express 2/1999

Renationalisierung gegen Demokratie

Anmerkungen zu einer Rede Bernd Rabehls und ihrem Kontext / Von Martin Jander und Rainer Maischein*

Da eine oeffentliche Auseinandersetzung mit antidemokratischen Elementen der 68er Bewegung (1) und ihren Bezuegen zum Rechtsradikalismus (2) nur schleppend begonnen hat, glaubten viele Freunde, Schueler und Bekannte des Soziologen Rabehl zunaechst nicht, der Mitstreiter Dutschkes koennte eine Rede halten und die "Ueberfremdung" der Bundesrepublik anprangern.(3) Sie haben sich geirrt. Er wetterte tatsaechlich gegen "Ueberfremdung" und zwar vor einer sich selbst als "pflichtschlagend" bezeichnenden Verbindung Danubia.(4) Der Text wurde ausserdem in der rechtsradikalen Zeitschrift Junge Freiheit dokumentiert. Rabehl protestierte zwar gegen den Abdruck. Der mitdiskutierende Horst Mahler habe den Text ohne sein Einverstaendnis weitergegeben. Inhalt und Ton der Rede bestaetigte Rabehl jedoch.

"Nationale Sammlungsbewegung"

So kann es nicht wundern, dass Rabehls Text im Kontext der Aktivitaeten Horst Mahlers interpretiert wird,(5) auch wenn der Soziologe versichert, weder inhaltlich noch organisatorisch mit dessen Anliegen etwas gemein zu haben.

RAF-Gruender Mahler, nutzt Rabehls Rede fuer eine "nationale Sammlungsbewegung", die "offen sein" soll: "Vordringlichstes Ziel: Es muss die Staatsbuergerschaftsnovelle verhindert werden. (...) Jeder der doppelte Staatsbuergerschaften verhindern will, von Bayerns Ministerpraesident Stoiber bis zum Ex-NPD-Chef Deckert, kann mitmachen. Ueber Staatsbuergerschaftsrechte muss allein das Volk entscheiden, nicht die staatstragenden Parteien oder der Zentralrat der Juden."(6) Dies aber ist erst der Anfang, wie aus einem zusaetzlichen Thesenpapier von Mahler, Maschke und Oberlercher hervorgeht.(7) Angestrebt wird eine Verbindung der "neuen Linken" mit der "neuen Rechten". Gekaempft werden soll gegen die "Fremdherrschaft ueber das deutsche Volk" sowie gegen die "globalimperialistische Kapitalherrschaft ueber die Voelker der Welt". Die Studentenbewegung sei angeblich "weder fuer Kommunismus noch fuer Kapitalismus, weder fuer drittweltliche oder oestliche noch fuer westliche Wertegemeinschaft" aufgestanden, sondern allein "fuer das Recht eines jeden Volkes auf nationalrevolutionaere wie sozialrevolutionaere Selbstbefreiung." Die Autoren stuenden deshalb nicht fuer "irgendeine Parteipolitik, fuer Parlamentarismus, fuer rot-gruene Regierungskoalitionen, fuer Demokratie als politischen Kapitalismus, und erst recht haben wir nichts zu schaffen mit Liberalismus, Konservativismus oder Sozialismus."

Oberlercher hat es auf den Punkt gebracht. Es geht um eine "die Reichsfundamente erneuernde Kulturrevolution", die eine "Renationalisierung der deutschen Lande" gegen die "westliche Wertegemeinschaft anstrebt." (8) Ziel ist also eine umfassende antidemokratische Kulturrevolution.

"Denkverbote"

