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Militäreinsatz in einem von Rios größten Armenviertel – ist Gemüse jetzt eine Droge?

Militärpolizei in Rio: Drogenhändler müssen schwarz seinEin Altpapiersammler. Ein Gemüsehändler. Das sind die jüngsten Todesopfer des Krieges, den die Militärpolizei seit Tagen vor allem im Armenviertel Jacarézinho im Norden Rios führt (mit wachsender Brutalität nach dem Tod eines Militärpolizisten am 11. August) – natürlich angeblich gegen Drogenkartelle (wobei nicht erklärt wurde, welche Drogen das Gemüse des Toten enthielt) und Bandengewalt, in Wirklichkeit aber eben immer auch gegen eine Bevölkerung, die sich seit langem gegen diverse Polizeiprojekte zur Wehr setzt. Nicht, weil sie die Existenz von Drogenbanden leugnen würde – schließlich leiden die Menschen, die hier wohnen, am meisten unter deren Ausbreitung. Sondern weil viele Menschen, die da wohnen, davon ausgehen, dass die militärische Vorgehensweise höchstens eines bewirkt: Noch größere Gefahr für sie selbst – siehe die Opfer. Es ist bei weitem nicht die erste solche Aktion, dennoch hat sie einige üble „Besonderheiten“. Insbesondere die mediale Unterstützung der Militärpolizei (und des Gouverneurs, der sie entsendete) hat einen überaus deutlichen rassistischen Grundton und wird von diesbezüglich profilierten Politikern mit getragen. Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge und einen Hintergrundartikel:

  • „Im Ausnahmezustand“ von Peter Steiniger bereits am 12. August 2017 in der jungen welt externer Link war ein Beitrag zum Beginn der jüngsten Aktionen der Militärpolizei. Darin wird unter anderem hervor gehoben: „Allein für diesen Juni weist das Institut für Öffentliche Sicherheit des Bundesstaates Rio de Janeiro (ISP) 506 Personen aus, die dort vorsätzlich getötet wurden: Infolge von Mordanschlägen und Raub­überfällen sowie durch »Tötungen im Zusammenhang mit Widerstand gegen polizeiliches Eingreifen«. Bei diesen Toten handelt es sich meist um farbige junge Männer aus den Armenvierteln, die von der Polizei als Mitglieder krimineller Banden ausgemacht und erschossen wurden. Für das gesamte Jahr 2016 weist das ISP 920 bei Polizeieinsätzen Getötete aus, auch 38 Beamte bezahlten in diesem Zeitraum mit dem Leben. Im ersten Halbjahr 2017 summiert sich die Zahl der Opfer tödlicher Gewalt in diesem Bundesstaat auf fast 3.500. Die offiziellen Daten bilden nicht das ganze Grauen ab. Die Dunkelziffer der Opfer extralegaler Hinrichtungen oder von Abrechnungen im kriminellen Milieu, die kein Grab finden, kann nur erahnt werden. Immer wieder fordern die Einsätze der Militärpolizei und Gefechte unter Bandenmitgliedern auch Tote und Verletzte unter unbeteiligten Bewohnern der Favelas“.
  • „Jacarezinho: manifesto denuncia violência policial e exige fim de operação“ am  23. August 2017 bei Esquerda Diario externer Link ist die Dokumentation eines Manifestes, das Gruppen von BewohnerInnen von Jacarézinho gemeinsam erarbeitet haben und das inzwischen in den Medien massiv Verbreitung findet. Darin fordern die AutorInnen ein Ende der Polizeiaktion, die nicht nur zu weiteren Todesopfern geführt habe, sondern auch dazu, dass jegliche Aktivität und versorgung innerhalb des Viertels zum Erliegen gekommen sei. Die grundsätzliche Veränderung des „Kampfes gegen die Drogen“ wird darin gefordert – unter Verweis auf die unbestreitbare Tatsache, dass die Zahl der Todesopfer bei Polizeiaktionen im armen Norden der Stadt weitaus höher liege, als im wohlhabenderen Süden – weg von einem „Krieg“ hin zu einer Politik, die den Drogenkartellen die Basis entziehe.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120555
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