Schluß mit lustig!

Arbeitsmarktpolitik soll Erwerbslose zur Vernunft bringen

 

"Grundlage der Beurteilung der Qualität öffentlich geförderter Beschäftigung ist der ... mögliche positive Stellenwert der Arbeit bei der Nachsozialisierung arbeitsloser junger Menschen." Dieser programmatische Leitsatz stammt aus einem Papier, mit dem Detlef Scheele, Chef der staatlichen Hamburger Arbeit Beschäftigungsgesellschaft (HAB) Niedriglöhne im öffentlichen Beschäftigungssektor fordert. (1) Der Paradigmenwechsel in der öffentlichen Diskussion zum Thema "Arbeit" wird hier in seltener Klarheit formuliert: Arbeit als Instrument zur Erziehung und Disziplinierung.

Nach einem 1997 geschlossenen Tarifvertrag für den öffentlichen Beschäftigungssektor in Hamburg verdienen Erwerbslose in Hamburger Beschäftigungsprojekten zwischen 2.600 und 2.900 DM brutto im Monat, das sind ca. 1.600 bzw. 1.900 DM netto. Wahrlich keine Traumgagen, doch nach Ansicht der sozialdemokratischen ArbeitsmarktpolitikerInnen in der Hansestadt immer noch zuviel. Bereits in den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen im Herbst 1997 hatte die SPD einen Niedrigtarif für Jungerwachsene festschreiben lassen, der aber bisher noch nicht konkretisiert worden ist. Maßgeblicher Ideengeber für diesen Plan: Detlef Scheele, lange Zeit Chef des "linken" SPD-Bezirks Hamburg-Nord, früher Geschäftsführer des staatlichen Fortbildungs- und Qualifizierungsträgers ZEBRA und nun Chef der HAB, des mit 1.600 Beschäftigten mit Abstand größten Beschäftigungsträgers für erwerbslose SozialhilfeempfängerInnen.

 

Staatlich organisiertes Lohndumping

Im Dezember letzten Jahres sprach der zuständige Amtsleiter in der Sozialbehörde, Uwe Riez, ebenfalls SPD, ebenfalls aus dem Bezirk Hamburg-Nord und Vorgänger Scheeles im Amt des HAB-Geschäftsführers, von einem beabsichtigten Jugendtarif in Höhe von 1.500 DM brutto. Er kritisierte damit gleichzeitig die Pläne des Bundesarbeitsministeriums, das für Jugendliche in öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen Löhne in Höhe von 2.800 DM brutto finanzieren wollte: "Das ist eine kontraproduktive Lösung, und sie weicht von unserer Absicht ab, einen Jugendlichentarif zu schaffen", so Riez gegenüber der taz. Seit diesem Frühjahr haben Behörde und HAB die Karten aufgedeckt. In seiner "Argumentationshilfe" für eine "Versachlichung der Diskussion" (Titel: "Gerecht gefördert") schlägt Scheele ein Tarifentgelt von 1.500 DM brutto plus einer Fahrkarte für den Öffentlichen Personennahverkehr in Hamburg vor. Dafür sollen die bei der HAB beschäftigten Jugendlichen und Jungerwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren 30 Stunden pro Woche arbeiten und im Umfang von 8,5 Stunden pro Woche an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen. 700 Arbeitsplätze will die HAB auf dieser Basis zusätzlich schaffen.

Die Absicht, von 38,5 Stunden Arbeitszeit nur 30 Stunden zu bezahlen und das auch noch zu einem Tariflohn, der unter dem Sozialhilfesatz liegt, ist sicherlich ein Skandal allererster Güte. Was das Scheele-Papier aber von anderen Machwerken "moderner" Deregulierer abhebt, ist der Tenor, mit dem Niedriglöhne für öffentlich geförderte Beschäftigung begründet werden. Die HAB begreift ihren Jugendlichentarif nämlich als "motivationsförderndes Angebot" zur Integration in den sogenannten Ersten Arbeitsmarkt: "Die Entgeltfrage ist ein wesentliches Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg unter diesem Gesichtspunkt. Gewährt man einem jungerwachsenen Mitarbeiter in geförderter Beschäftigung einen Lohn, der in keinem erkennbaren Verhältnis zur tatsächlich erzielten produktiven Leistung für das Unternehmen steht, fördert man gutmeinend Fehlsozialisationen (!) und damit Anspruchsdenken an die Allgemeinheit und letztlich ein Leben außerhalb üblicher Berufsbiographien." Für Scheele ist der niedrige Lohn in erster Linie ein erzieherisches Instrument gegen "Fehlsozialisation" und "Anspruchsdenken". Nur ein paar Sätze weiter heißt es bei ihm: "Ein Entgeltsystem, das Maßstäbe nachhaltig verschiebt und einen unrealistischen Eindruck der Verwertbarkeit der eigenen Arbeitsleistung vermittelt, schadet langfristig dem Einzelnen und dem Gemeinwesen."

