Immaterial Workers of the World

Was soll ich dir raten?

  1. Einleitung
  2. Der gesellschaftliche Arbeitstag
  3. Die neue Spezies
  4. Immaterial Workers of the World
  5. Das sozialdemokratische Europa und die Forderung nach einem allen Bürgern zustehenden Einkommen (reddito di cittadinanza)

 

Einleitung

Die Merkmale der postfordistischen Gesellschaft sind mittlerweile allen bekannt: Den Technokraten, Gewerkschaftlern, Soziologen, Forschungszentren, Regierungskanzleien, Parlamentsausschüssen, Massenmedien und Veltroni. Vermutlich wird es an den Universitäten bald Lehrstühle geben, die den Stoff behandeln. Das kritische Denken, das vor zehn oder fünfzehn Jahren die Eigenart des neuen Produktionsparadigmas erkannt hat – und sich dabei heftig mit einem ziemlichen Ausmaß an Verblendung und Nostalgie herumzuschlagen hatte -, läuft Gefahr, durch Spitzfindigkeiten, besserwisserische Repetitorien und Fußnoten abgelenkt, auf der Stelle zu treten. Kurz, es läuft Gefahr, eine zweitklassige Denkschule in die Welt zu setzen, die mit all den Lastern und schlechten Gewohnheiten behaftet ist, die in jeder Akademie zuhause sind – jedoch ohne über die zu einer solchen Einrichtung gehörende Macht zu verfügen. Dazu kommen noch die einer marginalen Stellung eigenen Ressentiments wie Engstirnigkeit und Groll, allerdings ohne die eigentlich dazu gehörende rebellische Skrupellosigkeit. Ringsum hört man häufig, "ich hab’s ja gesagt und damit meinen Seelenfrieden", als ob eine mehr oder weniger anschauliche Beschreibung des neuen sozialen Panoramas ausreichte, mit sich selbst im reinen zu sein. Statt sich den "Seelenfrieden" zu bewahren, sollte man ihn auf’s Spiel setzen und schlimmstenfalls verlieren, indem man von der Diagnose zur Prognose übergeht, vom Disput über die Grundtendenzen unserer Zeit zur direkten politischen Aktion.

Das Entscheidende ist nicht länger die Entdeckung des neuen Kontinents, sondern die Art und Weise wie er bewohnt wird. Der zur unanfechtbaren Evidenz gewordene Postfordismus scheint selbst die Möglichkeit eines radikalen Antagonismus zu negieren. Es heißt, wer die veränderte Ordnung der Produktion zur Kenntnis genommen hat, muß sich selbst ohne Wenn und Aber die Hinfälligkeit jedes Gedankens an die Revolution eingestehen. Und dazu: Wer noch von Revolution spricht, beweist nur, daß er sehnsüchtig dem fordistischen Universum nachtrauert. Eine verrückte und schändliche Behauptung, die auf dem Gebiet einer Unzahl von zu machenden Erfahrungen praktisch widerlegt werden muß. Es geht darum, zu beweisen, daß sich eine gefestigte Politik subversiven Schlags mit der Epoche, in der das Wissen und die Kommunikation zum Kern der sozialen Produktion geworden sind, in tiefer Übereinstimmung befindet. Weit davon entfernt, dem Wunsch extremistischen Ungestüms Rechnung zu tragen, erweisen sich, gerade und ausschließlich im Postfordismus, die Abschaffung der Lohnarbeit und die fortschreitende Erosion jenes "Monopols an politischer Entscheidung", das den Namen des Staates trägt, als vernünftige Ziele. Kurz: Postfordismus reimt sich in etwa auf die Aktualität der Revolution wie im alten Refrain "Michelle" auf "ma belle".

