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Updated: 18.12.2012 16:07
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Pressefreiheit – unschlagbar?

Gezielte Polizeiangriffe auf Journalisten während der G8-Proteste

Die Einschränkung der Pressefreiheit während des G8-Gipfels hatte viele Gesichter. Bereits im Vorfeld war einigen kritischen Journalisten die Presse-Akkreditierung wegen angeblicher Sicherheitsbedenken verweigert worden, und nur auf Grund richterlicher Anordnungen und starken Druckes durch die Deutsche Journalisten Union erhielten die Betroffenen ihre Akkreditierung doch noch.

Das eigens errichtete und großzügig ausgestattete Medienzentrum in Kühlungsborn verlockte mit Champagner, Häppchen und allerlei anderen Gratis-Services dazu, sich lediglich mit der offiziellen Gipfel-Agenda zu befassen. Diejenigen Journalisten, die stattdessen über die Ereignisse außerhalb des Sicherheitszaunes berichten wollten, erlebten massive Behinderungen ihrer Arbeit. Insbesondere Bildjournalisten, welche die gelungenen, fantasievollen und friedlichen Proteste und die hierzu im krassen Gegensatz stehende staatliche Gewalt dokumentierten, wurden immer wieder gezielt durch Polizeikräfte angegriffen.

Die Repressionen gegen Journalisten reichten vom direkten Abfilmen jener Reporter, die in irgendeinen Kontakt mit den Protestierenden traten, über Einschüchterungen und indirekte Drohungen per Lautsprecherwagen, die Beschlagnahme und Zerstörung von Ausrüstungen bis hin zu gezielten körperlichen Angriffen und Pfefferspray-Attacken sowie Festnahmen unter fadenscheinigsten Vorwänden.

So geschehen dem Redakteur der polnischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, Kamil Majchrzak. Als er über die Blockade in Börgerende berichten wollte, wurde er in Gewahrsam genommen und mit Plastikfesseln derart fixiert, dass er im Transportwagen bewusstlos wurde. Er musste im Krankenhaus Bad Doberan behandelt werden. Die absurde Begründung für dieses Vorgehen lieferte der Fund eines Sweatshirts und einer Sonnenbrille in seinem Rucksack: Vermummungsutensilien.

Nun sind Journalisten keine Versammlungsteilnehmer, weswegen jeder Hinweis auf das Vermummungsverbot an sich absurd ist. Ihnen dennoch das Tragen von Kopf- und Atemschutz zu verwehren, kann man als weiteren Versuch werten, sie von kritischen Situationen fernzuhalten. In der Tat wurden Reporter wiederholt wegen ihrer Helme und simpelster Staubmasken von Polizeikräften attackiert und schikaniert – Unwissenheit, Kalkül oder kalkulierte Nicht-Schulung? – der Fall Kamil M. legt Kalkül inklusive angeordneter Gesetzesübertretungen nahe.

Noch eindeutiger zeigte sich die Repression während dreier exemplarischer Vorfälle in Rostock. Hier wurde eine 26jährige freie Fotografin* brutal von der Polizei zusammengeschlagen, obwohl ihr Presse-Pass nicht zu übersehen war. Anschließend zertrümmerten die Einsatzkräfte mit Schlagstöcken ihre am Boden liegende Kamera samt Objektiv. Die Fotografin trug Blutergüsse an Händen und Beinen davon, und die Beschädigungen ihres Schutzhelmes lassen erahnen, was ohne ihn mit ihrem Kopf geschehen wäre. Die Beweisnot liegt indes bei ihr – niemand wird ihr Equipment ersetzen. … auch eine Methode, unabhängige Journalisten vom Arbeiten abzuhalten.

Ähnliches geschah dem Fotografen Christian Schroth, der – mit hochgehaltenem Presseausweis – von Polizeikräften geschlagen und zu Boden gestoßen wurde, als er einen verbalen Schlagabtausch zwischen Polizisten und Teilnehmern eines friedlichen Straßenfestes am Doberaner Platz fotografierte. Zuvor waren mehrere Einsatzwagen ungebremst durch die Menschenmenge gefahren. Ein Polizist versuchte, dem am Boden liegenden Reporter die Kamera zu entreißen, und schlug zu, als ihm dies nicht gelang.

Dem für eine internationale Fotoagentur tätigen Carsten Koall wurde durch einen Berliner Polizisten die Kamera willentlich und „mit Schwung“ ins Gesicht geschlagen, während er ein kleineres Gerangel auf einer ansonsten friedlichen Aktion in Rostock dokumentierte. Als er daraufhin den Angreifer abzulichten versuchte, "legte ein anderer Polizist nach", erinnert sich Koall. Der Fotograf trug eine Platzwunde über dem Auge davon.

