Straffreiheit zu gewähren, die endgültige Weihe der undemokratischen, aufgezwungenen Verfassung der 1980er Jahre zu zelebrieren und das Privatisierungsmodell weiter zu vertiefen. Verluste wurden als etwas Öffentliches und Gewinne als etwas Privates verstanden. Es regierte die unersättliche Gier der Wirtschaft und der dominanten Schichten. Unbequeme Stimmen wurden im Keim erstickt. Die Mehrheit der Menschen machte sich unterwürfig – was nicht zuletzt ein Ausdruck großer Hoffnungslosigkeit, Angst und Sinnlosigkeit inmitten des Versprechens der kapitalistischen Moderne war. Auf die aktuellen Ereignisse reagieren die Mächtigen mit Erniedrigungen. Sie verachten das Leben der einfachen Menschen, mit denen sie im täglichen Leben trotzdem irgendwie zusammenleben müssen. Sie verwehren sich ihrer materiellen Not, ihren Gefühlen und ihrem Blick auf die Welt. Mehr noch, in Chile regiert ein System, das kollektive Hoffnungen nachhaltig enttäuscht und keinerlei rechtliche Garantien in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales bietet. Das Land lebt nach einem Modell, das misshandelt. Der Individualismus ist prägend und nimmt dabei soziale, emotionale und psychische Schäden in Kauf. Chilen*innen und Migrant*innen, sie alle bekommen täglich die Bedeutung ihrer Herkunft, Hautfarbe, finanziellen Mittel und persönlichen Netzwerke zu spüren. Und doch haben sie sich nie einreden lassen – auch jetzt nicht – dass ihr Nachbar ihr Feind ist. (…) Angesichts so viel entmenschlichenden Leidens, das durch das herrschende System verursacht wird, schweigen die chilenischen Medien. Vielmehr wiederholen sie Bilder von Gewalt und Plünderungen. So verstärken sie die Panik, die der Präsident der Republik in einem wahnsinnigen und unverantwortlichen Akt als „Krieg“ begreift. „Piñeras Krieg“ ist in Wahrheit ein freudiger und entschlossener Ausbruch der chilenischen Bevölkerung, ein Aufheulen der Würde“.

„Whitewashing Neoliberal Repression in Chile and Ecuador“ von Lucas Koerner am 23. Oktober 2019 bei Fair externer Link kritisiert die US-Medien für ihre Berichterstattung über Chile (und Ecuador). Dabei ist seine Schlussfolgerung, dass hier Repression beschönigt wird (weißwaschen) keineswegs nur für den Mainstream der USA zutreffend. Wobei insbesondere die Wortwahl bei der Berichterstattung aus Venezuela und aus Chile im Kontrast diese Tendenz deutlich macht – sie erinnert durchaus an die überraschende Unterstützung bundesdeutscher Medien für maskierte DemonstrantInnnen. In Hongkong, versteht sich..

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=156320
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