letzte Änderung am 12. Juni 2003

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Darf's etwas weniger sein? Was bringen Mini-Job und Ich-AG?

Im Windschatten der Debatte um die Agenda 2010 sind die unter den Begriffen 'Ich-AG' und 'Mini-Job' eingeführten 'Reformen' etwas in den Hintergrund getreten. Kein Grund, sich nicht mit diesen beiden Neuregelungen vertraut zu machen. Denn 'Ich-AG' und 'Mini-Job' zeigen, was sich die Bundesregierung unter der Schaffung neuer Arbeitsplätze vorstellt.

Die 'Ich-AG': Niedriglohn in Eigenregie?

Die 'Ich-AG' soll es Arbeitslosen nach dem Wunsch der Bundesregierung erleichtern, sich unternehmerisch selbständig zu machen. Zwar stehen dafür theoretisch alle Wirtschaftsbereiche offen, aber das Bundesministerium will vor allem das Angebot "kostengünstiger Dienstleistungen" fördern. Hierzu gibt es einen "Existenzgründungszuschuss".

Existenzgründungszuschuss: Einen Anspruch auf diesen Zuschuss hat, wer zuvor Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, ABM-Förderung oder Unterhaltsgeld bezieht. Mit Ausnahme von Familienangehörigen darf niemand angestellt werden; der Gewinn der 'Ich-AG' darf 25 000 € im Jahr nicht übersteigen. Das Arbeitsamt zahlt pro Monat 600 € im ersten, 360 € im zweiten und 240 € im dritten Jahr. Maximal können somit 14.400 € Zuschuss bezogen werden. Nach drei Jahren gibt es keinen Existenzgründungszuschuss mehr.

Soziale Sicherung: Wer den Existenzgründungszuschuss bezieht, muss sich bei der Rentenkasse pflichtversichern. Im Förderungszeitraum ist ein reduzierter Beitrag von 232 € (Ostdeutschland: 194 €) zu zahlen. Die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung zum subventionierten Beitragssatz von 167 € monatlich ist freiwillig. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden nicht erhoben.

Anmerkung: Der Existenzgründungszuschuss wird im Wesentlichen für die Rentenversicherung benötigt. Im dritten Jahr übersteigt der Pflichtbeitrag in Westdeutschland den Zuschuss.

Neben diesen Zuschüssen werden den BetreiberInnen einer Ich-AG auch noch einige Steuervergünstigungen gewährt, wobei allerdings in vielen Fällen die erzielten Einkommen der Solo-Unternehmen so niedrig sein werden, dass ohnehin keine Steuern anfallen.

Bewertung: Im Jahr 2001 waren etwa 3,6 Millionen Menschen als Selbstständige tätig. Hierzu zählen beispielsweise ÄrztInnen, ArchitektInnen, RechtsanwältInnen, VersicherungsvertreterInnen oder auch SteuerberaterInnen. In den genannten Fällen kann davon ausgegangen werden, dass es vielfach möglich ist, von der Selbständigkeit einigermaßen gut zu leben. Etwas anderes ist dies in vielen Bereichen, in denen ehemals Beschäftigte auf eigene Rechnung zu Solo-UnternehmerInnen werden. Beispielsweise im Speditionsbereich, wo ehemals fest angestellte FahrerInnen ‚ihren’ LKW kaufen 'durften', faktisch aber weiter vom Speditionsunternehmen abhängig blieben. Ähnlich ist es z.B. bei denjenigen, die mit dem eigenen PKW einen Mini-Kurierdienst aufmachen oder sich im Handwerk versuchen. Hier ist vielfach nur Selbstausbeutung auf hohem Niveau angesagt, die Einzelnen tragen volles Risiko bei Krankheit und Unfall, und am Ende bleibt oft nicht viel in der Kasse.

Wenn das Wirtschaftsministerium jetzt von "kostengünstigen Dienstleistungen" spricht, deutet sich schon an, wohin die Reise in der Ich-AG gehen soll. Die neuen Kleinstunternehmen sollen billiger sein als fest angestellte Kräfte und dabei Serviceleistungen, z.B. im Bereich der Reinigung und Instandhaltung, übernehmen, die bislang von festen Kräften erledigt wurden. Um Aufträge zu bekommen, muss die Ich-AG logischerweise die bisher gezahlten Löhne und Gehälter noch unterbieten. Wie wenig da für die Einzelnen übrig bleibt, ist leicht vorstellbar, ebenso aber auch, dass dadurch weiterer Druck auf die bestehenden Tarifstrukturen entsteht. Sollte sich die "Ich-AG"-Idee ausbreiten, wären weitere Anreize zur Auslagerung von Arbeit gegeben. Eben noch entlassen, kann dann der oder die Arbeitslose gleich wieder auf eigene Rechnung und eigenes Risiko bei der gleichen Firma als eigenes Subunternehmen anfangen – zu schlechteren Bedingungen, versteht sich.

