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Updated: 18.12.2012 15:51
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Praktisch Boykottieren

Wal-Mart, Coca Cola, AEG - Druck auf Multinationale

Nach der »kleinen Boykottkunde« (s. express Nr. 1/2006) nun die Praxis zur Theorie. Im Folgenden befasst sich Wilfried Schwetz mit aktuellen Boykottaktionen aus unterschiedlichen Zusammenhängen: der »Send Wal-Mart Back to School Campaign« in den USA, dem internationalen Coca Cola-Boykott und dem Boykott von Electrolux-Haushaltsgeräten im Zuge der AEG-Standortschließung in Nürnberg. Gemeinsam ist den drei Beispielen, dass sie ihren Ausgangspunkt in Arbeitskonflikten haben. Damit lässt sich an unsere Reihe zu »neuen/alten Arbeitskampfformen« anschließen.

»Send Wal-Mart Back to School«

Am 10. August 2005 haben das Internetportal »wakeupwalmart.com« und die beiden größten US-Bildungsgewerkschaften, die National Education Association (NEA) und die American Federation of Teachers (AFT), den größten Einzelhändler und Arbeitgeber des Landes »zurück auf die Schulbank« geschickt. [1] Beide Gewerkschaften repräsentieren ca. vier Millionen Erzieher und Lehrer, das Portal »wakeupwalmart.com« ist ein Projekt der United Food and Commercial Internationale Union (UFCW).[2] Andere Gewerkschaften schlossen sich der Kampagne an. Startpunkt der Kampagne waren koordinierte Pressekonferenzen in 35 Städten und 24 Bundesstaaten, gefolgt von zwei Aktionstagen am 20. August und am 5. September, dem Labour Day.

In der Kampagne werden Wal-Mart Verfehlungen in fünf Bereichen vorgeworfen, wobei die direkten Auswirkungen auf die Beschäftigten mit den Schäden für die Allgemeinheit in Verbindung gebracht werden. Mit diesem Vorgehen soll den Kunden bewusst gemacht werden, welche Kosten die Billig-Strategie Wal-Marts verursacht und dass sie selbst es am Ende auch sind, die »die hohen Kosten niedriger Preise« - so ein Slogan der Kampagne - zu tragen haben. Die fünf Hauptkritikpunkte sind [3]:

  • Armutslöhne: Wal-Mart zahlt seinen Beschäftigten zu geringe Löhne, um eine vierköpfige Familie über der Armutsgrenze zu halten.
  • Kein oder unbezahlbarer Krankenversicherungsschutz: Weniger als der Hälfte seiner Beschäftigten gewährt Wal-Mart überhaupt eine Absicherung gegen Krankheitsrisiken. Ausgeschlossen sind alle Beschäftigten, deren Beschäftigungsdauer eine bestimmte Anzahl von Jahren unterschreitet und Teilzeitbeschäftigte unter einer - erst kürzlich von Wal-Mart heraufgesetzten - Stundenzahl. Zusätzlich frisst die Zuzahlung der Beschäftigten zur betrieblichen Krankenversicherung bei Wal-Mart 42 Prozent des Einkommens, so dass nur 31 Prozent der Beschäftigten diese Versicherung nutzen.
  • Missbrauch der Steuerzahler: Armutslöhne und fehlende Krankenversicherungen haben zur Folge, dass viele Wal-Mart-Beschäftigte durch finanzielle Beihilfen und staatlich finanzierte Gesundheitsdienste unterstützt werden müssen. Die Steuerzahler subventionieren die billigen Preise. Der Konzern, der sich vehement für Privatschulen einsetzt und Lobbyarbeit gegen öffentliche Schulen macht, hat es zudem geschafft, Steuergelder für Privatschulgebühren zu mobilisieren.
  • Frauendiskriminierung: Wal-Mart wird vorgeworfen, dass Frauen für die selbe Tätigkeit weit schlechter bezahlt werden als Männer - der Unterschied beträgt bis zu 5000 US-Dollar pro Jahr.

    Kinderarbeit: Wal-Mart ist wiederholt für die Verletzung von Gesetzen gegen Kinderarbeit verurteilt worden.

