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[Nach der Wahl in Brasilien] Bolsonaros Drohungen, die Freude der (nicht nur deutschen) Unternehmen und der Widerstand gegen die rechte Offensive

[28. Oktober 2018] Bolsonazi siegesgewiss: „Erst wählen die Brasilianer. Mich. Dann kann Haddad wählen – zwischen Exil und Gefängnis“Worüber sich Gewerkschaften, soziale Bewegungen und politische Linke in Brasilien wohl am meisten Gedanken machen müssen: Runde 67% der Stimmen für Bolsonaro im industriellen Zentrum des Landes, dem Bundesstaat Sao Paulo – der auch der bevölkerungsreichste ist – das sind 15 Millionen WählerInnen. Die für den politischen Triumph des Rechtsradikalismus im ganzen reicheren, südlichen Teil des Landes stehen: Ähnliche Ergebnisse in den Bundesstaaten Rio de Janeiro und Paraná (grob je zwei Drittel) und Wahlerfolge von Militärs und Unternehmern bei den Gouverneurswahlen, von denen die Hälfte (13 von 27) ebenfalls in die Stichwahl am selben Tag gingen. Die ersten Bekundungen Bolsonaros waren so eindeutig, wie eh und je: Personell soll neben dem „Wunschkandidat der Märkte“ dem Chicago-Ideologen Paulo Guedes für die Wirtschaftspolitik, auch der Richter Moro als Justizminister zu seiner Mannschaft gehören – qualifiziert durch die Inszenierung des Prozesses gegen den Expräsidenten Lula. Seine ersten politischen Maßnahmen sollen – nach den Schwerpunkten seiner Kampagne wenig überraschend – es sein, den Zugang zu Waffen zu erleichtern – und der Polizei ihren Gebrauch – und die Strafmündigkeit auf 16 Jahre herab zu setzen, sowie den Schutz von (zumeist indigenen) Territorien zu beenden. Dass dabei noch am Wahlabend zahlreiche Gewaltexzesse registriert wurden, ist leider ebenso wenig überraschend, sondern in der Zeit zur Stichwahl schon beinahe alltäglich geworden. Für alles, was oppositionell ist in Brasilien, stellt sich akut die Frage, welche Konsequenzen zu ziehen seien, eine Orientierung auf „weiter wie bisher, nur stärker“ scheint nicht mit sonderlichen Erfolgsaussichten behaftet. Unsere aktuelle kommentierte Materialsammlung „Bolsonaros Wahlsieg und die Reaktionen“ vom 30. Oktober 2018 – inklusive einiger Ergänzungen vom 31. Oktober:

„Bolsonaros Wahlsieg und die Reaktionen“

a) Das Wahlergebnis und sein Zustandekommen

Sicherheit für Person und Besitz und Schluss mit der Bevorzugung von Minderheiten – das waren zentrale Wahlversprechen Bolsonaros, die sich vor allem, aber eben keineswegs nur, an seine zentralen Unterstützer wandte: Militär, Evangelikale und Agrarkapitalisten (samt restlichen Großgrundbesitzern). Womit er aber auch viele Millionen Menschen erreicht hat, die über diese Kreise hinaus gehen. Sei es durch Versprechungen („Sicherheit“ beispielsweise wünscht sich nicht nur ein zunehmend hysterisches Kleinbürgertum, sondern auch die Menschen in den Armenvierteln, die am meisten unter der Kriminalität zu leiden haben). Und die Anti-Korruptionskampagne der großen Medien im Bündnis mit der reaktionären Justiz hat nicht nur regelrechten Hass auf die PT erzeugt, sondern in den zwei Jahren seit der Absetzung von Dilma Rousseff auch die traditionelle konservativ-neoliberale Alternative, wie sie faktisch in der Temer Regierung verkörpert war, vollständig zerschlissen.

