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Jetzt soll die brasilianische Putschregierung liefern: Unternehmerverbände machen Druck. Der Widerstand auch

Plakat gegen den brasilianischen Putschpräsidenten Temer bei der Demonstration vor dem Senat in Brasilia am 12. Mai 2016Zunächst dachte man, es wäre ein Witz: Aber tatsächlich hat ein chinesischer Wirtschaftssprecher beim G20 den von „61 Schamlosen“ (Senatoren) ernannten angeblichen Präsidenten Brasiliens Michel Temer so begrüßt, wie er weltweit bekannt ist: „Welcome, Mr. Fora Temer“. (Kleine Freuden sind auch welche) Und diese Losung „Temer raus!“ kennzeichnete auch Vorabend und Verlauf des diesjährigen brasilianischen Nationalfeiertags am 7. September, wie auch verschiedene erstarkende Streik- und Protestbewegungen, die darauf hindeuten, dass die nach der Absetzungsfarce im Senat – trotz massiver Proteste – augenscheinliche Schockstarre der sozialen Bewegungen Brasiliens im Schwinden begriffen ist. Und während die Unternehmerverbände, vor allem die berüchtigte Paulistaner FIESP, jetzt ihre politischen Investitionen einklagen und schnelle antisoziale Reformen verlangen, geraten die Gruppierungen, die die Farce getragen haben, unter Druck: Unpopuläre Maßnahmen vor den Kommunalwahlen im Oktober 2016? Da winden sich die vielen betroffenen Kandidaten (schließlich gibt es auch da sehr viele sehr gut bezahlte Posten zu gewinnen, kein Vergleich mit der BRD). Und auch die Debatten darum, welche Lehren aus dem Vormarsch der Reaktion zu ziehen seien, nehmen Fahrt auf. Unsere aktuelle kommentierte Materialsammlung „Brasilien nach dem Putsch“ vom 08. September 2016 von Helmut Weiss soll eine Bestandsaufnahme sein und ein Ausblick auf kommende Zeiten:

Brasilien nach dem Putsch

Eine Farce-Regierung unter Druck ihrer „Wähler“ – den Unternehmerverbänden: Sie mühen sich ja, auf Kosten der Ärmsten

Der Wunschkatalog der Unternehmerverbände ist umfangreich, und lässt sich mit der Zusammenfassung charakterisieren: Alles rückgängig machen, was sozialdemokratische Reformpolitik in der Hochkonjunktur den Volksbewegungen zugestanden hat, und alles endlich umsetzen, was an Projekten der neoliberalen Krisenbewältigung bisher aus verschiedensten Gründen nicht zu realisieren war. Bisher kann die Temerbande nur „Kleinigkeiten“ vermelden: Etwa, dass sie bereits Tausenden von Familien den Bezug der „Bolsa Família“ entzogen habe. Aber diese begrenzte Form eines Grundeinkommens für die ärmsten Familien des Landes bringt, trotz aller (wie etwa hierzulande auch – wirksamen) Hetze gegen die Betroffenen, in Wirklichkeit nicht viel ein. Jedenfalls nicht die Größenordnung, die die Unternehmerverbände an dieser Amtsanmaßung verdienen wollen – schließlich haben sie die Kampagne ja finanziert.

„Temer vai mudar regras de acesso ao Bolsa Família“ am 02. September 2016 bei O Globo externer Link ist die Meldung über die Veränderung des Zugangs zum Grundeinkommen – mit der Erfolgsmeldung der Regierung, dass seit der provisorischen Amtsentfernung Rousseffs im Mai bereits 900.000 Familien aus dem Programm gestrichen worden seien, ein Vielfaches früherer entsprechender Vorgänge. Bei einem durchschnittlichen Bezug von rund 160 Reais sind das etwa 150 Millionen im Monat – grob 40 Millionen Euro/Monat Einsparung. Viel zu wenig, um Milliardenprofiteure zu beeindrucken – eher geeignet, jene zu „beruhigen“, die darin ohnehin eine Förderung der Faulheit sehen, was aber viele sind…

