Home > Diskussion > Grundrechte > Demorecht > steven
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

April 2005: Am 12. April 2005 hob das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung das Verbot einer Versammlung unter dem Motto "... 60 Jahre Befreiungslüge" auf. Im März 2005 war der bevorstehende 8. Mai 2005, 60 Jahre nach dem "Tag der Befreiung", zum Anlass genommen worden, dem ohnehin vielfach durchlöcherten und polizeirechtlich überwucherten Versammlungsrecht eine weitere staatlich-politische Eingriffsbefugnis hinzuzufügen. Manche Orte können seitdem vom Recht auf Versammlungsfreiheit ausgenommen werden (1). Zugleich wurde die Strafrechtsnorm ausgeweitet. Nun stehen auch die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe (2). Der Abbau demokratischer Grundrechte spielt jedoch den Antidemokraten in die Hände, statt sie demokratisch zu bekämpfen.

Elke Steven

Alle ... haben das Recht, sich ... friedlich und ohne Waffen zu versammeln?

Demonstrationen provozieren und können den Protest anderer Bürger und Bürgerinnen hervorrufen. Sie zielen auf die öffentliche Auseinandersetzung im Meinungsbildungsprozess. Deshalb ist es gut, dass sich immer wieder Bürger und Bürgerinnen darüber empören, mit welchen rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Forderungen und Aussagen allwöchentlich auf unseren Straßen in Städten und Dörfern demonstriert wird. Angesichts deutscher Vergangenheit erschreckt es besonders , wenn gegen den Bau einer Synagoge in einer deutschen Großstadt demonstriert wird (Bochum im Juni 2004). Wenn offen gegen Ausländer polemisiert wird. Wenn die Befreiung der Konzentrationslager und das Ende nationalsozialistischer Herrschaft als "Befreiungslüge" tituliert werden.

Schockierender ist die Meldung, dass im Zeitraum von 1990 bis 2004 134 Menschen infolge der Gewalt von Rassisten und Faschisten gestorben sind. In Dortmund wurde mitten in der City am 28.3.2005 ein Punk von einem "Neonazi" zu Tode geprügelt. Die "Polizeidirektion Oberes Elbtal vermerkt für die Sächsische Schweiz" bis Mitte des Jahres 2005 "15 Körperverletzungen mit rechtsextremem Hintergrund" (ND, 22.8.05) Die "Opferperspektive"- Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt - schreibt in ihrem Bericht über "die Realität in Brandenburg" (www.opferperspektive.de): Fast jede Woche werden Menschen in Brandenburg aus rechtsextremistischen Motiven, aus Hass gegen alles vermeintlich "Undeutsche" gewalttätig angegriffen. Es trifft insbesondere Menschen aus anderen Herkunftsländern, Behinderte, Obdachlose und alternative Jugendliche.

Die Einschränkung des Versammlungsrechts als geeignetes Mittel?

Entgegen der interessierten Vermischung dieser unterschiedlichen Tatbestände ist festzuhalten, dass "Versammlungen unter freiem Himmel" und Gewalttaten zwei voneinander getrennt zu betrachtende Tatbestände sind. Gegen Gewalttaten ist mit den Mitteln der Strafverfolgung vorzugehen. Auch hier ist nach den Ursachen und den gesellschaftlich politischen Rahmenbedingungen zu fragen, die solche Gewalttaten begünstigen. Auch bei diesen Gewalttaten ist über strafrechtliche Sanktionen hinaus nach sozialen Lösungen zu suchen. Rechtlich dürfen solche Gewalttaten jedoch nicht verharmlost werden. So war es in den 1990er Jahren fast üblich und ist kürzlich erneut in Magdeburg geschehen.

Straf- und Gewalttaten sind getrennt von der Frage nach dem Umgang mit dem Versammlungsrecht zu betrachten. Versammlungen sind nur insoweit grundrechtlich geschützt, als sie friedlich und ohne Waffen stattfinden. Nur wenn Fakten belegen, dass von Versammlungen Unfriedlichkeit ausgehen wird und sie die öffentliche Sicherheit gefährden, dürfen sie verboten werden. Alle Vermutung muss zunächst dafür sprechen, dass die öffentliche und gemeinsame Äußerung einer Meinung vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Verbindung mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt ist. Dieses normative Muss gilt auch für Demonstrationen der NPD und rechter Kameradschaften.