„Brasilien: Rechtsextremer Jair Messias Bolsonaro ist Präsident“ von Mario Schenk und Harald Neuber am 29. Oktober 2018 bei amerika21.de externer Link heben vor allen Dingen hervor: „In seiner Ansprache als gewählter Präsident dankte Bolsonaro vor allem Gott und all jenen, die es möglich gemacht haben, jemanden ohne großer Parteistruktur zum Staatsoberhaupt zu wählen. Er gebe den Schwur darauf, die liberale Demokratie zu garantieren. „Wir können nicht weiter mit dem Sozialismus, Kommunismus oder Extremismus flirten. Wir sind die großen Sieger dieses Kampfes. Wir folgen der Bibel wie der Verfassung“, so Bolsonaro in der ersten Rede. Besonders im reichen, weiß geprägten Süden hatte Bolsonaro deutliche Mehrheiten von zwei Drittel geholt. Seine größte Wählergruppen waren Evangelikale, von denen 70 Prozent für den früheren Offizier stimmten. Der unterlegende Haddad verzichtete darauf, dem Sieger zu gratulieren. Stattdessen versicherte er, für die Institutionen des Landes kämpfen zu wollen. Er habe erlebt, dass viele Furcht vor der neuen Zeit hätten. „Niemand braucht Angst zu haben, denn wir stehen zusammen. Wir treten gemeinsam für eure Ziele ein“, so Haddad in der TV-Übertragung. Bolsonaro hatte mehrmals angekündigt, bei einem Wahlerfolg soziale Bewegungen wie die Landlosenbewegung (MST) oder die Wohnungslosenbewegung (MTST) zu „terroristischen Vereinigungen“ zu erklären. Dies würde zu einer beispielosen Welle der Verfolgung im Land führen. Einzig im ärmeren Nordosten konnte Haddad Mehrheiten für sich gewinnen…

„Faschist an der Macht“ von Peter Steiniger am 30. Oktober 2018 in der jungen welt externer Link zum Zustandekommen dieses Wahlsieges: „Bolsonaro ist es gelungen, die völlige Entfremdung großer Teile der Gesellschaft vom traditionellen Politikbetrieb für seine Bewegung zu kanalisieren. Der von konservativen Eliten installierte Michel Temer wurde für diese selbst zur Hypothek. Frustration drückt auch die Zahl von 41 Millionen Bürgern aus, die trotz Wahlpflicht den Urnen fernblieben oder ungültig wählten. Der Demagoge konnte an der heuchlerischen Korruptionsdebatte der großen Medien, an der von ihnen entfachten apokalyptischen Hysterie gegen die Linke anknüpfen. Der frühere Hauptmann Bolsonaro, der lange Jahre als Krakeeler auf den Hinterbänken des Kongresses festklebte und dabei neun Parteien durchwechselte, trat nun als Antipolitiker auf. Für seine fanatischen Anhänger macht ihn die Kontinuität, mit der er menschenverachtende autoritäre Positionen vertritt, zum »Mito!«, Mythos. Bolsonaros Sieg ist ein Zeugnis für eine bis heute tief verwurzelte Kultur der Gewalt, für den Rassismus und antisozialen Chauvinismus in der brasilianischen Gesellschaft. Der »Kandidat der Märkte« und der mächtigen evangelikalen Sekten wurde vom Kapital lanciert: Konzerne steckten Millionen in illegale Wahlkampfhilfe. In gigantischem Umfang wurde mit Fake News in den »sozialen Medien« Massenmanipulation betrieben. Unternehmer forderten ihre Angestellten auf, für Bolsonaro zu stimmen, Supermärkte und Möbelhäuser verbanden ihre Reklame mit der Zahl 17, der des ultrarechten Kandidaten. Als Vize steht der pensionierte General Hamilton Mourão auf seiner Liste. Weitere Militärs werden aus der Reserve kommen und im Kabinett Platz nehmen…“