Rabehls Rede passt in diesen Kontext. Ihr erster Teil beginnt mit der Behauptung, die "antifaschistische Linke" wolle "nationale Fragen" tabuisieren. Vor allem solle verschwiegen werden, dass "in Zentraleuropa ein Friedenszeitalter sich dem Ende zuneigt". Die einwandernden Fluechtlingsstroeme und die mit ihnen reisenden "Partisanenformationen" nutzten angeblich alle europaeischen Laender als"strategische Rueckzugs- und Versorgungsgebiete", um sich auf die Kriege in ihren Heimatlaendern vorzubereiten. Dies gehe mit "illegalen Geschaeften, Drogenhandel, Bestechung, Korrumpierung von Polizei und Behoerden, illegalem Menschenhandel" einher. Nicht Fremdenhass der Deutschen erklaere ihre Vorbehalte gegen Einwanderer. Es sei das Verhalten der Einwanderer selbst. Aber das "Problem der Ueberfremdung und der Aufloesung einer nationalen oder staedtischen Kultur soll in Deutschland nicht thematisiert werden. Die Antifa-Linke steht hier bewusst in einem Buendnis mit bestimmten Medien im In- und Ausland, die deutsche Kulturintelligenz in die Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg einzubinden." (9) Diejenigen, die eine Thematisierung dieser "deutschen Frage" blockierten, machten "auch die herrschenden Machteliten handlungsunfaehig."

"Aufbrueche"

Im zweiten Teil behauptet Rabehl, dass die "nationale Frage bereits in den 60er Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen Opposition" spielte. Diese sei immer "antiamerikanisch" und "antirussisch" gewesen. Er selbst und Dutschke, Teilnehmer am Volksaufstand des 17. Juni, haetten schon frueh begriffen, "dass im Osten sowjetische Herrschafts- und Ausbeutungsformen installiert blieben." Ihre intellektuelle Auseinandersetzung mit politischer Theorie habe darin bestanden, zu den "nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhaengigkeit" zurueckzufinden. So haetten sie auch die Plattform von Wolfgang Harich verstanden. Noch spaeter haetten die DDR-Fluechtlinge und Fluchthelfer Dutschke und Rabehl die deutsche Teilung schmerzlich empfunden und in ihrer "Solidaritaet mit Vietnam", die "Ziele einer nationalen Befreiung auf Deutschland uebertragen." Die Proteste gegen die amerikanische Kriegspolitik seien wichtige Motoren der antiautoritaeren Bewegung geworden. Es habe gar erste Anzeichen einer "deutsch-deutschen Revolte gegen die bestehenden Ordnungen" gegeben. Der Vietnamkongress in Berlin 1968 habe unter der Zielsetzung gestanden, "Keimformen einer europaeischen Befreiungsfront zu legen, um die Grossmaechte und ihre Kollabo-rateure aus Zentraleuropa zurueck-zudraengen." Erst die Schuesse auf Dutschke haetten diese Radikalisierung beendet.

"Neubeginnen"

Im dritten Teil werden die Absichten referiert, die Dutschke in den 70er Jahren mit seinen Aufsaetzen zur "nationalen Frage" verfolgte. Nicht zufaellig im Zusammenhang mit der Ausbuergerung Wolf Biermanns und der Verhaftung und spaeteren Uebersiedelung Rudolf Bahros habe Dutschke ueber die nationale Frage geschrieben: "Die nationalrevolutionaere Rueckbesinnung konnte Mittel sein, die Opposition aus der Zerrissenheit und dem Sektenzustand herauszufuehren und tatsaechlich Einfluss zu nehmen auf den laufenden Zerfallsprozess der DDR." Dutschke habe damals ausserdem versucht, die bundesrepublikanische APO im Konstituierungsprozess der Gruenen "buendnisfaehig zu machen mit konservativen und nationalen Gruppen." Sein frueher Tod habe aber dazu gefuehrt, dass dieses Konzept nicht aufging.

"Abgesang"

