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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Wohnungsfrage

Dem Berliner Original Heinrich Zille wird die Erkenntnis zugeordnet: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber man kann ihn auch mit einer Wohnung erschlagen.” Und viele Berliner werden den 3. Februar 1945 nicht vergessen. In den Vormittagsstunden des Samstags zwischen 10 und 11 Uhr heulten die Sirenen; die Berliner Innenstadt wurde vernichtet. Wie viele von ihrer eigenen Wohnung allein erschlagen wurden, blieb ungezählt.

Die von den Alliierten anerkannte Nachkriegsverwaltung „Magistrat der Stadt Berlin“ beschloss auf ihrer ersten Sitzung u.a.: „Die Mieten müssen laufend bezahlt werden. Mieter für Häuser, wo der Hausbesitzer geflohen ist, und für Häuser aktiver Nazis werden von den Bezirksämtern eingezogen. Für den Monat Mai werden keine Mitzahlungen erhoben.“[1]

„Von 225.000 Wohngebäuden waren 30.000 völlig zerstört und weitere 50.000 Häuser unbewohnbar.“[2]

Bereits mit dem 18. Juni 1945 erließ der Magistrat der Stadt Berlin aus dringendem Grund die „Verordnung über die Bewirtschaftung der Wohn- und gewerblichen Räume“ und legte abhängig von den Zerstörungen in den jeweiligen Bezirken eine „Schlüsselzahl“[3] (Quadratmeter) für den Anspruch der Personen fest, die dort auch eine Lebensmittelkarte bezogen.

„Nach den Erhebungen des Statistischen Amtes der Stadt Berlin belief sich die Einwohnerzahl am 1. Oktober 1946 auf 3.190.178 Personen. Davon lebten im

  • sowjetischen Sektor 1.176.929
  • amerikanischen Sektor 975.634
  • britischen Sektor 609.382
  • französischen Sektor 428.233.[4]

Und noch im September 1946 brachte die „Anordnung“ der Alliierten Kommandantur (BK/O (46) 369) hinsichtlich der Handhabe mit dem in Berlin vorhandenen Wohnraum Übereinstimmung zum Ausdruck: „Die ganze Stadt Berlin wird hierdurch im Sinne dieses Artikels zum Brennpunkt des Wohnungsbedarfs erklärt.“[5]

Allerdings wurde schon im August 1945 [6] im amerikanischen Sektor, alsbald in den beiden anderen von den Westmächten besetzten Sektoren, die Tätigkeit der Straßen- und Hausobleute verboten, obgleich ausdrücklich hinsichtlich der erlassenen Wohnraumbewirtschaftsverordnung vom 18. Juni 1945 bei der Erfassung von Wohnraum deren Mitarbeit erbeten war: „Hauseigentümer oder deren Verwalter und – soweit beide nicht handlungsfähig – Hausobmänner, die dann im Auftrage der Bezirksbürgermeister handeln.“

So hoben sich nach und nach, aber gezielt beständig, die künftigen sozialen Konturen auf dem Wohnungsmarkt ab; im „goldenen Westen“ - das freie Spiel der Kräfte - der Erhalt des zur Spekulation bedienbaren Privatbesitzes an Wohnraum und Grundbesitz. Das politische System in Westberlin und Westdeutschland unterwarf sich trotz einer vermeintlichen Erfahrung – 12 Jahre Naziherrschaft – wiederum den rein kapitalistischen Bedingungen, die der Reichsverband der Deutschen Industrie in einer Denkschrift schon am 2. Dezember 1929, noch vor der Naziherrschaft abgefordert, hatte: „Die Zwangsbewirtschaftung der Wohnungen und gewerblichen Räume durch die Wohnungsämter ist beschleunigt abzubauen.“[7]

Und wundert es wen, wenn im „Grundgesetz für die BRD“ vom 23. Mai 1949 die Schöpfer lediglich die „Unverletzlichkeit der Wohnung“[8] festgeschrieben haben, jedoch nicht das Recht auf Wohnraum?

Nicht nur im zerstörten Berlin, auch in anderen deutschen Großstädten herrschten nun genau eben jene dramatischen Wohnungsverhältnisse, von denen 1909 der Berliner Arzt Dr. med. Ignaz Zadek anklagend sprach: „Wer die Arbeiterwohnverhältnisse in unseren Großstäd­ten kennt, das häufige Zusammenschlafen von Kranken und Gesunden in einem Bett, das Schlafgängerwesen, den Man­gel an Luft und Licht, an Reinlichkeit, an Beaufsichtigung und Wartung der Kinder, für den sind jene entsetzlichen Ziffern von tuberkulösen Infektionen im zarten Kindesalter verständlich, für den steht es fest, dass die Tuberkulose als Volkskrankheit solange unausrottbar ist - trotz Lungenheilstätten und Fürsorgestellen, trotz Kranken- und Invalidenversicherung - solange die Wohnungsfrage nicht gelöst ist.“[9]

Augenzeugen berichteten, dass die hygienischen Bedingungen unmittelbar nach Kriegsende in Berlin sich etwa denen von 1909 glichen. In der dritten Juli-Woche [10] 1945 erreichten die Neuerkrankungen an Ruhr einen Höhepunkt – 2.500 Personen waren davon betroffen. An Tbc starben im 1. Quartal 1946 vier mal so viele Menschen als im gesamten Jahr 1938 (816:198)[11].