„Erschreckende Normalität“ von Andreas Behn am 29. Oktober 2018 in der taz externer Link kommentiert den Aufstieg Bolsonaros: „Es war ein zutiefst tragischer Wahltag in Brasilien. Erschreckend war schon die Normalität, ja geradezu Gleichgültigkeit, mit der das vorhergesagte Ergebnis und der tiefe Einschnitt in die Geschichte des Landes zur Kenntnis genommen wurde. Viele Millionen Menschen gaben dem erklärten Rechtsextremisten Jair Bolsonaro ihre Stimme. Ab dem 1. Januar 2019 wird ein Befürworter von Folter, der sich über Minderheiten lustig macht und politische Gegner in den Knast stecken will, das größte Land Lateinamerikas regieren. Es ist über die Landesgrenzen hinaus ein dramatisches Signal. Der Rechtsruck in der Region ist endgültig besiegelt. Und die Linie, die menschenverachtende Diskurse und ihre Umsetzung in der Praxis notdürftig begrenzte, ist weit nach rechts verschoben worden. Tödliche Polizeischüsse, Vertreibung von Indígenas, Morde an Andersdenkenden oder -aussehenden und die Abholzung des Amazonaswaldes sind jetzt demokratisch legitimiert. (…)Dass es soweit kommen konnte, hat viele Gründe. Die Fehler der gemäßigten Linken, die jahrelang an der Macht war und auch gravierende Fehler machte, gehören genauso dazu wie die ausgebliebene Aufarbeitung der Militärdiktatur (1964-1985) und ein seit langem angefaultes politisches System. Die größte und aktive Verantwortung trägt jedoch die politische und wirtschaftliche Elite, die für ihren eigenen Machterhalt alles in Kauf nimmt. Sie hat mit tatkräftiger Unterstützung der Medien ihr politisches Gegenüber, die Arbeiterpartei, verteufelt und als das grundsätzlich größere Übel dargestellt. Ihr Ziel war nicht, Bolsonaro an die Macht zu bringen. Doch mangels eigener konservativer Kandidaten, die alle im Sog von Korruption und Vetternwirtschaft untergingen, blieb dieser Elite am Ende nur noch die Option des Rechtsextremismus, um eine Neuauflage der durchaus erfolgreichen Regierung der Arbeiterpartei zu verhindern…“

„Schweigeminute für Brasiliens Demokratie“ von Niklas Franzen am 29. Oktober 2018 in neues deutschland externer Link unter anderem zu den Reaktionen: „Nur wenige Straßenzüge entfernt, sieht es ganz anders aus. Tausende Anhänger von Jair Bolsonaro haben sich auf der Avenida Paulista, der Prachtstraße der Megametropole, versammelt. Schon von weitem hört man Feuerwerkskörper, Autohupen und Gebrüll. Die für den Verkehr gesperrte Straße gleicht einem Meer aus Gelb und Grün. An jeder Ecke stehen Straßenverkäufer*innen, die T-Shirt und Fahnen mit dem Konterfei von Bolsonaro verkaufen. Polizisten posieren gut gelaunt mit Bolsonaro-Fans für Fotos. Mehrfach wird die Nationalhymne gesungen, es wird getanzt, gesungen, gelacht. Doch der friedliche Schein trügt: Die Stimmung schwankt zwischen Volksfest und Pogrom. So wird ungeniert gegen politische Gegner gehetzt und offen die blutige Militärdiktatur (1964-1985) verherrlicht. Ein junger Mann zeigt mehrmals den Hitlergruß, während ein Redner die Politiker der Arbeiterpartei von der Bühne aus vulgär beschimpft. Mehrere Anwesende tragen Uniformen des Militärs, kleine Kinder formen ihre Hände zu Pistolen und immer wieder rufen die Anwesenden den Schlachtruf »Brasilien über alles.« Die Anhänger Bolsonaros haben die menschenverachtende und faschistoide Rhetorik ihres Idols verinnerlicht…“

„Empresários, militares e uma única mulher: os governadores que venceram o 2º turno“ am 28. Oktober 2018 bei Brasil de Fato externer Link ist ein Überblick über die Ergebnisse der gleichzeitig stattgefundenen Stichwahlen zum Gouverneursamt in 13 der 27 Bundesstaaten (mit rund zwei Dritteln aller WählerInnen) bei dem – neben den in Brasilien üblichen zahlreichen Parteiwechseln – eben vor allem der Trend, wie er in der Überschrift bereits angedeutet wird (Unternehmer, Militär und eine einzige Frau – die Sieger im 2. Wahlgang) deutlich wird. Noch besser, als bei den Präsidentschaftswahlen der beiden Staaten Sao Paulo und Rio hatte Bolsonaro nur in zwei Bundesstaaten abgeschnitten: In Santa Catarina (dem bevorzugten Ziel deutscher Wirtschaftsflüchtlinge) und Acre, wo der Agrarkapitalismus regiert: In beiden, wie auch im zweitgrößten Bundesstaat Minas Gerais (was die Einwohner#Innen-Zahl betrifft) gewannen die Rechten deutlich (gegen neoliberale Traditionskandidaten).