„Temer setzt auf Sparprogramm“ von Andreas Behn am 01. September 2016 in der taz externer Link gibt einen Überblick über die Kürzungsabsichten und merkt an, dass auch hier den Rechten nichts Neues einfällt: „Michel Temer hat am Mittwoch in seiner ersten Ansprache als Brasiliens neuer Präsident deutlich gemacht, wohin die Reise nach dem umstrittenen Regierungswechsel geht: Der Konservative kündigte eine Rentenreform, Revision des Arbeitsrechts, Sparmaßnahmen und Privatisierungen an. „Ohne eine Reform der Sozialversicherung kann der Staat schon bald die Zahlung der Renten nicht mehr garantieren“, sagte Temer

„Agrarpolitik der Temer-Führung in Brasilien trifft auf Widerstand“ von Georg Stein am 06. September 2016 bei amerika21.de externer Link ist ein Beitrag über den speziellen Bereich der Agrarpolitik – da die „Bancada Rural“ im Parlament, der parteiübergreifende Zusammenschluss der Vertreter des Agrokapitalismus, einer der Motoren des Amtsenthebungsverfahrens war – und Temers erste Untaten in diesem Sektor: „Unter der Präsidentschaft von Dilma Rousseff hat ein brasilianisches Gesetz dem Landverkauf eine Obergrenze von jeweils 1.000 Hektar gesetzt. Auch das Grenzgebiet in einer Breite von 1.000 Kilometern durfte nicht an ausländische Käufer veräußert werden. Diese Bestimmungen sollen sich unter der als Putschregierung bezeichneten Führung von Temer nun ändern. Schon vor der Abreise des Politikers nach China hat sein neuer Minister für Landwirtschaft, Blairo Maggi, Großgrundbesitzer und einer der größten Sojaanbauer der Welt, den Weg für großangelegte internationale Landkäufe geebnet. Mit den Einnahmen aus diesen Geschäften will er das Defizit in der Staatskasse ausgleichen. „Wir werden ihnen ziemlich viel verkaufen, wenn sie uns rasch entgegenkommen“, so Maggi. Er reiste mit Temer zum G-20-Gipfel nach China

„Menor salário e mais suor para o “futuro do país”“ von Raffaella Dotta am 06. September 2016 bei Brasil de Fato externer Link ist ein Beitrag über eine weitere billige Politikkopie der Temertruppe, aus Europa etwa abgekupfert: Sie will „der Jugend“ helfen, in dem sie ihre Rechte am Arbeitsplatz beschneidet – und künftig sollen sie sogar für „weniger als den Mindestlohn“ arbeiten dürfen

„Juízes do Trabalho advertem que Temer vai destruir direitos trabalhistas“ am 02. September 2016 bei Plantao Brasil externer Link ist eine Meldung über eine Stellungnahme der Vereinigung lateinamerikanischer Arbeitsrichter, die nach der ersten Fernsehrede Temers nach seiner offiziellen Amtsanmaßung aus seinen eigenen Aussagen schlussfolgert, diese Regierung bereite den systematischen Abbau von Rechten der Beschäftigten vor

„Da FIESP ao “baixo clero” do Congresso, Temer não conseguirá administrar as pressões ao seu redor“ von Gabriel Brito am 03. September 2016 beim Correio da Cidadania externer Link ist ein ausführlicher Beitrag (ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Ruda Ricci) über Widersprüche und Druck, der die Unternehmer-Regierung Brasiliens ausgesetzt ist. Ricci verweist in dem Gespräch darauf, dass die PT-Regierung massive Schritte der Austerität unternommen hatte, die ihr eine Entfernung ihrer eigenen Basis an WählerInnen eingebracht habe, nicht aber das Zutrauen des Kapitals, das mehr und radikaleres forderte. Und es jetzt wiederholt, aber dabei auf den Widerstand der niederen Mandatsträger der neuen Koalition trifft, die bei den anstehenden Kommunalwahlen etwas „anbieten“ möchten. Die Widersprüche innerhalb dieser Koalition sind ebenso Thema des Gesprächs, wie die weitgehende Enthaltung breiter Teile der Bevölkerung in all den unterschiedlichen – und unterschiedlich motivierten – Protestwellen seit 2013. In den Teilen des Gesprächs, die sich möglichen künftigen Entwicklungen widmen hebt Ricci vor allem hervor, wie die Umfragen für die Kommunalwahl im Oktober aussehen – die einen Aufschwung vieler KandidatInnen sowohl des linkeren PT-Flügels, als auch von linkeren Gruppierungen in vielen großen Städten voraussagen. Dabei unterstreicht er, dass die politische Rechte noch nie eine wirkliche wichtige Wahl in Brasilien gewonnen habe, und er sehe auch keine Tendenz, dass sich dies heute schnell ändern würde.