Hier kommt eine Problemsicht in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, die in der Debatte um den öffentlichen Beschäftigungssektor viel zu wenig berücksichtigt wird. Die eigentliche Schwierigkeit für die "moderne" Arbeitsmarktpolitik ist offensichtlich nicht das Fehlen von Arbeit und Arbeitsplätzen an sich. Das Problem besteht darin, daß die Bedürfnisse und Ansprüche von (jugendlichen) Erwerbslosen nicht zu dem passen, was ihnen als Jobperspektive angeboten wird. Bodo Hombach, Chefideologe von "New Labour Germany", kritisierte 1998 gegenüber dem Spiegel, "daß überhaupt keine Arbeit zu haben offenbar immer noch höher geschätzt wird als ein ,McJob.'" Etwas soziologischer ist in einem Gutachten für die hessischen Grünen von "spezifischen soziokulturellen Einstellungen gegenüber diesen Arbeitsmöglichkeiten" die Rede, um zu erklären, warum ein Niedriglohnsektor so schwer durchzusetzen ist.

(Jugendliche) Erwerbslose sind offenbar (noch) nicht bereit, jeden Job anzunehmen. Sie orientieren sich möglichweise noch an "anachronistischen" Berufsbildern, an ihrer Qualifikation, an Arbeitsinhalten oder an ihren Konsumgewohnheiten und -ansprüchen, an Vorstellungen von ihrem "Traumjob". All diese Ansprüche brechen sich an der tristen und perspektivlosen Realität schlecht bezahlter, gesundheitsgefährdender und entrechteter Billig-Jobs, die zur "normalen" Arbeitsperspektive gerade für Jugendliche und Jungerwachsene werden sollen. Denn wenn Scheele befürchtet, daß erwerbslose Jugendliche ihr Leben außerhalb der "üblichen Berufsbiographien" organisieren, so will er sie ja im Umkehrschluß nicht in die "üblichen Berufsbiographien" des fordistischen Normalarbeitsverhältnisses integrieren. Ansprüche, die sich daran orientieren sind vielmehr "realitätsfern" und müssen gebrochen werden. Dabei wird das Erziehungsmittel "Niedriglohn" in den Händen der Arbeitsmarktpolitiker zum Rohrstock: "Beschäftigten in geförderten Arbeitsverhältnissen müssen unter Beweis stellen, daß sie bereit sind, zugunsten niedrig entlohnter Tätigkeiten das System zu verlassen." (2)

 

Demontage einer Hängematte

Eine Arbeitsmarktpolitik, die sich in erster Linie an der "Beseitigung von Fehlsozialisationen" orientiert, will "unzeitgemäße" und "unrealistische" Erwartungen und Verhaltensweisen bekämpfen: "Ihnen (den Jugendlichen) wird man ... vermitteln müssen, daß zunächst die eigene Arbeit den Lebensunterhalt sichern muß und öffentliche Transfersysteme möglichst nur ergänzend und nachrangig in Anspruch genommen werden sollen. Insoweit geht es bei der Durchführung der Beschäftigungsprogramme auch um die Vermittlung von Haltungsfragen". (3) Der Niedriglohn in der öffentlich geförderten Beschäftigung ist dabei weniger ein Vehikel zur allgemeinen Durchsetzung eines Niedriglohnsektors; er ist vor allem ein Mittel der Strafe.