Der Slogan »Send Wal-Mart Back to School« ist nicht nur als ironisches Wortspiel gemeint, sondern verweist auf den Kernpunkt der Kampagne: Die Kunden Wal-Marts werden aufgefordert, die Artikel für das neue Schuljahr nicht bei Wal-Mart zu kaufen. Sie sollten damit kundtun, dass sie mit den Geschäftspraktiken Wal-Marts nicht einverstanden sind. Beide Lehrergewerkschaften wiesen ausdrücklich auf die negativen Folgen einer schlechten Gesundheitsversorgung für den Schulerfolg hin. Kunden konnten sich in Listen eintragen, mit denen erklärt wurde, dass die Unterzeichnenden ihre Schulartikel in diesem Jahr woanders kaufen würden. Während der Aktionstage machten die Boykott-Initiatoren auf Kaufalternativen in gewerkschaftlich organisierten Geschäften aufmerksam.

Interessant an diesem Boykott ist die Tatsache, dass es sich dabei um einen zeitlich befristeten und selektiven Boykott handelt. Er umfasste nur Schulartikel und dauerte nur wenige Wochen an. Damit wurde verhindert, dass der Boykott ergebnislos verpuffte, er hatte einen klar definierten Zeithorizont und zog in intelligenter Weise eine Verbindung zwischen den boykottierten Produkten und den kritisierten Geschäftspraktiken: Die Auswirkungen der schlechten Arbeitsbedingungen und Versicherungsleistungen auf die Kinder und die finanziellen Kosten für den Steuerzahler, d.h. für die Kunden von Wal-Mart: »Sparen Sie 50 Cent, wenn Sie zu Wal-Mart einkaufen gehen - oder bezahlen Sie dafür das Dreifache?«, so die Frage von John Durso, Vorsitzender der Long Island Federation of Labor (ILCA) an die KonsumentInnen. [4] Eine solche Boykottaktion ist auch mit relativ geringen Mitteln durchführbar, sie kann und soll ggf. im kommenden Jahr wiederholt werden.

Die Aufnahme von Verhandlungen mit Wal-Mart war nicht das Ziel der »Send Wal-Mart Back to School«-Aktion, solche waren angesichts der anti-gewerkschaftlichen Haltung Wal-Marts auch nicht zu erwarten. Die Aktion ist vielmehr Teil einer langfristigen Kampagne, das Unternehmen über äußeren Druck so zu verändern, dass die Mitarbeiter sich gewerkschaftlich organisieren und mit den Missständen aufräumen können. Neben der Organisierung von solchen Boykottaktionen gehören zu der Kampagne auch politische und rechtliche Druckmittel, z.B. um Wal-Mart zu zwingen, existenzsichernde Löhne, d.h. sog. »living wages« zu zahlen, oder um gegen die Bulldozermethoden, die Wal-Mart bei der Ansiedlung neuer Supermärkte verfolgt, zu protestieren.

Coca Cola tötet

Obwohl bereits vor mehr als zwei Jahren ausgerufen, erfährt der Boykott gegen Coca Cola erst jetzt breitere Aufmerksamkeit - und scheint mittlerweile auch mehr Fahrt aufzunehmen. Nicht zuletzt die Berichterstattung über die Verbannung von Coca Cola aus einigen Kantinen von US-Universitäten und die Protestaktionen in Italien im Vorfeld der Olympischen Spiele dürften für die Verbreiterung des Boykotts gesorgt haben.

Soziale Bewegungen, Gewerkschaften und NGOs aus vielen Ländern erheben schwere Vorwürfe gegen Coca Cola. Dabei geht es um »den Gebrauch, direkt oder indirekt durch ihre Partner, von Gewalt; Verletzung von Arbeitsrechten; Misshandlung; Teilnahme oder Finanzierung von Oppositionsbewegungen gegen demokratisch gewählte Regierungen, um ihre wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Die Firma ist angeklagt der Rassendiskriminierung, der nicht nachhaltigen Benutzung von Wasser und der Schädigung der Umwelt«. [5]

