letzte Änderung am 8. März 2004

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6. Vermittelt zu Maatwerk - unvermittelt in Arbeit. Oder: "psa = ich muss aus der arbeitslosenstatistik"

"Schwer vermittelbare Arbeitssuchende - wobei beispielsweise gedacht wird an Jungendliche, ältere Menschen, Ausländer und Menschen mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen - haben viel mehr Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, als oftmals angenommen wird. Durch eine sorgfältige Analyse (Diagnose) der Wünsche, Möglichkeiten und Beeinträchtigungen von Klienten, durch eine intensive Betreuung in der vorbereitenden und angebotsverstärkenden Phase sowie durch eine gezielte und aktive Suche - mit dem Klienten - nach einer geeigneten Arbeit können viele Menschen rechtzeitig einer drohenden sozialen Ausgrenzung entkommen." [1]

oder, wie der STERN über Jos Berends schreibt[2]:

"Denkt er über ein Hobby nach, fällt ihm nur `arbeiten` ein. Dieses Hobby möchte er mit möglichst vielen Menschen teilen"

Wie sah die Realität aus? Personal-Service-Agenturen sind das Herzstück der Hartz-Reform und sollten zehntausende Erwerbslose vermitteln, zuletzt wurde die Zielvorgabe für 2003 reduziert auf 50.000. Die Arbeitsämter konnten aber "nur" 32.000 an die PSA verschieben, hiervon wurden angeblich 6.375 vermittelt - in welche Jobs auch immer [3]. Aber auch die übrigen werden nur in den wenigsten Fällen - aktenkundig für Maatwerk ist eine Verleihquote von 5% [4] - verliehen und wenn, muss man die Angebote selbst suchen, während Maatwerk die Vermittlungsgebühren kassiert. Ein Insider (Informant 33) schildert es folgendermaßen "Vermittlungen finden so gut wie gar nicht statt. Maatwerk wird sich berufen auf `indirekte Vermittlung`, das heißt: Der Kunde sucht sich die Arbeit, Maatwerk erhält dafür Bonuszahlungen" Dies bestätigen unsere InformantInnen:

"Eine sogenannte Personal-Service-Agentur soll Arbeitslose fördern. Ihnen Stellenangebote unterbreiten. Sie weiterbilden. Bei Maatwerk in Darmstadt ist das anders: Zwei Maatwerker: "Ich bin einmal die Woche hier, dann sitzen wir hier zusammen...man kann sich gut unterhalten."; "Ich bewerbe mich hier die ganze zeit und mache nichts anderes als beim Arbeitsamt." (...) Von den 44 Arbeitssuchenden hat derzeit keiner einen Job in Aussicht. Es gibt nur einen einzigen Mitarbeiter, der versucht, Stellenangebote an Land zu ziehen. Man hofft eben bei Maatwerk auf eine bessere wirtschaftliche Lage. Solange probiert man sich in Sozialarbeit. Jürgen De Graaf, Leiter Maatwerk Darmstadt: "Manche wollen mit mir quatschen, die heulen sich hier aus, bringen Kuchen mit, sagen: das hat mir gut getan, sprecht mal unter Frauen, das hat ihn nochmal gut getan, dann gehen die hier raus, dann ist das ok." [5]

Ein anderes PSA-Opfer (Informant 32) schildert, dass man aus Mangel an Vermittlungsangeboten zu einer Schulung der Firma AWD (Finanzdienstleister) einlud und fragte bei uns an, ob der Zwang zur PSA ("monetäre Erpressung") auch den Zwang zur Selbständigkeit als Vertreter beinhaltet... Den meisten erging es aber wie Informant 31: "...Während der Beschäftigung bei Maatwerk wurde mir kein einziger konkreter Vermittlungsvorschlag unterbreitet..."

Maatwerk hat dennoch Optimismus verbreitet: "Im Gegensatz zu manch anderem Agenturbetreiber, meldet der Leiter der PSA im Rhein-Main-Gebiet, die der niederländische Anbieter Maatwerk eröffnet hat, es gebe keinerlei Probleme, die Sollgröße schnell zu erreichen. In seinem Haus gelinge das in weniger Wochen. (...) Aus der Branche sind allerdings immer wieder Zweifel zu vernehmen, daß derartige Erfolgsmeldungen einer Prüfung standhielten..." [6] Und weil die Vermittlung mangels Arbeits"angebote" in der Tat ein Problem darstellt, versucht nicht nur Maatwerk, auch andere Sklavenhändler [7] zu verhindern, dass ihre "Mitarbeiter" bezahlt werden müssen, obwohl sie nicht verliehen werden können. Eigentlich gilt: "Die verleihfreien Zeiten sind von der PSA für arbeitsmarktliche Integrationsbemühungen und in diesem Zusammenhang sinnvolle Kurzzeitqualifizierungen zu nutzen."[8] - das ist aber bekanntlich zu teuer…

Unvermittelt, aber beschäftigt

Einerseits wurden die vom Arbeitsamt bezahlten LeiharbeitnehmerInnen gerne als billige Kräfte benutzt, um eigene Personalengpässe aufzufangen, was zum Teil die schlechte Qualität der Beratung und Verwaltung erklärt:

Solche "Eigenverwendung" haben auch andere InformantInnen geschildert. Sie lässt wohl nicht nur Datenschutzexperten erschauern...