Natürlich kann ArbeitsmarktpolitikerInnen vom Schlage eines Detlef Scheele vorgeworfen werden, daß sie sämtliche fachlichen Kriterien an eine sinnstiftende Arbeit und verwertbare Qualifizierung gerade bei Maßnahmen für erwerbslose Jugendliche mißachten. Doch diese Kritik trifft nicht wirklich, weil sie von den Scheeles überhaupt nicht mehr als Maßstab akzeptiert wird. Im Gegenteil: In ihrer Logik einer "motivationsfördernden Arbeitsmarktpolitik" ist alles, was an der Arbeit Spaß machen könnte, alles was aus fachlicher Sicht notwendige Ansprüche an sinnvolle Tätigkeiten, Qualifizierungsmaßnahmen und existenzsichernde Entlohnung wären, kontraproduktiv. Die Arbeit in öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen muß geradezu zu einer möglichst unerträglichen Last gemacht werden, so daß die prekären Beschäftigungsverhältnisse des "Ersten Arbeitsmarktes" wie eine Erlösung scheinen. Und wenn daher in diesen Arbeitsverhältnissen keine existenzsichernden Löhne gezahlt werden, so darf das auch in der öffentlich geförderten Beschäftigung nicht der Fall sein: "Wird im Bereich der Entlohnung von Jungerwachsenen im Sektor der geförderten Beschäftigung mit dem Argument der Existenzsicherung geworben, müßte dies im Einzelhandel oder im Hotel- und Gaststättengewerbe erst Recht Einzug in die Tarifwirklichkeit halten."(4)

Vieles von dem, was Scheele in seinem aktuellen Papier anspricht, hat er als einer der arbeitsmarktpolitischen Strategen der Hamburger Sozialdemokratie bereits früher angedeutet. Im März 1994 diskutierte die SPD-Bürgerschaftsfraktion ein Papier mit dem Titel "Perspektiven einer aktiven Arbeitsmarktpolitik für Hamburg 1994-1997". Mitautor: Detlef Scheele. Angesichts der restriktiven Rahmenbedingungen, die die Kohl-Regierung damals gesetzt hatte, waren die in den 80er Jahren ausgebauten Instrumente der Hamburger Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die Beschäftigungsgesellschaften und der ABM-Sektor zu teuer geworden. Die Arbeitsbedingungen und Löhne im "Zweiten Arbeitsmarkt" erschienen plötzlich als luxuriös. In Zukunft galt es somit, diese "Nischen" zu stopfen und dafür zu sorgen, daß "eine freiwillige Lebensplanung in und mit den Instrumenten des Zweiten Arbeitsmarktes unattraktiv ist". (5)

Als Mittel zum Zweck wurde bereits in diesem Papier neben repressiveren Arbeitsbedingungen ein Tariflohn benannt, der verhindern sollte, "daß die Entlohnung einen unnötig langen Verbleib im Zweiten Arbeitsmarkt fördert." Allerdings wurde damals noch von einem Stellenmangel für "diese Personengruppe" gesprochen, der Niedriglohnsektor war noch nicht en vogue. Leitgedanke der sozialdemokratischen Arbeitsmarktpolitik wurde "eine soziale ,Grundsicherung' durch befristete Beschäftigung" in systematischer Verbindung "mit einer konsequenten Integrationszielsetzung (in den 1. Arbeitsmarkt)".

 

Pädagogik der Arbeit

Den Unterschied und die Brisanz, die Papiere wie das von Scheele heute im Vergleich zu 1994 ausmachen, liegt in der veränderten gesellschaftlichen Situation. Erwerbslosigkeit als "Sozialisationsdefizit" und öffentlich geförderte Beschäftigung als Instanz "nachholender Sozialisation" hat sich als vorherrschendes Begründungsmuster in der Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt. "Arbeit" ist als Inbegriff von individueller Würde, Selbstbestimmung, Sinnstiftung und intakter Gesellschaftlichkeit ideologisch enorm aufgewertet und aufgeladen worden. Die Integration "in Arbeit" bzw. die Unterwerfung unter "die Arbeit" als nacktem Prinzip ist vor diesem Hintergrund unangreifbarer als je zu vor.

Nach dem Besuch einer Berufsfindungsmaßnahme zeigte sich die Hamburger Sozialsenatorin und frühere DGB-Vorsitzende, Karin Roth, hellauf empört, weil ihr ein Jugendlicher gesagt hatte, er wolle "viel Kohle". "Doch das werden wir dem auch noch austreiben" , beruhigte sie anschließend sich und ihr Publikum. Diese Anekdote illustriert drastisch, worum es im öffentlichen Beschäftigungssektor zukünftig geht. "Sozialisierung" durch Arbeit ist mehr den je die Bekämpfung von tatsächlichem oder vermeintlich renitentem Verhalten, das von unverhohlenen Konsumansprüchen über "unrealistische" Berufswünsche bis zu Kriminalität reichen kann (wobei "Herumlungern" und "Gammeln" bereits latent kriminelles Verhalten signalisiert). Ziel der modernen Arbeitsmarktpolitik ist es, den (jugendlichen) Erwerbslosen klar zu machen - und es von ihnen akzeptieren zu lassen - daß an Arbeit, Arbeitsbedingungen und Löhne keine Ansprüche zu stellen sind, daß Arbeit an sich Lohn genug und Arbeitslosigkeit eine unmoralische und tendentiell delinquente Existenzweise ist.