Unsere vielfältigen Erfahrungen - nicht zuletzt mit Demonstrationsbeobachtungen - zeigen, dass sich viel zu oft diejenigen, die Demonstrationen anmelden, gegen voreilige und grundrechtswidrige Einschränkungen des Demonstrationsrechts zur Wehr setzen müssen. Sachbeschädigungen, die in anderen Kontexten stattgefunden haben - wie zum Beispiel durch Hakenkrallen in Bahnleitungen -, Taten einzelner außerhalb oder am Rande von früheren Demonstrationen werden ordnungsbehördlich zum Anlass genommen, Demonstrationen weitgehend einzuschränken und zu verbieten. Die Allgemeinverfügungen im Wendland lehren die vielen Möglichkeiten, vorhergehende Ereignisse verdrehend darzustellen und sie zur verbietenden Gefahrenprognose zu nutzen. Dagegen hat sich das Komitee von Beginn an gewendet und für ein uneingeschränktes Grundrecht auf Versammlungsfreiheit argumentiert. Nur tatsächliche Hinweise auf Gewalt-Gefahren, die von einer konkreten Versammlung ausgehen, dürfen zu Einschränkungen oder gar Demonstrationsverboten führen. Dabei kann der Gewaltbegriff nur sinnvoll benutzt werden, wenn darunter Gewalt gegen Personen verstanden wird.

Angesichts von antisemitischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Versammlungen wird jedoch von sehr unterschiedlichen Seiten der Ruf nach Verboten, nach Gesetzesänderungen und einschränkender Auslegung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit laut. Die Versammlungen derer, die ihre neualte Naziideologie verbreiten, greifen Demokratie und Menschenrechte ständig an .

Überlebende des Naziterrors mahnen, solche Versammlungen sollten verboten werden. Ihre Ängste, ihr erneuertes Leiden angesichts dieser öffentlichen Provokationen ist ernst zu nehmen. So schreibt ein Überlebender des KZ Sachsenhausen und des Todesmarsches, seine Angst beginne, "wenn er morgens die Zeitung aufschlägt und liest, dass eine rechtsextreme Versammlung richterlich genehmigt wurde " (taz, 23./24. April 2005). Kurt Goldstein, Ehrenpräsident des internationalen Auschwitzkomitees, stellt bei der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Deutschen Theater klar: "Wenn ich heute in unserem Vaterland erlebe, dass Nazis auf den Straßen demonstrieren dürfen und das höchste deutsche Gericht diese Aufmärsche wegen der Meinungsfreiheit schützt, dann sage ich: Für uns ist das geradezu eine unmenschliche Tat, wir leiden darunter."

Gerade wenn wir jedoch diese Ängste und das Leiden der Überlebenden des Naziterrors ernst nehmen und Ausländer und ausländisch aussehende Menschen in dieser Republik schützen wollen, wenn wir dieser nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ideologie demokratisch wehrhaft begegnen wollen, dann darf dies nicht in dem Ruf nach dem starken Staat, nach staatlichen Verboten und nach Gesetzen münden, die die Meinungsfreiheit einschränken. Noch mit dem Angriff auf Demokratie und Menschenrechte müssen wir demokratisch-menschenrechtlich umgehen und dessen Wurzeln bekämpfen.

Jede Einschränkung von Freiheitsrechten - auch wenn die menschenverachtenden Ideologie abgewehrt werden soll - muss letztlich als Erfolg der Antidemokraten verstanden werden. 1978 unterschrieb Otto Schily noch als erster den Aufruf der Humanistischen Union: "Man bekämpft die Feinde des Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht durch deren Einschränkung." Heute scheinen viel zu wenige noch hinter dieser Überzeugung zu stehen.

Ein fundierendes Argument und einige praktische Erwägungen will ich für diese Überzeugung anführen.

Das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Das Recht, sich "ungehindert und ohne besondere Erlaubnis" zu versammeln, ist eines der zentralen politischen Freiheitsrechte. Bürger und Bürgerinnen haben in der repräsentativen Demokratie nur wenige Möglichkeiten, auf das politische Geschehen einzuwirken und die eigene Meinung öffentlich so kund zu tun, dass es von anderen wahrgenommen wird. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) ist eng verknüpft mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Versammlungen dienen der kollektiven Meinungsäußerung, sie ermöglichen, sich untereinander zu verständigen, Öffentlichkeit zu erreichen, andere zu überzeugen und auf die offizielle Politik einzuwirken. Versammlungen sind allerdings "nur" symbolisch verbindlich. Sie können getroffene politische Entscheidungen und deren Ausführung nicht unmittelbar rückgängig machen.

