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Updated: 18.12.2012 15:51
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Andreas Keller* zur Privatisierung der Hochschulbildung

Wie andere gesellschaftliche Teilbereiche ist auch das Hochschulsystem massiven Privatisierungs-tendenzen ausgesetzt. Zum einen haben wir es mit einem Boom neuer Privathochschulen zu tun – die neben den traditionellen Hochschulen in staatlicher Trägerschaft etabliert werden. Zum anderen läuft die neoliberale Umstrukturierung der staatlichen Hochschulen auf deren institutionelle Privatisierung hinaus.

Privathochschulen – staatlich gefördert

In Deutschland gibt es heute nicht weniger als 45 Privathochschulen. Dabei sind die kirchlichen Hochschulen, die aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Trägerschaft keine privaten Hochschulen im engeren Sinne darstellen, noch nicht mitgerechnet. Dies sind rund 15 Prozent der rund 300 Univer-sitäten und Fachhochschulen bundesweit. Mit ca. 30000 Studierenden studieren allerdings nur 1,5 Prozent aller bundesweit Immatrikulierten an einer privaten Hochschule. Diese haben in der Regel das Selbstverständnis von Eliteuniversitäten und bilden meist eine sehr begrenzte Anzahl von Stu-dierenden – häufig den Managementnachwuchs einzelner Branchen oder Konzerne – intensiv und teuer aus.

Privathochschulen haben weder einen Anspruch auf staatliche Anerkennung noch auf eine Finan-zierung durch den Staat. Sie sind aber umgekehrt ebenso wenig verpflichtet, die gesetzlichen Vor-gaben für die Struktur des öffentlichen Hochschulwesens – Mitbestimmung oder Gebührenfreiheit – einzuhalten. Exorbitante Studiengebühren – häufig im fünfstelligen Eurobereich – sind ja ein fast schon identitätsstiftendes Merkmal der wie Pilze aus dem Boden sprießenden Privathochschulen.
Gleichwohl erfahren die Privathochschulen in Deutschland eine umfassende Finanzierung. Zum Teil erhalten sie sogar direkte staatliche Zuschüsse aus dem Haushalt des Sitzungslands. Ein Beispiel für eine sehr üppige staatliche Förderung ist die International University Bremen (IUB), die 2001 vom Land Bremen mit einer Zuwendung von 215 Millionen Euro gefördert wurde.

Darüber hinaus haben Bund und Länder inzwischen die Tür für die Finanzierung von Privathoch-schulen aus Mitteln der Hochschulbauförderung geöffnet: Die Hochschulrektorenkonferenz kriti-sierte die 2002 vollzogene Aufnahme der IUB in das Verzeichnis der nach dem Hochschulbauför-derungsgesetz förderfähigen Hochschulen als Präzedenzfall für die institutionelle Förderung von Privathochschulen mit öffentlichen Geldern.

Soweit Privathochschulen keine direkten staatlichen Zuschüsse erhalten, können sie häufig mit in-direkten Zuwendungen rechnen. So kann zwar die Berliner European School of Management and Technology (ESMT) nach wie vor nicht mit Landeszuschüssen rechnen, hat aber gleichsam als Startkapital den ehemaligen Sitz des Staatsrats der DDR in Berlin-Mitte zur Verfügung gestellt bekommen. Gleichwohl musste der Start des Lehr- und Studienbetriebs immer wieder, zuletzt auf den Herbst 2005, verschoben werden, weil die dauerhafte Finanzierung durch die deutsche Wirt-schaft unsicher blieb.

Schließlich hat die Reform des Stiftungsrechts durch die Bundesregierung in der vergangenen Le-gislaturperiode eine indirekte Finanzierung von Privathochschulen über das Finanzamt ermöglicht. Private Zuwendungen an privat-rechtliche Stiftungen, eine bevorzugte Rechtsform von Privathoch-schulen, werden mit massiven steuerlichen Vergünstigungen belohnt. Der Staat, der es sich nicht mehr leisten kann, die öffentlichen Hochschulen auszufinanzieren, greift der Wirtschaft bei der Gründung ihrer eigenen privaten Hochschulen massiv finanziell unter die Arme.

Der jüngste Boom privater Hochschulen hat also viel mit ihrer stillschweigend gewährten staatli-chen Kofinanzierung zu tun. Privathochschulen können neben ihrer direkten oder indirekten staatli-chen Förderung auf die Mittel ihrer privaten Träger sowie auf Einnahmen aus Studiengebühren – häufig in fünfstelliger Höhe – zurückgreifen. Gleichzeitig können es sich die Privaten leisten, ex-klusive Ausbildung einem elitären Kreis vorzubehalten: Die Kapazitätsverordnung, die die staatli-chen Hochschulen zur vollständigen Ausschöpfung ihrer Ausbildungskapazitäten verpflichtet, findet für sie keine Anwendung. Das Resultat ist eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen öffentli-chen und privaten Hochschulen.