„Brésil. La victoire annoncée. L’avenir incertain“ von Charles-André Udry am 29. Oktober 2018 bei A l’encontre externer Link ist ein Beitrag, der einerseits hervor hebt, dass der erwartbare Wahlsieg eine Situation der Unsicherheit und Ungewissheit geschaffen hat, anderseits aber auch eine genaue Berichterstattung über die Wahlergebnisse in den einzelnen Bundesstaaten bietet, die übersichtlicher und leichter lesbar ist (auch für jene, die kein Französisch können), als etwa die offiziellen Seiten. In der Analyse geht der Beitrag zurück zum „Wendejahr“ 2013, als erstmals in der jüngeren Zeit bei sozialen Protesten der organisierte Rechtsradikalismus in Brasilien an die Öffentlichkeit trat.

„Der lange Weg zur Machtübernahme“ von Andreas Behn am 29. Oktober 2018 in der taz externer Link zeichnet ebenfalls diesen Weg nach (siehe zur Entwicklung der „Bolsonaro-Bewegung“ auch den Hinweis auf eine frühere Materialsammlung am Ende dieses Beitrags), wie er seit 2013 deutlich wurde: „Die Absetzung Dilma Rousseffs in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren im August 2016 ist in mehrerlei Hinsicht der Ausgangspunkt für Bolsonaros Griff nach der Macht. Zum einen war es ein rechtsstaatlich fragwürdiges Verfahren, das eindeutig politisch motiviert war. Die Amtsübernahme durch eine durch und durch korrupte Clique um Übergangspräsident Michel Temer war der Beginn eines rechtsfreien Zustands, der auch den Ruf nach einem starken Mann hoffähig machte. (…)Das breite Anti-PT-Bündnis war für den Ex-Militär allerdings nur ein Sprungbrett. Die konservative Elite wollte 2018 selbst an die Macht, und Bolsonaro gelang es im Vorfeld der Wahl kaum, überhaupt einen Vize-Kandidaten zu finden. Doch sein Kalkül ging auf: Wenn die traditionellen Konservativen nach zwei Jahren unbeliebter Temer-Regierung keinen starken Kandidaten ins Rennen bringen, werde am Ende er selbst das rechte Lager vertreten. Hinzu kam, dass er den Anti-PT-Diskurs der Medien und Konservativen noch besser und radikaler in Szene setzte: „Du wirst in deiner Zelle verrotten“, sagte er dem unter fragwürdigen Umständen wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten Lula da Silva. In der Stichwahl war er dann die einzige Option gegen die PT. Seine Inhalte sind der Wählerschaft weitgehend unbekannt, da er sich seit einer Messerattacke durch einen offenbar geistig verwirrten Mann im September weigert, an öffentlichen Debatten teilzunehmen. Statt dessen Wahlkampf à la Trump: Unmengen Fake News, diesmal vor allem per WhatsApp. Trumps Ex-Berater Steve Bannon war im Team von Bolsonaro mit von der Partie. Und Beistand kam von evangelikalen Pastoren, die das Votum für Bolsonaro zu einer Gottespflicht erklärten…“