Dieser Text soll zu einem lebhaften, äußerst vielschichtigen und -stimmigen Nachdenken über inhaltliche Forderungen, mögliche Streitfragen, Kampfformen, Taktiken, Bündnisse und das Ausprobieren organisatorischer Wege beitragen. Wer von ihm eine weitere theoretische Anstrengung erwartet, sollte besser gleich aufhören, weiterzulesen. Keineswegs, daß eine solche Anstrengung überflüssig wäre: Im Gegenteil. Die Absicht des Dokuments ist jedoch eine andere und vielleicht etwas ambitioniertere: Die Umrisse einer sich auf der Höhe des Postfordismus befindenden praktischen Initiative hier und jetzt, in Italien und in Europa, zu skizzieren. Es ist Rangordnung des Diskurses, die umgedreht werden muß; nämlich das Verhältnis zwischen dem, was im Hintergrund bleibt und dem, was in den Vordergrund tritt. Zunächst: Wie den Kampf der bei pony express oder bei den Reinigungsfirmen Arbeitenden organisieren, wie den der Telefonisten der chatlines oder den der Zeitarbeiter, wie den der "Jugendlichen, die auf unbestimmte Zeit in Ausbildung" sind. Dann: Das eine oder andere Stück einer überspitzten Analyse über die immaterielle Arbeit oder die Vernutzung der Sprache im Verlauf eines konkreten, mit Kämpfen verbundenen Wegstückes aufnehmen und wieder verwerten. Gerade weil es ambitionierter als ein gewohnter theoretischer Beitrag ist, stellt das Dokument eine gewisse Armut offen zur Schau; eine Armseligkeit der Mittel, der Erfahrungen, der Gewißheiten. Diese Zeilen kommen mitunter einem Gestammel gleich. Doch so muß es sein. Gibt es wirklich jemand, der sich "reich" und "erfahren" wähnt? Falls ja, wäre der zu bemitleiden.

Eine angemessene Diskussion kann nur mit denen stattfinden, die anerkennen, daß es bislang keine, um prekäre, diskontinuierliche immaterielle Arbeit geführte, beachtenswerte Auseinandersetzung gegeben hat. Nur mit denen, die genau wissen, daß es am postfordistischen Panorama noch an etwas, das sich mit den "CUB von Pirelli" vergleichen ließe, mangelt. Vieles an den laufenden Experimenten ist wertvoll und innovativ: Darunter kann sich jedoch keines rühmen, beispielhaft zu sein.

Heute über große Politik zu sprechen, bedeutet, über ein Loch in der Mauer zu reden: wie läßt sich die maximale Auflösung lebendiger Arbeit in eine Kraft umkehren, die ihre Ansprüche vertritt, wie läßt sich ein wirkungsvoller Hebel ausgerechnet in einer Lage ansetzen, die sich bis dato als handicap erwiesen hat Diese große Politik ist der ungebetene Gast am Tisch des sozialdemokratischen Europa. Um die Lücke zu füllen, müssen mit Mut und Fantasie viele verschiedene Wege eingeschlagen, mit bevorzugtem Blick auf das Gesamte illegitime und gewagte Verbindungen eingegangen werden. Alles natürlich mit dem erklärten Ziel, die Lücke zu schließen.

Wenn die folgenden Anmerkungen eine apodiktische Form haben und mitunter "Thesen" gleichkommen, dann nur wegen der Formulierung von Einwänden und Verbesserungen. Kurz, um die eventuellen Schwachpunkte (die notgedrungene "Armseligkeit", von der die Rede war) deutlich zu machen.

 

Der gesellschaftliche Arbeitstag

1. Politik ist heute Verwaltung einer aus den Fugen geratenen sozialen Zeit; die Erstellung einer neuen Zeittafel der ausgesetzte Preis des politischen Kampfs.

2. Die soziale Zeit ist aus den Fugen, seitdem nichts mehr die Arbeit von der übrigen menschlichen Aktivität unterscheidet. Die Arbeit hat daher seitdem aufgehört, eine besondere und getrennte Praxis zu sein, für die eigene Maßstäbe und Verfahren gelten, die von den die Zeit der Nichtarbeit regelnden Maßstäben und Verfahren völlig verschieden wären.

3. Arbeit und Nichtarbeit entfalten eine identische Produktivität, die auf der Ausübung der allgemeinen menschlichen Begabungen beruht: Sprache, Gedächtnis, gesellschaftliches Zusammenleben, ethische und ästhetische Veranlagungen, Abstraktions- und Lernvermögen. Von dem " was" man macht und "wie" man es macht" her gesehen, gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Es muß heißen: Die Arbeitslosigkeit ist unbezahlte Arbeit, die Arbeit ihrerseits entlohnte Arbeitslosigkeit. Aus gutem Grund läßt sich behaupten, je mehr ohne Unterlass gearbeitet wird, desto weniger arbeitet man. In ihrer Gesamtheit bescheinigen solch paradoxe und sich widersprechende Formulierungen, daß die soziale Zeit aus den Fugen geraten ist.

4. Die alte Scheidung in Arbeit und Nichtarbeit löst sich in der zwischen entlohntem und nicht entlohntem Leben auf. Die Grenze zwischen beiden ist willkürlich, veränderlich und unterliegt politischen Entscheidungen.

