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45 Jahre nach dem Putsch in Chile: Die Mörder blieben unbestraft. Der neue Präsident ergreift Partei für die Putschisten

Augusto Pinochet: Tod eines TyrannenChiles konservativer Präsident Sebastían Piñera hat kurz vor dem heutigen 45. Jahrestag des blutigen Militärputsches von 1973 seinem damals ermordeten Amtsvorgänger (1970-73) Salvador Allende vorgeworfen, für eine „kranke Demokratie“ verantwortlich gewesen zu sein. In einem seitenlangen Interview mit der rechtsgerichteten Zeitung La Tercera sagte Piñera, damals habe in Chile „ein komplettes Chaos geherrscht“ und das Land habe sich „in einer tiefen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise befunden“. Des sei keine Rechtfertigung der Menschenrechtsverletzungen in der Diktatur, so Piñera weiter. Jedoch sei „unsere Demokratie seit den 1960er Jahren fundamental geschwächt worden“. Die Aussagen kommen zu einer Zeit, zu der Menschenrechtsverletzungen der Diktatur in Chile von Akteuren der politischen Rechten relativiert werden. Mitunter wird die demokratisch gewählte Allende-Regierung sogar mit den Putschisten gleichgesetzt. Auch der amtierende Präsident zeigte in seinem Interview ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung von Salvador Allende, die laut ihm, „entgegen der Meinung der Mehrheit versuchte, ein marxistisches Modell – so wie in Kuba – zu etablieren“. Die Aussagen Piñeras belegen in zweierlei Hinsicht sein Politikverständnis. So kritisierten die heutigen Regierungsparteien die Mitte-links-Vorgängerregierung und zielen dabei vor allem auf Gesetzesinitiativen, die gegen das konservative Gesellschaftsverständnis der rechten Parteien verstießen. Dabei vergleichen sie ihre aktuellen politischen Gegner oft mit der ehemalige Regierung von Präsident Allende. Rechte Parteien organisierten vor den vergangenen Wahlen zudem eine Schmutzkampagne gegen den Mitte-links-Kandidaten Alejandro Guiller. Sie warfen ihm davor, das Land zu einem „Chilezuela“ machen zu wollen, in Anspielung auf die wirtschaftlich schlechte Situation und politische Krise im sozialistisch regierten Venezuela…“ – aus dem Beitrag „Präsident Piñera in Chile: Salvador Allende schuf „kranke Demokratie“ von Malte Seiwerth am 11. September 2018 bei amerika21.de externer Link – woraus sich eigentlich nur noch die Frage ergibt, wann Pinera und die Seinen es wagen, das rituell vorgeschobene „das soll keine Verteidigung der Diktatur sein“ (aber was denn sonst?) fallen zu lassen… Siehe dazu auch einen aktuellen Bericht zur chilenischen Polizei – und wie sie am Jahrestag 2018 die Orientierung des Präsidenten umsetzt – sowie drei Hintergrundbeiträge zum Putsch in Chile:

  • „Polizei löst Gedenken zum 45. Jahrestag des Putsches in Chile auf“ von Jaroslav Kanopka ebenfalls am 11. September 2018 bei amerika21.de externer Link, worin unter anderem berichtet wird: „In Chile ist es im Vorfeld des 45. Jahrestages des Militärputsches vom 11. September 1973 zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Zwei Tage vor dem Jahrestag hatte in der Hauptstadt Santiago de Chile die traditionelle Kundgebung stattgefunden. Nach Auseinandersetzungen mit den Protestteilnehmern löste die Polizei den Demonstrationszug jedoch gewaltsam auf, 28 Teilnehmer wurden festgenommen.  (…) Am 11. September 1973 fand in Chile ein Militärputsch statt, bei dem der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende getötet wurde. Nach offiziellen Angaben wurden mehr als 3.000 Menschen ermordet, insgesamt wurden 40.000 Menschen zu Opfern der politischen Gewalt. Chile stand bis zum 11. März 1990 unter der Kontrolle der Militärjunta. Während der Diktatur wurden alle demokratische Institutionen wie etwa der Nationalkongress abgeschafft, politische Parteien und Andersdenkende systematisch verfolgt, Meinungsfreiheit unterdrückt und zahlreiche Menschenrechtsverbrechen seitens der Junta begangen. Die Aufarbeitung dieser Ereignisse ist in der chilenischen Öffentlichkeit mit heftigen Kontroversen verbunden, was auch daran liegt, dass zahlreiche an der Diktatur beteiligte Politiker und Militärs nie bestraft wurden…