„Base pressiona para adiar reforma da Previdência“ am 05. September 2016 beim Gewerkschaftsbund UGT externer Link ist eine Dokumentation dieser (sich im wesentlich „neutral“ verhaltenden) Föderation über jene Politiker der neuen Regierungsparteien, die von der Temer-Regierung fordern, mit ihrem Kahlschlag bis nach den anstehenden Kommunalwahlen zu warten – es sind viele, aus verschiedensten Parteien. Im Prinzip aber kann gesagt werden, dass vor allem die Politiker aus den Reihen der PMDB (unter Temers Führung gewesener Koalitionspartner der PT) es sind, die auf Verschiebung drängen (wie sie auch diejenigen sind, die am meisten in den Bestechungsskandal bei Petrobras verwickelt sind – und schon einige „Minister“ seit Rousseffs Absetzung „verloren“ haben), während die neoliberale Kampfpartei PSDB des Wahlverlierers Aecio Neves, den Wunschzettel der Kapitalisten unbedingt schnell erfüllen möchte

Der Widerstand gegen Temer und Konsorten: Weitverbreitet und unterschiedlich

Von wo auch immer berichtet wird: Die Demonstrationen und Proteste gegen die nicht gewählte brasilianische Regierung sind nach wie vor massiv, eher sogar wieder anwachsend, nachdem in den allerersten Tagen nach der Absetzungsfarce im Senat (und nach der ersten großen Empörungswelle) eine gewisse Lähmung und ein Rückgang der Teilnehmerzahlen zu verzeichnen waren. Jetzt sind demokratische Gruppierungen, Landarbeiterorganisationen und Gewerkschaften, Studierendenverbände und SchülerInnen-Komitees wieder in Mobilisierungsoffensiven, die ein beachtliches Echo haben – wovon wir hier nur einige wenige Beispiele dokumentieren können, wer mehr dazu lesen möchte, kann sich die entsprechenden Seiten (auf denen es mehr dazu gibt, als hier angeführt) aufrufen.

„Massive Proteste in Brasilien gegen Absetzung Rousseffs“ von Eva Haule am 04. September 2016 bei amerika21.de externer Link gibt einen ersten Überblick über die zahlreichen Aktionen, unter anderem: „In zahlreichen Städten gehen seit dem vergangenen Mittwoch täglich Zehntausende auf die Straße, um gegen den „parlamentarischen Putsch“ zu demonstrieren, mit dem die im Jahr 2014 mit 54 Millionen Stimmen wiedergewählte Präsidentin aus dem Amt gedrängt wurde. Aktivisten sozialer Bewegungen, linker politischer Gruppen, Gewerkschaftsangehörige, Studierende, Frauen, alte und junge Bürger versammeln sich bei vielfältigen Protesten gegen die Regierung von De-facto-Präsident Michel Temer. Teilnehmer der Proteste berichten von extremer Polizeigewalt und massivem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, zahlreiche Menschen seien verletzt worden. Eine junge Frau in São Paulo verlor ihr Augenlicht, nachdem sie von einem Granatsplitter getroffen wurde. Journalisten berichten über tätliche Angriffe und die Zerstörung ihrer Ausrüstungen…

„Destitution de Dilma Rousseff : affrontements à Sao Paulo“ am 02. September 2016 bei Anthropologie du Présent externer Link ist eine (meist spanische) Materialsammlung über die Auseinandersetzungen in Sao Paulo, die unter anderem auch deutlich macht, dass auch die brasilianische Militärpolizei „die Zeichen der Zeit verstanden“ hat: Hemmungslos draufhauen

„Jornada Unitária do campo segue mobilizando milhares de pessoas em todo país“ am 06. September 2016 bei der MST externer Link ist ein (Zwischen)Überblick über die drei Tage des gemeinsamen Protestes der Landbevölkerung, der WaldbewohnerInnen und der „Ribeirinhos“ (Flussufer) – die unter anderen mit massiven Aktionen in 13 Bundesstaaten (unter anderem der Besetzung des Agrar-Ministeriums)  die Forderung nach sofortiger Ansiedlung von 120.000 Familien ohne Land verbreiten