Ausgangspunkt für den Boykott waren Menschenrechtsverletzung in Kolumbien. Die International Campaign against Coca Cola macht Coca Cola International und ihre kolumbianischen Tochterfirmen verantwortlich für die Ermordung von neun Mitgliedern der Gewerkschaft Sinaltrainal seit 1990, für Todesdrohungen in 64 Fällen sowie für 16 Verhaftungen aufgrund ungerechtfertigten Terrorismusvorwurfs und schließlich für Vertreibung und Exil weiterer 50 Mitglieder. Coca Cola habe sich dabei der Dienste kolumbianischer Paramilitärs, von Armee und Polizei zum eigenen Vorteil bedient. Paramilitärs zeichnen auch verantwortlich für den Coup im Jahre 1996: Nachdem Isidro Gil, Arbeiter bei Coca Cola und Verhandlungsführer von Sinaltrainal, auf dem Firmengelände von Bebidas y Alimentos, einer Tochterfirma von Coca Cola in Carepa, von Todesschwadronen ermordet worden war, brannten diese anschließend das Gewerkschaftsbüro nieder und zwangen die Beschäftigten zum Austritt aus der Gewerkschaft. Nach deren faktischer Auflösung wurden die Löhne um 2/3 auf den gesetzlichen Mindestlohn gekürzt, der Kündigungsschutz aufgehoben und die Krankenversicherung gestrichen.

Im Jahre 2001 hatte Sinaltrainal mit Hilfe der United Steel Workers of America gegen Coca Cola und seine kolumbianischen Partner wegen der Ermordung Isidro Gils Klage in Florida eingereicht. Die Klage gegen die Mutterfirma wurde vom Gericht fallengelassen, ist aber von der Gewerkschaft verändert wieder eingereicht worden. Auf den Weltsozialforen 2002 und 2004 sowie auf mehreren Tribunalen war Coca Cola Thema. Dort wurde Kritik an Coca Cola auch aus anderen Ländern laut, u.a. Indien, Guatemala, Venezuela und zuletzt der Türkei. Auf Pressekonferenzen in Bogota, Rom und Chicago wurde dann zum Boykott von Coca Cola aufgerufen, doch folgte dem zunächst nur eine laue Reaktion des Unternehmens. Anfang 2004 wurde die Boykott-Kampagne mit den indischen Anti-Coca Cola-Aktivitäten verbunden. Die dortigen Proteste richteten sich hauptsächlich gegen Umweltverschmutzung und sinkende Grundwasserspiegel, gefordert wurde eine nachhaltige Nutzung der Wasserressourcen und die Beseitigung der Schäden.

Als Ziele der Boykottkampagne und als Mittel zu ihrer Erreichung werden in der Boykotterklärung genannt: »Kein Konsum von Coca Cola-Produkten, De-Investment von Banken und Firmen, in denen Coca Cola Einfluss hat, und die Organisation von Anklagen und Protesten in allen Formen, die Druck auf Coca Cola ausüben, den angerichteten Schaden zu beheben, ihre Geschäftspolitik zu verändern und zu versprechen, die Menschenrechte ihrer Arbeiter und der Gemeinden allgemein zu achten.« Die zeitliche Dimension des Boykotts ist daher unbegrenzt bis zur Erfüllung dieser Forderungen. Auf dem Weg dorthin sind natürlich diverse Zwischenziele denkbar.

Mittlerweile muss Coca Cola die Sache ernster nehmen. Nach mehrjähriger Lobbyarbeit haben es verschiedene US-Basisgruppen geschafft, die Senate zweier großer und bedeutender Universitäten, der New York University und wenig später der University of Chicago, zu veranlassen, Coca Cola nicht mehr in Kantinen und Automaten anzubieten. Coca Cola hatte eine Frist verstreichen lassen, eine unabhängige Untersuchung der Morde in Kolumbien zuzulassen. Weitere Universitäten und Schulen in den USA, aber auch in Irland, Italien, Kanada, Großbritannien haben sich mittlerweile angeschlossen. Deutsche Unis sind noch nicht dabei. Auch ver.di hat auf dem Bundeskongress 2003 dazu aufgerufen, keine Getränke der Coca Cola Company auf eigenen Veranstaltungen anzubieten. [6] Inwieweit dieser Beschluss umgesetzt wird, ist allerdings zu prüfen.

Besonderes Echo haben die Aktivitäten gegen Coca Cola in Italien hervorgerufen. Coca Cola war einer der Hauptsponsoren der olympischen Winterspiele 2006. Mehrere italienische Gemeinden schlossen sich dem Boykott an, darunter besonders bemerkenswert der Beschluss des Turiner Stadtrats, der im November 2005 den Ausschank von Coca Cola-Produkten in öffentlichen Gebäuden verbot - Turin war immerhin Olympiastadt. Wenig später weigerten sich zwei römische Stadtbezirke, die olympischen Fackelläufer durch ihre Straßen zu lassen - was eine weitere Form des Boykotts, der Verweigerung, darstellt. Die PR-Wirkung des olympischen Fackellaufs wurde für Coca Cola an den Etappenzielen regelmäßig durch Demonstranten beeinträchtigt.

