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Die Demonstrationen in Algerien werden immer größer und die Streikbewegung hat sich auf verschiedene Branchen ausgeweitet – Universitäten geschlossen und besetzt

Eine Demonstration in Algier am 26.2.2019 - nicht nur an den Freitagen wird gegen das "5. Mandat" für Bouteflika protestiert...Die Proteste gegen Algeriens altersschwachen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika treten nach mehr als drei Wochen in eine neue Phase. In der Hauptstadt Algier beeinträchtige ein Generalstreik Teile des öffentlichen Lebens. Unterdessen gibt es Hinweise darauf, dass der zurzeit um Ausland weilende Präsident in seine Heimat zurückkehren könnte. In Algier ruhten wegen des Generalstreiks der gesamte öffentliche Nahverkehr und die Bahnverbindungen. Die meisten Gymnasien blieben geschlossen ebenso wie die meisten Läden im Hauptgeschäftsviertel und zwei einfachen Wohnvierteln. Dagegen wurde in den Ämtern normal gearbeitet. Der Sonntag ist im muslimischen Algerien ein Werktag. In Oran, der zweitgrößten Stadt des Landes, herrschte anders als in Algier im Geschäftsviertel und dem stark besuchten Bastille-Markt normaler Betrieb. In der drittgrößten Stadt Constantine war nur etwa die Hälfte der Geschäfte offen, während in der viertgrößten Stadt Annaba alle Behörden und Geschäfte dem Streikaufruf gefolgt waren. In der gleichnamigen Provinz befanden sich demnach die Rathaus-Mitarbeiter von zwölf Gemeinden im Ausstand. In Béjaia, einem der urbanen Zentren der vergleichsweise armen Region Kabylei, sei das öffentliche Leben „völlig zum Erliegen gekommen“, berichtete ein Gewerkschaftsvertreter. Nach Angaben der Online-Nachrichtenseite TSA wird der Lebensmittelsektor des größten Mischkonzerns des Landes, Cevital, bestreikt, ebenso wie mehrere Bereiche des staatlichen Ölkonzerns Sumatrach. Die meisten Gymnasien im ganzen Land blieben zudem geschlossen, viele der Schüler waren auf den Straßen…“  – aus der Meldung „Algerier treten in Generalstreik“ am 10. März 2019 bei N-TV externer Link mit zahlreichen konkreten Informationen zu Streiks in verschiedenen Branchen. Zur aktuellen Entwicklung in den letzten Tagen, sowohl was die Streikbewegung, als auch die Proteste an Universitäten und Aktionen in verschiedenen Regionen Algeriens betrifft, eine kleine Materialsammlung:

„Algerische Polizei nimmt fast 200 Menschen fest“ am 09. März 2019 in Spiegel Online externer Link zu den Auseinandersetzungen in der Hauptstadt bei der Demonstration dieser Woche: „Während der Demonstrationen gegen Algeriens Präsidenten Abdelaziz Bouteflika sind nach offiziellen Angaben 112 Polizisten verletzt worden. Ein Krankenhaus in der Hauptstadt Algier teilte mit, es seien auch mehr als 100 Zivilisten zu Schaden gekommen. Einige hätten Tränengas eingeatmet, andere seien von Steinen oder Gummigeschossen getroffen worden. In Algier seien zudem 195 Menschen festgenommen worden, verkündete die Generaldirektion für Nationale Sicherheit am Freitagabend. Eine große Zahl von Randalierern habe sich unter die Demonstranten gemischt. Das algerische Staatsfernsehen berichtete von Gewaltakten, die zu einem Feuer im Museum für Islamische Kunst und zu Diebstählen von Objekten geführt hätten. Dort soll eine Gruppe von Männern eingedrungen sein. Auch an einer Grundschule und an Fahrzeugen habe es Schäden gegeben, meldete das Staatsfernsehen weiter…

„Präsident Bouteflika fliegt“ von Sofian Philip Naceur am 10. März 2019 in der taz externer Link zum aktuellen Stand der Entwicklung und der Streikbewegung: „… In seinem Heimatland hat ein Generalstreik am Sonntag unterdessen weite Teile des Landes lahmgelegt. Zahlreiche Geschäfte blieben geschlossen. Auch MitarbeiterInnen von Unternehmen legten aus Protest gegen eine weitere Kandidatur Bouteflikas ihre Arbeit nieder. Der Sonntag ist in Algerien ein Werktag. Vor allem in der Berberregion Kabylei östlich von Algier stießen die Streikaufrufe auf Resonanz. Aber auch in der Hauptstadt ruhte der öffentliche Nahverkehr. In Algier und zahlreichen anderen Städten des Landes wurde zudem erneut demonstriert. Zuvor hatte das Hochschulministerium am Samstag den Beginn der Semesterferien auf den gestrigen Sonntag vorgezogen. Offenbar hofft die Regierung, damit den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie werden zu einem erheblichen Teil von StudentInnen getragen. Nur wenige Stunden später riefen jedoch Studentenverbände dazu auf, am Sonntag vor den Sitz des Hochschulministeriums in Algier zu ziehen und Universitäten und Studentenheime zu besetzen. Schon am frühen Sonntagmorgen versammelten sich landesweit junge Menschen in den Städten und skandierten Parolen gegen Bouteflika und sein angezähltes Regime…“