Meinungs- und Versammlungsfreiheit können nur für alle gelten oder sie gelten nicht. Es kann nicht darum gehen, ob einem Meinungen sympathisch oder höchst unsympathisch sind. Immer wieder ist an Rosa Luxemburgs kategorische Forderung zu erinnern: Freiheit nur für die Anhänger einer Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ,Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ,Freiheit' zum Privilegium wird." (Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution, 1918)

Das Versammlungsrecht wurde bezüglich des Rechts, sich unter freiem Himmel zu versammeln, von Anfang an unter den Vorbehalt eines einschränkenden Gesetzes gestellt. Mit "Aufruhr" assoziierte man Demonstrationen. Dem 1953 verabschiedeten Versammlungsgesetz liegt ein autoritärer Demonstrationsbegriff zugrunde. In ihm ist von "Aufmärschen" und "Aufzügen" die Rede, die straff von einem "Führer" oder "Leiter" zu kommandieren sind. Erst langsam entwickelten sich all die ungebändigten Formen von Demonstrationen, wie wir sie heute kennen. Eine Vielzahl von Gruppen kommt zusammen, um ihre Meinungen öffentlich kund zu tun.

Versammlungen waren und sind dauernd umstritten, sie ärgern (meist) Politik und Mehrheitsöffentlichkeit. Die in Demonstrationen zum Ausdruck gebrachten Interessen widersprechen meist der offiziellen Politik. Von der etablierten Herrschaft abweichenden Meinungen und Forderungen soll Gehör verschafft werden. Gerade Minderheiten nehmen dieses Grundrecht in Anspruch und sind auf dessen Schutz angewiesen.

Dieses Recht steht unter einschränkendem Vorbehalt. Häufig wird es politisch-polizeilich restriktiv gehandhabt. Versammlungsgesetz, Polizei- oder Gefahrenabwehrgesetze dienen mit ihren Gesetzesänderungen, nach einer kurzen Phase der Liberalisierung um 1970, vor allem dazu, die Freiheit der BürgerInnen einzuschränken, sich auszudrücken. Stattdessen werden polizeiliche Kontroll- und Eingriffsrechte ausgedehnt . Die Proteste der Studentenbewegungen und der neuen sozialen Bewegungen in den späten 60er und den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts machten die Inanspruchnahme des Versammlungsrechts und die Vielfältigkeit der Ausdrucksformen selbstverständlicher. Gestärkt und rechtlich abgesichert wurde diese Entwicklung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1985, den "Brokdorf-Beschluss". Die Richter nannten Versammlungs- und Meinungsfreiheit "unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens". Auch für Polizei und Ordnungsbehörden stellt dieser Beschluss noch heute die selbstverständliche Bezugsgröße dar. Selbst noch in ihren Verboten und einschränkenden Auflagen beziehen sie sich darauf, allerdings meist nur, um fälschlich zu konstatieren, dass die Verbote dessen Anforderungen genügten. Insofern sind nur die Rechtfertigungen behördlicher Restriktionen differenzierter und scheingenauer geworden.

Versammlungen, so urteilte das Bundesverfassungsgericht, gelten als Zeichen der "Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers". Sie enthalten "ein Stück ursprünglich ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren". Dieses versammlungsfreundliche Urteil, das auch im sogenannten Sitzblockadebeschluss (1995) seinen Ausdruck fand, ist vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt worden. Ihm entgegen wird das Grundrecht häufig nicht ausreichend geschützt. Immer wieder werden offiziell drohende Unfriedlichkeiten an die Wand gemalt , die von Demonstrationen ausgingen . Es wird behauptet, dass Gewalt aus der Versammlung zu erwarten sei. Die willkürlichen Prognosen dürften in der Regel jedoch für ein Verbot nicht ausreichen. Sonst könnten sie jede Versammlung unmöglich machen. Trotzdem werden im Wendland alljährlich Demonstrationen gegen Castor-Transporte weiträumig und großflächig per Allgemeinverfügung verboten.