Bisher sind nur vergleichsweise wenig Anträge bei den Arbeitsämtern gestellt worden – die Ich-AG ist kein großer Renner. Das ist auch gut so. Allerdings: Angesichts des enormen Drucks, der zukünftig auf Arbeitslose erfolgen wird und angesichts der Drohung, nach 12 Monaten in die Sozialhilfe zu fallen, könnten manche Arbeitslose aus schierer Verzweiflung doch noch zum Strohhalm der Selbstständigkeit greifen. Wenn sie Pech haben, fallen sie dann mittelfristig von der Arbeitslosen- in die Konkursstatistik.

Mini-Job: Steuerparadies oder Bedrohung für "reguläre" Arbeitsverhältnisse?

Ab 1. April diesen Jahres hat die rot-grüne Koalition eine ihrer nach 1998 durchgeführten Reformen wieder weitgehend kassiert und mit dem so genannten Mini-Job auch für Nebenverdienste wieder ein abgabenfreies Arbeitsverhältnis eingeführt: Was früher mal der "630-Mark-Job" war, wird künftig zum 400-Euro-Job. Hatte die Koalition vor 5 Jahren ihre Einschränkung der sozialversicherungsfreien Mini-Jobs ("geringfügige Beschäftigungsverhältnisse") u.a. noch mit der Notwendigkeit begründet, dass den Sozialkassen Beiträge entgingen, so ist gilt dies heute, trotz bekanntlich klammer Kassen, offensichtlich nicht mehr. Ausdrückliches Ziel, so das federführende Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherheit (kein Witz!) ist es, dauerhaft einen Niedriglohnsektor zu stabilisieren und hier die Beschäftigung auszuweiten (Erläuterungen des Ministeriums: http://www.bmgs.bund.de/download/broschueren/A630.pdf).

Die Neuregelungen bei Mini-Jobs:

  • die Geringfügigkeitsgrenze wird auf 400 € angehoben
  • wer geringfügig Beschäftigte einstellt, muss in Zukunft statt bisher 22 % pauschal 25 % Abgaben entrichten (davon 12 % Rentenversicherung, 11 % Krankenversicherung, 2 % Steuer). Bei einem 400 €-Job entstehen somit brutto Kosten von 500 €.
  • Privathaushalte müssen für "häusliche Dienstleistungen" (z.B. Putzkräfte, Pflegepersonal) nur 12 % Abgaben pauschal abführen (davon 5% Rentenversicherung, 5% Krankenversicherung, 2 % Steuer)
  • die Beschäftigten selbst müssen bei einem Mini-Job weder Sozialversicherung noch Steuern bezahlen (auch dann nicht, wenn dieser neben einer nicht geringfügigen Beschäftigung zusätzlich ausgeübt wird); werden mehrere Mini-Jobs ausgeübt, so werden diese addiert und sind abgabenpflichtig
  • Monatseinkommen von 400,01 € bis 800 € gelten als so genannte Gleitzone, in der bei normaler Besteuerung ein abgestufter, ermäßigter Beitragssatz zur Sozialversicherung gilt
  • die bisherige Bestimmung, wonach eine geringfügige Beschäftigung weniger als 15 Wochenstunden umfassen musste, entfällt – damit ist der Anzahl der Stunden, die für 400 € im Monat zu leisten sind, nach oben keine Grenze mehr gesetzt!

Bewertung: Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung ist eine der am wenigsten umstrittenen Hartz-Reformen. Ganz im Gegenteil: Viele Beschäftigte halten es vermutlich für eine feine Sache, dass wieder ein steuerfreier Zuverdienst möglich ist. Manche glauben hier ihre private Steueroase gefunden zu haben.

Leider ändert dies nichts daran, dass der von der Bundesregierung angestrebte Ausbau der geringfügigen Beschäftigung zu Lasten der "regulären" Beschäftigung gehen wird. Wenn der "Arbeitsmarkt im unteren Lohnbereich dauerhaft ausgebaut und stabilisiert" werden soll, wie sich das z.B. Ministerin Ulla Schmidt erhofft, so sollten die Alarmglocken klingeln.

Der Zuverdienst könnte zudem für manche Beschäftigten in Zukunft der Hauptverdienst werden, wenn für Arbeitslose die Verpflichtung kommt, jeden Mini-Job als zumutbar anzunehmen. Und dabei sollte nicht vergessen werden: Wie lange für die 400 € gearbeitet werden muss, lässt das Gesetz völlig offen.

Wie wär's mit 5 € die Stunde, oder darf's auch etwas weniger sein?

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