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Die brasilianische Rechte feiert die erneute Verurteilung Lulas durch ihre rechten Richter

50.000 in Sao Paulo am 24.1.2018 gegen das zweite Lula Urteil„Brasilien – Kommunismus 3:0“ war einer der Tweets, die nach der Entscheidung des Berufungsgerichts, die Verurteilung des Expräsidenten aufrecht zu erhalten (und das Strafmaß zu erhöhen, was eben von den drei rechten Richtern einstimmig beschlossen worden war) in den asozialen Netzwerken am meisten verbreitet wurden. Wobei, wie auch in nicht so fernen Gegenden üblich, der braune Schaum vor dem Mund auch dazu dient, den Blick auf die Wirklichkeit zu verhindern. Einmal unterstellt, Lulas „Vergehen“ habe es tatsächlich gegeben: Sich ein Apartment für rund 700.000 Dollar „unter den Nagel zu reißen“ wäre eine Summe, die angesichts der rechten Korruption im wörtlichen Sinne lächerlich ist. Was – natürlich – weder bei den professionellen Fake News-Produzenten Thema ist, noch bei ihren amateurhaften NachahmerInnen. Es geht um ganz andere Beträge bei diesem Urteil: Etwa um die Abermillionen Steuererleichterungen für Unternehmen, die es ja bereits bei der Regierung Lula gab, die aber seitdem regelrecht explodiert sind. Oder um die Milliarden, die (auch hierzulande gut bekannte) Großunternehmen der Sozialversicherung gegenüber unterschlagen haben – einer der wesentlichen Gründe für die asoziale Rentenreform der regierenden rechten Koalition der Neoliberalen (von der es in Lulas Amtszeit ja auch bereits eine Erstauflage gab, die den Profitjägern aber heute nicht mehr ausreicht). Aber für die Rechten ist auch die kleinste soziale Maßnahme: Kommunismus. Ganz ähnlich, wie etwa aktuell ihre österreichischen Geistesbrüder, wollen sie den „Reichtum“ der Erwerbslosen und MindestlohnbezieherInnen endlich umverteilen. Siehe zu den Reaktionen auf das Urteil in Brasilien und der BRD sechs Beiträge, darunter die Stellungnahmen zweier Gewerkschaftsverbände, sowie den Hinweis auf unseren ersten Beitrag zum Urteil:

„Brasiliens Ex-Präsident Lula zu zwölf Jahren Haft verurteilt“ von Mario Schenk am 25. Januar 2018 bei amerika21.de externer Link, worin es unter anderem heißt: „Das Gericht legte fest, dass Lula auf freiem Fuß bleibt, bis von der Verteidigung eingelegte Rechtsmittel geprüft sind. Ihr bleibt die Möglichkeit, sowohl am Obersten Gerichtshof (STJ) als auch am Obersten Bundesgericht (STF) wegen möglicher Verfahrensfehler in Berufung zu gehen. Richter Marco Aurélio Mello vom STF hatte zuvor vor einer unmittelbaren Verhaftung Lulas gewarnt. Dies würde das Land „in Brand setzen“, so Mello. Das Gericht folgte mit seinem Urteil der umstrittenen Entscheidung des Bundesrichters Sergio Moro vom 12. Juli 2017, der mit den Lava Jato-Ermittlungen zum Korruptionsskandal um den Petrobras-Konzern betraut ist. Der Vorwurf gegen Lula lautete, er habe dem Baukonzern OAS Vorteile bei der Auftragsvergabe durch Petrobras verschafft und im Gegenzug ein Luxus-Apartment im Wert von 2,2 Millionen Reais, (550.000 Euro) erhalten. Eine starke politische Komponente trägt die Verurteilung aufgrund Lulas großer Chancen, im Oktober dieses Jahres wieder zum Präsidenten gewählt zu werden. Er führt derzeit klar die Umfragen an. Doch nach dem gestrigen Urteil scheint seine Kandidatur eher unwahrscheinlich: Die Gesetze sehen vor, dass Verurteilte nicht für öffentliche Ämter kandidieren können“.

„Brasilien: Putschisten in Richterroben“ von Harald Neuber am 25. Januar 2018 bei telepolis externer Link, worin es zu den Bedingungen am Prozesstag und den Wirkungen des Urteils unter anderem heißt: „Die Stadtverwaltung hatte bereits im Vorfeld des Prozesses die Armee mobilisiert, um „zu Lande, zu Wasser und aus der Luft“ agieren zu können. Kampfflugzeuge der Luftwaffe donnerten immer wieder über die Häuser, Schiffe der Marine patrouillierten auf dem Rio Gauíba, Scharfschützen waren Dächern postiert. Lokalpolitiker schwadronierten, man müsse die drei Richter vielleicht sogar mit Armeehubschraubern ein- und ausfliegen lassen. Das Ganze, so die Professorin für Internationale Beziehungen der örtlichen Hochschule UNIFESP, Esther Solano, stehe im Einklang mit der „Show-Justiz“, von der die Lava-Jato-Prozesse von Beginn an bestimmt gewesen seien.  Die politische Perspektive für Lula und Brasilien ist nach dem heutigen Tag indes unklar. Der ehemalige Präsident hatte nach seinem Abtritt 2011 wegen der Ermittlungen zwar Popularität eingebüßt. Zuletzt befand er sich aber im Aufwind und kam in den Umfragen auf 45 Prozent. Damit hatte er Aussicht auf fast doppelt so viele Stimmen als sein rechtspopulistischer Herausforderer Jair Bolsonaro. Zwar wurde Lula heute nicht festgenommen und kann weiter den Rechtsweg beschreiten. Es wird aber zunehmend unwahrscheinlich, dass er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im Oktober aufrechterhalten kann. Die PT wird sich Gedanken über Alternativen machen müssen.  Mitglieder der rechtsgerichteten Bewegung Freies Brasilien (MBL) demonstrierten indes für ein „sauberes und neoliberaleres“ Land. Die Börse in São Paulo schloss mit einem Plus von 3,35 Prozent“.