Zu den im Brokdorf-Beschluss garantierten Rechten gehört auch das Recht der Demonstrierenden, über Ort und Zeit der Demonstration selbst zu entscheiden. "Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung ... ." Wird gegen den Castortransport demonstriert, wird für den Erhalt des Grundrechts auf Asyl, wird gegen das "öffentliche" Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten protestiert, so muss dies an den Orten möglich sein, wo das "Problem" sichtbar und Öffentlichkeit ansprechbar ist. Das Recht auf Versammlungsfreiheit kann nicht als verwirklicht gelten, wenn sich Demonstrierende fernab von dem Ort oder dem Ereignis, auf den oder das sie sich beziehen, sozusagen nur auf offenem Feld versammeln dürfen. Auch dies kann nicht nur für eine sympathische Meinung gelten.

Kurz nach der Einschränkung des Versammlungsrechts im Frühjahr 2005 hat das Bundesverfassungsgericht allzu leichtfertigen Einschränkungen des Versammlungsrechts erneut einen Riegel vorgeschoben. Eine Demonstration als Trauermarsch "in Form einer Flüchtlingskolonne" durfte im Ostseebad Ahlbeck auf Usedom unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Wir feiern nicht! Wir klagen an!" stattfinden. Die Verfassungsrichter urteilten, dass es keine Anhaltspunkte für eine Störung des öffentlichen Friedens gegeben habe. Eine bloße Vermutung, dass eine bestimmte Demo nstration den öffentlichen Frieden stören werde, reiche für ein Verbot nicht aus. (BVerfG, 1 BvR 808/05 vom 16.4.05)

Öffentlichen Raum entgegen zunehmender Privatisierung zu erhalten, ist deshalb von zentraler Bedeutung. Henri Lefebvre spricht vom "Recht auf die Stadt". Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht auf den öffentlichen Raum, um in diesem kollektiv zu kommunizieren und sich politisch zu äußern. Dieses Recht wird nicht "gewährt", "erlaubt", von oben genehmigt, es besteht und muss wahrgenommen werden.

Mit neuen Straftatbeständen gegen Antidemokraten?

So sehr das, was NPD-Anhänger und Gleichgesinnte denken und sagen, zu verabscheuen ist, Strafrechtsnormen zu verschärfen, ist nicht die rechte grundrechtlich-demokratische Antwort. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu verwenden ( § 86 a StGB) und den Holocaust zu leugnen, wird strafrechtlich sanktioniert. 1994 ist das Verbot - aufgrund des Verwendens geringfügig abgewandelter Symbole - auf zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen ausgedehnt worden. Seit der Gesetzesänderung im Mai ist auch die Verherrlichung der NS-Gewaltherrschaft als Volksverhetzung ( § 130 StGB) verboten. Je ausgedehnter und gleichzeitig unspezifizierter die Strafrechtsnormen werden, desto deutlicher wird, dass es um das Verbot von Gesinnung en geht, nicht um den Schutz von konkreten Personen, Opfergruppen und von deren Würde. Alle Strafrechtsnormen sind entweder leicht zu umgehen oder sie operieren mit so unbestimmten Begriffen, dass sie die Meinungsfreiheit insgesamt beschädigen. Illiberalität zahlt sich im Kampf um Freiheit nicht aus.

Die Verbote haben schon in der Vergangenheit eher zu "kreativen" neuen Formulierungen und Umwandlungen von Symbolen geführt. Es wird getestet, welche Orte wann demonstrationsfrei bleiben müssen, wie nahe und provozierend dennoch einer Meinung Ausdruck verliehen werden kann. Es wird getestet, mit welchen Slogans man den verbotenen nahe kommen kann, ohne sich strafbar zu machen. Die Hakenkreuzfahne wird etwas verändert. Man grüßt sich mit "88". Nationalsozialistische Parolen werden gemischt und neu zusammengesetzt. Kennzeichen werden geringfügig abgewandelt. Der Bundesgerichtshof hat im Juli 2005 geurteilt (Az.: 3 StR 60/05), dass die Verwendung der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" nicht strafbar ist, da sie den Parolen der Nationalsozialisten nicht zum Verwechseln ähnlich sei. Dieses Urteil bezieht sich auf eine Tat aus dem Jahr 2001. Die Veränderung des Strafgesetzbuches im Frühjahr 2005 brauchte noch nicht berücksichtigt werden. Ob der Slogan nun unter den neuen Volksverhetzungsparagraphen fällt, darüber hat das höchste Gericht bisher nicht entscheiden müssen.