„Dämmerung in Brasilien“ von Dieter Boris am 31. Oktober 2018 in der jungen welt externer Link New zeichnet ebenfalls diese Entwicklungslinien nach, weist aber auch auf die Entwicklung der PT hin: „Die PT hat, als sie regierte, die Zeichen der Zeit nicht verstanden und ihre einstige Basisnähe eingebüßt. Die Einbindung in die Regierung und in entsprechende Posten, die Anpassung an die dominanten Züge der politischen Kultur des Landes (Korruption, Klientelismus etc.) hat ihre Fähigkeit zu einer selbstkritischen Analyse offenbar stark eingeschränkt und eine grundsätzliche Korrektur des Kurses unmöglich gemacht. Die unrealistische Politik der »Klassenversöhnung«, der Exportorientierung, der Förderung der privaten Bildungsinstitutionen und vieles andere mehr, die sie von ihrem ursprünglichen Versprechen des Kampfes gegen den Neoliberalismus immer weiter entfernte, haben die Glaubwürdigkeit der PT sehr stark beeinträchtigt. Nicht zuletzt infolge des Schwankens zwischen neoliberaler Austeritätspolitik und staatlicher Nachfrageförderung in der Schlussphase der Ära Rousseff hat sich die Enttäuschung der bisherigen PT-Anhänger so sehr gesteigert, dass die Proteste gegen die willkürliche und juristisch nicht zu rechtfertigende Amtsenthebung ziemlich schwach und weit entfernt von einer Massenbewegung waren. Das gleiche gilt für die Zeit nach Lulas Gang ins Gefängnis…

b) Die ersten Schritte und Reaktionen

Massendemo gegen Bolsonaro in der Favela Heliopolis - solche Aktionen blieben im brasilianischen Wahlkampf 2018 leider eine Ausnahme...Dass er vor den Wählern noch Gott dankt, ist bei Bolsonaro keine Überraschung – so wenig wie seine Personalpolitik für die künftige Regierung, deren Richtung schon klar war, als er General Mourao als Vize auf seine Wahlliste nahm. Die Unternehmerverbände feiern, genau wie die „Aktienmärkte“ – und die deutschen Unternehmen in Brasilien (die über ihre Mitgliedschaft im Unternehmerverband FIESP ja bereits massiv zur illegalen Absetzung der PT-Regierung beigetragen hatten). Und von den zahllosen Meldungen von Übergriffen noch am Wahlabend können wir hier nur ausgewählte bringen – es macht aber offensichtlich, wer sich hier alles „befeuert“ fühlt, von der Militärpolizei bis zu den Banden des MBL.

„Die deutsche Wirtschaft feiert den „Trump der Tropen“ von Alexander Busch am 29. Oktober 2018 im Handelsblatt externer Link berichtet über diese Reaktionen ausführlich – und deutlich: „Doch im Zentrum São Paulos, wie insgesamt in der Wirtschaft, will man von diesen Warnungen nichts wissen. Im Gegenteil: An der Börse und den brasilianischen Finanzmärkten wurde der Wahlsieg Bolsonaros heftig gefeiert: Der brasilianische Leitindex Bovespa legte um mehr als fünf Prozent zu. Auch die Führungsriege der deutschen Wirtschaft in Brasilien schreckt der Rechtspopulist nicht. Im Gegenteil: In Gesprächen mit einem halben Dutzend führender Vertreter der deutschen Wirtschaft in São Paulo ergab sich folgender Trend: Die Unternehmen hoffen darauf, dass nach dem 28. Oktober die Zeit der Instabilität vorbei sein werde. „Wenn sich fast 60 Prozent der Brasilianer für einen Kandidaten entscheiden, dann muss man diese Entscheidung respektieren“, sagt Philipp Schiemer, Präsident von Mercedes-Benz in Brasilien. „Bolsonaro ist bei Themen wie Korruptionsbekämpfung, Sicherheit und vor allem auch in der Wirtschaft für die meisten Brasilianer überzeugender als sein Gegenkandidat…“

„Der Chicago Boy und sein Präsident“ am 30. Oktober 2018 bei German Foreign Policy externer Link zur Freude deutscher Unternehmen: „Deutsche Wirtschaftskreise geben sich mit Blick auf den künftigen brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro hoffnungsfroh und verweisen dazu auf das Wirtschaftsprogramm seines Superministers in spe, Paulo Guedes. Guedes wirkte zur Zeit des Militärregimes von Augusto Pinochet als Dozent an der Universidad de Chile; seine Pläne ähneln der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärdiktatur. Bolsonaro, der sich seit rund einem Jahr von Guedes beraten lässt, wird von der brasilianischen Wirtschaft bejubelt, nicht zuletzt vom brasilianischen Partnerverband des BDI, der Confederação Nacional da Indústria (CNI), in der deutsche Unternehmen eine starke Stellung innehaben. Deutsche Konzerne hatten bereits mit der brasilianischen Militärdiktatur kooperiert. Bolsonaros Sieg versetzt der Politik einer vorsichtigen Umverteilung zugunsten verarmter Bevölkerungsschichten den Todesstoß, für die die Präsidenten Lula da Silva und Rousseff standen und die im Kern schon mit dem kalten Putsch vom Mai 2016 beendet wurde – unter dem Beifall deutscher Unternehmer…“