Coca Cola ist auch Hauptsponsor der Fußball-WM in Deutschland und zudem durch eine exklusive Partnerschaft mit dem DFB verbunden: Die Firma finanziert laut telepolis den 2003 gegründeten »Fan Club Nationalmannschaft« und die »Coca Cola Ball Crew«, also die Balljungen/-mädchen. Außerdem seien Fußballgrößen wie Oliver Bierhoff und Michael Ballack als Werbeträger in ihren Diensten.

Gerade die Verbindung von Sport und Coca Cola bietet viele Ansatzpunkte für eine Boykottstrategie. Der Sport hängt sich gerne den Mantel von fair play, Frieden und Völkerverständigung, Gesundheit und Wohlbefinden um. Firmen wie Coca Cola nutzen dieses Image, um ihre Marke mit diesem »emotionalen Mehrwert« aufzuladen und zum Kultobjekt zu machen. Diesem Image kann man durch Boykottaktionen Kratzer zufügen und das Marketingkonzept durchkreuzen. Denkbar wäre, Organisationen (wie z.B. Sportvereine) oder Einzelpersonen (wie Sportstars), die sich durch Coca Cola sponsern lassen bzw. als Werbeträger fungieren, zur Kündigung der Zusammenarbeit aufzufordern, da diese nur wenig Interesse daran haben dürften, dass ihr Image im Fahrwasser von Coca Cola getrübt wird. Denkbar wäre es auch, SportlerInnen zu finden, die öffentlich erklären, dass und warum sie nicht mit Coca Cola zusammenarbeiten.

Gleiches gilt natürlich auch für die Politik. Wie am Beispiel Italiens gesehen, kann man Coca Cola bei den PR-Aktionen behindern, indem z.B. keine öffentlichen Plätze mehr zur Verfügung gestellt werden oder Bürgermeister demonstrativ nicht an solchen Veranstaltungen teilnehmen. In diesem Fall ginge es also um den Boykott von durch das Unternehmen gesponserten Veranstaltungen, doch lassen sich vielfältige Ansätze denken, um die Wirkung des reinen Kaufboykotts zu steigern.

Electrolux - verpasste Chance

Im Dezember 2005 wurde es zur Gewissheit, dass der Konzern Electrolux das AEG-Werk Nürnberg im Laufe des Jahres 2007 schließen und die Produktion nach Polen verlagern will. 1700 Beschäftigte sollten damit ihre Arbeitsplätze verlieren, adäquate Ersatzarbeitsplätze sind im Raum Nürnberg kaum zu finden. Die Nürnberger Haushaltsgerätefertigung war profitabel, der Konzern Electrolux gab für 2005 einen Reingewinn von 190 Millionen Euro bekannt. Eine Produktionsverlagerung war demnach keine Frage des wirtschaftlichen Überlebens, sondern der Profithöhe. In diesem Sinne ist die Aussage von Konzernlenker Straberg, das Nürnberger Werk sei nicht konkurrenzfähig, durchaus zutreffend - wenn man denn die exorbitanten und weit über dem allgemeinen Wirtschaftswachstum liegenden Renditeerwartungen als gegeben ansieht. AEG-Electrolux steht für eine Reinform der Orientierung an Shareholder Value-Interessen, die prinzipiell aber durchaus auch Unterstützung auf parlamentarischer Ebene finden.

Zur Unterstützung der Streikaktionen der AEG-Belegschaft hatte das Sozialforum Nürnberg am 16. Januar 2006 zu einem Boykott aller Electrolux-Produkte aufgerufen. Nach eigenen Aussagen griff das Sozialforum dabei spontane Initiativen aus der Bevölkerung in Richtung Boykott auf. Auch die Beschäftigten von AEG standen hinter der Aktion. Die Auseinandersetzung um die Werksschließung sollte und ist mit der Boykottaktion zur Angelegenheit der gesamten Gesellschaft gemacht worden: als Stoppsignal gegen eine zunehmend aggressiver auftretende Wirtschaftsordnung. Der Boykottaufruf hatte von Anfang an eine internationale Dimension, da auch andere Electrolux-Produktionsstätten in Westeuropa unter Verlagerungsdruck stehen. Das Sozialforum rief daher zu »weltweitem Widerstand gegen die Vorgehensweise von Jobkillern wie Electrolux« auf.

