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Updated: 18.12.2012 15:51
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Immer wieder neu anfangen?

Neue Arbeitskampfformen und JwJ Deutschland – ein Beitrag zur Debatte von Wilfried Schwetz*

Im letzten express hatte Anton Kobel in einer Sammelbesprechung an neue und alte Arbeitskampfformen neben und während des Streiks erinnert und nach den Voraussetzungen einer oft als gegeben angenommenen Arbeitskampffähigkeit gefragt. Daran anknüpfend schlägt Wilfried Schwetz in seinem folgenden Bericht eine Brücke zu den »lokalen Bürgerkomitees« nach dem Vorbild von »Jobs with Justice« in den USA.

Auf den Vorschlag zur Gründung einer Organisation nach dem Vorbild von Jobs with Justice (JwJ) in den USA, der im express, Nr. 12/2007 erschienen war, gab es leider nur eine Reaktion: Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des niederländischen FNV, der einen »trade union renewal«-Blog betreibt, fragte an, ob er einen Hinweis in seinem Blog aufnehmen könne [1] und berichtete von ähnlichen Bemühungen zur Etablierung von Gewerkschafts-/»community«–Netzwerken in den Niederlanden.

Jobs with Justice war 1987 in Washington gegründet worden, um Kontinuität in die gewerkschaftlich-zivil-gesellschaftliche Zusammenarbeit zu bringen und mehr Macht für Beschäftigte und »Communities« aufzubauen. Die Themen von JwJ sind die Themen der Lohnabhängigen: Verletzung von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten, Niedriglohn und prekäre Beschäftigung, Situation von MigrantInnen und Krankenversicherung. Die Themen werden kampagnen- und gemeinwesenorientiert bearbeitet, im Bündnis mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und als Möglichkeit zu einem aktiven Engagement für alle BürgerInnen und Gewerkschaftsmitglieder unabhängig von ihrer verbandsmäßigen Zugehörigkeit.

Ich möchte den Beitrag von Anton Kobel zu neuen und alten Arbeitskampfformen im express, Nr. 2-3/2008 aufgreifen, um auf die Verbindung zwischen beiden Themen hinzuweisen.

Bei vielen Arbeitskampfformen, die Anton vorschlägt, handelt es sich um Taktiken sozialer Bewegungen, die einer engen Einbindung an die örtlichen Gemeinwesen bedürfen, um ihre Wirksamkeit zu entfalten. Für gewerkschaftliche Aktionen gilt dies ebenfalls, ganz besonders bei der Organisation von Boykotten. Anton fragt zu Recht, warum all diese Möglichkeiten des Ungehorsams und der Widerständigkeit von ver.di nicht genutzt werden und stattdessen an wirkungslosen Arbeitskampfformen festgehalten wird. Ich stelle mir die Frage, ob solche Initiativen wirklich aus den unterbesetzten und überarbeiteten Apparaten heraus zu erwarten sind. Zumeist bedarf es dafür Anstöße von außen, von Leuten initiiert, die am Rande der Organisation stehen oder in anderen sozialen Bewegungen verortet sind. Die Frage ist daher: Wie kann man solche Veränderungsprozesse beschleunigen?

Selbst wenn alternative Arbeitskampfformen oder länger andauernde Kampagnen gewollt sind, besteht noch das Problem, dass die DGB-Gewerkschaften in ihrer Breite ziemlich schlecht in der »Szene« verankert sind. Die Einbindung in soziale Bewegungen und ›Alternativkultur‹ ist schwach und eher die Ausnahme, oft auch aus kulturellen Abneigungen heraus. Von einer aktiven Mitgliederbasis, die an phantasievollen gewerkschaftlichen Aktionen im Gemeinwesen teilnehmen, für sie werben und mobilisieren, sie vorbereiten und letztlich auch tragen würden, kann meist nicht gesprochen werden.

Ich glaube, diese Tatsache verhindert, dass alternative Arbeitskampfformen aufgegriffen werden bzw. auch tatsächlich durchgeführt werden könnten. Die Anbindung an soziale Gruppen vor Ort und eine genügend große Unterstützer- und Aktivengruppe von Mitgliedern wie Sympathisanten müsste immer erst hergestellt werden, was mühselig, zeitraubend und nicht immer erfolgreich ist.

Für die Anwendung von Arbeitskampfformen jenseits des Streiks, die einer Einbindung in das örtliche Gemeinwesen bedürfen und die »community« einschließlich der Gewerkschaftsmitglieder aller Sparten mobilisieren, fehlen also m.E. in den meisten Fällen einfach die organisatorischen Voraussetzungen.

Ein Beispiel: Im April vergangenen Jahres hatten Thomas Greven (Organisierung & Kampagnen, OrKa) und ich auf Bitte der United Steelworkers für deren Druckkampagne gegen die Continental AG in der Woche der Conti-Hauptversammlung, neben anderen Aktionen, ein Workers’ Rights Board gegründet (wir nannten es »Bürgerkomitee Continental«). Hintergrund war der Kampf der USW um die Krankenversicherung ihrer Pensionäre aus zwei Continental-Reifenwerken in den USA. Die Krankenversicherungsbeiträge waren von der Firma derartig gekürzt worden, dass viele Pensionäre vor der »Wahl« standen, einen Großteil der Pension für die Krankenversicherung aufzuwenden oder diese zu verlieren. Der Plan war, dass betroffene Pensionäre aus den USA und Gewerkschaftsvertreter einem Komitee aus ›ehrbaren‹ Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hannover berichten, wie ein in ihrer Stadt ansässiges Unternehmen mit seinen (ehemaligen) MitarbeiterInnen umgeht. Gemäß der üblichen Praxis der Workers’ Rights Boards wurde das Bürgerkomitee um eine öffentliche Empfehlung an die Continental AG gebeten.