Im vierten Teil behauptet Rabehl, dass die Politik der Reeducation der "amerikanischen Deutschlandspezialisten" in Deutschland grossen Erfolg gehabt haette. Die Umerziehung habe zur Aufloesung der Arbeiterkultur und der nationalen Identitaet gefuehrt. Dies sei auch der Grund, warum spaeter politische Konzeptionen, die sich auf die nationale Frage beriefen, gescheitert seien. Deutschland werde seitdem politisch von aussen gepraegt, es dominiere das Bild der multikulturellen Gemeinschaft, das "nirgendwo auf der Welt", weder "in Kapstadt, New York, Peking, Moskau oder Rio de Janeiro" funktioniere. Nun aber muesse das identitaetslose deutsche Volk sich eben dies gefallen lassen. Die Eliten haetten ihre Verantwortung delegiert, agierten als Cliquen und verhielten sich als "Dilettanten", die einfach nur an der Macht bleiben wollten. Die Wahlen wuerden manipuliert, die angebliche Auslaenderintegration sei nur dazu da, der jeweils herrschenden Partei Stimmen zu verschaffen. Die europaeische Vereinigung werde von der neuen Regierung darueber hinaus schoen geredet; die "Kriegsvorbereitungen in Jugoslawien und Nahost" wuerden verharmlost. Durch die Einbindung der Gruenen in die Regierung habe die Friedensbewegung an Substanz verloren. In den 60er Jahren haetten die Amerikaner Plaene aufgeben muessen, die Bundeswehr nach Vietnam zu schicken: "Jetzt kann deutsches Kanonenfutter wieder eingesetzt werden. Aber die Kulturintelligenz und die Parteieliten reden nicht darueber. Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen ueberdecken, und ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von Eliten beherrscht wird, die von aussen gepraegt werden und keine innere Verantwortung tragen." In Reaktion auf die entsetzte Berichterstattung der tageszeitung (10) erklaerte Rabehl in einem Leserbrief (11), er habe selten "derart personenidentisch gesprochen und geschrieben." Die aktuelle weltpolitische Entwicklung bestaetige darueber hinaus seine Darstellung. Der "Aggressionskrieg" der USA im Irak signalisiere den "absoluten Herrschaftsanspruch einer Grossmacht und einer Weltordnung, in der das Voelkerrecht, UN-Sicherheitsrat und die NATO den Interessen einer Supermacht subsumiert sind." Fuer die kommenden Kriege im Nahen Osten, Jugoslawien und Russland laufe seit langem eine Mobilisierung zur Rechtfertigung und Finanzierung. Auch der "Staat Israel braucht fuer seinen Krieg gegen die arabischen Voelker, gelingt es nicht doch noch, die Kriegstreiber zu bremsen, die bedingungslose Unterstuetzung Europas und der USA." Ein Einsatz der Bundeswehr auch in diesen Kriegen sei nicht mehr auszuschliessen. Durch den neuen Aussenminister Fischer in der Regierung Schroeder sei die deutsche Friedensbewegung geschwaecht.

Pamphlet

Der Text Rabehls kann fuer eine "nationale Sammlungsbewegung" benutzt werden, weil er weder eine historisch bemuehte Darstellung politischer Ideen bei Dutschke und Rabehl ist, noch eine politologische oder soziologische Analyse, etwa zur Frage kulturell oder ethnisch bestimmter Konflikte in der Bundesrepublik.(12) Der Text ist stattdessen in einer existentiellen und gewalttaetigen Sprache formuliert. Der Soziologe sieht sich im Kampf gegen "Ueberfremdung", die"antifaschistische Linke" und"Denkverbote." (13) Jede seiner Behauptungen - "Ueberfremdung", "Aggressionskrieg" der USA im Irak, "Kriegstreiber" Israel offenbart manifeste Vorurteile. Rabehl spricht sich in die Rolle eines konservativen Revolutionaers hinein, der sein Volk wachruetteln will, das sich von "Ueberfremdung" und angeblich amerikanisch manipulierten Eliten befreien muss. Freilich glaubt er zugleich, dieses Volk sei auch dafuer schon zu verkommen.

Voelkischer Nationalismus

Die Rede ist von der Vorstellung gekennzeichnet, die Nation sei eine Abstammungs- bzw. Schicksalsgemeinschaft. Rabehl glaubt, dass es trotz des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik eine "deutsche Frage" gibt. Er haelt darueber hinaus multikulturelle Gesellschaften ueberall auf der Welt fuer unmoeglich, Deutschland bereits fuer "ueberfremdet" und sieht die Anwesenheit von Einwanderern in Deutschland als "Besetzung". Er kann sich den Zusammenhalt einer Gesellschaft offenbar nur als "Volksnation" vorstellen. Nicht die Anwesenheit auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland und eine gemeinsame Verfassung bestimmen den Staatsbuerger, sondern dessen voelkisch-kulturelle Herkunft.(14) Rabehl hat sich in der Auseinandersetzung um die Reform des Staatsbuergerschaftsrechts damit deutlich positioniert.

