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Ägyptische Polizei erschießt angebliche Mörder des italienischen Gewerkschaftsforschers Regeni – um in Ruhe gegen Gewerkschaften vorgehen zu können?

Regeni bei einer Veranstaltung im Januar 2016 - kurz vor seiner Ermordung in KairoMöchte man der ägyptischen Polizei, oder auch dem Innenminister, glauben, so ist der Mord an dem italienischen Gewerkschaftsforscher Giulio Regeni aufgeklärt: Eine Gang wurde gestellt – alle vier Mitglieder von der Polizei erschossen – in deren Räumen persönliches Eigentum von Regeni gefunden wurde, es sei eine auf Entführung von Ausländern spezialisierte Bande gewesen. (Siehe dazu: „Giulio Regeni schrieb und forschte über Unabhängige Gewerkschaften in Ägypten: Tot in einem Straßengraben Kairos aufgefunden, gefoltert“ am 08. Februar 2016 im LabourNet Germany und mehrere folgende Berichte).  Für die Propaganda ist es natürlich immer gut, wenn es keine Überlebenden gibt. Außer der bezweifelbaren Tatsache, dass sie wochenlang leere Reisetaschen eines Opfers aufbewahren, gibt es wenige Indizien, die darauf verweisen, dass die Polizei die Wahrheit sagen könnte… stattdessen massives Vorgehen gegen unabhängige Gewerkschaften. Siehe dazu aktuelle Beiträge, die auch eine Bilanz der 5 Jahre seit dem Sturz des Militärmachthabers Mubarak darstellen, in unserer kleinen Materialsammlung „Nicht einmal Friedhofsruhe in Ägypten“ vom 29. März 2016

 Nicht einmal Friedhofsruhe in Ägypten

„Egypt: Police kill four gang members linked to the murder of Cambridge University student Giulio Regeni“ von James Hamilton am 26. März 2016 in The National externer Link ist ein Bericht über die Tötung angeblicher Verdächtiger, in dem auch nochmals die diversen Wendungen der ägyptischen Behörden und die italienischen und internationalen skeptischen Reaktionen nachgezeichnet werden

„The Egyptian Counterrevolution“ am 11. März 2016 beim Jacobin Mag externer Link ist ein Gespräch von Eric Ruder mit Sameh Naguib von den Revolutionären Sozialisten Ägyptens über die Entwicklung des Landes vor allem seit Berufung des „Kabinetts der Geschäftsleute“ im Jahr 2004 über den Sturz Mubaraks  bis zum Putsch al Sisis und Heute. Wobei er unter anderem konkret auf die Lage in der Regierungszeit Morsi eingeht, der in seiner Sicht der Dinge vom ersten Tag an mit dem Militärrat paktiert habe – und nichts von dem verwirklicht, was sich beispielsweise seine AnhängerInnen an sozialen Reformen versprochen hatten

„„Je weniger Staat, desto mehr Demokratie“ – Interview mit Mamdouh Habashi“ von Sofian Philip Naceur am 20. Februar 2016 auf seinem Blog externer Link, worin der  Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen der Sozialistischen Volksallianz zur aktuellen Lage ausführt: „Mubarak saß 30 Jahre lang auf dem Thron. In den ersten 25 Jahren seiner Regentschaft wuchs der Unmut im Volk stark an. Aber in dieser Zeit konnten Volk und Medien Mubarak nicht persönlich angreifen, sondern nur seine Regierung. Daher hat er auch dafür gesorgt, dass alle paar Jahre eine neue Regierung eingesetzt wurde. Doch dann kam das Jahr 2005. Damals fanden die ersten Demonstrationen statt, auf denen »Nieder mit Mubarak« gerufen wurde. Es war das erste Mal in seiner Amtszeit, dass man ihn persönlich und damit den politisch Verantwortlichen für Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen wollte. Heute haben wir eine ähnliche Situation. Es gibt Kritik an jeder Ecke, der Druck auf Al-Sisi wächst, doch nicht direkt

