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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kommentar von KT vom 23.5.06 zum Beitrag von Wolfgang Schaumberg: Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zur konkreten Vision... pdf-Datei

Wolfgang Schaumberg erinnerte daran, dass Beschäftigte und Gewerkschaften sich nur schwer aus ihrer kapitalistischen Gefangenschaft befreien können. Dabei setzt er voraus, dass die Bewegung zu einer anderen Gesellschaft und einer anderen Welt von denen ausgeht. Aber die feudalistische Gesellschaft ist nicht aus Sklaven entstanden, die bürgerliche Gesellschaft nicht aus Leibeigenen. Warum sollten Arbeiter die treibende Kraft für die nächste Gesellschaftsform sein? Sehr wohl geht die treibende Kraft von der Lebenserfahrung einer Mehrheit der Menschen aus, auch Arbeiter und Beschäftigte sind ganz normale Menschen, die eine Lebenserfahrung haben; aber sie sind nicht mehr die Mehrheit, erfahren sie. Sie müssen sich entscheiden: Wollen sie sich weiter vormachen, dass die Arbeitslosigkeit sie nicht trifft, oder wollen sie, solange sie noch beschäftigt sind, sich nicht besser ein zweites Standbein schaffen? Wollen sie weiter in Angst vor Arbeitslosigkeit erstarren oder sagen können, wenn es eines Tages so weit ist: "Och, mir geht's ganz gut ohne Arbeit"?

Viele haben sich schon gegen ihre Firma und für sich entschieden, arbeiten mit innerer Kündigung, bauen sich nebenher einen zweiten Erwerbszweig auf, tun sich dazu mit anderen zusammen. Oder sie versorgen sich selbst durch gegenseitige Unterstützung und gemeinsame Produktion. Eine Hippie-Kolonie in den USA hat es auf diese Weise so weit gebracht, dass sie nur noch 700 US$ pro Person und Jahr brauchen. Selbst auf Kooperativen in Deutschland reichen 400 € pro Person und Monat. Das wollen wir aber nicht dem Staat sagen, sondern zum einen mit Kreativität seine zunehmenden Repressionen umgehen und zum andern unser Recht auf Leben einfordern. Wenn man schon unseren Vorfahren die Äcker geraubt hat, von denen sie leben konnten, so wollen wir doch von diesen Räubern einfordern, was mensch für ein würdiges Leben in dieser Gesellschaft braucht: 1500 € netto monatlich als bedingungsloses Grundeinkommen für jedeN. Das ist machbar, vor allem wenn man bedenkt, dass dann immer mehr Menschen bereit sind, "ehrenamtlich" zu arbeiten, und die Zahl der Menschen zunimmt, die ganz ohne Tausch und Geld auskommen, weil sie sich auf sich selbst verlassen und die Solidarität befreundeter Kooperativen. Also starren wir nicht wie gebannt auf die immer weniger werdenden fremdbestimmt Arbeitenden, sondern auf die selbstbestimmt Arbeitenden. Schon die Pariser Commune hat bewiesen: Wir können unsere Angelegenheit auch selbst regeln, wir brauchen keine Regierung (keine Partei und keine Gewerkschaft). Tagtäglich wird in dieser Gesellschaft bewiesen: Wir können unser Radio, unser Fernsehen, unsere Zeitung, unsere Kindertagesstätte, unsere Schule, unser Brot, unseren Friseur usw. auch selbst machen. Jede Mutter, die ihr Baby stillt, jeder Vater, der seinem Sohn etwas beibringt, wirtschaftet ohne Tauschverhältnisse. "Es geht auch anders!" Nach dieser Erfahrung lebt schon ein großer Teil der Menschen in dieser Gesellschaft oder hat sich darauf orientiert, nur die linke Avantgarde hat es noch nicht gemerkt. Aber wer seine Ohren am Boden hat auf einer Wiese in der Sonne, hört, was sich tut. Wahrhaftige Linke sind der Entwicklung immer etwas voraus, jedenfalls klammern sie sich nicht an etwas, das offensichtlich untergeht. Sie reden auch nicht dummes Zeug wie Michael Schlecht: Wer monatlich 1500 € netto ohne Gegenleistung erhält, sei todunglücklich. Oder wie Joaachim Bischoff: Ein Erfolg der Linken sei es, dass man in Deutschland über einen Mindestlohn nachdenke und die Altersgrenze auf 67 Jahre anhebe.

Das alles ist natürlich nur zu verstehen, wenn man davon ausgeht, dass die Wurzeln des Kapitalismus schon im Patriarchat liegen, aus dem dann notwendig Eigentums-, Tausch-, Geld-, Warenverhältnisse entstanden, weiter Staat, ökonomischer Wettbewerb, Kapitalismus, Faschismus. Das alles ist nur zu verstehen von Menschen, die den Kapitalismus nicht zähmen wollen (weil er nicht zu zähmen ist). Bis solches Wissen zum Allgemeingut der Menschheit gehört, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Es hat auch lange gedauert, bis eine Mehrzahl der Menschheit glaubt, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Kopernikus und Marx haben ihr Wissen kostenlos an die Menschheit weitergegeben, nützlicheres Wissen als die Patente von Rolex und DaimlerChrysler. Das Wissen der Menschen gehört zum Allgemeingut der Menschheit. Ebenso gehört die Natur allen Menschen zur Befriedigung ihrer sinnlichen Bedürfnisse, aber zu nicht mehr.

Ein Blick zurück in die Geschichte kann uns offen machen für die Zukunft. Schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es die 30 Stunden-Woche in US-Ölfirmen. Warum dann nicht heute bei uns die 20 Stunden-Woche? Auch dann würden die Menschen natürlich nebenher noch arbeiten, aber selbstbestimmt. Sie hätten, wie Wolfgang Schaumberg richtig sieht, mehr Zeit, um miteinander zu reden, ihre Lebenserfahrungen auszutauschen und sich allseitig zu entwickeln. Aber Zeit zum Nachdenken und zur selbstbestimmten Entwicklung der Menschen darf der Kapitalismus den Menschen bei Strafe seines Untergangs nicht lassen. Also fordern wir die 20 Stunden-Woche oder 1500 € netto monatlich. Das können wir selbst. Dazu brauchen wir weder Politiker noch Gewerkschaftsfunktionäre.

KT war während seiner Arbeit als Verlagslektor bei ver.di organisiert und arbeitet heute im Umsonstladen Hamburg.


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