Verordnete Demokratie

Rabehl verachtet darueber hinaus die parlamentarische Demokratie und besonders ihre Entstehung. Dass sie nach dem Kriegsende nur durch Zwang und "Umerziehung" von aussen entstehen konnte, weil der Nationalsozialismus von den alliierten Armeen und nicht vom deutschen Widerstand zerschlagen worden war, interessiert ihn nicht.

Rabehl mag nicht erkennen, dass die Verordnung einer Demokratie angesichts der Schwaeche des Widerstandes und unter Beruecksichtigung der entstehenden realsozialistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone alternativlos war. Stattdessen greift er die Politik der "amerikanischen Deutschlandspezialisten" an. Sie haben angeblich die nationale Identitaet der Deutschen zerstoert.

Der Argumentation liegt die Vorstellung zu Grunde, dass 1945 eine nationale Identitaet existiert haette, an die man haette anknuepfen koennen, wenn sie nicht von amerikanischer Politik zerstoert worden waere. Dieses Bild ist von konservativen und rechtsradikalen Kritikern der bundesrepublikanischen Demokratie immer wieder verwendet worden. Auschwitz und der Vernichtungskrieg scheinen damit fuer Gesellschaft, Kultur und Politik nach 1945 bedeutungslos zu sein.

Die Argumentation hat ausserdem die Funktion, den Vertretern der "Kritischen Theorie", den aus Deutschland emigrierten juedischen Wissenschaftlern - Rabehl nennt sie die "amerikanischen Deutschlandspezialisten" - die Verursachung eines deutschen Schuldkomplexes zuzuschieben.(15) Die Argumentation enthaelt damit einen deutlich antijuedischen Subtext.

Nationalkommunistische Dissidenz

Wie der linksradikale Rabehl zu voelkisch-nationaler Demokratiekritik kommt, ist unverstaendlich. Er selbst verweist darauf, dass Dutschke und er versucht haetten, zu den "nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhaengigkeit" zurueckzukehren. Diese Grundlagen werden jedoch nicht weiter erlaeutert. Der Leser erfaehrt lediglich, die Intelligenz - z.B. Harich, Rabehl und Dutschke - habe nach dem Krieg die "Erbschaft der Arbeiterbewegung" zu uebernehmen gehabt. Eine Auseinandersetzung mit deren Deutschland- und Demokratiekonzeptionen und ihrer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus fehlt. Das koennte Rabehls Ausbruch erklaeren. Nicht umsonst bezeichnen Kritiker die Rede als"national-bolschewistisch".(16)

Die SED erklaerte die Notwendigkeit des Sozialismus nach dem Krieg mit dem Faschismus. Seine wesentliche Ursache sei der Kapitalismus. Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung galten als dessen erste Opfer. Mit der Beseitigung des Kapitalismus in der DDR seien die wesentlichen Ursachen des Nationalsozialismus beseitigt worden.

Die bundesrepublikanische Demokratie betrachtet die SED dagegen als Restauration des Kapitalismus, die eine Wiederkehr des Faschismus einschliessen koennte. Diese Restauration hatte in ihren Augen zu einer Unterwerfung eines Teils des deutschen Volkes und seiner Arbeiterklasse unter den "angloamerikanischen Imperialismus" gefuehrt. Diese Kritik gehoerte zum Standardpropagandarepertoire der ostdeutschen SED und der westdeutschen KPD.

Viele linke Kritiker der SED in Ost und West teilten diese Vorstellungen. Sie verstanden nicht, dass auch die These von der unbelasteten deutschen Arbeiterklasse die Vorstellung enthaelt, als seien Auschwitz und der Vernichtungskrieg ohne Belang fuer die Geschichte der DDR und der Arbeiterbewegung. Eine breite Kritik aus ihren Reihen an der verweigerten Wiedergutmachung gegenueber Israel ist nicht bekannt.(17)