Auch die Forderung, eine "Antifa-Klausel" ins Grundgesetz oder die Landesverfassungen aufzunehmen, ist ein hilfloser wie kontraproduktiver Versuch, den nazistischen Aufmärschen zu begegnen. Diese Feststellung gilt gerade dann, wenn man unterstellt, dass dem Grundgesetz ein antifaschistischer Grundkonsens zugrunde liegt. Würde die neue Klausel weit ausgelegt, schränkte sie willkürlich Meinungsäußerungen ein. Würde sie zu eng interpretiert, könnte sie erneut umgangen werden. Hinzu kommt, dass allzu schnell gefordert wird, jeden "Extremismus" abzulehnen. Dann schlägt rasch die Stunde des Verfassungsschutzes. Verfassungs- bzw. staatsschützerisch wird schon immer festgeschrieben, wer alles "extremistisch" ist. Deutlich wird, dass es um die Prüfung der Gesinnung geht. Die Bürger sind jedoch grundgesetzgemäß nicht einmal auf eine verfassungskonforme Gesinnung festgelegt.

Gerade die Abscheu gegenüber rassistischem, antisemitischem und nationalistischem Gedankengut muss zu der Erkenntnis führen, dass das Gegenteil von Faschismus nicht Antifaschismus ist, sondern demokratische Kultur (vgl. Annette Kahane: Ich sehe was, was Du nicht siehst). Das Gegenteil einer ideologischen Gesellschaft ist die Vielfalt, nicht eine neue starre Ideologie.

Der Boden wird in der Mitte bereitet

Wer dem braunen Treiben begegnen will, muss wahrnehmen, dass der Nährboden für solches Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft bereitet wird. Ausländerfeindliche, rassistische, antisemitische und nationalistische Meinungen reichen längst weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Der Ruf nach dem starken und mächtigen Staat kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Vorstellungen von einer autoritär geordneten, homogenen Gesellschaft - wie sie auch der extremen Rechten entsprechen - spricht viele aus der politischen Mitte an. Dort findet jeder Ruf nach staatlichem Verbot, danach, Freiheitsrechte einzuschränken, Zustimmung.

Eine Forschungsstudie belegt, die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland sei seit 2002 stark gestiegen. Fast 60 Prozent stimmten Ende 2004 der Meinung zu, "es leben zu viele Ausländer in Deutschland" (taz, 3.12.04). Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, vermutet in einem Interview mit der taz (3.12.04) ein rechtspopulistisches Potenzial von zirka 25 Prozent.

Diese r Entwicklung wird durch die unterschwellige Fremdenfeindlichkeit der offiziellen Politik entsprochen: Von der "Das Boot ist voll"-Abwehrpolitik gegenüber allen Migrantinnen und Asylsuchenden bis zum kaum noch verborgenen Anti-Islamismus, insbesondere seit dem 11.9. und den folgenden Terroranschlägen im westlichen Europa. Man lese nur das Interview mit Schily (SZ, 3.8.05), in der er Vorbeugehaft auf Grund ungewissen Verdachts fordert. Die darin offen geäußerte Arroganz und Überheblichkeit nicht nur einem sogenannten Islamismus, sondern dem Islam gegenüber ist fast noch erschreckender. Er fordert eine "gewisse Bewusstseinsveränderung in der islamischen Welt". "Der Islam" habe "sein Verhältnis zu Staat und Gesellschaft im Sinne der europäischen Moderne" neu zu bestimmen.

Wird nicht Rassismus gefördert, wenn Ausländer mit Residenzpflicht und Arbeitsverbot belegt werden, wenn von Politikern unterschieden wird zwischen Ausländern, die uns nützen, und solchen, die uns ausnützen? Fördert es nicht schon nationalistisches Denken, wenn "deutsche Interessen" weltweit "verteidigt" werden sollen? Erschreckt es nicht, wenn in Mittenwald alljährlich zu Pfingsten Gebirgsjäger, die alten nationalsozialistischen vereint mit denen aus der Bundeswehr, inmitten dieser Gesellschaft feiern, ohne bleich zu werden angesichts der von ihnen begangenen massenweisen Mordtaten? Müssen wir nicht erschauern, wenn wir hören, dass Fallschirmjäger alljährlich auf Kreta unter dem Deckmantel des Totengedenkens ihren dortigen Einmarsch feiern?