Eine Verschärfung dieser Situation droht durch das General Agreement on Trade in Services (GATS). Dieses internationale Abkommen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen beansprucht grundsätzlich auch für Dienstleistungen im Bildungsbereich, einschließlich der Hochschulbildung, Geltung. Der Ausschluss von privaten Hochschulen aus der staatlichen Förderung wird in der Systematik des GATS als Hemmnis für den freien Handel mit Bildungsdienstleistungen begriffen. Ausländische Anbieter von Bildungsdienstleistungen, die in Deutschland eine Privatuniversität gründen, könnten künftig eine Gleichbehandlung mit inländischen staatlichen Hochschulen im Hinblick auf staatliche Fördermaßnahmen beanspruchen – falls die Europäische Union im Rah-men der GATS-Verhandlungen ihre bisherigen Vorbehalte aufgibt.

Staatliche Hochschulen – ganz privat

Mit der Etablierung privater Hochschulen geht eine neoliberale Umstrukturierung des Hochschul-systems einher, die selbst deutliche Tendenzen zu einer institutionellen Privatisierung der staatli-chen Hochschulen aufweist. Die Ton angebenden Reformer in Bund und Ländern, im Wissen-schaftsrat sowie im Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zielen perspektivisch auf eine Umwandlung der als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten staatlichen Hoch-schulen in Dienstleistungsunternehmen ab, die auf einem neu zu konstituierenden Wissenschafts-markt ihre Produkte – Forschungsleistungen sowie die Aus- und Weiterbildung von Studierenden – an kaufkräftige Nachfrager absetzen sollen. An die Stelle von Mechanismen einer politischen Re-gulierung des Hochschulwesens soll eine ökonomische Regulierung durch marktförmige Steue-rungssysteme treten. Hochschulbildung wird perspektivisch zur Ware, der Zugang zu ihr erfolgt mehr und mehr nach Maßgabe der Einkommens- und Vermögensverteilung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Die gegenwärtige Umstrukturierung der Hochschulen zielt zunächst auf eine Neubestimmung des Verhältnisses von Hochschule und Staat ab – vordergründig im Sinne einer Stärkung der Autono-mie der Hochschulen, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten durch die Globalisierung der Hochschulhaushalte. Die gegenwärtige Hochschulstrukturreform zielt aber zugleich auf die Etablie-rung eines marktförmigen Wettbewerbs – sowohl im Verhältnis zwischen Hochschulen und Staat als auch zwischen Hochschulleitungen und Fachbereichen – ab. Dies vollzieht sich insbesondere über Systeme leistungsorientierter Mittelvergabe: Erfolge und Misserfolge der Hochschulen oder ihrer Fachbereiche und Institute werden in finanzielle Anreize bzw. Sanktionen buchstäblich um-gemünzt. Dabei werden Erfolge in Forschung und Lehre ganz überwiegend auf betriebswirtschaft-lich bestimmte, ökonomische Effizienzkriterien reduziert. Das Ergebnis der auf diese Weise er-zeugten Quasi-Märkte ist also nicht eine Autonomie der Hochschule, sondern deren Heteronomie: ihre externe Steuerung durch marktförmigen Wettbewerb.

Als Kundinnen und Kunden des Unternehmens Uni müssen die Studierenden schließlich eine marktadäquate Nachfrage entfalten können: indem sie für den Erwerb der von den Hochschulen angebotenen Dienstleistungen Studiengebühren bezahlen. Die Hochschulen müssten um die Kauf-kraft ihrer Kunden konkurrieren, welche sich ihrerseits nach Qualitäts- und Kostenkriterien für ei-nen Anbieter entscheiden. Zugleich müssten die Studierenden ihrerseits die künftige Rendite ihrer Investitionen in eine Hochschulausbildung noch schärfer kalkulieren.

Pendant zur Marktpositionierung der Hochschulen ist die Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschule nach dem Vorbild einer Kapitalgesellschaft. Die jüngsten Landeshochschulgesetz-novellen sehen eine Reduktion gewählter Kollegialorgane (Akademischer Senat und Fachbereichs-rat) auf beratende Funktionen vor und konzentrieren die wesentlichen Kompetenzen, insbesondere in Haushaltsfragen, bei den Leitungsorganen. Die Stärkung der Leitungsorgane richtet sich nicht nur gegen das Prinzip der Gruppenmitbestimmung, sondern gegen die Hochschulselbstverwaltung als solche und untergräbt sogar die Machtstellung des bislang privilegierten Professorats.