Die Rabehlsche Verachtung fuer die Demokratie nach 1945 hat so moeglicherweise zwei Wurzeln: eine traditionell nationalistische und eine aus der nationalkommunistischen Dissidenz. Dutschkes Ziele und sein eignes Anliegen charakterisiert Rabehl als nationalrevolutionaer. Er behauptet, er selbst und Dutschke haetten nationalrevolutionaere Ideen des Vietkong aus dem Vietnamkrieg auf die deutsche Situation uebertragen und diese Uebertragung habe breiten Widerhall gefunden. Ob Dutschke u.a. die hier angesprochene Uebertragung wirklich vorgenommen haben (18) und welche Bedeutung dies fuer die Studentenbewegung hatte, ist umstritten. Insbesondere Dutschkes Frau Gretchen hat ihren Mann mit vielen deutlichen Belegen vor dieser Uebertragung in Schutz genommen. (19) Sie hat viele dieser Zitate und Hinweise im Zusammenhang des Pamphlets von Rabehl und der Ausbrueche Mahlers erneut aufgezaehlt (20) und schreibt: "Das sind schwerwiegende Behauptungen (eigentlich Beschuldigungen), dass Rudi im Grunde alle Leute betrogen hat, dass er heimlich eine Nationalrevolution machen wollte, also gar keine Kulturrevolution, keine antiautoritaere Bewegung, keinen Internationalismus, sondern, eigentlich Nationalsozialismus." (21)

Eine zeithistorische Auseinandersetzung um diese Frage ist notwendig. Dies ist Rabehls Text aber gerade nicht. Kern einer solchen Auseinandersetzung waere die lange verdraengte Frage nach demokratischen, aber auch antidemokratischen Gehalten der deutschen Studentenbewegung.(22)

Verantwortung und Haftung

Rabehl bedient neben der Verachtung der Demokratie den Wunsch nach Zurueckweisung von Haftung und Verantwortung fuer den Nationalsozialismus. Man findet dies ueberall dort, wo er angebliche "Denkverbote" angreift. Angeblich wird das "Problem der Ueberfremdung" in Deutschland von der Antifa-Linken im Buendnis mit "bestimmten" in- und auslaendischen Medien tabuisiert. Dies geschehe dadurch, dass sie "die deutsche Kulturintelligenz in die Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg" einbinden. Das zweite "Denkverbot" besteht nach Rabehl darin, dass jetzt wieder "deutsches Kanonenfutter (...) eingesetzt werden" kann. Und wieder reden die"Kulturintelligenz und die Parteieliten (...) nicht darueber". Warum? Wir ahnen es: "Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im II. Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen ueberdecken."

Ohne Schnoerkel heisst dies: Amerikaner und Juden erpressen die Bundesrepublik mit der NS-Aufarbeitung, um in aller Ruhe eine Ueberfremdung der deutschen Nation herbeizufuehren und deutsches Kanonenfutter in Kriegen zu verheizen, die ausschliesslich im Interesse der USA und Israels liegen. So steht es da nicht, und doch kann man die Passagen im Zusammenhang des Textes kaum anders interpretieren. Hier lassen sich Annaeherungen an einen deutschen Antisemitismus nach Auschwitz vermuten.

Vorbild "Konservative Revolution"

Die Kampfsprache des ganzen Textes scheint direkt von Autoren der "Konservativen Revolution", insbesondere Carl Schmitt uebernommen.(23) Dies ueberrascht, weil Rabehl vor noch nicht allzu langer Zeit solches Denken praezise analysiert und scharf kritisiert hatte. Ueber Schmitt u.a. hatte er noch 1985 gesagt: "Reichsmythos, Antisemitismus, voelkische Sicht des Deutschtums, Antiliberalismus, Antisozialismus, Antiparlamentarismus bilden eine Einheit. Sie sind Bestandteil eines Mythos der Revolution von rechts, der die Niederlagen der Arbeiterbewegung, der Republik und die Folgen einer sozialen Erschuetterung als einer kulturellen Krise und als Wirtschaftskrise ausschoepft." (24)

