"Und das ist erst der Anfang"*

Mannesmänner, Antisemitismus und die Causa Rabehl

Von Andrei Markovits

 

Samstag, den 15. Januar 2000, der 71. Geburtstag von Martin Luther King, jr.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich weiß nicht, ob ihr Euch an mich noch erinnert, aber ich habe in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts einige Aufsätze im express veröffentlicht, zu einer Zeit, in der ich intensiv über deutsche Gewerkschaften forschte.

Heute schreibe ich Euch über etwas für mich Bedenkliches und Problematisches, zu einem Thema, welches ich für wichtig genug erachte, dass es im intellektuellen Einzugsbereich des express und in dem ihm politisch nahestehenden Milieu öffentlich diskutiert werden sollte. Über Freunde in Berlin und über den express erfuhr ich, dass Bernd Rabehl Vertrauensdozent bei der Hans-Böckler-Stiftung des DGB ist. Ich bin sicher, dass viele von Euch über die Causa Rabehl bereits genug wissen, so dass ich hier nicht aus dem fernen Ann Arbor über dieses Thema ein längeres Exposé unterbreiten muss.
Aber als ein alter und loyaler Freund der Stiftung, ein Verehrer und persönlicher Freund Nikolaus Simons, ihres jetzigen Direktors, und Gerhard Leminskys, seines unmittelbaren Vorgängers, und als ein stetiger (und, so glaube ich, erwiesener) Freund der deutschen Gewerkschaften dachte ich mir, dass es angemessen sei, ein paar Worte zu diesem Problem zu schreiben und so die Diskussion in der gewerkschaftsnahen Öffentlichkeit – vielleicht sogar darüber hinaus – weiter zu beleben.

Ich kenne Bernd Rabehl persönlich nicht, glaube aber doch, über meine Forschungen sein Milieu ein wenig zu kennen. Deswegen bin ich über seine vermeintliche Metamorphose vom Links- zum Rechtsradikalismus weit weniger erstaunt und erschüttert, als dies einige meiner deutschen Freunde sind.

Bereits seit meinem ersten längeren Forschungsaufenthalt in Deutschland im Jahre 1979, als ich acht Monate lang beim WSI des DGB an meinem ersten Gewerkschaftsprojekt arbeitete, fiel mir bei der Übertragung der Fernsehserie "Holocaust" auf, wie wenig die Linksintellektuellen des WSI und aus dessen erweitertem Milieu in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin und Hamburg über den Judenmord der Nazis wussten und wie peinlich ihnen das Ganze eigentlich war. Nicht wegen der Enormität dieses einzigartigen Verbrechens, sondern weil es von den ihres Empfindens nach größeren und primären Problemen – nämlich den Widersprüchen des Kapitalismus – die nötige Aufmerksamkeit fernhielt. Mit ganz wenigen Ausnahmen, von denen ich hier nur Heinz Kluncker ewig dankend erwähnen möchte, blieb der Holocaust für dieses Milieu meines Freundeskreises bis zum heutigen Tage bestenfalls ein lästiger Nebenschauplatz der deutschen Geschichte und ihrer Identität. Zwar waren da meine Freunde um den express ungleich interessierter und informierter als jene viel zahlreicheren Gruppierungen, die einer weit orthodoxeren DKP- und STAMOKAP-nahen linken Gewerkschaftspolitk huldigten, doch auch jenen war das Thema Holocaust, Antisemitismus, Judentum und alles, was mit diesem Komplex zusammenhängt, entweder sehr fern oder höchst unangenehm – eigentlich beides. Diesen für mich so hässlichen Aspekt der deutschen Linken, zu denen ich die Gewerkschaften und vor allem deren Intellektuelle allemal zähle (und zu denen sie sich selbst zählen würden), brauche ich hier nicht näher zu erörtern. Dies haben ich und viele andere (Martin Klocke, Micha Brumlik und einige mit dem "Sozialistischen Büro" in Offenbach sympathisierende Autoren) andernorts bereits oft genug getan. Ich empfand damals auch im gewerkschaftlichen und linksintelletuellen Milieu eine Art Gehabe und Gesinnung, die zwar niemand auch im Geringsten als deutsch-national hätte bezeichnen können; trotzdem war mir gefühlsmäßig klar, dass unter anderen politischen Konstellationen – und nach einiger Zeit – einige zentrale Punkte linker Kritik und linken Habitus’ leicht nach rechts umschlagen könnten – und dies auch tun würden. Schon damals warnte Dan Diner – völlig zu Recht, wie es sich seit Anfang der 90er Jahre immer mehr bewahrheitet –, dass sich der temporäre Kontrakt zwischen dem Gros der 68er einerseits und den Linksintellektuellen jüdischer Herkunft und deren wenigen Freunden und Verbündeten andererseits im Rahmen eines sich durch die Welt- und Europapolitik verlagernden und wiederbelebten nationalen Diskurses aufkündigen würde. Nirgendwo war dieser Ausdruck einer nationalbolschewistischen Haltung mehr manifest, als in dem Anti-Amerikanismus, der mir tagtäglich begegnete. Da traten nationalistische Schablonen hervor, die in keinem anderen Themen- und Komplexbereich auch nur annähernd so klar artikuliert werden konnten. Denn nur in diesem Kontext waren sie in doppelter Weise salonfähig: Als kulturelle Überheblichkeit der Deutschen einerseits; und in Form eines politischen und ökonomischen Opfers, als das man sich begriff, andererseits. Oft schlug man Amerika, meinte aber eigentlich auch die Juden. Dass es im Verlauf des gesamten 20. Jahrhunderts eine untrennbare analytische, historische und normative Verknüpfung zwischen Anti-Amerikanismus und Anti-Semitismus sowohl auf der Rechten als auch auf der Linken gibt, ist so hinreichend bekannt, dass ich dies hier nicht näher ausführen muss.