„Bolsonaro holt Star-Richter ins Kabinett“ am 30. Oktober 2018 in der tagesschau externer Link über das nächste Kabinettsmitglied, ein wahrhafter Star unter der hochbezahlten reaktionären brasilianischen Richterkaste: „Im ersten Interview seit seinem Wahlsieg kündigt Brasiliens kommender Präsident Bolsonaro an, den prominentesten Korruptionsermittler des Landes zum Justizminister zu machen. Der Richter hatte auch Ex-Präsident Lula verurteilt. Der neu gewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro will den prominentesten Korruptionsermittler des Landes zu seinem Justizminister machen. Er werde Richter Sergio Moro den Posten in seinem Kabinett anbieten, sagte der Rechtextremist im ersten Fernsehinterview seit seinem Wahlsieg. Moro hat als Untersuchungsrichter die Ermittlungen zu „Lava Jato“ (Autowäscherei) – dem größten Korruptionsskandal Lateinamerikas – maßgeblich vorangetrieben. Im vergangenen Jahr verurteilte er Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in erster Instanz wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe…“

„Following the presidential election, members of the Workers‘ Party protesting  in Salvador were brutally beaten by military police officers“ am 29. Oktober 2018 im Twitter-Kanal Ubique externer Link ist ein kurzes Video aus Salvador (der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia, wo Haddad den Wahlsieg deutlich davon trug) über die Aggression der Militärpolizei gegen eine Demonstration vor allem von PT-AktivistInnen, die gegen den Wahlausgang protestierten…

„Deputada eleita pelo PSL estimula estudantes a denunciarem professores“ am 29. Oktober 2018 bei Brasil de Fato externer Link ist ein Bericht über die AFD in Brasilien – beinahe, jedenfalls: Eine frisch gewählte Abgeordnete aus Santa Catarina organisiert eine Netz-Plattform, auf der Schülerinnen und Schüler  „indoktrinierende Lehrer“ denunzieren sollen…Womit, um dies noch einmal zu sagen, keineswegs jene gemeint sind, die solche konstruierten Thesen vertreten wie etwa, Brasilien sei am 22. April 1500 „entdeckt“ worden…

„Bolsonaro ist Gefahr für Pressefreiheit“ am 26. Oktober 2018 bei Reporter ohne Grenzen externer Link ist zwar eine Erklärung noch vor dem zweiten Wahlgang, macht im konkreten aber dennoch deutlich, was für nicht nur für kritische JournalistInnen Alltag werden soll, sondern auch für ein (neo)liberales Blatt wie die Folha de Sao Paulo: „Die Tageszeitung Folha de São Paulo, eine der größten Zeitungen des Landes, bezeichnete Bolsonaro am 22. Oktober in einem Video als „größte Fake-News-Quelle Brasiliens” und drohte dem Blatt: „Wenn ich gewählt werde, wird die Regierung keinerlei Anzeigen mehr bei euch schalten.” Die Folha de São Paulo hatte am 18. Oktober über eine WhatsApp-Desinformationskampagne von Anhängern Bolsonaros berichtet. Ihm nahestehende Geschäftsleute hatten demnach den Versand von Millionen automatisierten Nachrichten finanziert, die Bolsonaros Gegenkandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei verunglimpften. Da zwei Drittel der Brasilianer ihre Nachrichten über Soziale Netzwerke beziehen und WhatsApp für 61 Prozent von Bolsonaros Wählern die bevorzugte Informationsquelle ist, ist ein immenser Einfluss dieser Kampagne zu vermuten. Das Oberste Wahlgericht des Landes Ermittlungen aufgenommen, da diese Art der Wahlkampffinanzierung in Brasilien illegal ist. Die Autorin des Artikels, Patrícia Campos Mello, wurde von Bolsonaro-Anhängern über Soziale Medien angegriffen und bedroht. Ihr WhatsApp-Account wurde gehackt, sie und ihre Familie erhielten anonyme Drohanrufe.  Ein Manager eines zu Folha gehörenden Meinungsforschungsinstituts erhielt ebenfalls Drohungen, sowohl über Messenger als auch in seiner Wohnung. Zudem wurde eine WhatsApp-Nummer der Zeitung mit 220.000 Nachrichten geflutet, sodass Nachrichten von Lesern nicht mehr gelesen werden konnten…“

„Armar população e reduzir maioridade penal estão entre as prioridades do presidente eleito“ am 29. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund CTB externer Link ist eine Stellungnahme des Verbandes, der der KP Brasiliens nahe steht zur ersten Rede Bolsonaros nach dem offiziell verkündeten Wahlergebnis. Darin hatte er unter anderem eben angekündigt, seine ersten Schritte seien die angedrohte Reform des Waffengesetzes und die Herabsetzung der Strafmündigkeit durch eine Verfassungsänderung. Der Gewerkschaftsbund verurteilt beide Maßnahmen.

„L’Amazonie, convoitée par l’agrobusiness et l’industrie minière, en danger imminent avec l’élection de Bolsonaro“ von Rachel Knaebel am 30. Oktober 2018 im Bastamag externer Link New ist ein ausführlicher Beitrag über Bolsonaros „Umweltpolitik“ – sprich die noch weitere Öffnung Amazoniens für Geschäftemacher. Der Beitrag gibt einen gesamten Überblick über diese politischen Absichten – und wird bereits in den ersten Tagen nach der Stichwahl durch Bolsonaros Bekundung bekräftigt, das Umweltministerium dem Agrarministerium einzugliedern…

c) Reaktionen von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Organisationen

Weiter wie bisher – nur stärker und besser – oder anders: Das ist die Frage die für die Opposition verschiedenster Strömungen steht. Auch wenn die Antworten noch längst nicht fertig sind, zeigen die im folgenden dokumentierten ersten Reaktionen von Gewerkschaften, sozialen bewegungen und linken Organisationen doch bereits deutlich eine diesbezüglich durchaus unterschiedliche Orientierung aus, was wohl noch für längere Zeit ein wesentliches Thema im Lande selbst und auch bei all jenen, die global mit den demokratischen und linken Kräften des Landes solidarisch sind, bleiben oder erst werden wird. brigadas_plakat

„A LUTA CONTINUA!“ am 29. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund CUT externer Link ist die Erklärung des größten Gewerkschaftsbundes zum Wahlausgang. Dass der Kampf weiter gehe auf Grundlage des Ergebnisses, bei dem viele Millionen Menschen gegen Bolsonaro gestimmt hätten ist der Tenor der Erklärung. Die allerdings weder konkrete Schritte angibt, noch eine Veränderung der bisherigen, parlamentarisch orientierten Vorgehensweise auch nur andeutet.

„Força e UGT respeitam resultado eleitoral, mas cobram garantia de direitos“ am 29. Oktober 2018 bei der Rede Brasil Atual externer Link ist ein Beitrag über die Stellungnahmen des zweit- und drittgrößten gewerkschaftlichen Verbandes, die beide betonen, das Wahlergebnis zu respektieren, dabei aber hinzufügen, die Rechte der arbeitenden Menschen dürften nicht angegriffen werden. (Was ja nun Bestandteil des Regierungsprogramms ist…)

„Eleição de Bolsonaro: construir a mais ampla unidade de ação em defesa dos direitos e das liberdades democráticas“ am 29. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas externer Link ist die Erklärungd er linken Föderation zum Wahlausgang in der auf eine möglichst breite Aktionseinheit zur Verteidigung von Rechten und Freiheiten abgehoben wird. Dafür habe es während des Wahlkampfes Ansätze gegeben, die etwa in der bereits angekündigten Gegenreform der Rentenversicherung und dem Widerstand dagegen weiter ausgebaut werden müssten.