Ueber Ziele und Anliegen der konservativen Revolutionaere aus Weimar hatte Rabehl damals keine Zweifel: "Die konservativen Auffassungen von der rechten Revolution und vom Reichsmythos erfahren durch E. Juenger (Der Arbeiter 1932), durch C. Schmitt (Begriff des Politischen, Berlin 1927) und durch M. Heidegger (Sein und Zeit, Tuebingen 1928) eine situative Zuspitzung. Bereits bei Spengler, Moeller van den Bruck und Freyer wird die voelkische Urspruenglichkeit als Volk und Gemeinschaft, als Proletariat und Sozialismus, als konservative Elite, Staat und Reich gegen das Fremde, gegen Aufklaerung, Liberalismus, Marxismus, Bolschewismus, Sozialismus, Parlamentarismus, Kapitalismus gestellt." (25)

Solche Formulierungen sind mit einigen Modifikationen auf Rabehls neuen Text uebertragbar. Jetzt setzt er die voelkische Urspruenglichkeit als Volk und Gemeinschaft, als Proletariat, gegen die Fremden und die angeblich von USA und Israel manipulierten Eliten, gegen Aufklaerung, Liberalismus, Marxismus, Bolschewismus, Sozialismus, Parlamentarismus, Kapitalismus. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus - in Weimar ging es noch um die Verantwortung fuer den ersten Weltkrieg - wird zurueckgewiesen. Aus dem Kritiker der "Konservativen Revolution" ist ein Nachahmer geworden.

Noch eine Chance

Eine Einwanderungsgesellschaft hat unbestreitbar Probleme. Auch ueber Einsaetze der Bundeswehr im Rahmen der NATO mit und ohne UNO-Mandat muss gesprochen werden. Aber um solche Fragen geht es in Rabehls Text nicht. Er malt am Bild einer angeblichen Verschwoerung gegen das deutsche Volk. Deshalb passt diese Rede zu Mahlers "nationaler Sammlungsbewegung" und Oberlerchers voelkisch nationaler Kulturrevolution. Rabehl steuert den Kampfton einer neuen "konservativen Revolution" bei. Ob dies sein letztes Wort bleibt?

Rabehl wurde in vielen Diskussionen der letzten Wochen aufgefordert, sich zu seiner Rede zu erklaeren. Bislang liegt uns eine solche Erklaerung nicht vor. Eine Gruppe von SDS-Veteranen aus Berlin, die sich seit einigen Monaten wieder trifft, bislang mit Rabehl und Mahler, sammelt inzwischen Protest-Unterschriften.(26) Am 5. Februar beschloss man, mit Mahler nicht mehr zu diskutieren, sein offener Antisemitismus sei unertraeglich. Mahler selbst wurde aus dem Raum gewiesen. Dem nicht anwesenden Rabehl will man noch eine Chance geben. Er wird sich jetzt aeussern muessen.

 

*) Martin Jander ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin, Rainer Maischein bildet im Oberlin-Seminar der evangelischen Landeskirche Berlin Sozialarbeiter aus. Beide haben in den 70er Jahren an der Freien Universitaet Berlin u.a. bei Bernd Rabehl studiert.

 

Anmerkungen

1) Loewenthal, R.: Der romantische Rueckfall, Stuttgart 1970; W. Kraushaar: Rudi Dutschke und die Wiedervereinigung, in: Mittelweg 36, Juni/Juli 1992, S. 12ff

2) Bartsch, G.: Revolution von rechts, Freiburg 1975, S. 122ff; H. Eichberg: Balkanisierung fuer Jedermann? in: Wir selbst - Zeitschrift f. nationale Identitaet, Koblenz, o.J.

3) Rabehl, B.: Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, in: Junge Freiheit, Berlin, 13. Jahrgang, 18.12.98, Nr. 52-53

4) Heither / Gehler / Kurth / Schaefer: "Blut und Paukboden", Frankfurt a.M. 1997, S. 227ff.; Mueller, B.: "Wir waren die nuetzlichen Idioten", in: Junge Freiheit, Berlin, 13. Jg., 11.12.98, Nr. 51

5) Siehe Herzinger, R.: Das Faehnlein der Frustrierten, in: Die Zeit, 14.1.99, S. 34; Schroeder, R.: Nationale Beichte, in: Jungle World, 6.1.99

