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Updated: 18.12.2012 15:51
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Grauzonen

Rechtliche Grundlagen der Überwachung im Betrieb – ein Gespräch mit Achim Neumann*

Im letzten express hatten wir ausführlich über die lange Tradition der Bespitzelung von Beschäftigten in Einzelhandelsunternehmen berichtet – einschließlich der im wahrsten Sinne des Wortes oft beschissenen Arbeitsbedingungen der Detektive. Dass der Grundrechtekonflikt zwischen Schutz des Privateigentums und Persönlichkeitsschutz insbesondere auf betrieblicher Ebene zu Lasten des Letzteren ausgeht, ist ›Dank‹ der Skandale in den Discountern mittlerweile auch in der breiteren Öffentlichkeit Thema. Oft ist jedoch nicht klar, wo die Grauzonen beginnen und enden. Der Frage nach den juristischen Möglichkeiten und Grenzen der Überwachung im Betrieb sind wir in dem folgenden Gespräch mit Achim Neumann nachgegangen. Dass bezüglich der Rechte der Beschäftigten dringender Nachbesserungsbedarf besteht, ist mittlerweile auch auf parlamentarischer Ebene angekommen. Die Grünen haben einen Antrag mit der Aufforderung zur näheren Befassung mit dem Thema in den Bundestag eingebracht, die Linksfraktion sitzt an einem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten.

Anton Kobel: Noch gilt die BRD ja nicht als Überwachungsstaat. Die Vorgänge um die Discounter Lidl und Co. lassen aber den Schluss zu, dass es hier eine Grauzone gibt. Darf eigentlich allgemein überwacht werden?

Achim Neumann: De facto wird permanent überwacht. Nicht nur bei Lidl – mit Abstand immer noch die Nummer 1 der Bespitzelung –, bei Plus, Edeka, Famila, Rewe, Tegut, Penny, Norma, wie der Stern offensichtlich mit Hunderten von Protokollen belegen kann. Dies dokumentiert die von ver.di Handel schon seit langem behauptete Breite der Bespitzelung und Überwachung. Überwacht wird jedoch nicht nur in Unternehmen und bei den Beschäftigten, sondern auch in Kundenbereichen, z.B. an der Käsetheke, sowie im öffentlichen Raum in sog. sicherheitsrelevanten Bereichen und demnächst in unseren Heimcomputern.

Auf der betrieblichen Ebene muss es bei Kontrollen immer um eine saubere Interessenabwägung gehen. Da ist zum einen das Interesse des Unternehmers am Schutz seines Eigentums und zum anderen das Interesse des Beschäftigten am Schutz seiner Persönlichkeitsrechte.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Schutz des vertraulich gesprochenen Wortes zu erwähnen, d.h. den Adressaten des eigenen Wortes auch selbst bestimmen zu können, und das Recht auf das eigene Bild, d.h. selbst bestimmen zu können, ob Videos angefertigt werden, ob sie verwertet und weitergegeben werden dürfen. All das zählt zur »informationellen Selbstbestimmung«. Das Bundesverfassungsgericht hat deren Geltungsbereich vor Jahren sehr genau umrissen und dabei den Schutz der Privatsphäre sowie den Schutz der Intimsphäre weitgehend durch das Datenschutzgesetz garantiert. Es hat aber den dritten Bereich, die so genannte Sozialsphäre, also die Sphäre des Arbeitsplatzes, leider nur mit einem geringeren Schutz ausgestattet.

Das hängt damit zusammen, dass am Arbeitsplatz eben noch andere, auch grundgesetzlich garantierte Unternehmerrechte gelten. Aus dem Recht, ein Unternehmen zu gründen, folgt das Recht auf Schutz seines Eigentums. Das beinhaltet grundsätzlich auch ein Selbsthilferecht, zur Abwehr von Diebstahl Kontrollen und Überwachungen durchzuführen, dies allerdings nur bei Vorliegen massiver Verdachtsmomente.

Deshalb fordern wir seit Jahren vom Gesetzgeber ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz bzw. eine entsprechende Ergänzung im bestehenden Datenschutzgesetz. Des weiteren eine drastische Erhöhung der Sanktionen bei Verstoß gegen das Gesetz. Außerdem muss der Schutz der Betriebsratswahl, der Wahlvorstände und der Kandidaten in den filialisierten Vertriebsformen des Einzelhandels deutlicher im Betriebsverfassungsgesetz fixiert werden.