„Alarmstufe rot“ von Peter Steiniger am 26. Januar 2018 in der jungen welt externer Link zur Bedeutung des Urteils für die kommenden Wahlen: „Vor dem Gerichtsgebäude und an vielen anderen Orten hatten in den vergangene Tagen Tausende Anhänger des Präsidenten gegen die Justizfarce demonstriert. Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen hatten unter der Losung »Wahl ohne Lula ist Betrug« mobilisiert. In Rio de Janeiro schritt die Militärpolizei gegen politische Aktivisten ein, die in ein Gebäude des Medienkonzerns Globo eingedrungen waren und dort Parolen hinterlassen hatten. Globo führt seit Jahren eine Kampagne gegen die Arbeiterpartei. Diese wird als Sündenbock für die tiefverwurzelte Korruption im Land genutzt, von der Netzwerke aus Wirtschaft und traditioneller Politik seit Jahrzehnten profitieren. Um sich an den Kopf der PT heranwagen zu können, wurden einige »Kühe für die Piranhas« geopfert, wie der frühere Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der seit dem Herbst 2016 wegen Korruption im Knast sitzt. Andere, wie Senator Aécio Neves von der PSDB und Staatschef Michel Temer selbst, bringen auch die erdrückendsten Beweise für ihre Verbrechen nicht zu Fall. Gleichzeitig werden von den Leitmedien Figuren wie der langjährige Kongressabgeordnete Jair Bolsonaro, ein faschistischer Exmilitär und Verherrlicher der Diktatur, die von 1964 bis 1985 herrschte, als angebliche Antipolitiker zu einer brasilianischen Trump-Variante aufgebaut“.

„Brasiliens Linke mobilisiert“ von Niklas Franzen am 26. Januar 2018 in neues deutschland externer Link über die Reaktionen der Linken in Brasilien: „Fast alle sozialen Bewegungen riefen zu Protesten gegen das Lula-Urteil auf. Dabei ist ihre Beziehung zur PT ambivalent. Im Jahr 2002 hatten soziale Bewegungen maßgeblichen Einfluss daran, dass der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula in seinem vierten Anlauf zum Präsidenten gewählt wurde. Der große Wandel blieb nach der Wahl allerdings aus: Lula setzte auf keinen radikalen Bruch des Status quo. Anstatt grundlegende Reformen durchzuführen, wurden die Pfründe des Rohstoffbooms etwas gerechter verteilt. Durch die Sozialprogramme stiegen Millionen Brasilianer aus der Armut auf. Allerdings: Die PT ging bald im System auf und Lula wurde zum Liebling der wirtschaftlich Mächtigen. Ein neoliberales Wachstumsdogma setzte sich in der Partei durch. Umstrittene Großprojekte und das staatlich hofierte Agrobusiness zerstörten weite Teile des Lebensraumes von indigenen Gemeinden und Kleinbauern. Bei vielen Linken kam das nicht gut an. Die von der PT ins Land geholten Megaevents sorgten für Unmut bei städtischen Bewegungen. In der Folge gingen etliche Linke auf Distanz zur PT-Regierung“.

„Lula: Minha condenação é para negar o direito do povo ser feliz“ am 25. Januar 2018 beim Gewerkschaftsbund CUT externer Link ist der Bericht über die Parteiveranstaltung der PT am Tag nach dem Urteil, auf der die Kandidatur Lulas für die Wahlen im Oktober 2018 offiziell bekannt gegeben wurde. Der PT (sehr) nahe größte Gewerkschaftsbund Brasiliens sieht in der Kandidatur Lulas seit langem die wichtigste Form des politischen Widerstandes gegen den Vor marsch der Rechten, was dann auch daran deutlich wird, dass in dem Bericht alle amtierenden PT-Gouverneure zu Wort kommen. Lula selbst unterstrich in seiner Rede, dass die Verurteilung nicht ihm, sondern der Politik gelte, die seine Regierung gemacht habe.

„Trabalhadores vão às ruas em defesa da democracia, pelo direito de Lula ser candidato e contra a agenda do grande capital“ am 25. Januar 2018 beim Gewerkschaftsbund Intersindical externer Link ist die Stellungahme des linken Verbandes und gleichzeitig Bericht über die Demonstration gegen das Urteil in Sao Paulo. Der Verband – traditionell der PT gegenüber ausgesprochen kritisch – sieht in dem Recht Lulas auf die Kandidatur eine demokratische Grundsatzfrage, bei der rechte verteidigt werden müssen – und darum gehe es im Grundsatz, unabhängig davon,  ob überhaupt und wenn ja, zu wessen Wahl man aufrufe.

Zum Urteil gegen Lula zuerst: „Der Schauprozess gegen den brasilianischen Expräsidenten Lula – es soll keine Alternative geben: Verurteilung auch in zweiter Instanz aufrecht erhalten“ am 25. Januar 2018 im LabourNet Germany

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=127146
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