5. Die produktive Kooperation, an der die Arbeitskraft beteiligt ist, ist stets ausgedehnter und reichhaltiger als die im Arbeitsprozeß eingesetzte. Sie umfaßt auch die Nichtarbeit. Die Arbeitskraft verursacht die Wertbildung des Kapitals nur, weil sie zu keiner Zeit ihre Eigenschaft als Nichtarbeit verliert. In den Augen des Kapitalisten (und jedes nicht unbedarften Ökonomisten) ist jede Leistung, die nicht die unentlohnte Lebenszeit mit einbezieht, unproduktiv.

6. Da die soziale Kooperation dem Arbeitsprozeß vorausgeht und über ihn hinausreicht, ist die postfordistische Arbeit immer auch Schattenarbeit. Unter diesem Begriff darf man nicht nur eine "schwarze" Beschäftigung ohne Papiere verstehen. Schattenarbeit ist vor allem die nicht entlohnte Lebenszeit, beziehungsweise der Teil menschlicher Tätigkeit, der, obwohl ganz mit der Arbeit verwandt, nicht als Produktivkraft kalkuliert wird.

7. Produktionszeit (Werktag) nennen wir die untrennbare Einheit von entlohnter und nicht entlohnter Lebenszeit, Arbeit und Nichtarbeit, sichtbarer und unsichtbarer sozialer Kooperation.

8. Der Mehrwert heute entspringt einer die reine Arbeitstätigkeit übersteigenden produktiven Tätigkeit. Die Erhöhung des Mehrwerts wird heute erreicht, indem das Verhältnis von bezahltem und nicht bezahltem Abschnitt der gesamten Produktionszeit (nicht etwa nur des bezahlten und unbezahlten Teils der Arbeitszeit allein) modifiziert wird. Neben dem Mehrwert der Einzelnen umfaßt die nicht entlohnte Zeit der Produktion (der Werktag) ihre Kooperation innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit.

9. Die dem Postfordismus gerechte politische Praxis muß den Werktag (die Produktionszeit) in seiner gesamten Ausdehnung sichtbar machen und ihn zum einzig legitimen Maßstab für die Verteilung des Reichtums nehmen. Das zentrale Ziel ist selbstverständlich das jedem Bürger zustehende Einkommen. Mit ihm wird die Bezahlung der über die Arbeitszeit hinausgehenden Produktionszeit eingefordert. Das garantierte Einkommen oder Bürgergeld (reddito di cittadinanza) ist der Lohn für die soziale Kooperation, die dem Arbeitsprozess vorausgeht und über ihn hinausreicht. Das jedem Bürger zustehende Einkommen bedeutet nichts anderes als die Einführung eine neuen Zeittafel.

10. Die Forderung nach dem Bürgergeld oder garantierten Einkommen läuft jedoch Gefahr, zur beruhigenden Beschwörung oder zu einem Fetisch zu verkommen. Statt der politischen Aktion frischen Atem zu verleihen, kann sie die Lähmung sogar noch verstärken. Wenn sie nicht in genaue Vorschläge zu Steuern und Föderalismus gegliedert und besonders, wenn sie nicht von der Einrichtung einer revolutionären Gewerkschaft der immateriellen, flexiblen, prekären Arbeit unterstützt wird, gleicht die glühende Litanei über das garantierte Einkommen oder das Bürgergeld den Diskursen über eine "gerechtere Gesellschaft". Und solche Diskurse bemänteln, wie man weiß, meist die Untätigkeit oder die Gerissenheit beim "sich durchmogeln"..

 

Die neue Spezies

1. Mit dem Begriff "Massenintellektualität" war niemals beabsichtigt, eine bestimmte Anzahl besonderer Fertigkeiten zu umschreiben, sondern die Eigenschaft der postfordistischen Arbeit insgesamt. Dieses Schlagwort weist darauf hin, daß die Arbeit wesentlich linguistisch (mental, kognitiv) geworden, oder, was dasselbe ist, daß mit der Sprache gearbeitet wird.

2. Es ist sehr einfach, dennoch verkehrt, zu sagen: Massenintellektualität ist ein ökonomisch-soziologischer Begriff unter anderen, der geradlinig den Platz derjenigen eingenommen hat, die im fordistischen Bereich in Gebrauch waren. Ebenso leicht und verfehlt ist es jedoch, zu sagen: Die Massenintellektualität überschreitet die Ökonomie und Soziologie, da sie eher durch kulturelle Konstellationen, ethische Veranlagungen und Lebenszusammenhänge definiert ist. Die Angelegenheit ist viel komplizierter. Die Massenintellektualität ist eine neue Spezies. Sie ist die Hauptachse der kapitalistischen Akkumulation; sie hat daher eine außerordentliche ökonomische-soziologische Bedeutung. Doch sie ist gerade deswegen (und ungeachtet dessen) die Hauptachse der kapitalistischen Akkumulation, weil ihre hervorstechenden Eigenschaften nur in ethisch-kulturellen Begriffen als differenzierter Zusammenhang von Lebensweisen beschrieben werden können. Kurz: Die Massenintellektualität steht genau deswegen im Zentrum der postfordistischen Ökonomie, weil ihr Wesen überhaupt nicht in den Begriffen der politischen Ökonomie zu fassen ist. Und das ist das Paradoxe, dem mit dem begrifflichen Rüstzeug der Organisationstheorie begegnet werden muß.