Da es in Hannover keinerlei Strukturen gab, die den lokalen Gruppen von Jobs with Justice in den USA vergleichbar wären, galt es, ein solches Komitee für diesen Anlass zusammenzustellen – was sich schnell als ein überaus schwieriges Unterfangen herausstellte. Die wenigsten Angesprochenen waren bereit, sich mit dem Fall auseinander zu setzen und sich öffentlich zu positionieren.

Ein glücklicher Umstand war jedoch, dass in Hannover auf bereits bestehende Solidaritätsaktivitäten für Belegschaften der Continental AG in Mexiko zurück gegriffen werden konnte (Euzkadi in früheren Jahren, aktuell zum Werk in San Luis Potosi), die auch von attac Hannover mitgetragen werden. So kamen nicht nur aus den USA, sondern auch aus Mexiko Beschäftigte und Gewerkschaftsvertreter nach Hannover zur Hauptversammlung. Die Fälle USA und Mexiko konnten damit in einer größeren Aktionswoche zusammengefasst werden – u.a. wurden mit Hilfe der »Kritischen Aktionäre« Rederechte auf der Hauptversammlung organisiert. Das »Bürgerkomitee Continental« und die anderen Aktionen liefen sehr erfolgreich, der Konzernvorstand sah sich gezwungen, auf der Hauptversammlung den Problemen der US-amerikanischen und mexikanischen Arbeiter großen Raum einzuräumen, und die Aktivitäten erzielten hohe mediale Aufmerksamkeit.

Anlässlich einer weiteren Reise von Reifenarbeitern aus den USA kam das Bürgerkomitee dann im folgenden November noch einmal zum Einsatz, und es konnte für die US-Reifenwerke die Aufnahme ernsthafter Verhandlungen erreicht werden. [2] Eine Verbreiterung in Kirchen, Sozialverbände, Rentnerorganisationen hinein misslang jedoch weitgehend – einzig die ver.di-SeniorInnen waren ansprechbar. Ad hoc funktioniert so etwas eben nicht so einfach.

Was sich an diesem Beispiel zeigt und worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, ist m.E. folgendes Problem: Wenn man nicht bei Null hätte anfangen müssen, wäre durchaus mehr möglich gewesen, und das bei weit geringerem Aufwand. Vor allem muss verhindert werden, dass die jeweils mühsam aufgebauten Strukturen nach Abschluss einer Solidaritäts-Aktion oder Kampagne wieder zerfallen und für andere Gelegenheiten zu anderen Themen wieder neu aufgebaut werden müssen.

Vereinzelt haben sich ja bereits so etwas wie Unterstützergruppen für gewerkschaftliche Aktionen gebildet, bei vielen attac-Gruppen findet man Unterstützer und da, wo es Sozialforen gibt, auch. Diese Ansätze sollten auf ein ›höheres Niveau‹ gebracht und verstetigt werden. Dies war Anliegen meines Vorschlags, über die Schaffung eines Netzes lokaler Bündnisse nach dem Vorbild von Jobs with Justice nachzudenken – als Aktionsbündnis von lokalen Gruppen wie Einzelpersonen, die sich um die Unterstützung gewerkschaftlicher Kämpfe wie auch der Initiierung von Kampagnen durch kreative Aktionen kümmern.

Z.B. PIN-Boykott?

Zum Schluss ein Beispiel, was aus solch einem Bündnis heraus entstehen könnte: Stichworte sind PIN und Boykotte. Die hannoverschen Stadtwerke versenden ihre Post, wie die hannoversche Stadtverwaltung auch, mit PIN. Ein Skandal. Während man bei der Stadtverwaltung nicht so einfach etwas dagegen machen kann, ist dies bei den Stadtwerken relativ einfach möglich: man kann kollektiv androhen, den Stromanbieter zu wechseln. Das wäre eine schöne Kampagne für ein lokales JwJ-Bündnis – und sicher in vielen anderen Städten auch notwendig und möglich.

Es gilt, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen aktiv werden – und dafür braucht es eine Schnittstelle zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in der Kommune, lokal orientiert, aber bundesweit vernetzt.

* Wilfried Schwetz, Diplom-Sozialwirt/M.A., arbeitet zu strategischen Recherchen und gewerkschaftlichen Kampagnen sowie alternativen Arbeitskampfformen. Kontakt: wilfried.schwetz@htp-tel.de

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/08


(1) http://unionrenewal.blogspot.com/2008/ externer Link

(2) Mehr Infos zu dem Konflikt sowie die beiden Empfehlungen des Bürgerkomitees gibt es im labournet: http://www.labournet.de/branchen/chemie/conti/index.html. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.


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