Die mangelnde politische und finanzielle Unterstützung derjenigen Gruppen und Einzelnen, die sich dem braunen Terror entgegenstellen und Hilfe anbieten, ist die Kehrseite dieser Indolenz, die aus der Mitte kommt.

Die extreme Rechte politisch bekämpfen!

Eine Frage bleibt. Was kann gegen rechte Aufmärsche getan werden? Wie kann der Protest gegen solche Aufzüge zum Ausdruck gebracht werden? Wie kann das demokratische Ziel ins Zentrum des Protestes gerückt werden?

Auch wenn zwei Demonstrationen, die sich vor allem gegeneinander richten, für die Polizei ein Problem darstellen, darf es deshalb keine Demonstrationsverbote geben. Diesem Konflikt kann nicht mit Verboten und Strafrechtsnormen begegnet werden. Demokratisch nicht hinzunehmen sind die Einschränkungen der Versammlungsrechte der Gegendemonstrierenden, die strafrechtliche Verfolgung von Demonstrierenden und von Mitgliedern der "antifa". Gegen diejenigen, die zum Protest gegen den NPD-Aufmarsch aufrufen, darf es kein strafrechtliches Vorgehen geben. So geschehen in München und Wuppertal. Hausdurchsuchungen, wie bei denjenigen (27.8.05), die dazu aufgerufen haben, sich dem rassistischen Wahlkampf der NPD entgegenzustellen, sind zutiefst antidemokratisch.

In den Mittelpunkt des Protestes sollten demokratische Qualitäten gerückt werden. Anzusprechen sind die Öffentlichkeit und die herrschende Politik. Die öffentliche Austragung des Konflikts ist geboten, nicht dessen Verstecken und Unsichtbarmachen. Der Streit um die Demokratie ist offen zu führen. Ein erzwungener Konsens beinhaltet Gewalt. Demokratie muss täglich neu begründet und verteidigt werden.

Mit argumentativer Überzeugungskraft ist den Feinden der offenen Gesellschaft zu begegnen. Der Protest sollte jedoch auch mit Witz und Phantasie den braunen Zumutungen begegnen. Nicht ein verbissener Kampf ist weiterzuführen. Wir müssen ihnen auch in unseren Formen widersprechen. Der braunen Einfalt kann beispielsweise mit Spott und Hohn begegnet werden . Der Vielfalt muss Raum gegeben werden. Den Schutz der Demokratie darf man jedenfalls nicht in die Hände der Staatsgewalt legen.

Anlass zu Sorgen geben allerdings weniger die "rechten" Demonstrationen. Auch die inzwischen wieder schrumpfenden "nationaldemokratischen" Wahlerfolge stellen nicht das eigentliche Problem dar. Das politische System ist nicht gefährdet. Viel schlimmer ist die von rechts ausgeübte Gewalt und ist die Drohung mit Gewalt. Sie führt dazu, dass Minderheiten in einer von Angst und Gewalt geprägten Situation leben müssen. Dagegen ist bürgerlicher Schutz zu organisieren. Aber auch in diesem Kontext werden eher langfristig angelegte Projekte gegen "Rechtsextremismus und Gewalt" helfen, die als Streit für mehr Demokratie und Toleranz angelegt sind (vgl. Roland Roth: Gegenfeuer oder Strohfeuer?)

Artikel von Elke Steven aus dem Jahrbuch 2004/2005 des Komitee für Grundrechte und Demokratie pdf-Datei

Anmerkungen

1) In § 1, Abs. 2 Versammlungsgesetz heißt es seit Frühjahr 2005: "Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn 1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und 2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Ländergesetz bestimmt."

2) In § 130 StGB heißt es seitdem: "Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt."

Literaturhinweise

  • Annette Kahane: Ich sehe was, was Du nicht siehst. Berlin 2004
  • Roland Roth: Gegenfeuer oder Strohfeuer? Die Programme gegen Rechtsextremismus und Gewalt. In: Forschungsjournal NSB 16, Heft 4, 2003

Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang