letzte Änderung am 27. November 2003

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Eckart Spoo

Krise und Kriege

Was die regierenden Politiker tun – Arbeitszeit verlängern bei Massenarbeitslosigkeit, aufrüsten ohne jegliche Bedrohung, die Armen stärker belasten und die Reichen entlasten usw. – , ist irrsinnig und inhuman. Warum sie es trotzdem tun, erklärt uns das neue Buch von Winfried Wolf. Der fleißige Publizist, der in den vergangenen Jahren auch parteipolitisch und parlamentarisch tätig war, deckt die wirtschaftlichen Hintergründe auf. Knapp, allgemeinverständlich, gut belegt, zitierfähig zeigt dieses Buch, wie die kapitalistische Wirtschaft in die Krise treibt und wie das, was die Politiker dagegen tun, die Absturzgefahr noch vergrößert.

In den Jahren 1993-2000, so erfahren wir hier, nahm die Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe der Bundesrepublik Deutschland um 22 Prozent zu, während die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden um 24 Prozent zurückging und die abhängig Beschäftigten Reallohnverluste von sechs Prozent hinnehmen mußten. Auch in den anderen hochindustrialisierten kapitalistischen Ländern blieb die Massenkaufkraft weit hinter der Entwicklung der Produktion zurück. Inzwischen hat sich daraus ein solches Mißverhältnis (Überproduktion/Unter-konsumtion) entwickelt, daß auch die Wirtschaftspresse einen Zusammenbruch wie Ende der 20er Jahre prophezeit. "Die Baisse ist nur mit 1929 vergleichbar. Die Welt steckt bis zum Hals im ‚Bubble-Trouble‘," war im März im Handelsblatt zu lesen. "Die Parallelen zur Gegenwart sind verblüffend", hatte zuvor der Spiegel im Hinblick auf den "Schwarzen Donnerstag", den 24. Oktober 1929, geschrieben.

Weltwirtschaftskrise – das war organisierte Vernichtung und Zerstörung. In London wurden ganze Schiffsladungen mit Orangen ins Meer geworfen. In Dänemark schlachtete man wöchentlich 1500 Kühe und verarbeitete ihr Fleisch zu Kunstdünger. In Argentinien wurden Hunderttausende Schafe niedergestochen; der Transport in die Schlachthäuser hätte mehr gekostet als der Erlös. Doch Lebensmittel unentgeltlich an Notleidende zu verteilen, kam nicht in Frage, denn dann wäre das Allerheiligste preisgegeben worden: das Profitsystem. Alles andere aber wurde abgewertet, auch und vor allem der Mensch. Die Arbeitslosenzahlen stiegen auf Rekordhöhen, wie wir sie erst jetzt, ein Dreivierteljahrhundert später, wieder erleben; die Löhne sanken und wurden immer noch tiefer gedrückt, Sozialversicherungsleistungen desgleichen. Im Dezember 1929 verabschiedete der Reichsverband der Deutschen Industrie einstimmig einen Beschluß, in dem er die "Senkung des Sozialetats" und die "Befreiung der Unternehmer von den Fesseln des Tarifvertrags" verlangte. Zuvor schon, 1928, hatten angesichts erster Krisenanzeichen führende deutsche Industrielle wie Thyssen, Krupp, Röchling, Siemens und Bosch, Vertreter der IG Farben und der Deutschen Bank gemeinsam zur "Schaffung eines Dritten Reiches" aufgerufen. An den Nutzen der Errichtung der Nazi-Diktatur Anfang 1933 erinnerte 70 Jahre später die Frankfurter Allgemeine Zeitung, indem sie darauf hinwies, daß nach der "Zerschlagung der Gewerkschaften" und nachdem "an der Lohnfront... Ruhe eingekehrt" sei, die Gewinne wieder steil anstiegen: "Während die deutschen Industrieaktiengesellschaften 1932 im Durchschnitt noch hohe Verluste machten, war die Eigenkapitalrendite 1933 im Mittel bereits wieder positiv und 1934 gar auf 4,6 Prozent gestiegen. Damit hatte sie schon damals ein Niveau erreicht, wie in der gesamten zweiten Hälfte der (Goldenen) zwanziger Jahre nicht."

Wie passend, wenn jetzt die Kapitalradikalen dazu aufrufen, das "Tarifkartell" zu sprengen. Das im Grundrechtsteil der Verfassung verankerte Recht der abhängig Beschäftigten, ihre Interessen gegenüber dem Großen Geld gemeinschaftlich zur Geltung zu bringen, stört eben beim Ausbeuten und bei der Jagd nach Profit.

Wolf informiert in seinem neuen Buch präzise auch über die Krise in anderen Ländern, zum Beispiel in Japan und den südostasiatischen Tigerstaaten. Argentinien erwähnt er als drastisches Beispiel dafür, wie es denen geht, die den Forderungen der US-Regierung und des Internationalen Währungsfonds nachkommend eifrig privatisieren, sich dem ausländischen Kapital öffnen und als Ergebnis des großen Ausverkaufs in Massenelend versinken. Gründlich analysiert er die Brutalisierung der Weltpolitik durch das Streben nach der Kontrolle über die Ölvorkommen und nach militärischer Vorherrschaft. Er zieht nicht nur eine Bilanz des jüngsten Krieges gegen den Irak, sondern weist auch auf das wachsende Interesse an Westafrika hin. "Westafrika stellt die am schnellsten wachsende Versorgungsquelle von Öl und Gas für den amerikanischen Markt dar," hieß es schon 2000 im Energiereport der US-Regierung, erstellt im Auftrag des aus der Ölindustrie kommenden Vizepräsidenten Dick Cheney. Daraus mögen sich manche Meldungen der letzten Tage und Wochen erklären (Unruhen in Liberia, Intervention der ehemaligen europäischen Kolonialmächte mit deutscher Beteiligung im Kongo, Besuch des US-Präsidenten Bush in dieser Region).

Wolf spricht illusionslos über die kriminellen Energien des Kapitalismus. Aber er predigt keinen Pessimismus. Er stimmt denen zu, die sagen: "Eine andere Welt ist möglich", fügt jedoch hinzu: "Eine andere Ökonomie ist nötig." Damit meint er eine Ökonomie, "in der die großen gesellschaftlichen Ressourcen nach Plan eingesetzt werden". Sie könne "nur funktionieren auf der Basis umfassender Demokratie". Kapitalismus dagegen heiße Diktat des Marktes und des Profits; er tendiere zur politischen Diktatur. In Zeiten schwerer Krisen verschärfe sich diese Tendenz. Sieht es auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer so? Als Kundgebungsredner am 1. Mai 2003 sagte er: "Wir werden angegriffen wie weiland in der Sterbephase der Weimarer Republik."

Winfried Wolf: "Sturzflug in die Krise. Die Weltwirtschaft, das Öl, der Krieg", Konkret Literatur Verlag, 238 Seiten,16.50 €

Diese Rezension ist erschienen in: Ossietzky Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, Heft 14/2003

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