In seiner berühmten Studie über die Entstehung der modernen Haftstrafe und des Gefängnisses zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschreibt Michel Foucault die Katalysatorfunktion des Arbeitshauses, "das den Arbeitsscheuen die universelle Pädagogik der Arbeit sichert." "Diese so nützliche Pädagogik wird beim faulen Subjekt den Geschmack an der Arbeit wiederherstellen; sie wird es in ein System von Interessen hineinzwingen, in welchem die Arbeit mehr Vorteile bringt als die Faulheit; sie wird um es herum eine kleine, beschränkte Gesellschaft von einfachem und zwingendem Charakter schaffen, in der die Maxime herrscht; wer leben will, muß arbeiten." (6) Natürlich ist die momentane Diskussion um die "Reform" des "Zweiten Arbeitsmarktes" nicht identisch mit den Überlegungen zu den Arbeitshäusern des ausgehenden 18. Jahrhunderts; insbesondere geht es heute im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor nicht um die Verknüpfung mit dem Strafvollzug und der Strafhaft. Dennoch eröffnet ein Rückbezug auf die Anfänge des modernen Gefängniswesens den Blick auf das zentrale Element der augenblicklichen Diskussion um die "Integration in Arbeit" - nämlich die Idee der disziplinierenden, "sozialisierenden" Funktion von "Arbeit" bzw. das Prinzip einer "Pädagogik der Arbeit".

Doch während es beim Arbeitshaus in Gent 1773 darum ging, den "homo oeconomicus" als Leitbild der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft in der Psyche und im Verhalten der Gefangen zu verankern, geht es bei den Maßnahmen des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors 1999 darum, die Kehrseite des "flexiblen Menschen" durchzusetzen. Die Moral und Ideologie der Flexibilität soll auch von denjenigen verinnerlicht werden, die aus dem hochflexibilisierten Ausbeutungsprozeß in den Büros und Fabriken herausfallen und für die nur die Verausgabung ihrer Arbeitskraft in den Niedriglohnsegmenten prekärer Beschäftigung vorgesehen ist. Und so wie die "Pädagogik der Arbeit" 1773 nicht nur auf die Verhaltensweisen der Gefangenen zielte, zielt die heutige "Erziehung durch Arbeit" nicht nur auf das Verhalten von Erwerbslosen in Beschäftigungsmaßnahmen. Wer leben will, muß arbeiten ist eine gesamtgesellschaftliche Botschaft.

Fern von jeder emanzipatorischen Idylle wird im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor als Sozialisationsinstanz die Normierung der neuen Ausbeutungsverhältnisse durchgesetzt, die Norm und die "Normalität" dessen, was heute Lohnarbeit ist. Unter den Bedingungen der real existierenden Arbeitsmarktpolitik ist der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor mehr denn je mit Vorsicht zu genießen. Jede politisch positive Bezugnahme auf diesen Bereich, die nicht gleichzeitig die "Normalität" der Arbeitsinhalte, Arbeitsbedingungen und der Entlohnung mit diskutiert, muß sich daher verbieten.

dk

Anmerkungen:

  1. Detlef Scheele: "Gerecht gefördert. Anmerkungen zur Entlohnung von Jungerwachsenen ohne Berufsausbildung in der Beschäftigungsförderung", Hamburg, Februar 1999
  2. ebd.
  3. ebd.
  4. ebd.
  5. "Perspektiven einer aktiven Arbeitsmarktpolitik für Hamburg 1994-1997", Vorlage für die Haushaltsklausur der SPD-Bürgerschaftsfraktion am 25./26. März 1994 in Bad Bramstedt
  6. Michel Foucault: "Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses", Frankfurt 1976, S.157

aus: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 428 / 08.07.1999

siehe auch: http://www.akweb.de