3. Die Existenzform, in der sich die "neue Spezies" hauptsächlich bewegt, ist das Reservoir (il bacino) der Massenintellektualität. Das Reservoir ist ein raumzeitlicher Bereich, in dem die Sozialisierung außerhalb der Arbeit stattfindet. Es ist der Zusammenhang, in dem die Kooperation geformt wird, die dem Arbeitsprozeß vorausgeht und über ihn hinausreicht . Konkret: Die soziale Arbeitskraft schafft sich selbst in ihrer Mitte ein Ensemble unabhängiger Beziehungen, die unabhängig davon Bestand haben, welche Art der Beschäftigung die einzelnen gerade ausüben oder, da es keine gibt, nicht ausüben: Beziehungen, die für alle Arten von flexiblen und prekären Aufgaben eine einheitliche Voraussetzung schaffen.

4. Das Reservoir, in dem die linguistische Kooperation heranreift, ist eine Welt, die nicht minder der Lohnarbeit als der selbständigen Arbeit unterliegt. Die genauen juristischen Angaben für den jeweiligen Typ der Beschäftigung sind nichts anderes als eben juristische Spezifikationen. Die sich im Reservoir bildende kommunikative und eingebundene (relationale) Arbeit ist somit eventuell auch selbständig. Sie ist aber nicht kommunikativ und relational, weil sie selbständig ist.

5. Im Reservoir der Massenintellektualität ist es unmöglich, das Arbeitsverhalten von der "Lebenswelt" abzuspalten. So macht das Reservoir die überlieferten Eigenschaften der Frauenarbeit zu einem universellen Vorbild.

6. Wie eine geologische Schichtung offenbart das Reservoir in seinem Inneren alle ausschlaggebenden Elemente der globalisierten Ökonomie: Migrantenströme, Kommunikationsnetze, Brocken abstrakten Wissens, Gliederungen staatlicher Administration. Das Reservoir ist ein Mikrokosmos, der das Geflecht der vom Postfordismus mobilisierten Produktivkräfte auf lokaler Stufenleiter veranschaulicht.

7. Die Zersplitterung der Arbeiten verweist auf die Einheit des Reservoirs und umgekehrt. Die politische Organisation ist entweder eine des Reservoirs, oder sie ist keine.

8. Das Reservoir der Massenintellektualität verlangt nach der Zunahme einer Demokratie, die nicht repräsentativ ist und nach der Bildung einer öffentlichen Sphäre, die nicht staatlich ist. Ganz abgesehen von seiner Identifikation als "öffentlich" oder "staatlich", verlangt alles, was mit dem Austausch von Äquivalenten verbunden ist, nach einer politischen Vertretung. Umgekehrt schließt alles, was mit der produktiven Kooperation übereinstimmt, die Vertretung aus und bildet in Bezug auf den Staat einen asymmetrischen öffentlichen Raum. Weil also das Reservoir der Massenintellektualität mit der sozialen Kooperation, die der reinen Arbeit vorausgeht und über sie hinausreicht, zusammenfällt, wird man von ihr sagen müssen: Demokratisch, aber nicht stellvertreterisch; öffentlich, aber nicht staatlich.

9. Die Organisationsformen, die zum Reservoir passen, sind der Centro Sociale, die Kommune, der Sowjet.

10. Für die Zunahme der nicht repräsentativen Demokratie und die Bildung einer nicht staatlichen öffentlichen Sphäre unabdingbare Voraussetzungen sind: Die maximale Entfaltung des Föderalismus, die drastische Dezentralisierung der öffentlichen Ausgaben, die Zerstückelung der administrativen Aufgaben des Staates, die Vermehrung lokal gewählter Versammlungen.