Hier im „Osten“ zog man die Lehren aus den bitteren Erfahrungen des profitsüchtigen Handelns, bemühte sich um eine gerechtere Lösung der Wohnungsfrage.

Bereits am 14. November 1946 beriet eine außerordentliche Tagung des Parteivorstandes der SED einen Verfassungsentwurf [12], dessen Grundgedanken sich in der 1. Verfassung der DDR vom 7.10.1949 wiederfinden: „Art. 26, Abs. 2 - >Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern.<“

Was ist eine Wohnung? Eine zusammenhängende Gruppe von Räumen für das Familienleben in einem Haushalt geeignet, in sich abgeschlossen und für eine ganzjährige Nutzung bestimmt.[13]
Folglich wahrte sich der Staat DDR das Recht auf Wohnraumlenkung, um schließlich den später in der Verfassung der DDR niedergelegten Grundsatz sukzessiv verwirklichen zu können: „Jeder Bürger der DDR hat das Recht auf Wohnraum für sich und seine Familie entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen.“[14]

Von Beginn an bewies der Staat seine Verantwortung, den Wohnungsfonds ständig zu erweitern; Investitionen standen für den Bau von Neubauernhäusern, der Förderung der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften und dem staatlichen Neubau zur Verfügung.
Eingegliedert in das Volkseigentum wurde zum Beispiel per 1. Mai 1949 [15] der Wohnungsbestand der GSW (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft). Nach 1989 erschien dieser Name auch wieder im östlichen Berlin, ungeachtet dessen, dass dieses Wohnungsunternehmen im „freien Spiel der Kräfte“ per 1. Januar 1937 etliche jüdische Unternehmungen sich einverleibte und „arisierte“.

Heute nun vermieten Amerikaner eben an die 50.000 Wohnungen der GSW, nachdem im Jahr 2004 die US-Investgemeinschaft Cerberus und der Whitehall-Fonds von Goldman Sachs den Bestand übernommen haben.
Auch in Dresden sind an die 50.000 Wohnungen von „Bushleuten“ aufgekauft worden, dem Unternehmen Fortress. Eine Mietpreisbindung ist nirgendwo exklusiv ausgeschlossen.
Wohl lässt sich gegenwärtig in der Verfassung von Berlin im Artikel 19 nachlesen: „Jedermann hat das Recht auf Wohnraum“[16], doch wie viele Obdachlose kennt die Stadt?

Zille aktuell? Man kann einen Menschen auch mit einer Wohnung erschlagen? Nicht immer! Aber immer öfter! Hartz IV machts möglich.

Hans Horn

Anmerkungen

1) Josef Orlopp: Zusammenbruch und Aufbau Berlins 1945/1946. Dietz Verlag Berlin; 1947; S.23.

2) ebenda: S. 30

3) Verordnungsblatt der Stadt Berlin: 1. Jg.; Nr. 3; 25.07.1945; S. 34.

4) Josef Orlopp: Zusammenbruch und Aufbau Berlins 1945/1946. Dietz Verlag Berlin; 1947; S.80.

5) ebenda: 2. Jg.; Nr. 39; 30.09.1946; S. 347.

6) Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Dietz Verlag Berlin; 1966; Bd. 6; S. 96.

7) Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (Berlin); 1929, Nr. 49, S. 7/8,11-15. In: Autorenkollektiv: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung; Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED; Dietz Verlag Berlin; 1966; Band 4; S. 227.

8) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit; 1990; Art. 13; S. 40..

9) Dr. Zadek: Die Proletarierkrankheit. Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW. 68; Berlin 1909; S. 17.

10) Josef Orlopp: Zusammenbruch und Aufbau Berlins 1945/1946. Dietz Verlag Berlin; 1947; S.25.

11) ebenda: S. 27.

12) Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung – Chronik - . Dietz Verlag 1967; S. 97.

13) TGL 9552/01 – Gruppe 250.000 – DDR-Standard ab 01.03.1986.

14) Verfassung der DDR; Fassung vom 07.10.1974; Art. 37.

15) Internetdaten: GSW

16) Verfassung von Berlin; 01.09.1950; § 19; Abs. 1.


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