  • „40 Jahre Pinochet-Putsch in Chile: Zeit, über den Liberalismus neu nachzudenken2 von  Patrick Schreiner am 11. September 2013 bei Blickpunkt WiSo externer Link hielt vor fünf Jahren zur Entwicklung des Neoliberalismus unter anderem fest: „Am 11. September 1973 putschte das chilenische Militär unter der Führung von Augusto Pinochet den demokratisch gewählten, sozialistischen Präsidenten Salvador Allende aus dem Amt und trieb ihn in den Suizid. Die Putschisten genossen dabei die offene oder verdeckte Unterstützung sowohl der USA und anderer westlicher Staaten als auch der Unternehmer des Landes. Nicht zu Unrecht gilt dieser Putsch als eines der wichtigsten weltpolitischen Ereignisse der Nachkriegszeit. Er zeigte: Der Rückgriff des Liberalismus auf Autoritarismus und brutale Gewalt ist kein historisches Vorkriegsphänomen, sondern in ihm selbst angelegte Möglichkeit…“ und verweist noch auf eine weitere Überlegung: „Dies war wohl jüngst auch die Intention von Rainer Hank, liberaler Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – wenn auch aus anderer Perspektive. Ihm wurde der Karl-Hermann-Flach-Preis der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung verliehen. Hank fragt sich in seiner am 1. September in der FAS abgedruckten Dankesrede (nicht im Internet verfügbar), weshalb es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Spaltung zwischen Linken und Liberalen gekommen sei: „Warum sind Liberale nicht mehr links? Warum hasst die Linke den (Neo-) Liberalismus so sehr?“ In einer durchaus spannend zu lesenden Argumentation kommt er zum Schluss: „Alles hat angefangen mit dem Jahr 1973“…“
  • „1000 Tage – Kalenderblätter des demokratischen Sozialismus“ ist eine der Rubriken auf der Sonderseite „Allendes Internationale“ externer Link – ein Projekt, das folgendermaßen angekündigt wird: „1.000 Tage demokratischer Sozialismus in Chile. Am gesellschaftlichen Aufbruch mit dem Regierungsbündnis Salvador Allendes (1970-1973) waren auch tausende Enthusiasten aus der ganzen Welt beteiligt. Wer waren diese Menschen? Was hat sie angetrieben und welche Lehren können wir für heute daraus ziehen? Diesen Fragen geht seit 2017 das crossmediale Rechercheprojekt „Allendes Internationale“ nach, eine Kooperation des Nachrichtenpools Lateinamerika e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Unser Team fotscht in Archiven und dokumentiert zusammen mit Zeitkeug*innen die subjektiven Erfahrungen mit dem demokratischen Sozialismus. Ihre und weitere Biographien und Hintergrundberichte werden seit dem 6. September nach und nach auf dieser Website zur Verfügung stehen: Audios, Videos, Fotos und Kurznachrichten auf einem Zeitstrahl…
  • „Die chilenische ,,Movimiento de Izquierda Revolucionaria“ (MIR)“ am 26. Oktober 2018 beim Untergrundblättle externer Link war ein Beitrag zum Wirken der bekanntesten und größten linken Organisation außerhalb von Allendes Bündnis, worin es unter anderem heißt: „Dieser startete bewaffnete Propagandaaktionen und steigerte damit die Popularität der MIR in der Bevölkerung, z.B. durch Überfälle auf LKWs mit Nahrungsmitteln und anschließenden Verteilaktionen an die Bevölkerung in den Armenvierteln. Allerdings bildeten die bewaffneten Aktionen den kleinsten Teil der Aktivität der Organisation. Schwerpunkt war die Intervention in die sozialen Kämpfe, die Land- und Fabrikbesetzungen, aus denen consejos (Räte) als Selbstverwaltung und Organisation von Widerstandsaktivitäten hervorgingen. Als revolutionäres Subjekt sah die MIR – anders als die verschiedenen orthodoxen kommunistischen Gruppen – nicht allein die Arbeiterklasse, sondern auch die arme Landbevölkerung und andere unterdrückte Teile der Gesellschaft, z.B. die indigenen Mapuche. Die Idee hinter den Selbstorganisierungsprozessen war die Organisierung der Arbeiter und Bauern für ihre eigenen Interessen. (…) Die MIR analysierte den Wahlsieg Allendes und dessen linkssozialdemokratische Reformpolitik als vor-revolutionäre Phase, die in eine unbarmherzige Reaktion der Herrschenden münden musste. Sie unterstützte die Regierung Allende zwar kritisch-solidarisch, kritisierte jedoch die rein legalistisch und reformorientierte Politik Allendes, die auf einen Kompromiss mit den Herrschenden hinauslaufen musste, als nicht weitgehend genug. Das Modell Allende, eine Art linksreformistische, populistische Politik der Klassenzusammenarbeit unter Mobilisierung der Bevölkerung bei gleichzeitiger Beibehaltung der Eigentumsverhältnisse mit Teilverstaatlichungen, ist ein Modell das in der heutigen Zeit mit den Regierungen Chavez in Venezuela, Correa in Ecuador oder Morales in Bolivien eine Neuauflage erfahren hat, wenn auch die historische Mobilisierungskraft der Bevölkerung in Chile ungleich höher, die Stimmung revolutionärer und die Programmatik basisorientierter war…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137317
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