„Die Generäle sind nervös“ am 25. Februar 2016 in der jungle world externer Link ist ebenfalls ein Interview von Daniel Mützel mit Atef Botos – ägyptischer Literaturwissenschaftler, der in der BRD lebt – und dem die Wiedereinreise in sein Land lebenslang verboten wurde. Der darin zur Stabilität des Regimes der Militärs angesichts wachsender Repression sagt: „Sie ist ein Zeichen des Scheiterns. Die Generäle beweisen damit nur ihre eigene Ohnmacht und Unfähigkeit, die Probleme im Land zu lösen. Denn die Lage ist katastrophal, vor allem was die Menschenrechte betrifft. Oppositionelle verschwinden und irgendwann erfahren ihre Angehörigen, dass sie im Gefängnis sitzen, auf unbestimmte Zeit. Auch die Justiz ist in die korrupten Praktiken dieses verbrecherischen Regimes verwickelt. Doch mittlerweile führt der Grad der Repression selbst für das Regime zu Komplikationen. Die internationale Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf die gravierenden Menschenrechtsverstöße von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi und seiner Clique“. Und zum Mord an Regeni: „Die Art der Folterung und wie versucht wurde, den Fall zu vertuschen, das trägt meiner Einschätzung nach klar die Handschrift des Sicherheitsapparats. Meine Vermutung ist, dass es eine kleine Gruppe auf unterer oder mittlerer Ebene im Staatssicherheitsapparat war. Sie hofften wohl, an ein paar wichtige Information zu kommen, wenn sie Regeni foltern. Dann ist es ausgeartet. Nach seinem Tod haben sie versucht, die Spuren zu verwischen. Die Anweisung muss aber nicht von ganz oben gekommen sein

„Die Militärs haben die Macht, aber nicht die Kontrolle“ am 27. Februar 2016 in der jungen welt externer Link ist ein Gespräch von Giuseppe Acconcia mit Mona Saif, die gerade zu einem Tourismus-Boykott gegen Ägypten aufgerufen hatte. Darin sagt sie zum Mord an Regeni vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen: „Es wird immer schwieriger, die Verantwortlichen ausfindig zu machen. Es gibt viele Fälle verschwundener Personen. Das geschieht nicht so sehr wegen ihres politischen Engagements, sondern weil die Polizei außer Kontrolle geraten ist. Inzwischen bedarf es spezieller Anweisungen, damit die Polizei Gefangene nicht foltert. Es ist möglich, dass sie ihn festgenommen haben, nur weil er Ausländer war“. Und zur aktuellen Situation des Regimes: „Die Herrschenden haben zwar Macht und kontrollieren die Richter, aber trotz all dem vergossenen Blut schaffen sie es nicht, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Die soziale Ungleichheit nimmt zu, und der Polizeiapparat ist außer Kontrolle. In dieser Phase werden sogar Ärzte ins Visier genommen. Etliche wurden von der Polizei direkt angegriffen und verprügelt. Deshalb hat die Ärztegewerkschaft neue Streiks angekündigt. Dies zeigt einmal mehr, dass die Militärs die Macht, aber nicht die Kontrolle haben

„Egypt Running on Empty“ von Joshua Stacher am 08. März 2016 in MERIP externer Link ist ein Beitrag, der anhand der Ereignisse einer zufälligen Woche die Schwäche des Regimes nachzeichnet, die immer wieder anhand des – meist nur versuchten – Umgangs mit Polizeiübergriffen deutlich werde. Jedes Mal, wenn das Regime die Schuld an solchen Übergriffen irgendwelchen „faulen Äpfeln“ zuschreiben wolle, gibt es öffentlichen Protest aus den Reihen der Polizei. Die Ereignisse dieser einen Woche, die der Autor analysiert sind zahlreich: Tote und Verschwundene ebenfalls…

„Heat rises in Cairo“ von Amr Khalifa am 07. März 2016 in den Egypt Daily News externer Link setzt sich unter anderem mit der Behauptung des Regimes auseinander, es gäbe kein Problem der Verschwundenen: Dem wird die Auswertung einer Dokumentation entgegengesetzt, dass es im Verlauf der letzten Monate im Durchschnitt drei Familien pro Tag gab, die eines ihrer Mitglieder als verschwunden anzeigten

„Egypt’s Ultras: The movements and the state“ von Ziad Aki am 10. März 2016 bei Ahram Online externer Link ist ein Überblick über die – nach wie vor bestehende – Konfrontation der Staatsmacht mit organisierten Fußballfans im ganzen Land – eine der Quellen der weiter bestehenden Opposition zum Regime

„Dozens Demonstrate in Cairo Against Repassing Civil Service Bill“ am 20. März 2016 bei Egyptian streets externer Link dokumentiert ist ein kurzer Bericht über einen kurzfristig organisierten Protest gegen den erneuten Versuch der Regierung, ein Dienstgesetz für den öffentlichen Dienst im Parlament zu verabschieden – was im Januar bereits mangels Mehrheit gescheitert war, was von vielen Analysen auch als Ausdruck davon verstanden wurde, wie sehr sich viele Abgeordnete davor fürchten, für ein Gesetz zu stimmen, das dermaßen eindeutig gegen die Beschäftigten gerichtet ist