11. Einem radikalen Föderalismus sind so plumpe Einrichtungen wie Provinzen und Regionen verhaßt. Das sind aufzulösende imaginäre Körperschaften. Die dadurch eingesparten Ressourcen können so auf wirksame Weise in lokalem, oder, wenn man so will, "kommunalen (municipale)" Umfang konzentriert werden. Unter der Bedingung, daß unter Munizipalität nichts anderes verstanden wird als ein bestimmtes Gebiet, in dem sich das Reservoir der Massenintellektualität als Gegenmacht organisiert.

12. Jeder Aspekt einer föderalistischen Neugliederung von Macht und Kompetenzen kann und muß in rätedemokratischen Geist gefördert werden: direkte Demokratie, lokale Selbstverwaltung, Widerruf der Mandate, aktives wie passives kommunales Wahlrecht der Immigranten etc.

13. Ferner muß der Föderalismus die institutionelle Einleitung zu einer Art NEP darstellen (ja, genau, die von Lenin nach der Niederlage der Revolutionen im Westen vorgeschlagene NEP: Eine Neue Wirtschaftspolitik, darauf orientiert, den Übergang zu bewerkstelligen). Die föderalistische NEP besteht darin, Formen der "Selbst - Unternehmerisierung" (oder "politischer Unternehmen") im Reservoir der Massenintellektualität Platz zu schaffen. Eine postfordistische NEP, ein Übergang, der lokal verankert ist, ein verdaulicher Föderalismus eben.

14. Die Beteiligung an Kommunal – und Bezirksratswahlen etc. mit eigenen Listen oder auf den Listen von anderen ist ein angebrachter und notwendiger Schritt. So wie sich eine Verbindung mit einer solchen Karikatur charismatisch-bonapartistischer Politik wie sie heutzutage die Figur des Bürgermeisters in Italien darstellt, als angebracht und notwendig erweisen mag. Selbstverständlich sind die Beteiligung an Lokalwahlen und ein eventueller Dialog mit der "Partei der Bürgermeister" weder ein Wert an sich, noch eine kopernikanische Wende: Ihre Nützlichkeit bemißt sich schrittweise an der Zunahme der Körperschaften einer nicht repräsentativen Demokratie (Räte und NEP). Wie bereits Donnie Brasco sagte: Wozu soll ich dir schon raten?

 

Immaterial Workers of the World

1. Es ist nicht klug, Angst vor Worten zu haben. Zum Beispiel vor dem Wort Gewerkschaft. Der Haß und die Verachtung, die sich im Lauf der Zeit die Händler der Arbeitskraft verdient haben, dürfen nicht vom springenden Punkt, nämlich von der territorialen Organisation der dringlichsten Forderungen des Reservoirs der postfordistischen Arbeit ablenken. Des Reservoirs als solchem, wohlgemerkt. Das heißt, noch bevor es sich in Lohnarbeit, selbständige, dienstleistende, intellektuelle, exekutive Arbeit usf. differenziert. Die Entfaltung eines revolutionären Syndikalismus im Schoß des Postfordismus ist die Hauptaufgabe der großen Politik, und sie wird es für lange Zeit bleiben. Alles übrige zählt natürlich auch, doch es ist eben nur der Rest...das, was übrig bleibt.

2. Beginnen wir mit einer Tatsache, die so offensichtlich und banal ist, daß sie bereits der Aufmerksamkeit und dem Blick entgangen ist. Die postfordistische Arbeit verfügt in Italien nicht über die geringste Organisation zur Selbstverteidigung, zum Widerstand, zum Führen kollektiver Verhandlungen. In dieser Hinsicht kann die Lage mit derjenigen zu Beginn der industriellen Revolution verglichen werden. Die Abwesenheit irgendeines elementaren Schutzes betrifft, als Ergebnis der systematischen "Auslagerung", in besonderer Weise die kleinen Fertigungsbetriebe; sie gilt für die neuen Dienstleistungen vom Typ pony express, für die Telefonisten der chat-lines genauso wie für die regelmäßigen Dienstleistungen intellektueller Berufe (RAI-Mitarbeiter, Übersetzer etc.). Und sie betrifft selbstverständlich die Immigranten.

