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Updated: 18.12.2012 15:51
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Was ist neu an Europas "Neuen Kriegen"?

Anmerkungen zu Kriegslegitimationen des 21. Jahrhunderts

Der Kosovo-Krieg wurde 1999 geführt, um angeblich einen Genozid an den Kosovo-Albanern durch Serbien zu verhindern. Der damalige deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping sprach über "serbische KZs", und so war es nur konsequent, dass der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer mit der Satz "Nie wieder Auschwitz" die deutsche Beteiligung an diesem Krieg legitimierte. Zwei Jahre später wurde der Afghanistan-Krieg geführt, um angeblich Terror zu bekämpfen. Die Legitimierung für die deutsche Beteiligung lieferte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt". In beiden Fällen wird der Krieg umdefiniert, im ersten Fall als bewaffnete, humanitäre Hilfe, im zweiten als Sicherheitsmaßnahme.

Neben der Legitimierung von Kriegen muss als Teil der geistigen Mobilmachung der Krieg als solcher denkbar gemacht werden. Diese Denkbarmachung des Krieges läuft in wissenschaftlichen Diskursen und Think-Tanks. PolitikwissenschaftlerInnen entwerfen dabei Thesen und Theorien und liefern Gefahreneinschätzungen für PolitikerInnen, die darauf aufbauend Entscheidungen treffen. Während die konkreten Kriegslegitimierungen - so etwa zuletzt die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen als Legitimation für den Irak-Krieg 2003 - analysiert und kritisiert werden, bleibt die politikwissenschaftliche Ebene weitgehend unterbelichtet. Im Folgenden geht es darum, die Theorie der "neuen Kriege" des Politwissenschaftlers Herfried Münklers - als eine der wichtigsten Theorien in diesem Bereich der letzten Jahre - in Bezug auf kriegslegitimierende Funktionen zu analysieren. (1)

Die beiden zentralen Begriffe für die Definition der "neuen Kriege" sind bei Münkler "Entstaatlichung" und "Asymmetrisierung" des Krieges. Unter "Entstaatlichung" ist der Verlust des staatlichen Gewaltmonopols zu verstehen. Sie ist die Folge des Scheiterns von Staatsbildungsprozessen, was am "Mangel an integren und korruptionsresistenten politischen Eliten" in den jeweiligen Ländern der "Dritten Welt" liegt. Die "neuen Kriege" sind nach Münkler Staatszerfallskriege und keine Staatsbildungskriege, wie etwa der Unabhängigkeitskrieg der USA gegen das British Empire. Das liege daran, dass die "neuen Kriege", im Gegensatz zu dem Beispiel der USA, nicht unter "quasi-klinischen Bedingungen" ablaufen, sondern externen Einflüssen (Globalisierung, politische Interventionen) ausgesetzt sind. Durch den Verlust des staatlichen Gewaltmonopols würden private Gewaltakteure an seine Stelle treten, die sich über die Schattenglobalisierung, d.h. durch den (illegalen) Handel mit Bodenschätzen und Drogen, und die finanzielle Unterstützung durch Emigrantengemeinden in der "Ersten Welt" finanzieren würden.

Asymmetrie kennzeichnet bei Münkler zuallererst die militärische Überlegenheit der USA. Kein Staat der Welt könne einen symmetrischen Krieg gegen die USA gewinnen. Akteure könnten aber auf diese asymmetrische Konstellation mit asymmetrischen Strategien antworten: mit Partisanenkrieg oder Terrorismus. Der Partisanenkrieg vermeide die offene Schlacht mit dem Gegner. Die Strategie der Partisanen sei die Erhöhung der Kosten des Krieges für den Gegner, so dass dieser den Krieg beenden will.

Beim Terrorismus würde das Prinzip "Erhöhung der Kosten für den Gegner" noch durch den medialen Druck ergänzt, der den Gegner dazu bewegen soll, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, so etwa den Abzug von Truppen. Dadurch gebe es in den "neuen Kriegen" keine Entscheidungsschlacht und damit würden auch die Begrenzungen zwischen Krieg und Frieden, Front und Hinterland fallen. Weil aber nach Münkler die "neuen Kriege" im Gegensatz zum klassischen Partisanenkrieg von privaten Akteuren geführt werden, fehlt der Schritt vom Partisanenkrieg über den Aufbau regulärer Truppen zur militärischen Entscheidung des Krieges durch die Entscheidungsschlacht, wie es noch bei Mao Tsetungs Partisanendoktrin der Fall sei. Die Gewalt diene so nur zur Selbsterhaltung der Akteure; der Krieg ernähre sich selbst