Bild: Jason Parkinson

Video-Still: Jason Parkinson

Das Bild zeigt eine Szene, die sich am Donnerstag gegen 13 Uhr auf der Blockade am Westtor ereignete. Ein Polizist zielt mit Pfefferspray auf das Gesicht des Kameramannes, der gerade im Begriff ist, den polizeilichen Übergriff auf einen einzelnen Blockierer zu filmen.

Das Pfefferspray traf den britischen Kameramann Jason Parkinson aus ca. 1m Abstand direkt in die Augen. Auch Jason P. war durch seinen Akkreditierungspass eindeutig als Journalist erkennbar und befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs über zehn Meter von der Menge der Blockierer entfernt. Gleiches geschah hier dem bereits in Rostock angegriffenen Christian Schroth – er berichtet ebenfalls von einer gezielten Pfefferspray-Attacke.

Gegenüber dem Amsterdamer Medien Bus, einem mobilen Redaktionsbüro, bediente sich die Polizei in Bad Doberan des Mittels gewaltsamer Entführung: das mit Medientechnik ausgestattete Gefährt wurde plötzlich durch eine Einsatz-Hundertschaft gekapert. Der Fahrer wurde gezwungen, den Bus selbst in die Gefangenensammelstelle nach Rostock zu lenken. Trotz richterlichen Beschlusses auf sofortige Herausgabe wurde das Mobil unter Vorwänden weiter festgehalten. Als der Fahrer endlich in Begleitung einer Anwältin des Legal-Teams zum Bus vorgelassen wurde, traf er dort mit Computern ausgerüstete Beamte an, die widerrechtlich die gespeicherten Daten auswerteten und sichtlich unerfreut waren, ihre illegale Arbeit vorzeitig abbrechen zu müssen.

Als Drohung und Freibrief zugleich konnten polizeiliche Aufforderungen an die Presse dienen, "zu ihrer eigenen Sicherheit" den Platz zu verlassen. So umschlossen auf der Westtor-Blockade massive Polizeikräfte mit erhobenen Schilden und heruntergeklappten Visieren eine Wiese mit ca. 1300 Blockierern von zwei Seiten, Wasserwerfer schossen im 20-Sekunden-Takt mit enormem Druck in die Menge, als der Lautsprecher verkündete: "Zum eigenen Schutz an die Medienvertreter: [Sie] können jetzt ein malig die Polizeikette durchdringen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.“ Die Aufforderung wurde nachdrücklich wiederholt – viele folgten ihr.

Wie stark eine solche indirekte Drohung wirken kann, ist erst vorstellbar, wenn man Aug' in Auge einer derart martialisch ausgestatteten, von Wut und überspielter Verunsicherung getriebenen Polizeikette gegenübergestanden hat. Exzessive Überstunden und 15 Kilogramm schwere Schutzkleidung unter sengender Sonne dürften kaum dazu beitragen, den Wunsch zuzuschlagen zu verringern – sind es doch aus Sicht der Beamten Blockierer und Presse, die ihren Dienst so unerträglich verlängern.

Dass ich auch freundliche, hilfsbereite Polizisten traf, will ich nicht unterschlagen. Allzu oft war die Haltung der Exekutivkräfte jedoch von kaum verhohlener Feindseligkeit geprägt, was sicher nicht zuletzt der Desinformationspolitik der BAO Kavala geschuldet ist. Was dies – in Verbindung mit bewusst gestreuten und von den Massenmedien zumindest fahrlässig verbreiteten Falschmeldungen – in einem Staat bedeutet, der vorgeblich Pressefreiheit garantiert, sollte nicht nur gesellschaftlich analysiert, sondern juristisch und parlamentarisch untersucht werden. Die Aushebelung grundgesetzlich verbriefter Rechte mittels eines mehr als fragwürdigen „Sicherheitskonzeptes“ hat der Exekutive einen Handlungsrahmen geschaffen, der allzu deutlich nach Diktatur schmeckt.

Angesichts der Zahl ungenierter polizeilicher und militärischer Gesetzesüberschreitungen in Heiligendamm erscheint die Forderung nach parlamentarischer Aufklärung zwar geradezu lächerlich; die Legislative wird allerdings zu beweisen haben, dass sie überhaupt noch fähig und willens ist, ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive auszuüben.

Stephanie Tkocz

* der Name ist der Redaktion bekannt


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