3. Ein Großteil der einheimischen abhängigen Arbeit hat heute manche typische Merkmale mit den Bedingungen, denen Migranten unterworfen sind, gemein. Und umgekehrt: Die Migranten veranschaulichen in sehr auffälliger Weise die Lage, in der sich ein Großteil der abhängigen Arbeit befindet. Im persönlichen Dienstleistungssektor, auf dem Bau, als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt, spielen die Migranten außerdem eine strategische Rolle in den am weitesten fortgeschrittenen Industriebezirken, im Nordosten, im Piemont, in den Marken. Am äußersten und dennoch stützenden Rand der produktiven Kooperation sind die Migranten in höchstem Maß aber denselben Bedingungen der Klandestinität und der persönlichen Unterjochung ausgesetzt, die auch das italienischsprachige Prekariat kennzeichnen. Man braucht bloß an die jungen Textilarbeiterinnen im Val Bormida denken, die man zwingt, ein Kündigungsschreiben zu unterschreiben, das dann der Boß verwendet, sobald eine von ihnen schwanger ist. Die zwei wichtigsten Punkte, auf die sich die gewerkschaftliche Tätigkeit auszurichten hat, sind die "Arbeiter auf Zeit" (also diejenigen, die mehrmals die Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit in die eine oder in die andere Richtung überschreiten) und die aus Ländern außerhalb der EU kommenden Immigranten (extracomunitari).

4. Modelle für den revolutionären Syndikalismus sind, unumgänglich, die amerikanischen Industrial Workers of the World (IWW), die spanische CNT-FAI der Jahre vor dem Bürgerkrieg, die italienischen Camere del Lavoro der Jahrhundertwende. Gründlich zu studierende Modelle, um daraus ein neues Modell zu entwerfen, das dem Reservoir der Massenintellektualität angemessen ist. Die Organisationen des katholischen Volontariats bieten zum Teil nützliche Anregungen, um eine Gewerkschaftsform auf die Beine zu stellen, die in der Lage ist, die Zusammenhänge zwischen Produktion und Reproduktion, Arbeit und Nichtarbeit, Kultur und materiellen Interessen zu erfassen.

5. Die Centri Sociali sind die potentiellen Camere del Lavoro im Archipel der flexiblen, diskontinuierlichen Schattenaktivitäten. Eine postfordistische "Camera del Lavoro" versammelt unterschiedliche und sich ergänzende Aufgaben: Zentrum zur permanenten Aufnahme der illegalen Einwanderung, autonomes und alternatives Arbeitsamt der Massenintellektualität, Datenbank und Archiv für Informationen und Erfahrungen, Rote Rechtshilfe zu arbeitsrechtlichen Fragen, Fonds zur Gegenseitigen Hilfe.

6. In den großen Städten muß sich die Gewerkschaft in der Universität einnisten. Sie muß in jeder Fakultät eine Sektion oder einen "Schalter" eröffnen, um die Bedingungen der Studenten-Arbeiter oder der Arbeiterstudenten zu erfassen und zu untersuchen. Diese hybriden Figuren sind offenbar für jeden, der das Reservoir der immateriellen Arbeit organisieren will, ein Wegweiser durch dessen Labyrinth.

7. Die radikale Gewerkschaft der neuen IWW beabsichtigt, eine Allianz zu schaffen. Das Reservoir postfordistischer Arbeit teilt sich in zwei Ströme, in den der "Mittelschicht" und in den der "neuen Armut". Mittelschicht: Sektoren selbständiger Arbeit in der zweiten Generation, der zentrale/stabile Kern (in leitender Rolle) der Kooperativen oder Kleinstfirmen des "tertiären Sektors", die "Symbolforscher", von denen der ehemalige amerikanische Arbeitsminister Robert Reich spricht, bestimmte koordinierende leitende Angestellte der erneuerten Fabrik (Fiatwerke in Melfi), Freiberufler, die auf die Mittel der Kulturindustrie und der Kommunikation zurückgreifen können. Neue Armut: Immigranten, subalterne Schichten des "tertiären Sektors", Prekäre ohne schützendes Netz, Schwarzarbeit etc. Diese Aufspaltung zu ignorieren, wäre töricht. Wer sich eine der beiden Polaritäten zum Nachteil der anderen aussuchte, dem erginge es wie mit den Lügen: es wäre eine Wahl der kurzen Beine. Anstatt im Wechselbad die Entbehrungen der einen den Dramen der anderen gegenüber zu stellen, muß bei der konkreten Ausarbeitung des Forderungskatalogs der Punkt der Übereinstimmung und wechselseitigen Verstärkung von "Mittelschicht" und "neuer Armut" bestimmt werden. Man sollte jedoch wissen, daß eine spontane Zusammenfügung nicht von den materiellen Bedingungen absehen kann. Was unmittelbar dienlich wäre, ist eine politische Übereinkunft (verbunden mit wohl unvermeidlichen Rissen im Lager der "Mittelschicht"). Oder eben eine vorteilhafte Allianz.