Es ist natürlich nicht zufällig und für mich intellektuell überhaupt nicht überraschend, wenn auch persönlich beängstigend und irgendwie noch immer enttäuschend, dass wichtige Figuren der deutschen Linken, deren Namen wir alle kennen, gerade jetzt am Beginn einer neuen Konstellation in Deutschland und Europa so offene und begeisterte Vertreter einer mehr oder minder faschistischen Tradition wurden. Und dies ist nur der Anfang, davon bin ich überzeugt. Rabehl ist nur ein besonders prominenter Vertreter dieser Entwicklung und ich erwähne ihn in diesem Zusammenhang nur deshalb als einzigen, weil er Vertrauensdozent bei der Hans-Böckler Stiftung ist und daher für die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften eine besondere Rolle einnimmt.

Schauen wir uns doch den gängigen Tenor der deutschen Gewerkschaften bei der Vodafone/Mannesmann-Geschichte an: Egal, wie man zu dem Fall selber steht – und von mir aus soll Mannesmann ruhig die Schlacht gegen Vodafone für sich entscheiden und die feindliche Übernahme verhindern –, fand ich die dauernde Philippika gegen den sogenannten "angelsächsischen Kapitalismus" und eine "angelsächsische Gangart" wirklich schlimm. Die deutschen Gewerkschaften haben zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg mit klar nationalistischen Mobilisierungsmaßnahmen etwas verhindern wollen. Und man muss nicht allzu spitzfindig oder gar paranoid sein, um zu wissen, dass "angelsächsisch" in diesem Kontext im Deutschen einen ganz üblen Beigeschmack hat und es ein für alle verständlicher Code ist. Solche Töne hätte man noch vor ein paar Jahren von der deutschen Sozialdemokratie und den Gewerkschaften nicht vernommen. Aber wenn ein ehemaliger sozialdemokratischer und von den Gewerkschaftseliten vielgeliebter Bundeskanzler von "Raubtierkapitalismus" spricht, wie dies Helmut Schmidt in einer seiner habituell gewordenen Attacken gegen die Vereinigten Staaten tut, dann ist klar, dass derzeit eine gewisse Entsensibilisierung und Enttabuisierung der Sprache in Deutschland stattfindet, die nicht von ungefähr kommt und klare politische Richtungen vorzeichnet. Man kann ja – soll sogar – als Linker und Gewerkschafter gegen die Auswüchse der Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen heftig mobilisieren. Ich hatte viel Sympathien und einiges Verständnis für die Protestaktionen bei dem WTO-Kongress in Seattle. Aber dazu gehören dann auch Proteste, wenn deutsche Konzerne im Ausland Firmen reihenweise schlucken.

Außer ein paar Protesten zur Hochzeit des Südafrikaboykottes, wo es einfach zum Selbstverständnis jedes Linken dazugehörte, Inves-titionen der Erstweltländer in Südafrika zu kritisieren und zu versuchen, diese zu verhindern – eine, wie wir jetzt von Nelson Mandela wissen, wichtige und erfolgreiche Politik –, haben deutsche Gewerkschaften sich kaum gegen deutsche Aufkäufe ausländischer Firmen ins Zeug gelegt. Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass sie es hätten tun sollen – ganz im Gegenteil –, sondern, dass ihre jetzige, auf purem Nationalismus basierende Mobilisierung gegen Vodafone mir sehr bedenklich und unsympathisch vorkommt.

Besonders beschämend für die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie war es, dass es einige deutsche Kapitalvertreter waren, die solche nationalistischen Töne in diesem Unternehmenskampf entschieden verurteilten.

Am Otto Suhr-Institut der Freien Universität Berlin haben sich Kolleginnen und Kollegen zusammengetan, um die Ideen Bernd Rabehls anzufechten und ihn auf intellektueller Ebene herauszufordern und zu besiegen. Ich finde diese Vorgehensweise richtiger als die, Rabehl seiner Redefreiheit – notfalls durch physische Gewalt – zu berauben, obwohl ich dies, besonders im konkreten Kontext deutscher Geschichte und nicht eines abstrakten theoretischen Konstruktes, sehr wohl verstehen kann. Ich habe keine Ahnung, was man in der Hans-Böckler-Stiftung zur Causa Rabehl vorhat. Aber als ein alter Freund der Stiftung und der Gewerkschaften und als ein stets besorgter Beobachter deutscher Politik aus dem fernen Ann Arbor hoffe ich doch sehr, dass Ihr Euch auch mit diesem Fall innigst auseinandersetzen werdet, zumal es sich bei Rabehl um einen Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung und damit um einen Mann des gewerkschaftsinternen Milieus handelt, für das diese Zeitung ein wichtiges Forum verkörpert.

Mit kollegialen Grüssen Andrei S. Markovits, Professor of Politics Ann Arbor, Michigan
E-mail: <andymark@umich.edu>

* Werbespruch von Vodaphone

Der Artikel ist erschienen in express Nr. 1/2000


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