Anton Kobel: Lidl ist mit seiner Überwachung zwar weit darüber hinaus gegangen, doch die Unternehmen berufen sich üblicherweise darauf, dass sie sich mit ihren Videoüberwachungen vor Diebstahl schützen wollen. Was ist hier erlaubt, was nicht?

Achim Neumann: Der Kontrollwut der Unternehmen in Bezug auf Bespitzelung und Lauschangriffe sind enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Unternehmer den Beschäftigten gegenüber auch Fürsorgepflichten hat, z.B. deren körperliche Unversehrtheit und den Schutz der Persönlichkeit zu garantieren. Darüber hinaus gilt: Eine totale Überwachung durch Videospionage und Lauschangriffe ohne dringenden Tatverdacht, über längere Zeiträume hinweg oder ganze Gruppen von Menschen betreffend, überschreitet die Grenzen des Rechtsstaates eklatant.

Überwachung ist nur zulässig bei einem konkreten Tatverdacht, es muss also konkrete Anhaltspunkte für eine kriminelle Handlung geben, unterlegt mit harten Fakten, beschränkt im Umfang und beschränkt auf einen bestimmten Personenkreis. Darüber hinaus müssen, bevor eine Überwachung stattfindet, andere Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein. Das kann z.B. ein klärendes Gespräch mit den Verdächtigten und der Hinweis auf die Unterlassung von Verfehlungen sein.

Abhöranlagen wie z.B. Wanzen sind verboten. Strafwürdig ist auch die verdeckte Videoüberwachung, insbesondere wenn sie mit Audioüberwachung einhergeht. Da mag dann vielleicht den Beschäftigten gesagt worden sein, dass die Kameras zur Abwehr von Diebstahl eingebaut werden, verschwiegen hat man ihnen aber offensichtlich, dass das alles aufgezeichnet, gespeichert, ausgewertet, in Protokollen festgehalten wird, bis hin zum Toilettengang, und zusätzlich noch ihre vertraulichen Gespräche unter KollegInnen mitgeschnitten und ausgewertet werden.

Hier werden die Beschäftigten nicht nur von ihren Vorgesetzten getäuscht, sondern massiv in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Die bis jetzt bekannt gewordenen Vorgänge sind ungeheuerlich. Unternehmen, die das sozusagen in Auftrag geben, sind asozial. Hier wird die Menschenwürde mit Füßen getreten.

Die Vorgänge sagen aber auch viel aus über das Menschenbild, das die Verantwortlichen bei den Discountern von ihren Mitarbeitern haben: Diese Unternehmen halten ihre Mitarbeiter erstens für faul und zweitens für potentielle Diebe. Sie stellen die Beschäftigten alle unter Generalverdacht, obwohl laut ihren eigenen Angaben nur ca. 25 Prozent der Diebstähle durch Personal verübt werden.

Anton Kobel: Welches Interesse sollten die Unternehmen dann haben?

Achim Neumann: Warum sie das machen? Weil sie es können. Der massive Einsatz der Technik macht eine lückenlose Kontrolle möglich. Sie kann, wie wir jetzt wissen, auf Dauer angelegt sein und wird langfristig durchgeführt. Fakt ist, dass der Überwachungsdruck auf die Beschäftigten enorm wächst.

Wir haben ja bereits 2006, im Schwarzbuch Lidl Europa von Andreas Hamann, darauf hingewiesen, dass es diese protokollierten Überwachungsmethoden bei Lidl gibt. Damals wurde behauptet, das seien Einzelfälle. Zugegeben werden heute allein von Lidl über 200 »Einzelfälle«, und das in nur vier Bundesländern. Welche Logik spricht dagegen, dass es dies auch in den anderen Bundesländern gibt? 150 Einzelfälle kommen jetzt bei anderen Discountern dokumentiert hinzu. Also mindestens 350 Einzelfälle? Nein. Das hat System.