„Rio Grande do Sul. Terceira noite consecutiva de protestos contra o golpe“ von Marco Weissheimer am 04. September 2016 bei kaosenlared externer Link dokumentiert ist ein Bericht über die täglichen Proteste in der „Stadt des Weltsozialforums“ gegen die neue Regierung – als eben eines von vielen möglichen Beispielen quer durchs Land

„2º Ato Fora Temer em Campinas reúne cerca de 1,5 mil pessoas e é marcado por debates“ am 07. September 2016 bei Esquerda Diario externer Link ist ein Bericht über die zweite Demonstration gegn die Temer-Regierung in Campinas (Millionenstadt, etwa 90 Km von Sao Paulo entfernt – und eine der Hochburgen „bundesdeutscher Investitionen“) – als Beispiel von Aktionen, die außerhalb der Landeshauptstädte stattfinden. Wobei hier, wie auch anderswo, auch darüber berichtet wird, welche Debatten über das weitere Vorgehen es unter den DemonstrantInnen gegeben hat

„Grito de los Excluidos. Miles de personas salen a las calles de Brasil al grito de “Fuera Temer”“ am 07. September 2016 bei Resumen Latinoamericano externer Link ist ein Bericht über den diesjährigen (wie immer brasilienweiten)  „Schrei der Ausgeschlossenen“ (der zum 22. Mal am Nationalfeiertag 7. September stattfand) und diesmal den eindeutigen Schwerpunkt hatte „Temer raus“ zu fordern.  Was insofern von besonderer Bedeutung ist, als dieser lose Zusammenschluss keineswegs umstandslos als Teil der „PT-Familie“ charakterisiert werden kann…

„Marcha en Buenos Aires contra el golpe en Brasil“ am 01. September 2016 bei Resumen Latinoamericano externer Link ist ein Bericht über die Solidaritäts-Demonstration gegen den Putsch in Buenos Aires, an der sich sowohl argentinische als auch brasilianische StaatsbürgerInnen beteiligten – rund um die Welt gab es ähnliche Aktionen, eine der größten in Südafrika, von der Metallgewerkschaft NUMSA organisiert – aber auch beispielsweise in Berlin gab es eine solche Demonstration

Gewerkschaftliche (Wieder)Belebung?

Ein bezeichnendes Problem in den Monaten des Kampfes gegen die Absetzung der gewählten Regierung Rousseff war, dass es stets deutlich war, dass es keinen Generalstreik geben würde, was ein Teil der Linken und der Gewerkschaften als entscheidend betrachtet hatte. Sowohl wegen der Spaltung der Gewerkschaftsbewegung, als auch wegen der Sorge vieler Menschen von der explodierenden Erwerbslosigkeit erfasst zu werden, die weit eher lähmt als motiviert. Und auch, und dies ist keinesfalls zu übersehen: Weil die größten Gewerkschaften – jene der CUT – immer mehr als bloße Unterstützungskraft der PT Regierung gesehen wurden, was inzwischen auch von verschiedensten GewerkschafterInnen als zutreffend anerkannt wird. Mit den anstehenden Branchenstreiks, einigen Erfolgen der Linken bei Gewerkschaftswahlen und einem Erstarken von Strömungen, die zum Kampf mobilisieren wollen, könnte sich hier – allerdings: Auf Dauer – eine vielleicht wesentliche Änderung anbahnen.

„Apenas 24% das negociações salariais obtiveram ganhos reais desde janeiro“ am 05. September 2016 beim Gewerkschaftsbund NCST externer Link ist ein Artikel über einen Bericht des Gewerkschaftsinstituts DIEESE,  der sozusagen den Rahmen gewerkschaftlicher Tätigkeit in der brasilianischen Krise benennt: Dass nur 24% aller Tarifverhandlungen im bisherigen Jahr 2016 einen Zuwachs beim Reallohn ergaben. Was gegenüber den ganzen letzten Jahren ein gewaltiger Absturz ist – und ein Indiz für die wachsende Auswirkung der Wirtschaftskrise, wie auch die wachsende Erwerbslosigkeit. 39% aller diesjährigen Tarifabschlüsse bedeuteten demnach einen realen lohnverlust, angesichts einer Inflationsrate von knapp unter 10%.