Münkler als gern gesehener Militärberater

Zunächst sollen die Annahmen, mit denen Münkler seine Thesen begründet, kritisch hinterfragt werden. Die erste Annahme ist, dass es einen Wechsel von "alten", zwischenstaatlichen Kriegen zu "neuen", nicht-zwischenstaatlichen Kriegen gibt. Aber schon seit dem 19 Jh. sind innergesellschaftliche Kriege viel häufiger als zwischenstaatliche Kriege. Die zwischenstaatlichen Kriege bilden ca. 20% aller Kriege der letzten beiden Jahrhunderte. Die übrigen 80% waren nicht-zwischenstaatliche Kriege, darunter zum einen die zahlreichen Kolonisations- und Dekolonisationskriege, zum anderen die unterschiedlichen Bürgerkriege - auch in Europa.

Auch die These von der Zunahme innerstaatlicher Kriege seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist so nicht richtig. Es gab zwar seit 1945 eine proportionale Zunahme von nicht-zwischenstaatlichen Kriegen, welche sich auch nach 1989 fortsetzte. 1992 brach jedoch dieser Trend ab, und die Zahl der nicht-zwischenstaatlichen Kriege ging zurück. Inzwischen ist die Zahl der nicht-zwischenstaatlichen Kriege sogar niedriger als 1989. Dies wird noch deutlicher, wenn man beachtet, dass eine große Zahl nicht-zwischenstaatlicher Kriege "Produkte" des "Kalten Krieges" waren, also eine Folge von staatlichen Konfrontationen waren und jetzt beendet wurden.

Schon das Modell der "zwischenstaatlichen Kriege" und die Rede von "neuen Kriegen", die sich davon unterscheiden, ist irreführend. Das Modell des reglementierten und verrechtlichten zwischenstaatlichen Krieges hat sich zum einen außerhalb von Europa kaum durchsetzen können, und zum anderen sah auch in Europa, entgegen der idealisierenden Darstellung von Münkler, die Kriegsrealität anders aus. Die Trennung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten war nicht durchgehend, und die Zivilbevölkerung wurde in den Krieg mit einbezogen.

Weiterhin blendet das Münklersche Modell der zwischenstaatlichen Kriege als die vorherrschende Kriegsform die Kolonialkriege der europäischen Staaten und der USA aus. Beispielhaft für Deutschland wären der "Hererokrieg" in "Deutsch-Südwestafrika" von 1904 mit ca. 34.000 Opfern oder die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands in "Deutsch-Ostafrika" von 1906 mit ca. 100.000 Opfern. Es wurde unterschieden, ob die Kriege zwischen europäischen Staaten oder gegen "Eingeborene" geführt wurden, und je nach Lage hatte das Modell der zwischenstaatlichen Kriege unterschiedliche Geltung, so etwa bei der Frage von völkerrechtlichen Bestimmungen wie z.B. die Schonung der Zivilbevölkerung. Nach Münkler wurde der "Krieg gegen die Bevölkerung" seit dem 17. Jh. beendet. Die Proklamation des Generals von Trotha von 1904 "Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen" beschreibt jedoch, dass dies für die Kolonien nicht galt.

"Alte Kriege" versus "neue Kriege"?

Eine weitere Annahme ist, dass die "neuen Kriege" sich durch Bestialität und Entzivilisierung auszeichnen, die Münkler im Jahre 1648 verschwinden und jetzt wieder auftauchen sieht. Hier ist das Hauptdefizit, dass Münkler zwar (brutale und bestialische) Berichte für diese Annahme zitiert, eine empirische Methode fehlt jedoch. Dieses Konglomerat aus Annahmen und journalistischen Berichten kann eine umfassende empirische Untersuchung der Gewalt in den "neuen Kriegen", die nötig wäre, um seine Thesen haltbar zu machen, nicht ersetzen.