6) Mahler, H.: "Ideologisch vermintes Gelaende", in: Focus, 28.12.98, S. 36ff; ders.: "Ein Netz von Aktivisten", in: Junge Freiheit Nr. 2/99, 8.1.99; ders.: Flugschrift an die Deutschen, die es noch sein wollen, ueber die Lage ihres Volkes, November 1998; Mahler, H. / Maschke, G. / Oberlercher, R.: Kanonische Erklaerung zu 1968, Dez. 1998; Mahler, H.: Flugblatt Nr.1 der Sammlungsbewegung "Unser Land", 15.2.99

7) Mahler, H. / Maschke, G. / Oberlercher, R.: Kanonische Erklaerung zur Bewegung von 1968, Dezember 1998

8) Oberlercher, R.: Die 68er Wortergreifung, in: Staatsbriefe 4/1994, S. 32

9) So der Text in der Jungen Freiheit. Im Originalmanuskript heisst es: "Die Antifa-Linke steht hier bewusst in einem Buendnis mit bestimmten Medien im In- und Ausland, die deutsche Kulturintelligenz einzubinden, bestimmte Fragen nicht zu stellen."

10) Weiland, S.: Ein APO-Opa in der nationalen Nische, in: die tageszeitung 24.12.98, S. 7; Jander, M.: Der Nationalbolschewist, in: ebenda S. 12

11) Rabehl, B. nicht abgedruckter Leserbrief an die tageszeitung vom 28.12.98

12) Natuerlich verteidigt Rabehl den Text unter Hinweis auf unterschiedliche analytische Traditionen (siehe: Freie Universitaet Berlin: Studenten diskutieren Bernd Rabehls Rede - "Macht sie fett und impotent", in: Junge Freiheit 5/99, 29.1.99).

13) Siehe. Michel, D.: Das ist widerlich! in: SDS-Website (www.partisan.net/sds/)

14) Siehe zur Darstellung der verschiedenen Typen des Nationalismus: Oberndoerfer, D.: Der Wahn des Nationalen, Freiburg 1993.

15) Siehe z.B. Schrenk-Notzing, C.v.: Charakterwaesche, Muenchen 1965; siehe auch: Weissmann, K.: Rueckruf in die Geschichte, Berlin 1992

16) Siehe Herzinger, R.: Das Faehnlein der Frustrierten, in: Die Zeit, 14.1.99, S. 34

17) Die bislang beste Darstellung der Flucht deutscher Kommunisten aus der Verantwortung fuer den Nationalsozialismus hat kuerzlich J. Herf vorgelegt: Herf, J.: Zweierlei Erinnerung, Berlin '98

18) Auch Reinhold Oberlercher behauptet fuer sich diesen Zusammenhang: Oberlercher, R.: Die 68er Wortergreifung, Staatsbriefe 4/1994, S. 30

19) Klotz-Dutschke, G.: Rudi Dutschke - "ein deutscher Sozialist", in: Mittelweg 36, Juni/Juli 1992, S. 49ff

20) Dutschke-Klotz, G.: "Mit Chauvinismus hatte Rudi nichts im Sinn", in: die tageszeitung , 17.2.99, S. 7; siehe auch: Dutschke-Klotz, G.: Was Rudi Dutschke zu den Irrwegen der abgefallenen 68er sagen wuerde, in: SDS- Website, Januar 1999 (www.partisan.net/sds/)

21) Ebenda

22) Siehe hierzu z.B. Kloke, M.W.: Israel und die deutsche Linke, Frankfurt 1990; siehe hierzu auch: Kraushaar, W.: "Ich bin froh, dass keine SDS-Idee Wirklichkeit wurde", Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft, 11/ 1998, S. 1022ff.

23) Siehe auch Wilsdorf, T.: Offener Brief an Bernd Rabehl auf seine Camouflage, Berlin 5.2.99

24) Rabehl, B.: Der Reichsmythos der rechtskonservativen Eliten und seine Bedeutung fuer die "Revolution von rechts", in: Schneider, K. / Simon, N.: Antisemitismus und deutsche Geschichte, Berlin 1985 (Dokumentation einer Arbeitstagung in der Ev. Akademie Arnoldshain, Juni 1985), S. 97

25) Ebenda, S. 108 26) Siehe: "Wir waren nie Nationalisten", in: Junge Welt, 15.2.99