„Campanhas salariais de bancários, metalúrgicos, petroleiros e trabalhadores dos Correios indicam mobilização unificada no dia 15 de setembro“ am 05. September 2016 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas externer Link ist ein Beitrag der linken Föderation, der einen Überblick gibt über die aktuellen Tarifauseinandersetzungen verschiedener Branchen. Die streikenden Bankbeschäftigten, die seit längerem einmal wieder nicht nur – wie üblich – die staatlichen, sondern auch ganz massiv und landesweit die Privatbanken bestreiken (die fünf größten Banken – darunter die beiden staatlichen – haben im ersten Halbjahr die Kleinigkeit von umgerechnet etwa 8 Milliarden Euros eingesackt und dabei weiterhin einige Tausend Jobs gestrichen), die Beschäftigten der Post, die soeben in zahlreichen Versammlungen einen    landesweiten Streikbeschluss gefasst haben, verschiedene lokale und regionale Streiks in der Ölindustrie – sprich: bei Petrobras – die zumindest die Gewerkschaftsopposition zu einem landesweiten Streik ausdehnen möchte und die anstehenden Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie sind dabei vor allem aufgeführt. Ob versucht wird, dies zu einer landesweiten Bewegung zusammen zu fassen, wie die Conlutas will, erscheint zwar fraglich, aber dass es zahlreiche Strömungen an der Gewerkschaftsbasis aller Föderationen gibt, die dies wollen, ist unbestreitbar. Die Conlutas hat sich zum Ziel gesetzt, einen landesweiten einheitlichen Kampftag aller dieser Branchen am 15. September zu organisieren…

„Houve um golpe e o traído foi você!“ von Ubirajara Alves de Freitas am 05. September 2016 externer Link (hier veröffentlicht in der Mitgliederzeitung der Metallgewerkschaft von Belo Horizonte, publiziert in fast allen örtlichen Metallzeitungen) ist der Aufruf des Organisationssekretärs der Föderation der Metallgewerkschaften in der CUT – CNM/CUT – gegen den Putsch Widerstand zu leisten. Wichtig hierbei ist vor allem, dass damit eine – minderheitliche – Strömung in der CUT massiv zu Wort kommt, die die Mobilisierung der Gewerkschaftsbasis und der Beschäftigten der Metallindustrie als den wesentlichen Beitrag der Gewerkschaften definiert, im Gegensatz zu mehrheitlichen Strömungen in der CUT – immer noch mit Abstand größter Gewerkschaftsbund des Landes – die weiterhin die Politik parlamentarischer Allianzen ihrer antreibenden Partei, der PT, verfolgen wollen.

„Presidente da Nova Central-RS manifesta-se sobre possíveis rumos do Brasil“ am 31. August 2016 beim Gewerkschaftsbund NCST externer Link ist die Stellungnahme des Vorsitzenden dieser Föderation im Bundesstaat Rio Grande do Sul am Tag der Amtsanmaßung des Herrn Temer, worin er – durchaus im Gegensatz zur bisher eher schwankenden Haltung dieser relativ neuen, aber stark wachsenden Föderation – festhält, dass diese Regierung einen Generalangriff auf alles bedeute, was die Werktätigen in den letzten 70 Jahren an Errungenschaften erkämpft hätten.

„UGT e demais centrais mineiras voltam às ruas no dia 22 de setembro“ am 06. September 2016 beim Gewerkschaftsbund UGT externer Link ist ein Bericht über den gemeinsamen Beschluss der Gewerkschaftsföderationen UGT, CUT, CTB, CSP Conlutas, Força Sindical und NCST im Bundesstaat Minas Gerais (dem industriell zweitwichtigsten Bundesstaat) am 22. September einen gemeinsamen Kampf- und Protesttag zu organisieren – unter der Losung „Temer raus“, was bisher keineswegs die einheitliche Auffassung dieser sechs Föderationen war. Hatten zu Beginn der Auseinandersetzungen nur vier (von insgesamt neun) Föderationen die Putschregierung komplett abgelehnt (darin eingeschlossen auch der linke Gewerkschaftsbund Intersindical, der in diesem Bundesstaat nicht existiert – bisher nur einige Einzelgewerkschaften, die sich der Aktion anschließen wollen), so sind es nun bereits sieben