Die weitere Entwicklung der Auseinandersetzung ist weitgehend bekannt und muss hier nicht im Detail wiederholt werden: Das Werk wird geschlossen, und die Belegschaft akzeptierte mehrheitlich den ausgehandelten Sozialtarifvertrag; es konnte noch Einiges herausgeholt werden, die Arbeitsplätze (und Steuereinnahmen) sind jedoch weg.

Damit stellt sich auch die Frage, was der Boykottaufruf bewirkt hatte und was er überhaupt bewirken konnte. Das Sozialforum Nürnberg bezeichnet die Resonanz auf den Boykottaufruf als enorm. Prominente Unterstützer, wie Peter Grottian und Wolf-Dieter Narr, konnten zur Unterstützung gewonnen werden, die mediale Aufmerksamkeit für den Boykott war durchweg hoch, und schon nach relativ kurzer Zeit hatte sich eine stattliche Anzahl an UnterstützerInnen in die Listen eingetragen. Die Wirkung des Boykotts hinsichtlich geringerer Verkaufszahlen von Electrolux-Geräten ist jedoch nur schwer abzuschätzen, auch wenn von relevanten Rückgängen der Verkaufszahlen im Nürnberger Raum berichtet wird. Die Rede ist von minus 46 Prozent, was Electrolux aber umgehend dementierte. Auf jeden Fall kann man eine Beschädigung des Markennamens AEG konstatieren, die nach Einschätzung des Sozialforums noch nachwirkt und Electrolux weiter unter Druck setzt. Die von AEG für die nächsten Monate angekündigte Kampagne zur Wiederherstellung des Images der Firma scheint dies ebenso zu belegen wie Berichte darüber, dass AEG-Geräte zuletzt äußerst günstig angeboten wurden, um den gesunkenen Verkaufszahlen etwas entgegen zu setzen.

Schwer einzuschätzen ist die Wirkung vor allem deshalb, weil zwischen Aufruf und Annahme des Sozialtarifvertrages nur wenige Wochen lagen, der Boykott also wenig Zeit hatte, sich zu entfalten. Und da er aus einer Notlage heraus geboren war, konnte er auch nicht sorgfältig vorbereitet und in eine langfristige Kampagnenstrategie eingebunden werden. Nach seiner Anlage handelte es sich um einen (mehr oder weniger) unbegrenzten, direkten Totalboykott aller Electrolux-Geräte. Eine langfristig geplante Boykottkampagne mit einer gezielteren Vorgehensweise hätte systematischer Vorbereitung und mehr Zeit bedurft.

Wichtig ist auch festzuhalten, dass mit dem Boykottaufruf nicht nur versucht wurde gesellschaftlichen Widerstand zu mobilisieren, sondern auch demonstriert wurde, dass KäuferInnen und ProduzentInnen nicht bereit sind, sich vom Konzern ausnehmen zu lassen und anschließend dessen Produkte auch noch zu kaufen - und damit die Konzernstrategie letztlich abzusegnen. Dies ist bisher unüblich in Arbeitskonflikten. Damit wurde auch ein Wirtschaftssystem ins Zentrum der Kritik gestellt, das solches Konzernverhalten erlaubt, und es wurde zu Recht gefragt: »Müssen sich alle Menschen der Profitjagd unterordnen, oder brauchen wir eine Wirtschaft, die den Bedürfnissen der Menschen dient?« [7]

Festzuhalten ist der geringe Grad gewerkschaftlicher Unterstützung. Obwohl IG Metall-Vize Huber die Ausrufung eines Boykotts angedroht hatte, erfolgte kein gewerkschaftsoffizieller Aufruf, sich dem Boykott anzuschließen. Das Verhältnis der lokalen Gewerkschaften zum Boykott wird allerdings als neutral bis wohlwollend beschrieben.