„Proteste gegen Bouteflikas Kandidatur in Algerien dauern an“ von Philip Sofian Naceur am 10. März 2019 im Standard externer Link zur Streikbewegung und Gewerkschaften: „Seit Tagen kursierende Aufrufe zu einem fünftägigen Generalstreik setzen die regierende Elite zusätzlich unter Druck. Auch wenn sich bisher nur einige wenige Gewerkschaften offiziell den Streikaufrufen angeschlossen hatten, blieben am Sonntag in vielen Städten die Geschäfte geschlossen. Vor allem in der Berberregion Kabylei östlich von Algier erlebten die Appelle jedoch signifikante Resonanz…“

„Algerien schickt die Studenten nach Hause“ am 09. März 2019 im faz.net externer Link meldet: „Angesichts der Studentenproteste gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika hat Algeriens Regierung kurzfristig den Beginn der Semesterferien vorgezogen. Sie sollen nun bereits am Sonntag beginnen, elf Tage früher als zunächst geplant, teilte das Hochschulministerium am Samstag in Algier mit. Viele Studenten dürften dadurch gezwungen werden, den Campus zu verlassen. Die Ferien dauern bis zum 4. April. Algeriens Universitäten sind Hochburgen des Protests gegen Bouteflika. In Algerien ist es üblich, dass Studentenwohnheime während der Semesterferien schließen. Viele Studenten reisen dann zurück in ihre Heimatorte abseits der großen Städte. Nach offiziellen Angaben studieren derzeit in Algerien mehr als 1,7 Millionen Menschen, 630.000 von ihnen leben in Wohnheimen…

„Algérie: les étudiants entament un mouvement de sit-in dans les campus“ am 10. März 2019 bei RFI externer Link ist die Meldung über die Reaktionen der Studierenden auf die vorzeitige Universitäts-Schließung: Sit Ins in zahlreichen Einrichtungen des Landes.

„Dunkler Frühling“ von Jannis Hagmann am 09. März 2019 in der taz externer Link zu den Beteiligten an den Protesten und an den Reaktionen: „… Ein neuer Arabischer Frühling allerdings, so viel vorweg, beginnt schon deshalb nicht, weil es nicht Araber waren, sondern Berber in der Kabylei, die Mitte Februar die massiven Proteste lostraten. Seit Jahren schon ist die nordalgerische Berberregion das Epizentrum des Widerstands gegen das Regime in Algier. (…) Während der Mann an der Staatsspitze immer älter wurde, ist die algerische Bevölkerung immer jünger geworden. „Ich bin 20 Jahre alt und kenne nur dich als Präsidenten“, hatte eine Demonstrantin auf einer Studierendendemo am Dienstag auf ihr Transparent geschrieben. Mittlerweile hat die Mehrheit der AlgerierInnen den Bürgerkrieg der Neunziger entweder nicht mehr oder nur als Kind miterlebt. Hinzu kommt, dass der Öl- und Gasreichtum, auf den das Regime angewiesen ist, um die Menschen im Land ruhigzustellen, seit Jahren schwindet. Im Jahr 2013, sagt Serres, seien zwei wichtige Ereignisse zusammengefallen: „Bouteflikas Schlaganfall und sinkende Gas- und Ölpreise. Das waren gewaltige Veränderungen, die seine Legitimität untergraben haben.“…“

„Das verflixte fünfte Mandat“ von Bernhard Schmid am 07. März 2019 in der jungle world externer Link zu den „Rahmenbedingungen“ der aktuellen Protestwelle unter anderem: „Ein Großteil der Bevölkerung will auf keinen Fall eine Widerholung der Entwicklung der frühen Neunziger, als wegen der durch Massenproteste im ­Oktober 1988 erzwungenen demokratischen Öffnung – die der Einparteienherrschaft des FLN ein Ende bereitete – der militante Islamismus einen Aufstieg erlebte. Die Regierung mahnt. ein libysches oder syrisches Szenario könne dem Land drohen. Die Masse der Demonstrierenden achtet deshalb peinlich genau darauf, dass es nicht zu Ausschreitungen oder Plünderungen kommt. Die von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnte Kandidatur einer ­lebenden Mumie für das höchste Staatsamt zeigt die Unfähigkeit der herrschenden Oligarchie, sich auf einen Nachfolger zu einigen. Tiefe Konflikte, die insbesondere den Grad des wirtschaftlichen Protektionismus und der Öffnung für globale Investoren betreffen, durchziehen die aus Staats-, Partei- und Militärbürokratie sowie Privat­unternehmen bestehende Führungsschicht. Nun soll endlich ein Kom­promiss erreicht werdenen: Bouteflika versprach in einem Brief an die Bevölkerung, die fünfte Amtszeit nicht zu Ende zu führen. Vielmehr soll eine »nationale Konferenz« einberufen werden, die die Modalitäten der Nachfolge regeln und vorgezogene Neuwahlen ansetzen soll. Dafür könnte es jedoch reichlich spät sein. Die mangelnde Einigkeit innerhalb der Führungsschicht hat begünstigt, dass sich die Bevölkerung teils rapide politisiert hat…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=145527
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