„A ‘dormant volcano’: The battle of Egypt’s independent unions“ von Amra Mohamed am 13. März 2016 beim Middle East Eye externer Link befasst sich mit dem aktuellen Stand der Auseinandersetzungen zwischen den unabhängigen Gewerkschaften und dem staatstragenden Verband – der gerade eine Klage betreibt, mit der die Aktivitäten der unabhängigen Gewerkschaften verboten werden sollen: Eine offene Konkurrenz wagt diese Bande nicht. Die Stellungnahme der Gewerkschaft der Steuerbeamten war dazu eindeutig: Auch ein Verbot würde unsere Aktivitäten nicht beenden

„Egyptian state takes on independent trade unions“ von Khalid Hasan am 24. März 2016 bei Al Monitor externer Link über den Angriff des Regimes auf die Gewerkschaften – deren Dokumente ab dem 1. März keine Gültigkeit mehr besitzen sollen, was bedeute, sie faktisch für illegal zu erklären (natürlich: Die unabhängigen Gewerkschaften, nicht die Gewerkschafter des Militärs). Dazu erklärt ein Sprecher des Egyptian Democratic Labor Congress sein Beharren auf § 76 der Verfassung, der ausdrücklich Gewerkschaftspluralismus erlaube

„Joel Beinin, Workers and Thieves: Labor Movements and Popular Uprisings in Tunisia and Egypt“ am 16. März 2016 bei Jadaliyya externer Link ist ein Gespräch über die neueste Veröffentlichung von Joel Beinin: Eine komparative Studie über die Rolle der Arbeiterbewegung beim Sturz der Diktatoren in Tunesien und Ägypten, worin auch ausführlich über die aktuellen Gründe der Offensive der Regimes gegen grundlegende Gewerkschaftsrechte gesprochen wird. Der Autor, seit langem mit der ägyptischen Gewerkschaftsbewegung verbunden, hatte schon seit langer Zeit die besonders wichtige Rolle der Streikbewegungen für den Sturz Mubaraks hervor gehoben, worin er auch den tieferen Grund für die aktuelle Offensive des Regimes sieht

„EU Parliament passes resolution condemning torture in Egypt following Regeni’s murder“ am 10. März 2016 bei Mada Masr externer Link ist der Bericht über eine – folgenlose – Resolution des Europaparlaments gegen die militärische Kooperation mit Ägypten nach dem Mord an Giulio Regeni: Dennoch ein Indiz für Probleme des diktatorischen Regimes auf internationaler Ebene

„Repression gegen Aktivisten in Ägypten: Bundesregierung muss Beihilfe beenden“ am 11. März 2016 ist eine Pressemitteilung des Abgeordneten Andrej Hunko externer Link – denn mit der Bundesregierung hat das Regime in Kairo wieder einmal keine Probleme – in der es zur Polizeikooperation unter anderem heißt: „Es ist reiner Zynismus wenn die Bundesregierung behauptet, sie prüfe ‚fortlaufend‘ ob vermitteltes Wissen oder Ausstattungshilfe rechtsstaatlich eingesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass solche Prüfungen höchstens auf dem Papier erfolgen.  Nur so ist es zu erklären, wenn dem Bundesinnenministerium ‚keine Erkenntnisse‘ vorliegen, dass ihre Unterstützung missbräuchlich angewendet wird. Eine ernsthafte Evaluation müsste sich aber auf Angaben von Bürger- und Menschenrechtsgruppen stützen, die regelmäßig auf schwerste Verstöße von Militär und Polizei hinweisen. Eine Entschließung des EU-Parlaments unterstreicht diese Einschätzung

„Egypt: The Perpetrators of Human Rights Abuses Retaliate Against Rights Groups, the Voice of Victims“ am 21. März 2016 bei Nazra for Feminist Studies externer Link ist eine gemeinsame Erklärung von 17 Menschenrechtsgruppen, darunter vielen Frauengruppen, mit der sich die unterzeichnenden Gruppierungen vor allem gegen die Verfolgung von Gruppierungen wenden, die sich für die Opfer staatlichen Terrors einsetzen – etwa mit dem Gesetz gegen „ausländische Finanzierung“, auf das das Regime immer öfter versucht, zurück zu greifen

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=95660
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