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Als explizit konterrevolutionär bzw. sozialimperialistisch charakterisierte Rosa Luxemburg die deutschen Gewerkschaften spätestens seit dem Burgfriedensschluss von 1914. (…) In der Autoritätshörigkeit, dem Organisationsfetischismus und der »standhafte[n] Kadaverhaltung des deutschen Proletariats« setzte sich nach Luxemburgs Einschätzung das obrigkeitsstaatliche Erbe der deutschen Geschichte bis in die gewerkschaftliche Alltagsarbeit hinein fort. (…) Kann man in der Minderheit marxistischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter überhaupt die noch sehr viel kleinere Minderheit ausmachen, die explizit oder klandestin den antiautoritären Marxismus Luxemburgs fortgesetzt hat oder gar noch heute praktiziert? (…) Luxemburgs zuletzt radikalisierte Kritik an Stellvertreterpolitik, Bürokratismus und (Selbst-)Verstaatlichung der Gewerkschaftsapparate hingegen bietet weder für die Propagierung wirtschaftsdemokratischer Konzepte noch für das taktische Ringen in innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen ausreichend Anknüpfungspunkte und bleibt deshalb unterthematisiert. Wo aber die strukturell sozialfriedliche Rolle ausgeblendet wird, die Gewerkschaften spätestens seit dem Ersten Weltkrieg in der kapitalistischen Klassengesellschaft spielen, drohen auch die im marxistischen und zuletzt sogar in Luxemburgs Namen unternommenen Anstrengungen zur Revitalisierung der Gewerkschaftslinken in eine bloß noch sozialdemokratische Arbeitsteilung mit dem rechten Gewerkschaftsflügel überzugehen, dessen tagespolitische Kompromisse eines ideologischen Überbaus ebenso bedürfen wie jener einer ökonomischen Basis…“
Aufsatz von Malte Meyer (wir danken!) aus „Rosa Luxemburg. Leben und Wirken“, dem Band 1 der zweibändigen Studie, herausgegeben von Frank Jacob, Jörn Schütrumpf und Albert Scharenberg im Marburger Büchner-Verlag und im Open Access verfügbar! Siehe weitere Infos dazu und weitere zum 150. Geburtstagstag von Rosa Luxemburg
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