„A eleição terminou, mas a luta está apenas começando“ am 29. Oktober 2018 beim Gewerkschaftsbund Intersindical externer Link ist die Stellungnahme des linken Verbandes, in der die Positionen der beiden linken Einheitsfronten des Landes wieder gegeben und unterstützt werden, die davon ausgehen, dass die Wahl vorbei sei, der Kampf jetzt beginne.

„Strengthening our unity is fundamental for the left: MST“ am 28. Oktober 2018 bei Peoples Dispatch externer Link ist ein Gespräch mit der Sprecherin der Landlosenbewegung MST, die vor allem in der Entwicklung der letzten Tage vor dem zweiten Wahlgang die Grundlage dafür sieht, verstärkt Widerstand leisten zu können, eben weil dabei erstmals so viele Menschen ohne organisatorische Bindungen sich beteiligt haben.

„Entidades estudantis lançam manifesto e convocam resistência em defesa da educação“ von Natalia Rangel am 29. Oktober 2018 beim CTB externer Link ist die vom Gewerkschaftsbund positiv kommentierte Dokumentation der gemeinsamen Erklärung der Verbände der Schülerinnen und Studierenden zum Wahlausgang, in der die drei Organisationen sich vor allem gegen anstehende Privatisierungen im Bildungswesen wenden und die Verteidigung demokratischer Errungenschaften, inklusive der Quoten für den Zugang als Notwendigkeit unterstreichen, wofür sie auch einen Aktionsplan entwickeln.

„Brasiliens Kommunisten zum Wahlausgang“ am 30. Oktober 2018 in der jungen welt externer Link ist die Dokumentation der von Redglobe übersetzten Erklärung der PCdoB, in der es unter anderem heißt: „Angesichts der Bedeutung Brasiliens – das über eine Ökonomie verfügt, die zu den zehn größten der Welt gehört – wird dieser reaktionäre Bruch starke regressive Auswirkungen in Lateinamerika haben. Ausgangspunkt von all dem war der Putsch im August 2016, der nun mit der Machtübernahme durch die extreme Rechte an der Regierung der Republik konsolidiert wird. Das ist ein Einschnitt in der demokratischen Entwicklung, die 1985 nach dem Ende der Militärdiktatur wiederaufgenommen worden war. (…) Der Widerstand, die wirksame Opposition, muss im gesamten politischen und gesellschaftlichen Leben des Landes organisiert werden, angefangen beim Nationalkongress und bei den anderen gesetzgebenden Institutionen, und ausgeweitet werden auf die sozialen Bewegungen, die Organisationen der Arbeiterklasse, Teile der Unternehmerschaft, das akademische Universum, die Intellektuellen, Künstler, die Judikative, religiöse Gruppen und auch Angehörige der Institutionen der Republik. Die Gouverneure und Präfekten des demokratischen Lagers werden eine wichtige Rolle in diesem Unterfangen spielen…“

„Nossos desafios serão novos e maiores“ von Vinicius Zaparoli am 29. Oktober 2018 bei Esquerda Online externer Link ist ein Beitrag, der hier als Beispiel dafür steht, wie in verschiedenen linken Gruppierungen aller Richtungen und Größe Überlegungen angestellt werden, welche neuen Formen des Widerstandes mobilisiert werden müssten – oder könnten. Bei dieser, wie auch vielen anderen linken Überlegungen steht im Mittelpunkt die Frage, wie aus der aktuellen Situation heraus erfolgreich Widerstand zu leisten sei, der auch verbunden sein müsse mit dem Versuch, die absolute Hegemonie der PT im demokratischen Lager zu überwinden.

„Fundação João Pinheiro suspende aulas e aciona Ministério Público contra Bolsonaro“ von Vitor Fernandes am 30. Oktober 2018 bei BHAZ externer Link New ist ein Bericht über eines bereits mehrerer möglicher Beispiele konkreter Aktionen: Die Pinheiro-Stiftung hat den Unterricht ausgesetzt (und Anzeige erstellt) weil Bolsonaro (vor der Stichwahl) in seinen asozialen Medien Lehrkräfte der Stiftung als „Ideologen“ denunziert hatte. Eine Protestkundgebung hat dabei nahezu alle Lehrenden und Studierenden mobilisiert.

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