8. Die Gewerkschaft sollte sich verpflichten, ein "Rechtsstatut" der postfordistischen Arbeit zu erarbeiten, das die "Flexibilität" nicht mit der "Rigidität" kontert, sondern mit Anregungen, aus ihr einen Punkt der Stärke zu machen, beziehungsweise die geeignete materielle Basis zur Bildung von Einrichtungen für die Gegenmacht der lebendigen Arbeit. Das "Rechtsstatut" erfordert eine lange Vorbereitungszeit in Gestalt einer Untersuchung, oder, was aber dasselbe ist, der Wortergreifung durch die Masse.

9. Die Gewerkschaft tritt für die Abschaffung jeder Art von copyright, Autorenschaft, Einschränkung des Zugangs zu Wissen und Informationen ein. Die auf dem Wissen und der Kommunikation basierende Produktivkraft ist grundlegend allgemein, geteilt und öffentlich. Wenn viele übereinstimmend aus ihr schöpfen, mindert das nicht ihren Wert – ihre Wirksamkeit wird dadurch im Gegenteil gefördert und vervielfältigt. Die Abschaffung des copyright ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine direkte, nicht repräsentative Demokratie und für eine öffentlichen Sphäre, die endlich einmal nicht staatlich ist.

10. Die Gewerkschaft vermutet in Schule und Universität die Chance eines "dritten Sektors": Bestimmt nicht privat, beziehungsweise betriebswirtschaftlich, doch genauso wenig staatlich-bürokratisch, am Schwindel vom legalen Wert eines Studientitels oder Zeugnis festhaltend. Bildhaft skizziert: Wenn man dazu aufgerufen wird, die Wahl zwischen einem Betriebswirt und einem Beamten als Direktor zu treffen, kann man nur die Abschaffung des Direktorenamts tout court verlangen.

11. Bezugspunkte der gewerkschaftlichen Aktion sind die "Klassenkämpfe in Frankreich" im letzten Jahrzehnt: Von den Coordinations der Krankenschwestern (1987) über den erfolgreichen Kampf gegen den Einstandslohn (1994) und dem Streik im Beförderungswesen, der die Pariser Region lahmgelegt hat und die Solidarität der Kunden erhalten hat, zum von den chomeurs ausgelösten Streit um das garantierte Einkommen (1997). Für sich genommen ist jede einzelne Episode bloß interessant, doch in ihrer gesamten Abfolge und inneren Verkettung gesehen, bilden die nämlichen Konflikte ein veritables Laboratorium für einen möglichen Antagonismus im postfordistischen Bereich. Die schwerwiegende Beschränkung der italienischen Cobas (bedenkt man den großen Gewerkschaftsstreit der Lehrer im Jahr 1987) lag daran, daß sie auf den Betrieb bezogen agierten und nicht territorial ausgedehnt. Und letztendlich hauptsächlich an ihrer Unfähigkeit, über die Sektoren mit stabiler und gesicherter Beschäftigung im Öffentlichen Dienst und in den Großbetrieben hinauszugehen und in das Geflecht des flexiblen, mobilen und prekären Proletariats einzudringen.

12. In Italien über revolutionären Syndikalismus zu diskutieren, bedeutet auch, das Problem der Rifondazione Comunista anzuschneiden. Oder besser gesagt, das Schicksal dieser Organisation nach der Spaltung und dem Ausscheiden der mehrheitlichen Regierungsfraktion. Rifondazione steht tatsächlich an einem Scheideweg: Entweder sie erhebt die Parteiform zum Fetisch oder sie findet sich damit ab, die Krise mit Experimentiergeist und Erfindungsreichtum durchzustehen. Entweder sie empfindet den nahezu außerparlamentarischen Zustand, auf den sie reduziert wurde, als Beeinträchtigung und leidet darunter, oder sie nimmt ihn als Gelegenheit wahr, wieder den sozialen Konflikt zu beleben. Zusammengefaßt: Entweder mythische Ritualpflege der Identität oder eigenes Einbringen (zumindest zu einem Teil) in eine zeitgemäße gewerkschaftliche Aktion. Ein Drittes gibt es nicht. Jede andere Möglichkeit ist dazu bestimmt, zum Bruch mit dem sozialen Antagonismus zu führen, den Rifondazione vorgibt, in den Institutionen repräsentieren zu wollen. Der abgeklärte Theoretiker wird nicht zögern, die mythisch-ritualen Option bei der Rifondazione für weitaus realistischer zu halten. Und wahr ist, daß die Wahrscheinlichkeit entschieden für ihn spricht. Wer jedoch gegenüber praktischer Politik nicht indifferent bleibt, gibt sich nicht mit einer enttäuschenden Vorhersage zufrieden. Der hat andere Probleme. Der ignoriert nicht den gewichtigen Einfluß, den ein Engagement der Aktivisten von Rifondazione beim Aufbau eines organisatorischen Netzes unter den bereits sprichwörtlich gewordenen Beschäftigten des pony express oder den Textilarbeiterinnen im Bormidatal haben kann. Der geht nach der Methode trial and error vor.