Doch damit nicht genug. Den autokratischen Leitungsorganen der Hochschulen werden zusätzlich hochschulexterne Aufsichtsorgane zur Seite gestellt: Hochschulräte, denen unabhängige »Persön-lichkeiten« aus Wissenschaft und Wirtschaft angehören, sollen die Richtung der künftigen Hoch-schulentwicklung vorgeben. Es ist kein Zufall, dass häufig Vertreter der örtlichen Industrie in Hochschulräte berufen werden. Ein gewissermaßen mit Privatpersonen besetztes Aufsichtsorgan – explizite Repräsentanten gesellschaftlicher Interessen, z.B. von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern, sind unerwünscht – passt nicht zu einem öffentlichen Hochschulwesen, das staatlich fi-nanziert wird. Die Hochschulräte verkörpern einen Paradigmenwechsel, der die Verantwortung für die Hochschulentwicklung weder beim Staat noch bei der Gemeinschaft der Lehrenden und Ler-nenden, sondern bei Dritten ansiedelt. In diesen Zusammenhang ist auch die Diskussion um die Änderung der Rechtsform der Hochschulen – Stiftung statt öffentlich-rechtliche Körperschaft – einzuordnen.

Jetzt sind die politischen und gesellschaftlichen Kräfte gefragt, die der neoliberalen Umstrukturie-rung der Hochschulen ein emanzipatorisches Hochschulreformprojekt entgegen setzen könnten. Dabei geht es um Alternativen zu den dominierenden Privatisierungstendenzen im Hochschulbe-reich. U.a. geht es darum, die auch im Mittelpunkt der neoliberalen Umstrukturierung stehende Stärkung der Hochschulautonomie der Hochschulen junktimförmig mit ihrer inneren Demokratisie-rung und gesellschaftlichen Öffnung zu verbinden, um neoliberale und emanzipatorische Entstaat-lichungsprogramme zu entmischen. Nicht das Verhältnis zur staatlichen Ministerialbürokratie in Kultus- und Wissenschaftsministerien, sondern die Alternative einer politischen versus einer öko-nomischen Steuerung der Hochschulen unterscheidet emanzipatorische von neoliberalen Hoch-schulkonzeptionen.

Seit den 1999 durch ihren Sachverständigenrat vorgelegten Empfehlungen zur Bildungsfinanzie-rung droht auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung (HBS) ins neoliberale Fahrwasser einer Privatisierung von Bildung und Wissenschaft zu geraten. Im Mittelpunkt der Empfehlungen stand die Einführung von Bildungsgutscheinen, die auf einer Kontingentierung und damit grund-sätzlichen Kostenpflicht von Bildung ab der Sekundarstufe II beruhen. Die Empfehlungen des HBS-Sachverständigenrats wurden von mehreren Einzelgewerkschaften scharf kritisiert. Die Bil-dungsgewerkschaft GEW hat darüber hinaus 2002 den von der SPD als vermeintliche Alternative zu Studiengebühren angepriesenen Studienkonten, einer hochschulspezifischen Variante von Bil-dungsgutscheinen, die Studiengebühren für Langzeitstudierende zur Folge haben, eine Absage er-teilt und die Forderung nach einer uneingeschränkten Sicherung der Studiengebührenfreiheit und nach einem freien Zugang zur Hochschulbildung bekräftigt. Bereits 1993 hatte sich die GEW in ihrem wissenschaftspolitischen Programm bereit erklärt, »die Dezentralisierung staatlicher Kompe-tenzen in dem Maße zu unterstützen, wie die Willensbildungs- und Entscheidungsstrukturen inner-halb der Hochschule demokratisiert werden«, und damit unterstrichen: Die staatliche Gängelung der Hochschulen darf nicht durch autokratische Leitungsorgane im Innern der Hochschulen abge-löst werden – es geht um Autonomie ohne Autokratie!

Die deutliche Positionierung der GEW zeigt: Die DGB-Gewerkschaften kommen weiter als erste Partner für eine progressive Hochschulpolitik, als gesellschaftliche Träger alternativer Reforman-sätze in Frage, die dem neoliberalen Trend zur Privatisierung der Hochschulen das Leitbild einer demokratisch verfassten, autonomen Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung entgegnen können. Ohne gewerkschaftliche Gegenmacht dürfte der Kampf um die Ausrichtung der Hoch-schulreform des 21. Jahrhunderts von vorneherein verloren sein.

* Dr. Andreas Keller arbeitet in der akademischen Verwaltung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und ist Mitglied im Bundesvorstand des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)

Von Andreas Keller stammt die materialreiche und lesenswerte Studie: »Von Bologna nach Berlin. Perspektiven eines Europäischen Hochschulraums im Rahmen des Bologna-Prozesses«, Berlin 2003 – Sie ist als download erhältlich unter: www.pds-europa.de/download/studien/hochschulpolitik.pdf

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/04


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