Einige der Berichte, auf denen Münklers Thesen basieren, sind auch deswegen problematisch, weil die AutorInnen anthropologisierend argumentieren, so dass eurozentristische und rassistische Muster erkennbar sind. Exemplarisch dafür ist Peter Scholl-Latours Buch "Afrikanische Totenklage", das Münkler immer wieder als Quelle heranzieht, wenn es darum geht die Bestialität der "neuen Kriege" darzustellen. "Afrika ist für ihn (Peter Scholl-Latour, A.d.A.) letztlich eine ,prähistorische Unterwelt', beherrscht von einer ewigen ,urzeitlichen Stammesfehde', in der sich ,ungezügelte Raubinstinkte' entfesseln, ,die sich jeder rationalen Analyse' entziehen. Scholl-Latour fühlt sich ,zurückversetzt in die Zustände menschlicher Frühentwicklung'" ( taz , 19.2.2002). So berichtet er über einen Tutsi-Oberst aus Ruanda, der seine Erläuterungen "mit einer distanzierten Erheiterung vorträgt, die einem europäischen Kolonialoffizier gut angestanden, die man einem Afrikaner nicht zugetraut hätte".

Da keine empirische Untersuchung der Gewalt in den "neuen Kriegen" vorliegt, ist hier ein Blick auf die absoluten Opferzahlen (als Hinweis auf den Umfang der Gewalt) hilfreich. Danach sind die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts die bislang opferreichste Dekade, gefolgt von den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Dann erst kommen die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Zumindest darüber lässt sich die Annahme von Münkler nicht belegen. Wenn man noch berücksichtigt, dass die Anzahl der Staaten seit der Dekolonialisierung in den 1960er und 1970er Jahren gestiegen ist, und so auch die Möglichkeit von "neuen", innerstaatlichen Kriegen durch die größere Zahl der Staaten, in denen innerstaatliche Kriege verzeichnet werden können, dann wären die relativen Opferzahlen der 1990er Jahre noch geringer, was die These Münklers noch weiter entkräften würde.

Die Bildung von Staatlichkeit, die Münkler zur Voraussetzung der Begrenzung von Kriegen, insbesondere von "neuen Kriegen", macht, erweist sich bei genauerer Untersuchung keinesfalls als Garant für eine friedlichere Entwicklung. Vielmehr deutet vieles darauf, dass der Staat den Gewaltzustand bewusst herstellt und den Krieg als staatliche Selbsterhaltungsmaßnahme entgrenzt. Weiterhin zeigt sich, dass die Trennung zwischen "alten" und "neuen" Kriege so nicht existiert. Somit sind die behaupteten Zusammenhänge zwischen "Entstaatlichung" und "neuen Kriegen", und damit auch die politischen Lösungsvorschläge Münklers, hinfällig.

Wie lässt sich aber erklären, dass eine Theorie, die offensichtlich konzeptionell sehr fragwürdig und deren proklamierter wissenschaftlicher Anspruch schwer legitimierbar ist, im politischen Diskurs eine solche prominente Rolle spielt? So schreibt die Zeit: "Seine Thesen machten den Historiker (Münkler, A.d.A.) zum wichtigen Berater von Generälen und Politikern" ( Die Zeit vom 30.10.03).

1.000 neue Gründe für weitere Kriege

Dies ist im wesentlichen auf drei Punkte zurückzuführen. Zum Ersten apologetisiert Münkler das europäische Staatsmodell, die europäischen Kriege und auch die europäischen Militärs, wobei die Trennung zwischen den Schlachtfeldern in Europa und denen in den Kolonien die europäischen Militärs und ihre Taten verharmlost. Zum Zweiten erklärt sich das Interesse von Generälen und PolitikerInnen an Münkler wohl dadurch, dass er den Staat legitimiert, und dem Staat die Kompetenz zur Begrenzung und Reglementierung des Krieges zuschreibt. Dies wird verstärkt über die idealisierende Betrachtung der Kriege in Europa und die Betonung der Bestialität der "neuen Kriege". Zum Dritten kommt hinzu, dass Münkler Kriegsgründe für die europäischen Staaten produziert, wobei diese Kriegsgründe so diffus sind, dass viele Weltregionen betroffen sein können. Denn nicht-staatliche Gewaltakteure, Raubökonomien und "entgrenzte Gewalt" gegen die Zivilbevölkerung lassen sich an unzähligen Orten wiederfinden. Und damit, nach Münkler, auch Gründe für militärische Interventionen von europäischen Staaten.

Ismail Küpeli
Dieser Artikel ist erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 515 / 16.3.2007

Anmerkung:

1) Der Artikel basiert auf dem Text "Die neuen Kriege - einige Anmerkungen zu Kriegslegitimationen des 21. Jahrhunderts", der sich in dem Sammelband "Europas Neue Kriege" (Syndikat-A, 2007, ISBN 3-9810846-4-1) befindet.

Literatur:

Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 2002


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