„PLENÁRIAS ORGANIZADAS PELA INTERSINDICAL EM SANTA CATARINA E SÃO PAULO AVANÇAM NA ORGANIZAÇÃO DA LUTA CONTRA OS ATAQUES DOS PATRÕES E AS REFORMAS DA PREVIDÊNCIA E TRABALHISTA DE TEMER/PMDB“ am 31. August 2016 beim Gewerkschaftsbund Intersindical externer Link ist ein Bericht über zahlreiche Mitgliederversammlungen in zwei Bundesstaaten (die sozusagen die Hochburgen dieses linken Verbandes sind, und die Versammlungen waren, an denen sich insgesamt auch viele Hundert Nichtmitglieder beteiligten) in denen vor allem – offensichtlich mit einigen Erfolgen über die eigenen Reihen hinaus – versucht wurde, eine Front gegen Rentenklau, Änderung des Arbeitsgesetzes und Erweiterung der Leiharbeit aufzubauen

Die intensivere Debatte um politische Schlussfolgerungen für die Zukunft

Die Debatte darum, welche Lehren aus 14 Jahren PT Regierung und ihrem Ende zu ziehen sind, nimmt an Intensität zu. Sowohl innerhalb verschiedener linker Strömungen als auch etwa in einer Einheitsfront-Organisation wie „Volk ohne Angst“ (Povo sem medo), die linkere Alternative zur Frente Brasil Popular (Brasilianische Volksfront, die weitgehend aus der erweiterten „PT-Familie“ besteht). Dies beginnt bei der allgemeinen Frage, warum das Kapital die PT Regierung nicht mehr wollte – obwohl diese im wesentlichen einen neoliberalen Kurs verfolgte, aber eben mit „sozialer Abfederung“ – und geht bis zur Frage, ob im Angesicht der Fußtritte für den Volkswillen der parlamentarische Weg von Veränderungen überhaupt noch debattiert werden muss, inklusive vieler dazwischenliegender Themen – allesamt hier nur an zu skizzieren. Wobei deutlich wird, dass die Position der Mehrheitsströmungen in der PT – die wie bisher, auch weiterhin auf eine Beschränkung auf die  parlamentarische Ebene der Auseinandersetzung abzielt – von den meisten anderen, kleineren, aber auch innerhalb der PT existierenden politischen Strömungen nicht geteilt, sondern, ganz im Gegenteil, bekämpft wird.

„GOLPE, REGIME DE EXCEÇÃO E RESISTÊNCIA POPULAR“ am 31. August 2016 bei den Volksbrigaden externer Link ist die Erklärung dieser linken, schnell wachsenden Basisorganisation am Tag der Beendigung der Farce im Senat, in der sie die neue Regierung als ein Regime des Ausnahmezustandes, das mit allen Mitteln zu bekämpfen sei, bezeichnet. Die Brigadas Populares stehen mit dieser Erklärung auch stellvertretend für eine lange Reihe linker Gruppierungen ganz unterschiedlicher Strömungen, die die PT-Regierung nicht nur kritisierten, sondern auch bekämpften – aber dennoch in der Amtsanmaßung der Rechten einen historischen Bruch sehen, der die Entwicklung seit dem Sturz der Militärdiktatur umdrehen will. Die Gruppierung (die unter anderem in mehreren Bundesstaaten mit einigem Erfolg Gewerkschaften der Motorrad-Kuriere gegründet hat, hauptsächlich aber durch eine Reihe erfolgreicher städtischer Land- und Hausbesetzungen bekannt wurde) vertritt mit ihrer Erklärung die Position jener Strömungen und Gruppierungen, die massiv auf den alltäglichen, außerparlamentarischen Kampf setzen.