 

Das sozialdemokratische Europa und die Forderung nach einem allen Bürgern zustehenden Einkommen (reddito di cittadinanza)

1. Lassen wir uns nicht täuschen. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, eine "sozialdemokratische Frage" sei noch vorhanden, beziehungsweise es gäbe noch ein umfassendes Gesellschaftsprojekt gegen den Liberalismus, eine unnachgiebige Verteidigung des Wohlfahrtsstaats, einen reformistischen Versuch, den "Staat im Sinne der Arbeiter zu verwenden". Nichts von alledem. Die sich heute in Europa an der Regierung befindenden Sozialdemokratien gleichen alle, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, ausnahmslos der Demokratischen Partei in den USA. Es sind politische Kräfte, die zur Abwechslung und nicht als Alternative gewählt werden. Als eine Abwechslung im Rahmen einer im voraus festgelegten und starren Wirtschaftspolitik.

2. Dies führt allerdings dazu, daß die heutigen Sozialdemokratien keine politisch kompakten, mit einer felsenfesten Identität versehenen Gebilde mehr sind, die sich in der Vergangenheit das Höllenpaar "Arbeit & Staat" auf ihre Banner gestickt haben. In den Sozialdemokratien können, wie übrigens innerhalb der Demokratischen Partei, heterogene Verwerfungen, unterschiedliche generationsbedingte oder kulturelle Ablagerungen, miteinander streitende Lobbies ausgemacht werden. Die einzig ernsthafte Analyse der Sozialdemokratien (ernsthaft deswegen, weil auf eine praktische Aufnahme von Gesprächen über einzelne Fragen abzielend) ist eine strömungsübergreifende (transversale).

3. Bei den Sozialdemokraten und bei den Grünen kann man heute eine europaweite Neigung beobachten, Experimente zum Bürgergeld, wenn auch in partiellem, beschränktem Umfang, zu fördern. Eine Tendenz, die das Scheitern jedes anderen Vorschlags zur Eindämmung und Verwaltung der strukturellen Massenarbeitslosigkeit nun auch in technischer und wirtschaftlich gerechneter Hinsicht eingesteht. Die Aufnahme des Dialogs mit dieser Tendenz (die in Italien vielleicht mit jenem Teil der 77er Generation übereinstimmt, der aus Haß auf den Berlinguerismus und den Historischen Kompromiß das Entstehen des PDS mit Symphatie betrachtet hat) ist selbstverständlich fundamental wichtig.

4. Die große Politik, die den revolutionären Syndikalismus der postfordistischen IWW zur Grundlage hat, ist mit dem Bürgergeld (reddito di cittadinanza) nicht schon am Ziel angelangt, sondern erst am Anfang. Was wirklich zählt, sind die Kämpfe, die Formen der Gegenmacht, die Unternehmerisierung (imprenditorialità) der immateriellen Arbeit, die auf der Basis einer noch so zögerlichen Abgabe von Geld an die Beschäftigungslosen entstehen können. Dieser Anfang muß jedoch auf jedem Schritt von einem übergreifenden (transversalen) politisch-kulturellen Kampf begleitet sein, der innerhalb und außerhalb der Europäischen Demokratischen Partei (sprich: der nicht länger sozialdemokratischen Sozialdemokraten und der Grünen) in Gang gesetzt werden muß.

5. Die eigene Handlungsfähigkeit geschmeidig und unvoreingenommen auszuspielen, beinhaltet jedoch die gleichzeitig stattfindende Schaffung eines eigenen "Ortes", einer im höchsten Maß agilen Struktur, mit der die politische Aktion koordiniert, vertieft und verstärkt wird. Ein Forum für die nicht repräsentative Demokratie und das Bürgergeld sind an der Tagesordnung. Um die Wahrheit zu sagen, das sind sie schon längst. Zur Förderung des Transversalismus und bestimmt nicht zu seiner Behinderung. Um ein Stück nicht staatlicher Öffentlichkeit, die somit keine Parodie ist, vorwegzunehmen. Um ein Ensemble von Analysen, Meinungen und Vorschlägen, die zwar radikal aber keineswegs extremistisch sind, deutlich werden zu lassen, die in die Frage münden: can you imagine the revolution?

Immaterial Workers of the World