Unvermittelt und schnell gekündigt

Andererseits wird gern gekündigt, wenn jemand nicht vermittelt und noch nicht einmal im Hause eingesetzt werden kann, Gründe finden sich schon[10]. Im Herbst letzen Jahres gab es in vielen Niederlassungen echte Kündigungswellen.

Bei den Kündigungen ist durchaus ein Muster zu erkennen. Einerseits wird schnell gekündigt, wer zu selbstbewußt nachfragt oder auf ihre/seine Rechte pocht - dies schildern viele unserer Informanten. Andererseits soll es eine interne Anweisung gegeben haben (Informant 33), zum 4. oder 7. Monat zu kündigen - dies sind die Zeitpunkt, zu denen der Zuschuß des Arbeitsamtes gestaffelt abnimmt... [12]

Informant 16 fasst die Erfahrungen wie folgt zusammen:

In der Regel kann man gegen eine Kündigung in der Probezeit nichts ausrichten. Doch Informant 31 klagte gegen die Kündigung und bekam als Vergleich immerhin den Lohn einer Woche als Abfindung, weil selbst in der Probezeit die Kündigungsfrist von einer Woche zu kurz sei. Dieser Kündigungsschutzprozess vermittelt aber auch interessante Einblicke in die Philosophie des Unternehmens: "Hierbei erschien eine Mitarbeiterin von Maatwerk, die einen abweichenden Kündigungsgrund als im Kündigungsschreiben nannte. [14] Sinngemäß äußerte sie: "wir sind eine PSA. Herr XXX ist krank gemeldet. Solche Mitarbeiter können wir nicht brauchen."

Anmerkungen

1) Entnommen der Unternehmenshomepage http://www.maatwerk.com

2) "Berends contra Jagoda. Wie ein Ex-Sozialarbeiter mit einfachen Mitteln Langzeitarbeitslose wieder in Jobs bringt und damit dem Arbeitsamt Konkurrenz macht. Stern vom 5.2.1998

3) "Maatwerk-Pleite rüttelt Kritiker wach." Artikel von Maike Rademaker und Timo Pache in der FTD vom 18.2.2004. Es gibt aber unterschiedliche Angaben: "Nach den neuesten Zahlen sind 31.000 Menschen bei einer der bundesweit 671 PSA angestellt und damit aus der Erwerbslosenstatistik verschwunden - nur knapp 2800 sind in eine Festanstellung vermittelt worden" Aus: "Jobwunder Zeitarbeit floppt. Miserable Bilanz." Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 11.11.2003. Andere Quellen sprechen sogar von nur 117! ("Raubritter. Die Personal-Service-Agenturen fungieren als Vorreiter für flächendeckendes Lohndumping." Artikel von Dago Langhan in junge Welt vom 9.12.2003.

4) Siehe "Jobwunder Zeitarbeit floppt. Miserable Bilanz." Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 11.11.2003

5) Text der Sendung von Myriam Schönecker, gelaufen am 1.2. 18.00 Uhr in defacto, Hessenfernsehen

6) "PSA: Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit", Artikel in der FAZ vom 19.12.2003

7) Vgl. "Dumpinglöhne für Leiharbeiter. Ausbeutung durch Zeitarbeitsfirmen." Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 27.05.2003

8) BA: Hinweisblatt PSA-Konzeption / Vergabeverfahren

9) Text der Sendung von Myriam Schönecker, gelaufen am 1.2. 18.00 Uhr in defacto, Hessenfernsehen

10) Die von Maatwerk angegebenen Kündigungsgründe - wohl um eigenes Versagen zu vertuschen - brachten die Erwerbslosen oft in anschließende Probleme mit dem Arbeitsamt. Siehe dazu auch Kapitel 11.

11) "Stoppen wir die PSA-Zwangsarbeit! Bekämpfen wir die Sklavenarbeit!" Flugblatt von OG Hamburg der FAU vom Januar 2004

12) Siehe zur Finanzierung einer PSA Kap. 8

13) "Maatwerk in Insolvenz. Rückschlag für Hartz-Reform". Text der Sendung in Frontal21 von Maja Helmer und Marcus Lindemann am 17.02.2004

14) Eine Kündigung in der Probezeit bedarf keiner Begründung. Dass Maatwerk gerne - und oft unzutreffende - Kündigungsgründe angab, machte den Betroffenen viele Probleme mit dem Arbeitsamt und drohenden Sperren. Maatwerk selbst wollte auf diese Weise wohl Vermittlungsbemühungen nachweisen...

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