„Brief von Brasiliens Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva“ am 01. September 2016 bei amerika21.de externer Link dokumentiert (in der Übersetzung von Klaus E. Lehmann) ist der Brief des früheren PT-Präsidenten (und weiterhin Symbolfigur der PT, der auch in aktuellen Wahlumfragen Chancen hätte, die nächste Präsidentschaftswahl – 2018 – zu gewinnen) an seine einstige Amtskollegin Kirchner in Argentinien, worin er im wesentlichen die bisherige und künftige Politik der PT skizziert, unter anderem zur Amtsenthebung seiner – von ihm faktisch zur Kandidatin gemachten – Nachfolgerin: „Aber anstatt nach Erschöpfung der legalen Mittel die souveräne Entscheidung der Wählerschaft zu achten, zu ihrer legitimen Oppositionsarbeit zurückzukehren und sich darauf vorzubereiten, die nächste Präsidentschaftswahl zu bestreiten, wie dies die PT im Falle der vorangegangenen verlorenen Wahlen stets getan hatte, lehnten sich die unterlegenen Parteien und die großen Mediengruppen gegen ihre eigenen Maßgaben demokratischer Regelungen auf und begannen, die Regierung zu sabotieren und sich durch unrechtmäßige Mittel zu verschwören, um die Macht zu erlangen

„Brasil em Transe: Carta de Erundina contra o golpe e a soberania popular“ am 03. September 2016 dokumentiert bei kaosenlared externer Link ist der offene Brief von Luiza Erundina (erste PT-Bürgermeisterin von Sao Paulo zu Beginn der 90er Jahre und heute der linken PT-Abspaltung P-SOL angehörend) über die Amtsenthebung, die auch sie als Putsch und Farce bezeichnet. In dem Brief unterstreicht Erundina, dass es darum gehe, das Programm der Putschisten, gegen Afrobrasilianer, Frauen und Minderheiten ebenso gerichtet, wie gegen die Beschäftigten und Erwerbslosen des Landes, mit aller Kraft bekämpft werden müsse.

„Nos cem mil pelo Fora Temer, PT não consegue hegemonizar com a linha ’Diretas Já’“ von André Augusto am 07. September 2016 bei Esquerda Diario externer Link ist ein Beitrag zur Massendemonstration gegen Temer in Sao Paulo am Nationalfeiertag, worin der Gegenstand der Auseinandersetzung es ist, dass es bei dieser – in der wichtigsten Stadt des Landes bisher größten Demonstration gegen die Usurpatoren – Protestaktion der PT nicht gelungen sei, auf ihre Losung der sofortigen Neuwahlen zu orientieren.

„Die brasilianische Tragödie“ von Atilio Boron am 04. September 2016 bei amerika21.de externer Link (in der Übersetzung von Gerhard Mertschenk) ist ein Artikel des prominenten Sozialwissenschaftlers, in dem sozusagen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen linken Strömungen zum Amstenthebungsverfahren unterstrichen werden: „Der Dreizack der Reaktion: Richter, Parlamentarier und Massenmedien, alle bis ins Mark korrupt, setzte einen pseudo-legalen und eindeutig unrechtmäßigen Prozess in Gang, durch den die Demokratie in Brasilien – mit all ihren Mängeln, wie in jeder anderen auch – durch eine unverfrorene Plutokratie ersetzt wurde, die von der einzigen Zielstellung angetrieben wird, den 2002 mit der Wahl von Luiz Inacio „Lula“ da Silva zum Präsidenten eingeleiteten Prozess umzukehren. Der Tagesbefehl lautet, zur brasilianischen Normalität zurückzukehren und jedem seinen Platz zuzuweisen: dem „Volk“, das ohne aufzumucken seine Unterdrückung und Ausgrenzung hinzunehmen hat, und den Reichen, die ihre Reichtümer und Privilegien ohne Furcht vor einer „populistischen“ Woge aus dem Präsidentenpalast genießen sollen

„Nunca nos calarão – Fora Temer!“ am 08. September 2016 bei der PCB externer Link (Brasilianische Kommunistische Partei – die einst, bei der Spaltung in den 60er Jahren auf die KPdSU orientierte wesentlich kleinere Fraktion als die KP Brasiliens, die sich an der KP Chinas orientierte und heute Koalitionspartner der PT ist – war) ist eine Dokumentation der Stellungnahme der Gewerkschaft der DozentInnen an der Bundesuniversität im Bundesstaat Bahia in der zum einen, logischerweise, der geplanten weiteren Privatisierung der Universitäten der Kampf angesagt wird, sowie dem Obersten Gerichtshof seine Verantwortung vorgehalten, andererseits aber auch darauf hingewiesen wird, dass die „Pazifizierung der Kämpfe“ zu diesem Erfolg der Rechten beigetragen habe

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