Nach dem Aus für Nürnberg stellt sich die Frage nach der Zukunft des Boykotts. Das Sozialforum will den Electrolux-Boykott fortführen. Anlass dazu gibt es durchaus, immerhin sind auch noch andere Werke bedroht. Um diese zu sichern, könnte es sinnvoll sein, eine langfristig angelegte Boykottstrategie zu entwickeln - zu deren Grundbedingung jedoch eine erfolgreiche Vernetzung der Belegschaften gehörte. Mit dem absehbaren Verschwinden des Themas AEG Nürnberg aus den Medien (wie der Wirklichkeit) wird dies sicherlich nicht einfacher - »weg ist weg« wird man sich sagen, für was soll man streiten und warum? Und Medienaufmerksamkeit dürfte auch kaum herzustellen sein.

Wie dem auch sei, ein Erfolg würde nicht nur von einer angemessenen Strategie abhängen, sondern vor allem auch vom Kampfziel. Wie es zu erreichen ist, unter den Bedingungen der Profitwirtschaft mit der »Konkurrenz unter den Lohnabhängigen Schluss zu machen«, wie die Autonomen schreiben, ist durchaus schwierig zu beantworten. Denn nicht nur die Profitwirtschaft besteht vorerst fort, auch die Käufer entscheiden selbst, welche Geräte sie kaufen - und der Trend geht eindeutig zu billigeren Modellen, so die IGM in ihrem Branchenreport. [8]

Zu welcher Kaufentscheidung sollte man vor diesem Hintergrund aufrufen? Und dass Deutschland weiter in alle Welt exportiert, wir aber nichts aus anderen Ländern kaufen, ist auch keine erstrebenswerte Lösung.

Resümee

Vergleicht man die drei Boykottaktionen, lassen sich einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhalten. Zunächst zielen alle drei auf Veränderung, nicht auf Abschaffung. Der Wal-Mart-Boykott ist selektiv, zeitlich begrenzt und Teil einer langfristigen Kampagne »to change Wal-Mart«, Coca Cola- und Electrolux-Boykotte sind (tendenziell) unbegrenzt und total. Bei Wal-Mart und Coca Cola werden zur Druckausübung neben dem finanziellen Schaden durch den Boykott juristische, politische und imageverschmutzende Mittel genutzt, bei Electrolux sollte der Boykott vor allem streikunterstützend sein und zusätzlichen Druck durch finanzielle Einbußen erzeugen. Beim Coca Cola-Boykott versuchen die Organisatoren vor allem institutionelle Abnehmer (Kantinen etc.) und Medienpartner zur Aufkündigung ihrer Zusammenarbeit zu bewegen, der Schaden am Markennamen ist, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt, die größte Gefahr für Coca Cola. Gerade dessen vielfältige PR-Aktivitäten bieten jedoch eine Auswahl guter Anknüpfungspunkte für Boykottaktionen.

Bei Coca Cola bedarf es jedoch einer cleveren Verhandlungsstrategie, damit in den Verhandlungen die Resultate durch geschickte (Schein-)Zugeständnisse seitens Coca Cola nicht wieder zunichte gemacht werden. Die Ausgangslage im Falle Electrolux ist demgegenüber schwieriger, insbesondere da der Boykott in einer akuten Notsituation gestartet werden musste, und es ist nach dem Aus für AEG Nürnberg offen, ob, wie und zu welchem Ziele er weitergeführt werden könnte. Unterschiedlich ist in allen Fällen auch der Grad gewerkschaftlicher Unterstützung, wobei die Scheu, von gewerkschaftlicher Seite zum Boykott von Electrolux auszurufen, irritiert.

Hinter allen drei Boykotten steht die Frage des ethischen Einkaufens und die Verantwortlichkeit des Konsumenten für den Zustand der Gesellschaft.

Wilfried Schwetz

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/06


(1) Presseerklärung der UFCW vom 10. August 2005

(2) Ein zweites Anti-Wal-Mart-Internetportal ist das von der SEIU gesponsorte »www.walmartwatch.com externer Link«.

(3) Vgl. die Erklärung der American Federation of Teachers unter www.aft.org externer Link sowie die Presseinformation der Internatio-nal Labour Communications Association (ILCA) vom 22. August 2005 unter www.ilcaonline.org externer Link

(4) Presseerklärung der ILCA vom 22. August 2005, a.a.O.

(5) Presseerklärung der International Campaign Against Coca Cola, 10. Juli 2003, www.labournet.net externer Link

(6) taz vom 21. Januar 2006

(7) Presseerklärung des Sozialforums vom 26. Januar 2006

(8) IG Metall, Elektrische Haushaltsgeräte 2005, Schwerpunkt »Weiße Ware«, siehe unter www.igmetall.de externer Link


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