Zurück zu Deiner Frage, warum sie das machen: Diebstahl vorbeugen mag das eine Interesse sein. Das ist die offizielle Lesart von Lidl und Co. Sie wollen aber mehr. Unternehmen wollen Informationen über Arbeitsabläufe, Informationen über Personen, Informationen über Leistungsfähigkeit und über das Verhalten von Beschäftigten. Mit anderen Worten: Sie wollen ihre Kostenstruktur und ihre Arbeitsorganisation optimieren. Soweit, so schlecht für die, die rausgeschmissen werden, deren Leistungsdruck sich erhöht, deren Verhalten kontrolliert und manipuliert wird, die in einem Klima der Angst vor Verlust der sozialen Sicherheit und Verlust des Arbeitsplatzes ihren Niedriglohnjob ausüben müssen.

Da ist die Überwachung durch Video und Audio nur die technische Spitze des Eisbergs. Es gibt weit mehr Methoden der Ausforschung im Handel, besonders bei den Discountern. Die Einweg-Glasscheibe im Laden haben wir sicher alle schon mal gesehen. Kontrolle durch Vorgesetzte, auch Überwachung, ist fast normal. Fürsorgliche Fragen nach dem »Wohlergehen« von KollegInnen werden häufig als Aufforderung zur Denunziation begriffen. Taschenkontrollen, Testkäufe, Testdiebstähle als so genannte Ehrlichkeitstests etc. werden zwar mit Zorn, aber eben doch oft hingenommen. Bespitzelung durch Detektive, nicht nur hinter Lochwänden, besonders Bespitzelung von Betriebsräten, ist ebenfalls ein probates Mittel der Ausforschung.

Anton Kobel: Gibt es außer dem Datenschutzgesetz andere Wege, Beschäftigte zu schützen? Wie können Beschäftigte sich wehren?

Achim Neumann: Zu nennen sind zunächst die individuellen Möglichkeiten, die jede und jeder Beschäftigte hat, sich zivilrechtlich oder auch arbeitsrechtlich zu wehren, das heißt z.B. gegen rechtswidrige Speicherung ihrer Daten, also auf Herausgabe, wenigstens auf Beseitigung der Daten zu klagen. Die Klagen von Mitarbeitern könnten hier auch auf Unterlassung in der Zukunft lauten – und wären nach Experteneinschätzung wohl erfolgreich. Denkbar ist auch eine Klage auf Schmerzensgeld, weil ja die Gesundheit und die Psyche verletzt und angeschlagen sein kann. Das Problem ist, dass die MitarbeiterInnen einen tatsächlichen, durch die Rechtsverletzungen von Lidl und Co. ausgelösten »Schmerz« nachweisen müssten. Das ist zwar durchaus möglich, aber arbeitsrechtliche Beispiele gibt es bislang offenbar nicht. Dafür als Beschäftigter, als schwächstes Glied in der Kette, eine eventuelle Kündigung zu riskieren, ist zumindest eine Frage der Abwägung.

Der bislang einzig erfolgversprechende Weg, seine Interessen, seine Privatsphäre, seine Intimsphäre nicht ausforschen zu lassen, die Leistungs- und Verhaltenskontrolle zu minimieren und aus einem Klima der Angst bei den Discountern ein sozialverträgliches Klima der Verständigung, des Miteinander zu machen, ist die Durchsetzung des Betriebsverfassungsgesetzes.

Das kann aber nur durch Betriebsräte durchgesetzt werden. Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte, wenn es um die Einrichtung von technischen Anlagen z.B. Videoüberwachung geht. Sie sind in der Mitbestimmung, wenn es um die Ordnung im Betrieb und das Verhalten von Mitarbeitern geht. Ohne das OK des Betriebsrates darf der Unternehmer hier nicht allein und willkürlich bestimmen. Tut er es dennoch, hat ein Betriebsrat vielfältige Sanktions-Möglichkeiten, dies zu unterbinden.

Das ist auch die Hoffnung vieler Beschäftigter bei LIDL und all den anderen Discountern, durch die Errichtung von Betriebsräten einen rechtsstaatlich funktionierenden Laden mit mehr Schutz für die Mitarbeiter zu haben. Es ist aber für uns als Gewerkschaft zugleich die Krux, in diesen offen gewerkschaftsfeindlichen und betriebsratsfeindlichen filialisierten Vertriebsformen des Einzelhandels Fuß und Tritt zu fassen. Eine gewiss schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe. Wir arbeiten dran.

* Achim Neumann ist Gewerkschaftssekretär bei ver.di Handel, Berlin

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/08


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