Nach fast sechs Monaten Streik bei Neupack: Opfert IG BCE-Führung Murat Günes und fünf weitere Streik-Aktivisten?

Artikel von Dieter Wegner, 14.04.2013

„DURCHBRUCH ERZIELT: Neupack verzichtet auf Maßregelungen“, meldet die IG BCE-Führung in ihrem neuesten Streik-Info. Weiter unten steht: „Ausgenommen davon sind einige Sachverhalte nach den Strafgesetzbuch, die im weiteren Sinne Offizialdelikte darstellen. Hier müssen die Gerichte entscheiden“.

Diese „Offizialdelikte“ haben Murat Günes (BR-Vorsitzender) und fünf weitere Streikaktivisten aus Stellingen und Rotenburg begangen. Welche waren das? Murat soll angeblich eine Körperverletzung bei einer Rangelei am Tor mit einem Abteilungsleiter begangen haben. Den anderen wird Beleidigung, Spucken etc. vorgeworfen.

Warum hat die IG BCE nicht gegenüber Neupack die Bedingung erhoben, daß auf Anzeigen bei diesen Bagatellvorkommnissen verzichtet wird?

Daß der Streik am 1. November überhaupt beginnen konnte, ist der mehr als zehnjährigen Vorarbeit von Murat Günes zu verdanken, er machte vorbildliche Gewerkschaftsarbeit, indem er ethnische und religiöse Vorurteile beseitigte, über 70 Prozent der Belegschaft für die Gewerkschaft warb.

Durch die gefeierte Einigung zwischen den Sozialpartnern werden Murat und fünf StreikaktivistInnen fallen gelassen wie heiße Kartoffeln.

Nachdem durch den Flexi-Streik ab 25. Januar dem Sozialpartner Krüger durch die bisher Streikenden die Lager wieder gefüllt wurden und sie selbst Mobbing und Schikane jeder Art durch die Vorgesetzten ausgesetzt waren, um sie dadurch mürbe und streikunlustig zu machen – jetzt der Stoß ins Herz des Widerstandes, gegen Murat und die fünf anderen.

Aus Streikinfo 52 der IG BCE: „Dramatische Stunden am Donnerstag in Hannover und Hamburg: Nachdem der Geschäftsführende Hauptvorstand der IG BCE sich in Hannover intensiv mit dem Thema Neupack befasst hatte, trafen am Nachmittag und am Abend doch noch neue Zugeständnisse aus der Hamburger Neupack-Zentrale bei der IG BCE ein. Zentraler Punkt: Neupack verzichtet auf jegliche Maßregelungsmaßnahmen gegenüber den Streikenden in Hamburg und Rotenburg. Ralf Becker, Chef des IG BCELandesbezirks Nord und Verhandlungsführer: „Das ist nach fast einem halben Jahr endlich ein Durchbruch für die Menschen bei Neupack. Dieser Durchbruch entspricht dem, was der Hauptvorstand zuvor als Marschrichtung festgelegt hatte.“  Ralf Becker weiter: „Die gleiche Augenhöhe ist erreicht“

Bei der gleichen Augenhöhe zwischen den Sozialpartnern fallen die sechs StreikaktivistInnen unten durch.

Wenn die IG BCE schon jetzt derart jubelt, ohne eine Vereinbarung, geschweige denn einen Tarifvertrag erreicht zu haben, wie wird  sie dann erst nach Beendigung des Streiks jubeln? Oder welche Erfolgsmeldungen wird Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE am 1. Mai in Hamburg verkünden?

Die Opfer des fast sechsmonatigen Kampfes (Kranke, Gemobbte, KollegInnen, die selbst gekündigt haben), werden sie ganz verschwiegen oder als Kollerateralschaden verbucht?

Daß Krüger mit seinem Berater Hoeck als große Sieger dastehen wird, hat er seinem Sozialpartner IG BCE-Führung zu verdanken, die ihm nie weh tun wollte. Im Gegensatz zu den Streikenden, die den Streik selbst in die Hand nehmen wollten, um Krüger niederzustreiken. Hoeck, der bei früheren Engagements die Bildung von Betriebsräten verhinderte, dürfte durch seinen Einsatz bei Neupack seinen Marktwert um ein mehrfaches gesteigert haben.

Erläuterung zum Streik bei Neupack:

Der Streik von 110 KollegInnen der 195 Beschäftigten beim Verpackungsmittelhersteller Neupack (Hamburg-Stellingen und Rotenburg) hat am 1. November vorigen Jahres begonnen. Die IG BCE-Streikleitung in Hannover verkündete einen Flexi-„Streik“ und schickte die Streikenden am 25. Januar wieder in die Firma. Seitdem arbeiten sie fast die ganze Zeit – mit wenigen Tagen für Mitgliederversammlungen und einzelnen Streiktagen. Sie füllten der Firma Krüger die Lager, die am 25.1. fast leer waren.

Etwa die ersten vier Wochen des Streiks glaubte die IG BCE-Führung in Hannover den Streik auf dem Boden der Sozialpartnerschaft gewinnen zu können. Als die große IG BCE (680 000 Mitglieder) sich dem kleinen Krauter Krüger gegenüber noch stark fühlte, erklärte ihr Vorsitzender, Michael Vassiliadis: „Wir werden an Krüger ein Exempel statuieren – koste es was es wolle“

Krüger hatte zu Beginn des Streiks Streikbrecher aus Polen fest eingestellt. Wie KollegInnen nach dem 25.1. berichteten, stellten die ausländischen Streikbrecher sehr viel Ausschuß her. Jetzt mußte die Stammbelegschaft die Streikbrecher anlernen, damit sie bessere Leistung brachten.

Ein IG BCE-Sekretär hatte zu Beginn des Streiks argumentiert, als er noch mit den Streikenden zusammen eine Blockade gegen die StreikbrecherInnen der Stammbelegschaft: Ihr verlängert nur den Streik, wenn ihr jetzt reingeht und Streikbrecher seid. (Siehe Plakat).

Vom 25. Januar an wurden die bisher Streikenden also von der eigenen Gewerkschaft zum Streikbruch in das Werk kommandiert.

Außerdem wurden sie während der Arbeitseinsätze drangsaliert, gemobbt und gemaßregelt. Ein Rotenburger Kollege drückte es so aus: „Ein glorreicher Sieg nach fünf Monaten Streik mit Eis, Schnee, Verletzten, Kranken, Gedemütigten, Gekündigten…“

Und die KollegInnen wissen, daß sie diesen Wahnwitz nicht nur Krüger zu verdanken haben sondern der Flexi-Streik-Methode der IG BCE-Führung.

Dieter Wegner, 14.04.2013, aktiv im Soli-Kreis Neupack, Kontakt: soli-kreis@gmx.de und  www.soli-kreis.tk  externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=31945
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